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Gebrüder Grimm - Kinder- und Hausmärchen Teil 2

Allerleirauh
Die alte Bettelfrau
Der alte Großvater und der Enkel
Der Arme und der Reiche
Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen
Der Bärenhäuter
Der Bauer und der Teufel
Die beiden Wanderer
Die Brosamen auf dem Tisch
Bruder Lustig
Daumerlings Wanderschaft
Daumesdick
Die Rabe
Doktor Allwissend
Die drei Brüder
Die drei Federn
Die drei Glückskinder
Die drei Sprachen
Das Eselein
Die Eule
Der Frieder und das Katherlieschen
Der Fuchs und die Gänse
Der Fuchs und die Katze
Fundevogel
Die Gänsehirtin am Brunnen
Die Gänsemagd
Der Geist im Glas
Der gelernte Jäger
Die Geschenke des kleinen Volkes
Der gestiefelte Kater
Der Gevatter Tod
Der gläserne Sarg
Die goldene Gans
Die Goldkinder
Der Grabhügel
Der gute Handel
Hans mein Igel
Die himmlische Hochzeit
Der Herr Gevatter
Der junge Riese
Jungfrau Maleen
Die kluge Bauerntochter
Die kluge Else
Der kluge Knecht
Vom klugen Schneiderlein
Der Königssohn, der sich vor nichts fürchtet
Der Krautesel
Die Kristallkugel
Die Lebenszeit
Von dem Mäuschen, Vögelchen und der Bratwurst
Das Mittagessen im Hof
Der Mond
Die Nelke
Die Nixe im Teich
Das Rätsel
Der Ranzen, das Hütlein und das Hömlein
Die Rübe
Das Märchen vom Schlaraffenland
Schneewittchen
Die Scholle
Die sechs Diener
Sechse kommen durch die ganze Welt
Die sechs Schwäne
Die sieben Raben
Simeliberg
Der starke Hans
Der Stiefel von Büffelleder
Strohhalm, Kohle und Bohne
Der süße Brei
Des Teufels rußiger Bruder
Tischchen deck dich, Goldesel und Knüppel aus dem Sack
Von dem Tode des Hühnchens
Der Trommler
Die vier kunstreichen Brüder
Die wahre Braut
Die Wassernixe
Die weiße und die schwarze Braut
Die Wichtelmänner erstes Märchen
Die Wichtelmänner zweites Märchen
Die Wichtelmänner drittes Märchen
Der Wolf und der Fuchs
Die zertanzten Schuhe
Die zwölf Brüder

 

Allerleirauh

Es war einmal ein König, der hatte eine Frau mit goldenen Haaren, und sie war so schön, daß sich ihresgleichen nicht mehr auf Erden fand. Es geschah, daß sie krank lag, und als sie fühlte, daß sie bald sterben würde, rief sie den Arzt, und sprach: "Wenn du nach meinem Tode dich wieder vermählen willst, so nimm keine, die nicht ebenso schön ist, wie ich bin, und die nicht soche goldene Haare hat, wie ich habe; das mußt du mir versprechen. Nachdem es ihr der König versprochen hatte, tat sie die Augen zu und starb.
Der König war lange Zeit nicht zu trösten und dachte nicht daran, eine zweite Frau zu nehmen. Endlich sprachen seine Räte: "Es geht nicht anders, der König muß sich wieder vermählen, damit wir eine Königin haben." Nun wurden Boten weit und breit umhergeschickt, eine Braut zu suchen, die an Schönheit der verstorbenen Königin ganz gleichkäme. Es war aber keine in der ganzen Welt zu finden, und wenn man sie auch gefunden hätte, so war doch keine da, die solche goldene Haare gehabt hätte. Also kamen die Boten unverrichteter Sache wieder heim.
Nun hatte der König eine Tochter, die war geradeso schön wie ihre verstorbene Mutter und hatte auch solche goldene Haare. Als sie herangewachsen war, sah sie der König einmal an und sah, daß sie in allem seiner verstorbenen Gemahlin ähnlich war, und fühlte plötzlich eine heftige Liebe zu ihr. Da sprach er zu seinen Räten: "Ich will meine Tochter heiraten; denn sie ist das Ebenbild meiner verstorbenen Frau, und sonst kann ich doch keine Braut finden, die ihr gleicht. Als die Räte das hörten, erschraken sie und sprachen: "Gott hat verboten, daß der Vater seine Tochter heirate, aus der Sünde kann nichts Gutes entspringen, und das Reich wird mit ins Verderben gezogen.
Die Tochter erschrak noch mehr, als sie den Entschluß ihres Vaters vernahm, hoffte aber, ihn von seinem Vorhaben noch abzubringen. Da sagte sie zu ihm: "Eh' ich Euren Wunsch erfülle, muß ich erst drei Kleider haben, eins so golden wie die Sonne, eins so silbern wie der Mond und eins so glänzend wie die Sterne; ferner verlange ich einen Mantel von tausenderlei Pelz und Rauhwerk zusammengesetzt, und ein jedes Tier in Euerm Reich muß ein Stück von seiner Haut dazu geben." Sie dachte aber: ,Das anzuschaffen ist ganz unmöglich, und ich bringe damit meinen Vater von seinen bösen Gedanken ab.' Der König ließ aber nicht ab, und die geschicktesten Jungfrauen in seinem Reiche mußten die drei Kleider weben, eins so golden wie die Sonne, eins so silbern wie der Mond und ein so glänzend wie die Sterne; und seine Jäger mußten alle Tiere im ganzen Reiche auffangen; daraus ward ein Mantel von tausenderlei Rauhwerk gemacht. Als alles fertig war, ließ der König den Mantel herbeiholen, breitete ihn vor ihr aus und sprach: "Morgen soll Hochzeit sein."
Als nun die Königstochter sah, daß keine Hoffnung mehr war, ihres Vaters Herz umzuwenden, so faßte sie den Entschluß, zu entfliehen. In der Nacht, während alles schlief, stand sie auf und nahm von ihren Kostbarkeiten dreierlei, einen goldenen Ring, ein goldenes Spinnrädchen und ein goldenes Haspelchen; die drei Kleider von Sonne, Mond und Sternen tat sie in eine Nußschale, zog den Mantel von allerlei Rauhwerk an und machte sich Gesicht und Hände mit Ruß schwarz. Dann befahl sie sich Gott und ging fort und ging diee ganze Nacht, bis sie in einen großen Wald kam. Und weil sie müde war, setzte sie sich in einen hohlen Baum und schlief ein.
Die Sonne ging auf, und sie schlief fort und schlief noch immer, als es schon heler Tag war. Da trug es sich zu, daß der König, dem dieser Wald gehörte, darin jagte. Als seine Hunde zu dem Baum kamen, schnupperten sie, liefen ringsherum und bellten. Sprach der König zu den Jägern: "Seht doch, was dort für ein Wild sich versteckt hat!" Die Jäger folgten dem Befehl, und als sie wiederkamen, sprachen sie: "In dem hohlen Baum liegt ein wunderliches Tier, an seiner Haut ist tausenderlei Pelz; es liegt aber und schläft." Sprach der König: "Seht zu, ob ihr's lebendig fangen könnt, dann bindet's auf den Wagen und nehmt's mit." Als die Jäger das Mädchen anfaßten, erwachte es vol1 Schrecken und rief ihnen zu: "Ich bin ein armes Kind, von Vater und Mutter verlassen, erbarmt euch mein und nehmt mich mit." Da sprachen sie: Allerleirauh, du bist gut für die Küche, komm nur mit, da kannst die Asche zusammenkehren." Also setzten sie es auf den Wagen und fuhren heim in das königliche Schloß. Dort wiesen sie ihm ein Ställchen an unter der Treppe, wo kein Tageslicht hinkam, und sagten: "Rauhtierchen, da kannst du wohnen und schlafen." Dann ward es in die Küche geschickt, da trug es Holz und Wasser, schürte das Feuer, rupfte das Federvieh, verlas das Gemüse, kehrte die Asche und tat alle schlechte Arbeit.
Da lebte Allerleirauh lange Zeit recht armselig. Ach, du schöne Königstochter, wie soll's mit dir noch werden! Es geschah aber einmal, daß ein Fest im Schloß gefeiert ward, da sprach sie zum Koch: "Darf ich ein wenig hinauf und zusehen? Ich will mich außen vor die Tür stellen." Antwortete der "Ja' geh nur hin, aber in einer halben Stunde mußt du wieder hier sein und Asche zusammentragen." Da nahm sie ihr Öllämpchen, ging in ihr Ställchen, zog den Pelzrock aus und wusch sich den Ruß von dem Gesicht und den Händen ab, so daß ihre volle Schönheit wieder an den Tag kam. Dann machte sie die Nuß auf und holte ihr Kleid hervor, das wie die Sonne glänzte. Und wie das geschehen war, ging sie hinauf zum Fest, und alle traten ihr aus dem Weg; denn niemand kannte sie, und sie meinten nicht anders, als daß es eine Königstochter wäre. Der König aber kam ihr entgegen, reichte ihr die Hand und tanzte mit ihr und dachte in seinem Herzen: ,So schön haben meine Augen noch keine gesehen.' Als der Tanz zu Ende war, verneigte sie sich, und wie sch der König umsah, war sie verschwunden, und niemand wußte, wohin. Die Wächter, die vor dem Schlosse standen, wurden gerufen und ausgefragt, aber niemand hatte sie erblickt.
Sie war aber in ihr Ställchen gelaufen, hatte geschwind ihr Kleid ausgezogen, Gesicht und Hände schwarz gemacht und den Pelzmantel umgetan und war wieder Allerleirauh. Als sie nun in die Küche kam und an ihre Arbeit gehen und die Asche zusammenkehren wollte, sprach der Koch: "Laß das gut sein bis morgen und koche mir da die Suppe für den König, ich will auch einmal ein bißchen oben zugucken; aber laß mir kein Haar hineinfallen, sonst kriegst du in Zukunft nichts mehr zu essen." Da ging der Koch fort, und Allerleirauh kochte die Suppe für den König und kochte eine Brotsuppe, so gut sie konnte, und wie sie fertig war, holte sie in dem Ställchen ihren goldenen Ring und legte ihn in die Schüssel, in welche die Suppe angerichtet ward. Als der Tanz zu Ende war, ließ sich der König die Suppe bringen und aß sie, und sie schmeckte ihm so gut, daß er meinte, niemals eine bessere Suppe gegessen zu haben. Wie er aber auf den Grund kam, sah er da einen goldenen Ring liegen und konnte nicht begreifen, wie er dahin geraten war. Da befahl er, der Koch sollte vor ihn kommen. Der Koch erschrak, wie er den Befehl hörte, und sprach zu Allerleirauh: "Gewiß hast du ein Haar in die Suppe fallen lassen, wenn's wahr ist, so kriegst du Schläge." Als er vor den König kam, fragte dieser, wer die Suppe gekocht hätte. Antwortete der Koch: "Ich habe sie gekocht." Der König aber sprach: "Das ist nicht wahr; denn sie war auf andere Art und viel besser gekocht als sonst." Antwortete er: "Ich muß es gestehen, daß ich sie nicht gekocht habe, sondern das Rauhtierchen." Sprach der König: "Geh und laß es heraufkommen."
Als Allerleirauh kam, fragte der König: "Wer bist du?" - "Ich bin ein armes Kind." Fragte er weiter: "Wozu bist du in meinem Schloß?" Antwortete es: "Ich bin zu nichts gut, als daß mir die Stiefel um den Kopf geworfen werden." Fragte er weiter: "Wo hast du den Ring her, der in der Suppe war?" Antwortete es: "Von dem Ring weiß ich nichts." Also konnte der König nichts erfahren und mußte es wieder fortschicken.
Uber eine Zeit war wieder ein Fest, da bat Allerleirauh den Koch wie voriges Mal um Erlaubnis, zusehen zu dürfen. Antwortete er: "Ja, aber komm in einer halben Stunde wieder und koch dem König die Brotsuppe, die er so gerne ißt." Da lief sie in ihr Ställchen, wusch sich geschwind und nahm aus der Nuß das Kleid, das so silbern war wie der Mond, und tat es an. Da ging sie hinauf und glich einer Königstochter; und der König trat ihr entgegen und freute sich, daß er sie wiedersah, und weil eben der Tanz anhub, so tanzten sie zusammen. Als aber der Tanz zu Ende war, verschwand sie wieder so schnell, daß der König nicht bemerken konnte, wo sie hinging. Sie sprang wieder in ihr Ställchen und machte sich wieder zum Rauhtierchen und ging in die Küche, die Brotsuppe zu kochen. Als der Koch oben war, holte sie das goldene Spinnrad und tat es in die Schüssel, so daß die Suppe darüber angerichtet wurde. Danach ward sie dem König gebracht, der aß sie, und sie schmeckte ihm so gut wie das vorige Mal, und ließ den Koch kommen, der mußte auch diesmal gestehen, daß Allerleirauh die Suppe gekocht hätte. Allerleirauh kam da wieder vor den König, aber sie antwortete, daß sie nur dazu da wäre, daß ihr die Stiefel an den Kopf geworfen würden und daß von dem goldenen Spinnrädchen gar nichts wüßte.
Als der König zum drittenmal ein Fest anstellte, da ging es nicht anders als die vorigen Male. Der Koch sprach zwar: "Du bist eine Hexe, Rauhtierchen, und tust immer etwas in die Suppe, davon sie so gut wird und dem König besser schmeckt, als was ich koche"; doch weil es so bat, so ließ er es auf die bestimmte Zeit hingehen. Nun zog es ein Kleid an, das wie die Sterne tanzte und trat damit in den Saal.
Der König tanzte wieder mit der schönen Jungfrau und meinte, daß sie noch niemals so schön gewesen wäre. Und während er tanzte, steckte er ihr, ohne daß sie es merkte, einen goldenen Ring an den Finger und hatte befohlen, daß der Tanz recht lang währen sollte. Wie er zu Ende war, wollte er sie an den Händen festhalten, aber sie riß sich los und verschwand. Sie lief, was sie konnte in ihr Ställchen unter der Treppe, weil sie aber zu lange über eine halbe Stunde geblieben war, so konnte sie das schöne Kleid nicht ausziehen, sondern warf nur den Mantel von Pelz darüber, und in der Eile machte sie sich nicht ganz rußig, sondern ein Finger blieb weiß. Allerleirauh lief nun in die Küche, kochte dem König die Brotsuppe und legte, wie der Koch fort wahr, den goldenen Haspel hinein. Der König, als er den Haspel auf dem Grunde fand. ließ Allerleirauh rufen. Da erblickte er den weißen Finger und sah den Ring, den er im Tanze ihr angesteckt hatte. Da ergriff er sie an der Hand und hielt sie fest, und als sie sich losmachen und fortspringen wollte, tat sich der Pelzmantel ein wenig auf, und das Sternenkleid schimmerte hervor. Der König faßte den Mantel und riß ihn ab. Da kamen die goldenen Haare hervor, und sie stand da in voller Pracht und konnte sich nicht länger verbergen. Und als sie Ruß und Asche aus ihrem Gesicht gewischt hatte, da war sie schöner, als man noch jemand auf Erden gesehen hatte. Der König aber sprach: "Du bist meine liebe Braut, und wir scheiden nimmermehr voneinander." Darauf ward die Hochzeit gefeiert, und sie lebten vergnügt bis an ihren Tod.

 

Die alte Bettelfrau

Es war einmal eine alte Frau, du hast wohl ehe eine alte Frau sehn betteln gehn? diese Frau bettelte auch, und wann sie etwas bekam, dann sagte sie 'Gott lohn Euch.' Die Bettelfrau kam an die Tür, da stand ein freundlicher Schelm von Jungen am Feuer und wärmte sich. Der Junge sagte freundlich zu der armen alten Frau, wie sie so an der Tür stand und zitterte 'kommt, Altmutter, und erwärmt Euch.' Sie kam herzu, ging aber zu nahe ans Feuer stehn, daß ihre alten Lumpen anfingen zu brennen, und sie wards nicht gewahr. Der Junge stand und sah das, er hätts doch löschen sollen? Nicht wahr, er hätte löschen sollen? Und wenn er kein Wasser gehabt hätte, dann hätte er alles Wasser in seinem Leibe zu den Augen herausweinen sollen, das hätte so zwei hübsche Bächlein gegeben zu löschen.

 

Der alte Großvater und der Enkel

Es war einmal ein steinalter Mann, dem waren die Augen trüb geworden, die Ohren taub, und die Knie zitterten ihm. Wenn er nun bei Tische saß und den Löffel kaum halten konnte, schüttete er Suppe auf das Tischtuch, und es floß ihm auch etwas wieder aus dem Mund. Sein Sohn und dessen Frau ekelten sich davor, und deswegen mußte sich der alte Großvater endlich hinter den Ofen in die Ecke setzen, und sie gaben ihm sein Essen in ein irdenes Schüsselchen und noch dazu nicht einmal satt; da sah er betrübt nach dem Tisch, und die Augen wurden ihm naß. Einmal auch konnten seine zitterigen Hände das Schüsselchen nicht festhalten, es fiel zur Erde und zerbrach. Die junge Frau schalt, er sagte aber nichts und seufzte nur. Da kaufte sie ihm ein hölzernes Schüsselchen für ein paar Heller, daraus mußte er nun essen. Wie sie da so sitzen, so trägt der kleine Enkel von vier Jahren auf der Erde kleine Brettlein zusammen. "Was machst du da?" fragte der Vater. "Ich mache ein Tröglein", antwortete das Kind, "daraus sollen Vater und Mutter essen, wenn ich groß bin." Da sahen sich Mann und Frau eine Weile an, fingen endlich an zu weinen, holten alsofort den alten Großvater an den Tisch und ließen ihn von nun an immer mit essen, sagten auch nichts, wenn er ein wenig verschüttete.

 

Der Arme und der Reiche

Vor alten Zeiten, als der liebe Gott noch selber auf Erden unter den Menschen wandelte, trug es sich zu, daß er eines Abends müde war und ihn die Nacht überfiel, bevor er zu einer Herberge kommen konnte. Nun standen auf dem Weg vor ihm zwei Häuser einander gegenüber, das eine groß und schön, das andere klein und ärmlich anzusehen, und gehörte das große einem reichen, das kleine einem armen Manne. Da dachte unser Herrgott 'dem Reichen werde ich nicht beschwerlich fallen: bei ihm will ich übernachten.' Der Reiche, als er an seine Türe klopfen hörte, machte das Fenster auf und fragte den Fremdling, was er suche. Der Herr antwortete 'ich bitte um ein Nachtlager.' Der Reiche guckte den Wandersmann von Haupt bis zu den Füßen an, und weil der liebe Gott schlichte Kleider trug und nicht aussah wie einer, der viel Geld in der Tasche hat, schüttelte er mit dem Kopf und sprach 'ich kann Euch nicht aufnehmen, meine Kammern liegen voll Kräuter und Samen, und sollte ich einen jeden beherbergen, der an meine Tür klopft, so könnte ich selber den Bettelstab in die Hand nehmen. Sucht Euch anderswo ein Auskommen.' Schlug damit sein Fenster zu und ließ den lieben Gott stehen. Also kehrte ihm der liebe Gott den Rücken und ging hinüber zu dem kleinen Haus. Kaum hatte er angeklopft, so klinkte der Arme schon sein Türchen auf und bat den Wandersmann einzutreten. 'Bleibt die Nacht über bei mir,' sagte er, 'es ist schon finster, und heute könnt Ihr doch nicht weiterkommen.' Das gefiel dem lieben Gott, und er trat zu ihm ein. Die Frau des Armen reichte ihm die Hand, hieß ihn willkommen und sagte, er möchte sichs bequem machen und vorlieb nehmen, sie hätten nicht viel, aber was es wäre, gäben sie von Herzen gerne. Dann setzte sie Kartoffeln ans Feuer, und derweil sie kochten, melkte sie ihre Ziege, damit sie ein wenig Milch dazu hätten. Und als der Tisch gedeckt war, setzte sich de
r liebe Gott nieder und aß mit ihnen, und schmeckte ihm die schlechte Kost gut, denn es waren vergnügte Gesichter dabei. Nachdem sie gegessen hatten und Schlafenszeit war, rief die Frau heimlich ihren Mann und sprach 'hör, lieber Mann, wir wollen uns heute nacht eine Streu machen, damit der arme Wanderer sich in unser Bett legen und ausruhen kann: er ist den ganzen Tag über gegangen, da wird einer müde.' 'Von Herzen gern,' antwortete er, 'ich wills ihm anbieten,' ging zu dem lieben Gott und bat ihn, wenns ihm recht wäre, möchte er sich in ihr Bett legen und seine Glieder ordentlich ausruhen. Der liebe Gott wollte den beiden Alten ihr Lager nicht nehmen, aber sie ließen nicht ab, bis er es endlich tat und sich in ihr Bett legte: sich selbst aber machten sie eine Streu auf die Erde. Am andern Morgen standen sie vor Tag schon auf und kochten dem Gast ein Frühstück, so gut sie es hatten. Als nun die Sonne durchs Fensterlein schien und der liebe Gott aufgestanden war, aß er wieder mit ihnen und wollte dann seines Weges ziehen. Als er in der Türe stand, kehrte er sich um und sprach 'weil ihr so mitleidig und fromm seid, so wünscht euch dreierlei, das will ich euch erfüllen.' Da sagte der Arme 'was soll ich mir sonst wünschen als die ewige Seligkeit, und daß wir zwei, solang wir leben, gesund dabei bleiben und unser notdürftiges tägliches Brot haben; fürs dritte weiß ich mir nichts zu wünschen.' Der liebe Gott sprach 'willst du dir nicht ein neues Haus für das alte wünschen?, 'O ja,' sagte der Mann, 'wenn ich das auch noch erhalten kann, so wär mirs wohl lieb.' Da erfüllte der Herr ihre Wünsche, verwandelte ihr altes Haus in ein neues, gab ihnen nochmals seinen Segen und zog weiter.
Es war schon voller Tag, als der Reiche aufstand. Er legte sich ins Fenster und sah gegenüber ein neues reinliches Haus mit roten Ziegeln, wo sonst eine alte Hütte gestanden hatte. Da machte er große Augen, rief seine Frau herbei und sprach 'sag mir, was ist geschehen? Gestern abend stand noch die alte elende Hütte, und heute steht da ein schönes neues Haus. Lauf hinüber und höre, wie das gekommen ist.' Die Frau ging und fragte den Armen aus: er erzählte ihr 'gestern abend kam ein Wanderer, der suchte Nachtherberge, und heute morgen beim Abschied hat er uns drei Wünsche gewährt, die ewige Seligkeit, Gesundheit in diesem Leben und das notdürftige tägliche Brot dazu, und zuletzt noch statt unserer alten Hütte ein schönes neues Haus.' Die Frau des Reichen lief eilig zurück und erzählte ihrem Manne, wie alles gekommen war. Der Mann sprach 'ich möchte mich zerreißen und zerschlagen: hätte ich das nur gewußt! der Fremde ist zuvor hier gewesen und hat bei uns übernachten wollen, ich habe ihn aber abgewiesen.' 'Eil dich,' sprach die Frau, 'und setze dich auf dein Pferd, so kannst du den Mann noch einholen, und dann mußt du dir auch drei Wünsche gewähren lassen.'
Der Reiche befolgte den guten Rat, jagte mit seinem Pferd davon und holte den lieben Gott noch ein. Er redete fein und lieblich und bat' er möchts nicht übelnehmen, daß er nicht gleich wäre eingelassen worden, er hätte den Schlüssel zur Haustüre gesucht, derweil wäre er weggegangen: wenn er des Weges zurückkäme, müßte er bei ihm einkehren. 'Ja,' sprach der liebe Gott, 'wenn ich einmal zurückkomme, will ich es tun.' Da fragte der Reiche, ob er nicht auch drei Wünsche tun dürfte wie sein Nachbar. Ja, sagte der liebe Gott, das dürfte er wohl, es wäre aber nicht gut für ihn, und er sollte sich lieber nichts wünschen. Der Reiche meinte, er wollte sich schon etwas aussuchen, das zu seinem Glück gereiche, wenn er nur wüßte, daß es erfüllt würde. Sprach der liebe Gott 'reit heim, und drei Wünsche, die du tust, die sollen in Erfüllung gehen.'
Nun hatte der Reiche, was er verlangte, ritt heimwärts und fing an nachzusinnen, was er sich wünschen sollte. Wie er sich so bedachte und die Zügel fallen ließ, fing das Pferd an zu springen, so daß er immerfort in seinen Gedanken gestört wurde und sie gar nicht zusammenbringen konnte. Er klopfte ihm an den Hals und sagte 'sei ruhig, Liese,' aber das Pferd machte aufs neue Männerchen. Da ward er zuletzt ärgerlich und rief ganz ungeduldig 'so wollt ich, daß du den Hals zerbrächst!' Wie er das Wort ausgesprochen hatte, plump, fiel er auf die Erde, und lag das Pferd tot und regte sich nicht mehr; damit war der erste Wunsch erfüllt. Weil er aber von Natur geizig war, wollte er das Sattelzeug nicht im Stich lassen, schnitts ab, hings auf seinen Rücken, und mußte nun zu Fuß gehen. 'Du hast noch zwei Wünsche übrig,' dachte er und tröstete sich damit. Wie er nun langsam durch den Sand dahinging und zu Mittag die Sonne heiß brannte, wards ihm so warm und verdrießlich zumut, der Sattel drückte ihn auf den Rücken, auch war ihm noch immer nicht eingefallen, was er sich wünschen sollte. 'Wenn ich mir auch alle Reiche und Schätze der Welt wünsche,' sprach er zu sich selbst, 'so fällt mir hernach noch allerlei ein, dieses und jenes, das weiß ich im voraus, ich wills aber so einrichten, daß mir gar nichts mehr übrig zu wünschen bleibt.' Dann seufzte er und sprach 'ja, wenn ich der bayerische Bauer wäre, der auch drei Wünsche frei hatte, der wußte sich zu helfen, der wünschte sich zuerst recht viel Bier, und zweitens so viel Bier, als er trinken könnte, und drittens noch ein Faß Bier dazu.' Manchmal meinte er, jetzt hätte er es gefunden, aber hernach schiens ihm doch noch zu wenig. Da kam ihm so in die Gedanken, was es seine Frau jetzt gut hätte, die säße daheim in einer kühlen Stube und ließe sichs wohl schmecken.
Das ärgerte ihn ordentlich, und ohne daß ers wußte, sprach er so hin 'ich wollte, die säße daheim auf dem Sattel und könnte nicht herunter, statt daß ich ihn da auf meinem Rücken schleppe.' Und wie das letzte Wort aus seinem Munde kam, so war der Sattel von seinem Rücken verschwunden, und er merkte, daß sein zweiter Wunsch auch in Erfüllung gegangen war. Da ward ihm erst recht heiß, er fing an zu laufen und wollte sich daheim ganz einsam in seine Kammer hinsetzen und auf etwas Großes für den letzten Wunsch sinnen. Wie er aber ankommt und die Stubentür aufmacht, sitzt da seine Frau mittendrin auf dem Sattel und kann nicht herunter, jammert und schreit. Da sprach er 'gib dich zufrieden, ich will dir alle Reichtümer der Welt herbeiwünschen, nur bleib da sitzen.' Sie schalt ihn aber einen Schafskopf und sprach 'was helfen mir alle Reichtümer der Welt, wenn ich auf dem Sattel sitze; du hast mich daraufgewünscht, du mußt mir auch wieder herunterhelfen.' Er mochte wollen oder nicht, er mußte den dritten Wunsch tun, daß sie vom Sattel ledig wäre und heruntersteigen könnte; und der Wunsch ward alsbald erfüllt. Also hatte er nichts davon als ärger, Mühe, Scheltworte und ein verlornes Pferd: die Armen aber lebten vergnügt, still und fromm bis an ihr seliges Ende.

 

Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen

Ein Vater hatte zwei Söhne, davon war der äIteste klug und gescheit, und wußte sich in alles wohl zu schicken, der jüngste aber war dumm, konnte nichts begreifen und lernen: und wenn ihn die Leute sahen, sprachen sie 'mit dem wird der Vater noch seine Last haben!' Wenn nun etwas zu tun war, so mußte es der älteste allzeit ausrichten: hieß ihn aber der Vater noch spät oder gar in der Nacht etwas holen, und der Weg ging dabei über den Kirchhof oder sonst einen schaurigen Ort, so antwortete er wohl 'ach nein, Vater, ich gehe nicht dahin, es gruselt mir!' denn er fürchtete sich. Oder, wenn abends beim Feuer Geschichten erzählt wurden, wobei einem die Haut schaudert, so sprachen die Zuhörer manchmal 'ach, es gruselt mir!' Der jüngste saß in einer Ecke und hörte das mit an, und konnte nicht begreifen,was es heißen sollte. 'Immer sagen sie: es gruselt mir! es gruselt mir! mir gruselts nicht: das wird wohl eine Kunst sein, von der ich auch nichts verstehe.'
Nun geschah es, daß der Vater einmal zu ihm sprach 'hör du, in der Ecke dort, du wirst groß und stark, du mußt auch etwas lernen, womit du dein Brot verdienst. Siehst du, wie dein Bruder sich Mühe gibt, aber an dir ist Hopfen und Malz verloren.' 'Ei, Vater,' antwortete er, 'ich will gerne was lernen; ja, wenns anginge, so möchte ich lernen, daß mirs gruselte; davon verstehe ich noch gar nichts.' Der älteste lachte, als er das hörte, und dachte bei sich 'du lieber Gott, was ist mein Bruder ein Dummbart, aus dem wird sein Lebtag nichts: was ein Häkchen werden will, muß sich beizeiten krümmen.' Der Vater seufzte und antwortete ihm 'das Gruseln, das sollst du schon lernen, aber dein Brot wirst du damit nicht verdienen.'
Bald danach kam der Küster zum Besuch ins Haus, da klagte ihm der Vater seine Not und erzählte, wie sein jüngster Sohn in allen Dingen so schlecht beschlagen wäre, er wüßte nichts und lernte nichts. 'Denkt Euch, als ich ihn fragte, womit er sein Brot verdienen wollte, hat er gar verlangt, das Gruseln zu lernen.' 'Wenns weiter nichts ist,' antwortete der Küster, 'das kann er bei mir lernen; tut ihn nur zu mir, ich werde ihn schon abhobeln.' Der Vater war es zufrieden, weil er dachte 'der Junge wird doch ein wenig zugestutzt.' Der Küster nahm ihn also ins Haus, und er mußte die Glocke läuten. Nach ein paar Tagen weckte er ihn um Mitternacht, hieß ihn aufstehen, in den Kirchturm steigen und läuten. 'Du sollst schon lernen, was Gruseln ist,' dachte er, ging heimlich voraus, und als der Junge oben war, und sich umdrehte und das Glockenseil fassen wollte, so sah er auf der Treppe, dem Schalloch gegenüber, eine weiße Gestalt stehen. 'Wer da?' rief er, aber die Gestalt gab keine Antwort, regte und bewegte sich nicht. 'Gib Antwort,' rief der Junge, 'oder mache, daß du fortkommst, du hast hier in der Nacht nichts zu schaffen.' Der Küster aber blieb unbeweglich stehen, damit der Junge glauben sollte, es wäre ein Gespenst. Der Junge rief zum zweitenmal 'was willst du hier? sprich, wenn du ein ehrlicher Kerl bist, oder ich werfe dich die Treppe hinab.' Der Küster dachte 'das wird so schlimm nicht gemeint sein,' gab keinen Laut von sich und stand, als wenn er von Stein wäre. Da rief ihn der Junge zum drittenmal an, und als das auch vergeblich war, nahm er einen Anlauf und stieß das Gespenst die Treppe hinab, daß es zehn Stufen hinabfiel und in einer Ecke liegen blieb. Darauf läutete er die Glocke, ging heim, legte sich, ohne ein Wort zu sagen, ins Bett und schlief fort. Die Küsterfrau wartete lange Zeit auf ihren Mann, aber er wollte nicht wiederkommen. Da ward ihr endlich angst, sie weckte den Jungen und fragte 'weißt du nicht, wo mein Mann geblieben ist? er ist vor dir auf den Turm gestiegen.' 'Nein,' antwortete der Junge, 'aber da hat einer dem Schalloch gegenüber auf der Treppe gestanden, und weil er keine Antwort geben und auch nicht weggehen wollte, so habe ich ihn für einen Spitzbuben gehalten und hinuntergestoßen. Geht nur hin, so werdet Ihr sehen ob ers gewesen ist, es sollte mir leid tun.' Die Frau sprang fort und fand ihren Mann, der in einer Ecke lag und jammerte, und ein Bein gebrochen hatte.
Sie trug ihn herab und eilte dann mit lautem Geschrei zu dem Vater des Jungen. 'Euer Junge,' rief sie, 'hat ein großes Unglück angerichtet, meinen Mann hat er die Treppe hinabgeworfen, daß er ein Bein gebrochen hat: schafft den Taugenichts aus unserm Haus.' Der Vater erschrak, kam herbeigelaufen und schalt den Jungen aus. 'Was sind das für gottlose Streiche, die muß dir der Böse eingegeben haben.' 'Vater,' antwortete er, 'hört nur an, ich bin ganz unschuldig: er stand da in der Nacht wie einer, der Böses im Sinne hat. Ich wußte nicht, wers war, und hab ihn dreimal ermahnt, zu reden oder wegzugehen.' 'Ach,' sprach der Vater, 'mit dir erleb ich nur Unglück, geh mir aus den Augen, ich will dich nicht mehr ansehen.' 'Ja, Vater, recht gerne, wartet nur, bis Tag ist, da will ich ausgehen und das Gruseln lernen, so versteh ich doch eine Kunst, die mich ernähren kann.' 'Lerne, was du willst,' sprach der Vater, 'mir ist alles einerlei. Da hast du fünfzig Taler, damit geh in die weite Welt und sage keinem Menschen wo du her bist und wer dein Vater ist, denn ich muß mich deiner schämen.' 'Ja, Vater, wie Ihrs haben wollt, wenn Ihr nicht mehr verlangt, das kann ich leicht in acht behalten.'
Als nun der Tag anbrach, steckte der Junge seine fünfzig Taler in die Tasche, ging hinaus auf die große Landstraße und sprach immer vor sich hin 'wenn mirs nur gruselte! wenn mirs nur gruselte!' Da kam ein Mann heran, der hörte das Gespräch, das der Junge mit sich selber führte, und als sie ein Stück weiter waren, daß man den Galgen sehen konnte, sagte der Mann zu ihm 'siehst du, dort ist der Baum, wo siebene mit des Seilers Tochter Hochzeit gehalten haben und jetzt das Fliegen lernen: setz dich darunter und warte, bis die Nacht kommt, so wirst du schon das Gruseln lernen.' 'Wenn weiter nichts dazu gehört,' antwortete der Junge, 'das ist leicht getan; lerne ich aber so geschwind das Gruseln, so sollst du meine fünfzig Taler haben, komm nur morgen früh wieder zu mir.' Da ging der Junge zu dem Galgen, setzte sich darunter und wartete' bis der Abend kam. Und weil ihn fror, machte er sich ein Feuer an: aber um Mitternacht ging der Wind so kalt, daß er trotz des Feuers nicht warm werden wollte. Und als der Wind die Gehenkten gegeneinander stieß, daß sie sich hinund herbewegten, so dachte er 'du frierst unten bei dem Feuer, was mögen die da oben erst frieren und zappeln.' Und weil er mitleidig war, legte er die Leiter an, stieg hinauf, knüpfte einen nach dem andern los, und holte sie alle siebene herab. Darauf schürte er das Feuer, blies es an und setzte sie ringsherum, daß sie sich wärmen sollten. Aber sie saßen da und regten sich nicht' und das Feuer ergriff ihre Kleider. Da sprach er 'nehmt euch in acht, sonst häng ich euch wieder hinauf.' Die Toten aber hörten nicht, schwiegen und ließen ihre Lumpen fortbrennen. Da ward er bös und sprach 'wenn ihr nicht achtgeben wollt, so kann ich euch nicht helfen, ich will nicht mit euch verbrennen,' und hing sie nach der Reihe wieder hinauf. Nun setzte er sich zu seinem Feuer und schlief ein, und am andern Morgen, da kam der Mann zu ihm, wollte die f ünfzig Taler haben und sprach 'nun, weißt du, was Gruseln ist?' 'Nein,' antwortete er, 'woher sollte ichs wissen? die da droben haben das Maul nicht aufgetan und waren so dumm, daß sie die paar alten Lappen, die sie am Leibe haben, brennen ließen.' Da sah der Mann, daß er die fünfzig Taler heute nicht davontragen würde, ging fort und sprach 'so einer ist mir noch nicht vorgekommen.'
Der Junge ging auch seines Wegs und fing wieder an vor sich hin zu reden 'ach, wenn mirs nur gruselte! ach, wenn mirs nur gruselte!' Das hörte ein Fuhrmann, der hinter ihm herschritt, und fragte 'wer bist du?' 'Ich weiß nicht,' antwortete der Junge. Der Fuhrmann fragte weiter 'wo bist du her?' 'Ich weiß nicht.' 'Wer ist dein Vater?' 'Das darf ich nicht sagen.' 'Was brummst du beständig in den Bart hinein?' 'Ei,' antwortete der Junge, 'ich wollte, daß mirs gruselte, aber niemand kann michs lehren.' 'Laß dein dummes Geschwätz,' sprach der Fuhrmann, 'komm, geh mit mir, ich will sehen, daß ich dich unterbringe.' Der Junge ging mit dem Fuhrmann, und abends gelangten sie zu einem Wirtshaus, wo sie übernachten wollten. Da sprach er beim Eintritt in die Stube wieder ganz laut 'wenn mirs nur gruselte! wenn mirs nur gruselte!' Der Wirt, der das hörte, lachte und sprach 'wenn dich danach Iüstet, dazu sollte hier wohl Gelegenheit sein.' 'Ach schweig stille,' sprach die Wirtsfrau, 'so mancher Vorwitzige hat schon sein Leben eingebüßt, es wäre Jammer und Schade um die schönen Augen, wenn die das Tageslicht nicht wieder sehen sollten.' Der Junge aber sagte 'wenns noch so schwer wäre, ich wills einmal lernen, deshalb bin ich ja ausgezogen.' Er ließ dem Wirt auch keine Ruhe, bis dieser erzählte, nicht weit davon stände ein verwünschtes Schloß, wo einer wohl lernen könnte, was Gruseln wäre, wenn er nur drei Nächte darin wachen wollte. Der König hätte dem, ders wagen sollte, seine Tochter zur Frau versprochen, und die wäre die schönste Jungfrau, welche die Sonne beschien: in dem Schlosse steckten auch große Schätze, von bösen Geistern bewacht, die würden dann frei und könnten einen Armen reich genug machen. Schon viele wären wohl hinein-, aber noch keiner wieder herausgekommen. Da ging der Junge am andern Morgen vor den König und sprach 'wenns erlaub t wäre, so wollte ich wohl drei Nächte in dem verwünschten Schlosse wachen. Der König sah ihn an, und weil er ihm gefiel, sprach er 'du darfst dir noch dreierlei ausbitten, aber es müssen leblose Dinge sein, und das darfst du mit ins Schloß nehmen.' Da antwortete er 'so bitt ich um ein Feuer, eine Drehbank und eine Schnitzbank mit dem Messer.'
Der König ließ ihm das alles bei Tage in das Schloß tragen. Als es Nacht werden wollte, ging der Junge hinauf, machte sich in einer Kammer ein helles Feuer an, stellte die Schnitzbank mit dem Messer daneben und setzte sich auf die Drehbank. 'Ach, wenn mirs nur gruselte!' sprach er, 'aber hier werde ichs auch nicht lernen.' Gegen Mitternacht wollte er sich sein Feuer einmal aufschüren: wie er so hineinblies, da schries plötzlich aus einer Ecke 'au, miau! was uns friert!' 'Ihr Narren,' rief er, 'was schreit ihr? wenn euch friert, kommt, setzt euch ans Feuer und wärmt euch.' Und wie er das gesagt hatte, kamen zwei große schwarze Katzen in einem gewaltigen Sprunge herbei, setzten sich ihm zu beiden Seiten und sahen ihn mit ihren feurigen Augen ganz wild an. Über ein Weilchen, als sie sich gewärmt hatten, sprachen sie 'Kamerad, wollen wir eins in der Karte spielen?' 'Warum nicht?' antwortete er, 'aber zeigt einmal eure Pfoten her.' Da streckten sie die Krallen aus. 'Ei,' sagte er, 'was habt ihr lange Nägel! wartet, die muß ich euch erst abschneiden.' Damit packte er sie beim Kragen, hob sie auf die Schnitzbank und schraubte ihnen die Pfoten fest. 'Euch habe ich auf die Finger gesehen,' sprach er, 'da vergeht mir die Lust zum Kartenspiel,' schlug sie tot und warf sie hinaus ins Wasser. Als er aber die zwei zur Ruhe gebracht hatte und sich wieder zu seinem Feuer setzen wollte, da kamen aus allen Ecken und Enden schwarze Katzen und schwarze Hunde an glühenden Ketten, immer mehr und mehr, daß er sich nicht mehr bergen konnte: die schrieen greulich, traten ihm auf sein Feuer, zerrten es auseinander und wollten es ausmachen. Das sah er ein Weilchen ruhig mit an, als es ihm aber zu arg ward, faßte er sein Schnitzmesser und rief 'fort mit dir, du Gesindel,' und haute auf sie los. Ein Teil sprang weg, die andern schlug er tot und warf sie hinaus in den Teich. Als er wiedergekommen war, blies er aus den Funken sein Feuer frisch an und wärmte sich. Und als er so saß, wollten ihm die Augen nicht länger offen bleiben, und er bekam Lust zu schlafen. Da blickte er um sich und sah in der Ecke ein großes Bett, 'das ist mir eben recht,' sprach er und legte sich hinein. Als er aber die Augen zutun wollte, so fing das Bett von selbst an zu fahren, und fuhr im ganzen Schloß herum. 'Recht so,' sprach er, 'nur besser zu.' Da rollte das Bett fort, als wären sechs Pferde vorgespannt, über Schwellen und Treppen auf und ab: auf einmal hopp hopp! warf es um, das unterste zu oberst, daß es wie ein Berg auf ihm lag. Aber er schleuderte Decken und Kissen in die Höhe, stieg heraus und sagte 'nun mag fahren, wer Lust hat,' legte sich an sein Feuer und schlief, bis es Tag war. Am Morgen kam der König, und als er ihn da auf der Erde liegen sah, meinte er, die Gespenster hätten ihn umgebracht, und er wäre tot. Da sprach er 'es ist doch schade um den schönen Menschen.' Das hörte der Junge, richtete sich auf und sprach 'so weit ists noch nicht!' Da verwunderte sich der König, freute sich aber und fragte, wie es ihm gegangen wäre. 'Recht gut,' antwortete er, 'eine Nacht wäre herum, die zwei andern werden auch herumgehen.' Als er zum Wirt kam, da machte der große Augen. 'Ich dachte nicht,' sprach er, 'daß ich dich wieder lebendig sehen würde; hast du nun gelernt, was Gruseln ist?' 'Nein,' sagte er, 'es ist alles vergeblich: wenn mirs nur einer sagen könnte!'
Die zweite Nacht ging er abermals hinauf ins alte Schloß, setzte sich zum Feuer und fing sein altes Lied wieder an 'wenn mirs nur gruselte!' Wie Mitternacht herankam, ließ sich ein Lärm und Gepolter hören, erst sachte, dann immer stärker, dann wars ein bißchen still, endlich kam mit lautem Geschrei ein halber Mensch den Schornstein herab und fiel vor ihm hin. 'Heda!' rief er, 'noch ein halber gehört dazu, das ist zu wenig.' Da ging der Lärm von frischem an, es tobte und heulte, und fiel die andere Hälfte auch herab. 'Wart,' sprach er, 'ich will dir erst das Feuer ein wenig anblasen.' Wie er das getan hatte und sich wieder umsah, da waren die beiden Stücke zusammengefahren, und saß da ein greulicher Mann auf seinem Platz. 'So haben wir nicht gewettet,' sprach der Junge, 'die Bank ist mein.' Der Mann wollte ihn wegdrängen, aber der Junge ließ sichs nicht gefallen, schob ihn mit Gewalt weg und setzte sich wieder auf seinen Platz. Da fielen noch mehr Männer herab, einer nach dem andern, die holten neun Totenbeine und zwei Totenköpfe, setzten auf und spielten Kegel. Der Junge bekam auch Lust und fragte 'hört ihr, kann ich mit sein?' 'Ja, wenn du Geld hast.' 'Geld genug,' antwortete er, 'aber eure Kugeln sind nicht recht rund.' Da nahm er die Totenköpfe, setzte sie in die Drehbank und drehte sie rund. 'So, jetzt werden sie besser schüppeln,' sprach er 'heida! nun gehts lustig!' Er spielte mit und verlor etwas von seinem Geld, als es aber zwölf schlug, war alles vor seinen Augen verschwunden. Er legte sich nieder und schlief ruhig ein. Am andern Morgen kam der König und wollte sich erkundigen. 'Wie ist dirs diesmal ergangen?' fragte er. 'Ich habe gekegelt,' antwortete er, 'und ein paar Heller verloren.' 'Hat dir denn nicht gegruselt?' 'Ei was,' sprach er, 'lustig hab ich mich gemacht. Wenn ich nur wüßte, was Gruseln wäre!'
In der dritten Nacht setzte er sich wieder auf seine Bank und sprach ganz verdrießlich 'wenn es mir nur gruselte!' Als es spät ward, kamen sechs große Männer und brachten eine Totenlade hereingetragen. Da sprach er 'ha ha, das ist gewiß mein Vetterchen, das erst vor ein paar Tagen gestorben ist, winkte mit dem Finger und rief 'komm Vetterchen, komm, Sie stellten den Sarg auf die Erde, er aber ging hinzu und nahm den Deckel ab: da lag ein toter Mann darin. Er fühlte ihm ans Gesicht, aber es war kalt wie Eis. 'Wart,' sprach er, 'ich will dich ein bißchen wärmen,' ging ans Feuer, wärmte seine Hand und legte sie ihm aufs Gesicht, aber der Tote blieb kalt. Nun nahm er ihn heraus, setzte sich ans Feuer und legte ihn auf seinen Schoß, und rieb ihm die Arme, damit das Blut wieder in Bewegung kommen sollte. Als auch das nichts helfen wollte, fiel ihm ein 'wenn zwei zusammen im Bett liegen, so wärmen sie sich,' brachte ihn ins Bett, deckte ihn zu und legte sich neben ihn. Ober ein Weilchen ward auch der Tote warm und fing an sich zu regen. Da sprach der Junge 'siehst du, Vetterchen, hätt ich dich nicht gewärmt!' Der Tote aber hub an und rief 'jetzt will ich dich erwürgen.' 'Was,' sagte er, 'ist das mein Dank? gleich sollst du wieder in deinen Sarg,' hub ihn auf, warf ihn hinein und machte den Deckel zu. da kamen die sechs Männer, und trugen ihn wieder fort. 'Es will mir nicht gruseln,' sagte er, 'hier lerne ichs mein Lebtag nicht.'
Da trat ein Mann herein, der war größer als alle andere, und sah fürchterlich aus; er war aber alt und hatte einen langen weißen Bart. 'O du Wicht,' rief er, 'nun sollst du bald lernen, was Gruseln ist, denn du sollst sterben.' 'Nicht so schnell,' antwortete der Junge, 'soll ich sterben, so muß ich auch dabei sein.' 'Dich will ich schon packen,' sprach der Unhold. 'Sachte, sachte, mach dich nicht so breit; so stark wie du bin ich auch, und wohl noch stärker.' 'Das wollen wir sehn,' sprach der Alte, 'bist du stärker als ich, so will ich dich gehn lassen; komm, wir wollens versuchen.' Da führte er ihn durch dunkle Gänge zu einem Schmiedefeuer, nahm eine Axt und schlug den einen Amboß mit einem Schlag in die Erde. 'Das kann ich noch besser,' sprach der Junge und ging zu dem andern Amboß: der Alte stellte sich neben hin und wollte zusehen, und sein weißer Bart hing herab. Da faßte der Junge die Axt, spaltete den Amboß auf einen Hieb und klemmte den Bart des Alten mit hinein. 'Nun hab ich dich,' sprach der Junge, 'jetzt ist das Sterben an dir.' Dann faßte er eine Eisenstange und schlug auf den Alten los, bis er wimmerte und bat, er möchte aufhören, er wollte ihm große Reichtümer geben. Der Junge zog die Axt raus, und ließ ihn los. Der Alte führte ihn wieder ins Schloß zurück und zeigte ihm in einem Keller drei Kasten voll Gold. 'Davon,' sprach er, 'ist ein Teil den Armen, der andere dem König, der dritte dein.' Indem schlug es zwölfe, und der Geist verschwand, also daß der Junge im Finstern stand. 'Ich werde mir doch heraushelfen können,' sprach er, tappte herum, fand den Weg in die Kammer und schlief dort bei seinem Feuer ein. Am andern Morgen kam der König und sagte 'nun wirst du gelernt haben, was Gruseln ist?' 'Nein,' antwortete er, 'was ists nur? mein toter Vetter war da, und ein bärtiger Mann ist gekommen, der hat mir da unten viel Geld gezeigt, aber was G ruseln ist, hat mir keiner gesagt.' Da sprach der König 'du hast das Schloß erlöst und sollst meine Tochter heiraten.' 'Das ist all recht gut,' antwortete er, 'aber ich weiß noch immer nicht, was Gruseln ist.'
Da ward das Gold heraufgebracht und die Hochzeit gefeiert, aber der junge König, so lieb er seine Gemahlin hatte und so vergnügt er war, sagte doch immer 'wenn mir nur gruselte, wenn mir nur gruselte.' Das verdroß sie endlich. Ihr Kammermädchen sprach 'ich will Hilfe schaffen, das Gruseln soll er schon lernen.' Sie ging hinaus zum Bach, der durch den Garten floß, und ließ sich einen ganzen Eimer voll Gründlinge holen. Nachts, als der junge König schlief, mußte seine Gemahlin ihm die Decke wegziehen und den Eimer voll kalt Wasser mit den Gründlingen über ihn herschütten, daß die kleinen Fische um ihn herumzappelten. Da wachte er auf und rief 'ach was gruselt mir, was gruselt mir, liebe Frau! Ja, nun weiß ich, was Gruseln ist.'

 

Der Bärenhäuter

Es war einmal ein junger Kerl, der ließ sich als Soldat anwerben, hielt sich tapfer und war immer der vorderste, wenn es blaue Bohnen regnete. Solange der Krieg dauerte, ging alles gut; aber als Friede geschlossen war, erhielt er seinen Abschied, und der Hauptmann sagte, er könnte gehen, wohin er wollte. Seine Eltern waren tot, und er hatte keine Heimat mehr, da ging er zu seinen Brüdern und bat, sie möchten ihm so lange Unterhalt geben, bis der Krieg wieder anfinge. Die Brüder aber waren hartherzig und sagten: "Was sollen wir mit dir? Wir können dich nicht brauchen; sieh zu, wie du dich durchschlägst." Der Soldat hatte nichts übrig als sein Gewehr, das nahm er auf die Schulter und wollte in die Welt gehen. Er kam auf eine große Heide, auf der nichts zu sehen war als ein Ring von Bäumen. Darunter setzte er sich ganz traurig nieder und sann über sein Schicksal nach. ,Ich habe kein Geld', dachte er, ,ich habe nichts gelernt als das Kriegshandwerk, und jetzt, weil Friede geschlossen ist, brauchen sie mich nicht mehr; ich sehe voraus, ich muß verhungern.' Auf einmal hörte er ein Brausen, und plötzlich stand ein unbekannter Mann vor ihm, der einen grünen Rock trug, recht stattlich aussah, aber einen garstigen Pferdefuß hatte. "Ich weiß schon, was dir fehlt", sagte der Mann, "Geld und Gut sollst du haben, soviel du willst, aber ich muß zuvor wissen, ob du dich nicht fürchtest, damit ich mein Geld nicht umsonst ausgebe." "Ein Soldat und Furcht, wie paßt das zusammen?" antwortete er, "du kannst mich auf die Probe stellen." "Wohlan", antwortete der Mann, "schau hinter dich." Der Soldat kehrte sich um und sah einen großen Bär, der brummend auf ihn zutrabte. "Oho", rief der Soldat, "dich will ich an der Nase kitzeln, daß dir die Lust zum Brummen vergehen soll", legte an und schoß den Bär auf die Schnauze, daß er zusammenfiel und sich nicht mehr regte. "Ich sehe wohl", sagte der Fremde, "daß dir's an Mut nicht fehlt, aber es ist noch eine Bedingung dabei, die mußt du erfüllen," "Wenn mir's an meiner Seligkeit nicht schadet", antwortete der Soldat, der wohl merkte, wen er vor sich hatte, "sonst lass' ich mich auf nichts ein." "Das wirst du selber sehen", antwortete der Grünrock, "du darfst in den nächsten sieben Jahren dich nicht waschen, dir Bart und Haäre nicht kämmen, die Nägel nicht schneiden und kein Vaterunser beten. Dann will ich dir einen Rock und Mantel geben, den mußt du in dieser Zeit tragen. Stirbst du in diesen sieben Jahren, so bist du mein, bleibst du aber leben, so bist du frei und bist reich dazu für dein Lebtag." Der Soldat dachte an die große Not, in der er sich befand, und er wollte es wagen und willigte ein. Der Teufel zog den grünen Rock aus, reichte ihn dem Soldaten hin und sagte: "Wenn du den Rock an deinem Leibe hast und in die Tasche greifst, so wirst du die Hand immer voll Geld haben." Dann zog er dem Bären die Haut ab und sagte: "Das soll dein Mantel sein und auch dein Bett; denn darauf mußt du schlafen und darfst in kein anderes Bett kommen. Und dieser Tracht wegen sollst du Bärenhäuter heißen." Hierauf verschwand der Teufel.
Der Soldat zog den Rock an, griff gleich in die Tasche und fand, daß die Sache ihre Richtigkeit hatte. Dann hing er die Bärenhaut um, ging in die Welt, war guter Dinge und unterließ nichts, was ihm wohl und dem Gelde wehe tat. Im ersten Jahr ging es noch leidlich, aber in dem zweiten sah er schon aus wie ein Ungeheuer. Das Haar bedeckte ihm fast das ganze Gesicht, sein Bart glich einem Stück groben Filztuch, seine Finger hatten Krallen, und sein Gesicht war so mit Schmutz bedeckt, daß, wenn man Kresse hineingesät hätte, sie aufgegangen wäre. Wer ihn sah, lief fort, weil er aber allerorten den Armen Geld gab, damit sie für ihn beteten, daß er in den sieben Jahren nicht stürbe, und weil er alles gut bezahlte, so erhielt er doch immer noch Herberge. Im vierten Jahr kam er in ein Wirtshaus, da wollte ihn der Wirt nicht aufnehmen und wollte ihm nicht einmal einen Platz im Stall anweisen, weil er fürchtete, seine Pferde würden scheu werden. Doch als der Bärenhäuter in die Tasche griff und eine Handvoll Dukaten herausholte, so ließ der Wirt sich erweichen und gab ihm eine Stube im Hintergebäude; doch mußte er versprechen, sich nicht sehen zu lassen, damit sein Haus nicht in bösen Ruf käme.
Als der Bärenhäuter abends allein saß und von Herzen wünschte, daß die sieben Jahre herum wären, so hörte er in einem Nebenzimmer ein lautes Jammern. Er hatte ein mitleidiges Herz, öffnete die Türe und erblickte einen alten Mann, der heftig weinte und die Hände über dem Kopf zusammenschlug. Der Bärenhäuter trat näher, aber der Mann sprang auf und wollte entfliehen. Endlich, als er eine menschliche Stimme vernahm, ließ er sich bewegen, und durch freundliches Zureden brachte es der Bärenhäuter dahin, daß er ihm die Ursache seines Kummers offenbarte. Sein Vermögen war nach und nach geschwunden, er und seine Töchter mußten darben, und er war so arm, daß er den Wirt nicht einmal bezahlen konnte und ins Gefängnis gesetzt werden sollte. "Wenn ihr weiter keine Sorge habt", sagte der Bärenhäuter, "Geld habe ich genug." Er ließ den Wirt herkommen, bezahlte ihn und steckte dem Unglücklichen noch einen Beutel voll Gold in die Tasche.
Als der alte Mann sich aus seinen Sorgen erlöst sah, wußte er nicht, womit er sich dankbar erweisen sollte. "Komm mit mir", sprach er zu ihm, "meine Töchter sind Wunder von Schönheit, wähle dir eine davon zur Frau. Wenn sie hört, was du für mich getan hast, so wird sie sich nicht weigern. Du siehst freilich ein wenig seltsam aus, aber sie wird dich schon wieder in Ordnung bringen." Dem Bärenhäuter gefiel das wohl, und er ging mit. Als ihn die älteste erblickte, entsetzte sie sich so gewaltig vor seinem Antlitz, daß sie aufschrie und fortlief. Die zweite blieb zwar stehen und betrachtete ihn von Kopf bis zu Füßen, dann aber sprach sie: "Wie kann ich einen Mann nehmen, der keine menschliche Gestalt mehr hat? Da gefiel mir der rasierte Bär noch besser, der einmal hier zu sehen war und sich für einen Menschen ausgab, der hatte doch einen Husarenpelz an und weiße Handschuhe. Wenn er nur häßlich wäre, so könnte ich mich an ihn gewöhnen." Die jüngste aber sprach: "Lieber Vater, das muß ein guter Mann sein, der Euch aus der Not geholfen hat; Euer Wort muß gehalten werden." Es war schade, daß das Gesicht des Bärenhäuters von Schmutz und Haaren bedeckt war, sonst hätte man sehen können, wie ihm das Herz im Leibe lachte, als er diese Worte hörte. Er nahm einen Ring von seinem Finger, brach ihn entzwei und gab ihr die eine Hälfte, die andere behielt er für sich. In ihre Hälfte aber schrieb er seinen Namen, und in seine Hälfte schrieb er ihren Namen und bat sie, ihr Stück gut aufzuheben. Hierauf nahm er Abschied und sprach: "Ich muß noch drei Jahre wandern, komm' ich aber nicht wieder, so bist du frei, weil ich dann tot bin. Bitte aber Gott, daß er mir das Leben erhält."
Die arme Braut kleidete sich ganz schwarz, und wenn sie an ihren Bräutigam dachte, so kamen ihr die Tränen in die Augen. Von ihren Schwestern ward ihr nichts als Hohn und Spott zuteil. "Nimm dich in acht", sprach die älteste, "wenn du ihm die Hand reichst, so schlägt er dir mit der Tatze auf." "Hüte dich", sagte die zweite, "die Bären lieben die Süßigkeit, und wenn du ihm gefällst, so frißt er dich auf." "Du mußt nur immer seinen Willen tun", hub die älteste wieder an, "sonst fängt er an zu brummen." Und die zweite fuhr fort: "Aber die Hochzeit wird lustig sein, Bären, die tanzen gut." Die Braut schwieg still und ließ sich nicht irremachen. Der Bärenhäuter aber zog in der Welt herum, tat Gutes, wo er konnte, und gab den Armen reichlich, damit sie für ihn beteten. Endlich, als der letzte Tag von den sieben Jahren anbrach, ging er wieder hinaus auf die Heide und setzte sich unter den Ring von Bäumen. Nicht lange, so sauste der Wind, und der Teufel stand vor ihm und blickte ihn verdrießlich an; dann warf er ihm den alten Rock hin und verlangte seinen grünen zurück. "So weit sind wir noch nicht", antwortete der Bärenhäuter, "erst sollst du mich reinigen." Der Teufel mochte wollen oder nicht, er mußte den Bärenhäuter abwaschen, ihm die Haare kämmen und die Nägel schneiden. Hierauf sah er wie ein tapferer Kriegsmann aus und war viel schöner als je vorher.
Als der Teufel glücklich abgezogen war, so war es dem Bärenhäuter ganz leicht ums Herz. Er ging in die Stadt, tat einen prächtigen Sammetrock an, setzte sich in einen Wagen, mit vier Schimmeln bespannt, und fuhr zu dem Haus seiner Braut. Niemand erkannte ihn, der Vater hielt ihn für einen vornehmen Feldobrist und führte ihn in das Zimmer, wo seine Töchter saßen. Er mußte sich zwischen den beiden ältesten niederlassen; sie schenkten ihm Wein ein, legten ihm die besten Bissen vor und meinten, sie hätten nie einen schönern Mann auf der Welt gesehen. Die Braut aber saß in schwarzem Kleide ihm gegenüber, schlug die Augen nicht auf und sprach kein Wort. Als er endlich den Vater fragte, ob er ihm eine seiner Töchter zur Frau geben wollte, so sprangen die beiden ältesten auf, liefen in ihre Kammer und wollten prächtige Kleider anziehen; denn eine jede bildete sich ein, sie wäre die Auserwählte. Der Fremde, sobald er mit seiner Braut allein war, holte den halben Ring hervor und warf ihn in einen Becher mit Wein, den er ihr über den Tisch reichte. Sie nahm ihn an, aber als sie getrunken hatte und den halben Rirng auf dem Grund liegen fand, so schlug ihr das Herz. Sie holte die andere Hälfte, die sie an einem Band um den Hals trug, hielt sie daran, und es zeigte sich, daß beide Teile vollkommen zueinander paßten. Da sprach er: " Ich bin dein verlobter Bräutigam, den du als Bärenhäuter gesehen hast, aber durch Gnade habe ich meine menschliche Gestalt wieder erhalten." Er ging auf sie zu, umarmte sie und gab ihr einen Kuß. Indem kamen die beiden Schwestern in vollem Putz herein, und als sie sahen, daß der schöne Mann der jüngsten zuteil geworden war, und hörten, daß das der Bärenhäuter war, liefen sie voll Zorn und Wut hinaus; die eine ersäufte sich im Brunnen, die andere erhängte sich an einem Baum. Am Abend klopfte jemand an der Türe, und als der Bräutigam öffnete, so war's der Teufel im grünen Rock, der sprach: "Siehst du, nun habe ich zwei Seelen für deine eine."

 

Der Bauer und der Teufel

Es war einmal ein kluges und verschmitztes Bäuerlein, von dessen Streichen viel zu erzählen wäre, die schönste Geschichte ist aber doch, wie er den Teufel einmal dran gekriegt und zum Narren gehabt hat.
Das Bäuerlein hatte eines Tages seinen Acker bestellt und rüstete sich zur Heimfahrt, als die Dämmerung schon ein getreten war. Da erblickte er mitten auf seinem Acker einen Haufen feuriger Kohlen, und als er voll Verwunderung hinzuging, so saß oben auf der Glut ein kleiner schwarzer Teufel. 'Du sitzest wohl auf einem Schatz,' sprach das Bäuerlein. 'Jawohl,' antwortete der Teufel, 'auf einem Schatz, der mehr Gold und Silber enthält, als du dein Lebtag gesehen hast.' 'Der Schatz liegt auf meinem Feld und gehört mir,' sprach das Bäuerlein. 'Er ist dein, antwortete der Teufel, 'wenn du mir zwei Jahre lang die Hälfte von dem gibst, was dein Acker hervorbringt: Geld habe ich genug, aber ich trage Verlangen nach den Früchten der Erde.' Das Bäuerlein ging auf den Handel ein. 'Damit aber kein Streit bei der Teilung entsteht, sprach es, 'so soll dir gehören, was über der Erde ist und mir, was unter der Erde ist.' Dem Teufel gefiel das wohl, aber das listige Bäuerlein hatte Rüben gesät. Als nun die Zeit der Ernte kam, so erschien der Teufel und wollte seine Frucht holen, er fand aber nichts als die gelben welken Blätter, und das Bäuerlein, ganz vergnügt, grub seine Rüben aus. 'Einmal hast du den Vorteil gehabt,' sprach der Teufel, 'aber für das nächstemal soll das nicht gelten. Dein ist, was über der Erde wächst und mein, was darunter ist.' 'Mir auch recht,' antwortete das Bäuerlein. Als aber die Zeit zur Aussaat kam, säte das Bäuerlein nicht wieder Rüben, sondern Weizen. Die Frucht ward reif, das Bäuerlein ging auf den Acker und schnitt die vollen Halme bis zur Erde ab. Als der Teufel kam, fand er nichts als die Stoppeln und fuhr wütend in eine Felsenschlucht hinab. 'So muß man die Füchse prellen,' sprach das Bäuerlein, ging hin und holte sich den Schatz.

 

Die beiden Wanderer

Berg und Tal begegnen sich nicht, wohl aber die Menschenkinder, zumal gute und böse. So kamen auch einmal ein Schuster und ein Schneider auf der Wanderschaft zusammen. Der Schneider war ein kleiner, hübscher Kerl und war immer lustig und guter Dinge. Er sah den Schuster von der andern Seite herankommen, und da er an seinem Felleisen merkte, was er für ein Handwerk trieb, rief er ihm ein Spottliedchen zu:
"Nähe mir die Naht,
ziehe mir den Draht,
streich ihn rechts und links mit Pech,
schlag, schlag mir fest den Zweck."
Der Schuster aber konnte keinen Spaß vertragen, er verzog sein Gesicht, als wenn er Essig getrunken hätte, und machte Miene, das Schneiderlein am Kragen zu packen. Der kleine Kerl fing aber an zu lachen, reichte ihm seine Flasche und sprach: "Es ist nicht bös gemeint, trink einmal und schluck die Galle hinunter." Der Schuster tat einen gewaltigen Schluck, und das Gewitter auf seinem Gesicht fing an, sich zu verziehen. Er gab dem Schneider die Flasche zurück und sprach: "Ich habe ihr ordentlich zugesprochen, man sagt wohl vom vielen Trinken, aber nicht vom großen Durst. Wollen wir zusammen wandern?" "Mir ist's recht", antwortete der Schneider, "wenn du nur Lust hast, in die große Stadt zu gehen, wo es nicht an Arbeit fehlt." "Gerade dahin wollte ich auch", antwortete der Schuster, "in einem kleinen Nest ist nichts zu verdienen, und.auf dem Lande gehen die Leute lieber barfuß." Sie wanderten also zusammen weiter und setzten immer einen Fuß vor den andern wie die Wiesel im Schnee.
Zeit genug hatten sie beide, aber wenig zu beißen und zu brechen. Wenn sie in eine Stadt kamen, so gingen sie umher und grüßten das Handwerk, und weil das Schneiderlein so munter aussah und so hübsche rote Backen hatte, so gab ihm jeder gerne, und wenn das Glück gut war, so gab ihm die Meistertochter unter der Haustüre auch noch einen Kuß auf den Weg. Wenn er mit dem Schuster wieder zusammentraf, so hatte er immer mehr in seinem Bündel. Der griesgrämige Schuster schnitt ein schiefes Gesicht und meinte: "Je größer der Schelm, je größer das Glück." Aber der Schneider fing an zu lachen und zu singen und teilte alles, was er bekam, mit seinem Kameraden. Klingelten nun ein paar Groschen in seiner Tasche, so ließ er auftragen, schlug vor Freude auf den Tisch, daß die Gläser tanzten, und es hieß bei ihm: "Leicht verdient und leicht vertan."
Als sie eine Zeitlang gewandert waren, kamen sie an einen großen Wald, durch welchen der Weg nach der Königsstadt ging. Es führten aber zwei Fußsteige hindurch, davon war der eine sieben Tage lang, der andere nur zwei Tage, aber niemand von ihnen wußte, welcher der kürzere Weg war. Die zwei Wanderer setzten sich unter einen Eichenbaum und ratschlagten, wie sie sich vorsehen und für wieviel Tage sie Brot mitnehmen wollten. Der Schuster sagte: "Man muß weiter denken, als man geht, ich will für sieben Tage Brot mitnehmen." "Was", sagte der Schneider, "für sieben Tage Brot auf dem Rücken schleppen wie ein Lasttier? Ich halte mich an Gott und kehre mich an nichts. Das Geld, das ich in der Tasche habe, das ist im Sommer so gut wie im Winter, aber das Brot wird in der heißen Zeit trocken und schimmelig. Mein Rock geht auch nicht länger als auf die Knöchel. Warum sollen wir den richtigen Weg nicht finden? Für zwei Tage Brot und damit gut." Es kaufte sich also jeder sein Brot, dann gingen sie in den Wald hinein.
In dem Wald war es still wie in einer Kirche. Kein Wind wehte, kein Bach rauschte, kein Vogel sang, und durch die dichtbelaubten Äste drang kein Sonnenstrahl. Der Schuster sprach kein Wort, ihn drückte das schwere Brot auf dem Rücken, daß ihm der Schweiß über sein verdrießliches und finsteres Gesicht herabfloß. Der Schneider aber war ganz munter, sprang daher, pfiff oder sang ein Liedchen und dachte: ,Gott im Himmel muß sich freuen, daß ich so lustig bin." Zwei Tage ging das so fort, aber als am dritten Tag der Wald kein Ende nehmen wollte und der Schneider sein Brot aufgegessen hatte, so fiel ihm das Herz doch eine Elle tiefer herab; indessen verlor er nicht den Mut, sondern verließ sich auf Gott und auf sein Glück. Den dritten Tag legte er sich abends hungrig unter einen Baum und stieg den andern Morgen hungrig wieder auf. So ging es auch den vierten Tag, und wenn der Schuster sich auf einen umgestürzten Baum setzte und seine Mahlzeit verzehrte, so blieb dem Schneider nichts als das Zusehn. Bat er um ein Stückchen Brot, so lachte der andere höhnisch und sagte: "Du bist immer so lustig gewesen, da kannst du auch einmal versuchen, wie's tut, wenn man unlustig ist; die Vögel, die morgens zu früh singen, die stößt abends der Habicht", kurz, er war ohne Barmherzigkeit. Aber am fünften Morgen konnte der arme Schneider nicht mehr aufstehen und vor Mattigkeit kaum ein Wort herausbringen; die Backen waren ihm weiß und die Augen rot. Da sagte der Schuster zu ihm: "Ich will dir heute ein Stück Brot geben, aber dafür will ich dir dein rechtes Auge ausstechen." Der unglückliche Schneider, der doch gerne sein Leben erhalten wollte, konnte sich nicht anders helfen, er weinte noch einmal mit beiden Augen und hielt sie dann hin, und der Schuster stach ihm mit einem scharfen Messer das rechte Auge aus. Dem Schneider kam in den Sinn, was ihm sonst seine Mutter gesagt hatte, wenn er in der Speisekammer genascht hatte: "Essen, soviel man mag, und leiden, was man muß." Als er sein teuer bezahltes Brot verzehrt hatte, machte er sich wieder auf die Beine, vergaß sein Unglück und tröstete sich damit, daß er mit einem Auge immer noch genug sehen könnte. Aber am sechsten Tag meldete sich der Hunger aufs neue und zehrte ihm fast das Herz auf. Er fiel abends bei einem Baum nieder, und am siebenten Morgen konnte er sich vor Mattigkeit nicht erheben, und der Tod saß ihm im Nacken. Da sagte der Schuster: "Ich will Barmherzigkeit ausüben und dir nochmals Brot geben; umsonst bekommst du es aber nicht, ich steche dir dafür das andere Auge noch aus." Da erkannte der Schneider sein leichtsinniges Leben, bat den lieben Gott um Verzeihung und sprach: "Tue, was du mußt, ich will leiden, was ich muß; aber bedenke, daß unser Herrgott nicht jeden Augenblick richtet und daß eine andere Stunde kommt, wo die böse Tat vergolten wird, die du an mir verübst und die ich nicht an dir verdient habe. Ich habe in guten Tagen mit dir geteilt, was ich hatte. Mein Handwerk ist derart, daß Stich muß Stich vertreiben. Wenn ich keine Augen mehr habe und nicht mehr nähen kann, so muß ich betteln gehen. Laß mich nur, wenn ich blind bin, hier nicht allein liegen, sonst muß ich verschmachten." Der Schuster aber, der Gott aus seinem Herzen vertrieben hatte, nahm das Messer und stach ihm noch das linke Auge aus. Dann gab er ihm ein Stück Brot zu essen, reichte ihm einen Stock und führte ihn hinter sich her.
Als die Sonne unterging, kamen sie aus dem Wald, und vor dem Wald auf dem Feld stand ein Galgen. Dahin leitete der Schuster den blinden Schneider, ließ ihn liegen und ging seiner Wege. Vor Müdigkeit, Schmerz und Hunger schlief der Unglückliche ein und schlief die ganze Nacht. Als der Tag dämmerte, erwachte er, wußte aber nicht, wo er lag. An dem Galgen hingen zwei arme Sünder, und auf dem Kopfe eines jeden saß eine Krähe. Da fing der eine an zu sprechen: "Bruder, wachst du?" "Ja, ich wache", antwortete der zweite. "So will ich dir etwas sagen", fing der erste wieder an, "der Tau, der heute nacht über uns vom Galgen herabgefallen ist, der gibt jedem, der sich damit wäscht, die Augen wieder. Wenn das die Blinden wüßten, wie mancher könnte sein Gesicht wiederhaben, der nicht glaubt, daß das möglich sei." Als der Schneider das hörte, nahm er sein Taschentuch, drückte es auf das Gras, und als es mit dem Tau befeuchtet war, wusch er seine Augenhöhlen damit. Alsbald füllten ein Paar frische und gesunde Augen die Höhlen. Es dauerte nicht lange, so sah der Schneider die Sonne hinter den Bergen aufsteigen, vor ihm in der Ebene lag die große Königsstadt mit ihren prächtigen Toren und hundert Türmen, und die goldenen Knöpfe und Kreuze, die auf den Spitzen standen, fingen an zu glühen. Er unterschied jedes Blatt an den Bäumen, erblickte die Vögel, die vorbeiflogen, und die Mücken, die in der Luft tanzten. Er holte eine Nähnadel aus der Tasche, und als er den Zwirn einfädeln konnte, so gut, wie er es je gekonnt hatte, sprang sein Herz vor Freude. Er warf sich auf seine Knie, dankte Gott für die erwiesene Gnade und sprach seinen Morgensegen. Er vergaß auch nicht, für die armen Sünder zu bitten, die da hingen wie der Schwengel in der Glocke und die der Wind aneinanderschlug. Dann nahm er sein Bündel auf den Rücken, vergaß bald das ausgestandene Herzeleid und ging unter Singen und Pfeifen weiter.
Das erste, was ihm begegnete, war ein braunes Füllen, das frei im Felde herumsprang. Er packte es an der Mähne, wollte sich aufschwingen und in die Stadt reiten. Das Füllen aber bat um seine Freiheit: "Ich bin noch zu jung", sprach es, "auch ein leichter Schneider wie du bricht mir den Rücken entzwei, laß mich laufen, bis ich stark geworden bin. Es kommt vielleicht eine Zeit, wo ich dir's lohnen kann." "Lauf hin", sagte der Schneider, "ich sehe, du bist auch so ein Springinsfeld." Er gab ihm noch einen Hieb mit der Gerte über den Rücken, daß es vor Freude mit den Hinterbeinen ausschlug, über Hecken und Gräben setzte und in das Feld hineinjagte.
Aber das Schneiderlein hatte seit gestern nichts gegessen. "Die Sonne", sprach er, "füllt mir zwar die Augen, aber das Brot nicht den Mund. Das erste, was mir begegnet und halbwegs genießbar ist, das muß herhalten." Indem schritt ein Storch ganz ernsthaft über die Wiese daher. "Halt, halt!" rief der Schneider und packte ihn am Bein, "ich weiß nicht, ob du zu genießen bist, aber mein Hunger erlaubt mir keine lange Wahl, ich muß dich braten." "Tue das nicht", antwortete der Storch, "ich bin ein heiliger Vogel, dem niemand ein Leid zufügt und der den Menschen großen Nutzen bringt. Läßt du mir mein Leben, so kann ich dir's ein andermal vergelten." - "So zieh ab, Vetter Langbein", sagte der Schneider. Der Storch erhob sich, ließ die langen Beine hängen und flog gemächlich fort.
"Was soll daraus werden?" sagte der Schneider zu sich selbst, "mein Hunger wird immer größer und mein Magen immer leerer. Was mir jetzt in den Weg kommt, das ist verloren." Indem sah er auf einem Teich ein paar junge Enten daherschwimmen. "Ihr kommt ja wie gerufen", sagte er, packte eine davon und wollte ihr den Hals umdrehen. Da fing eine alte Ente, die in dem Schilf steckte, laut an zu kreischen, schwamm mit aufgesperrtem Schnabel herbei und bat ihn flehentlich, sich ihrer lieben Kinder zu erbarmen. "Denkst du nicht", sagte sie, "wie deine Mutter jammern würde, wenn dich einer wegholen und dir den Garaus machen wollte?" "Sei nur still", sagte der gutmütige Schneider, "du sollst deine Kinder behalten", und setzte die Gefangene wieder ins Wasser.
Als er sich umkehrte, stand er vor einem alten Baum, der halb hohl war, und sah die wilden Bienen aus und ein fliegen. "Da finde ich gleich den Lohn für meine gute Tat", sagte der Schneider, "der Honig wird mich laben." Aber der Weisel kam heraus, drohte und sprach: "Wenn du mein Volk anrührst, so sollen dir unsere Stacheln wie glühende Nadeln in die Haut fahren. Läßt du uns aber in Ruhe, so wollen wir dir ein andermal einen Dienst leisten.
Das Schneiderlein sah, daß auch hier nichts anzufangen war. "Drei Schüsseln leer", sagte er, "und auf der vierten nichts, das ist eine schlechte Mahlzeit" Er schleppte sich also in die Stadt, und da es eben zu Mittag läutete, so für ihn im Gasthaus schon gekocht, und er konnte sich gleich zu Tisch setzen. Als er satt war, sagte er: "Nun will ich auch arbeiten." Er ging in der Stadt umher, suchte einen Meister und fand auch bald ein gutes Unterkommen. Da er aber sein Handwerk von Grund aus gelernt hatte, so dauerte es nicht lange, er ward berühmt, und jeder wollte seinen neuen Rock von dem kleinen Schneider gemacht haben. Alle Tage nahm sein Ansehen zu. "Ich kann in meiner Kunst nicht weiterkommen", sprach er, "und doch geht's jeden Tag besser." Endlich bestellte ihn der König zu seinem Hofschneider. Aber wie's in der Welt geht. An demselben Tag war sein ehemaliger Kamerad, der Schuster, auch Hofschuster geworden. Als dieser den Schneider erblickte und sah, daß er wieder zwei gesunde Augen hatte, so peinigte ihn das Gewissen. ,Ehe er Rache an mir nimmt', dachte er bei sich selbst, ,muß ich ihm eine Grube graben.' Wer aber andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein. Abends, als er Feierabend gemacht hatte und es dämmerte, schlich er sich zu dem König und sagte: Herr König, der Schneider ist ein übermütiger Mensch und hat sich vermessen, er wollte die goldene Krone wieder herbeischaffen, die vor alten Zeiten verlorengegangen ist." "Das sollte mir lieb sein", sprach der König, ließ den Schneider am andern Morgen vor sich fordern und befahl ihm, die Krone wieder herbeizuschaffen oder die Stadt zu verlassen. ,Oho', dachte der Schneider, ,ein Schelm gibt mehr, als er hat. Wenn der murrköpfige König von mir verlangt, was kein Mensch leisten kann, so will ich nicht warten bis morgen, sondern gleich heute wieder zur Stadt hinauswandern.' Er schnürte also sein Bündel, als er aber aus dem Tor heraus war, tat es ihm doch leid, daß er sein Glück aufgeben und die Stadt, in der es ihm so wohl gegangen war, mit dem Rücken ansehen sollte. Er kam zu dem Teich, wo er mit den Enten Bekanntschaft gemacht hatte, da saß gerade die Alte, der er ihre Jungen gelassen hatte, am Ufer und putzte sich mit dem Schnabel. Sie erkannte ihn gleich und fragte, warum er den Kopf so hängen lasse. "Du wirst dich nicht wundern, wenn du hörst, was mir begegnet ist", antwortete der Schneider und erzählte ihr sein Schicksal. "Wenn's weiter nichts ist", sagte die Ente, "da können wir Rat schaffen. Die Krone ist ins Wasser gefallen und liegt unten auf dem Grund, wie bald haben wir sie wieder heraufgeholt. Breite nur derweil dein Taschentuch ans Ufer aus." Sie tauchte mit ihren zwölf Jungen unter, und nach fünf Minuten war sie wieder öben und saß mitten in der Krone, die auf ihren Fittichen ruhte, und die zwölf Jungen schwammen rund herum, hatten ihre Schnäbel untergelegt und halfen tragen. Sie schwammen ans Land und legten die Krone auf das Tuch. Sie war so prächtig und glänzte in der Sonne wie hunderttausend Karfunkelsteine. Der Schneider band sein Tuch zusammen und trug sie zum König, der in großer Freude war und dem Schneider eine goldene Kette um den Hals hing.
Als der Schuster sah, daß der eine Streich mißlungen war, so besann er sich auf einen zweiten, trat vor den König und sprach: "Herr König, der Schneider ist wieder so übermütig geworden, er vermißt sich, das ganze königliche Schloß mit allem, was darin ist, los und fest, innen und außen, in Wachs abzubilden." Der König ließ den Schneider kommen und befahl ihm, das ganze königliche Schloß mit allem, was darin wäre, los und fest, innen und außen, in Wachs abzubilden, und wenn er es nicht zustande brächte oder es fehlte nur ein Nagel an der Wand, so sollte er zeitlebens unter der Erde gefangensitzen. Der Schneider dachte: ,Es kommt immer ärger, das hält kein Mensch aus', warf sein Bündel auf den Rücken und wanderte fort. Als er an den hohlen Baum kam, setzte er sich nieder und ließ den Kopf hängen. Die Bienen kamen herausgeflogen, und der Weisel fragte ihn, ob er einen steifen Hals hätte, weil er den Kopf so schief hielt. "Ach nein", antwortete der Schneider, "mich drückt etwas anderes", und erzählte, was der König von ihm gefordert hatte. Die Bienen fingen an, untereinander zu summen und zu brummen, und der Weisel sprach: "Geh nur wieder nach Haus, komm aber morgen um diese Zeit wieder und bring ein großes Tuch mit, so wird alles gut gehen." Da kehrte er wieder um, die Bienen aber flogen nach dem königlichen Schloß, geradezu in die offenen Fenster hinein, krochen in allen Ecken herum und besahen alles aufs genaueste. Dann liefen sie zurück und bildeten das Schloß in Wachs nach mit einer solchen Geschwindigkeit, daß man meinte, es wüchse einem vor den Augen. Schon am Abend war alles fertig, und als der Schneider am folgenden Morgen kam, so stand das ganze prächtige Gebäude da, und es fehlte kein Nagel an der Wand und kein Ziegel auf dem Dach; dabei war es zart und schneeweiß und roch süß wie Honig. Der Schneider packte es vorsichtig in sein Tuch und brachte es dem König, der aber konnte sich nicht genug verwundern; stellte es in seinem größten Saal auf und schenkte dem Schneider dafür ein großes steinernes Haus.
Der Schuster aber ließ nicht nach, ging zum drittenmal zu dem König und sprach: "Herr König, dem Schneider ist zu Ohren gekommen, daß auf dem Schloßhof kein Wasser springen will, da hat er sich vermessen, es solle mitten im Hof mannshoch aufsteigen ünd hell sein wie Kristall." Da ließ der König den Schneider herbeiholen und sagte: "Wenn nicht morgen ein Strahl von Wasser in meinem Hof springt, wie du versprochen hast, so soll dich der Scharfrichter auf demselben Hof um einen Kopf kürzer machen." Der arme Schneider besann sich nicht lange und eilte zum Tore hinaus, und weil es ihm diesmal ans Leben gehen sollte, so rollten ihm die Tränen über die Backen herab. Indem er so voll Trauer dahinging, kam das Füllen herangesprungen, dem er einmal die Freiheit geschenkt hatte und aus dem ein hübscher Brauner geworden war. "Jetzt kommt die Stunde", sprach er zu ihm, "wo ich dir deine Guttat vergelten kann. Ich weiß schon, was dir fehlt, aber es soll dir bald geholfen werden, sitz.nur auf, mein Rücken kann deiner zwei tragen." Dem Schneider kam das Herz wieder, er sprang in einem Satz auf, und das Pferd rannte in vollem Lauf zur Stadt hinein und geradezu auf den Schloßhof. Da jagte es dreimal rund herum, schnell wie der Blitz, und beim drittenmal stürzte es nieder. In dem Augenhlick aber krachte es furchtbar, ein Stück Erde sprang in der Mitte des Hofs wie eine Kugel in die Luft und über das Schloß hinaus, und gleich dahinterher erhob sich ein Strahl von Wasser, so hoch wie Mann und Pferd, und das Wasser war so rein wie Kristall. Als der König das sah, stand er vor Verwunderung auf, ging und umarmte das Schneiderlein im Angesicht aller Menschen.
Aber das Glück dauerte nicht lang. Der König hatte Töchter genug, eine immer er schöner als die andere, aber keinen Sohn. Da begab sich der boshafte Schuster zum viertenmal zu dem König und sprach: "Herr König, der Schneider läßt nicht ab von seinem Ubermut. Jetzt hat er sich vermessen, wenn er wolle, so könne er dem Herrn König einen Sohn durch die Lüfte herbeitragen lassen." Der König ließ den Schneider rufen und sprach: "Wenn du mir binnen neun Tagen einen Sohn bringen läßt, so sollst du meine älteste Tochter zur Frau haben." ,Der Lohn ist freilich groß', dachte das Schneiderlein, ,aber die Kirschen hängen mir zu hoch; wenn ich danach steige, so bricht unter mir der Ast, und ich falle herab.' Er ging nach Haus, setzte sich auf seinen Arbeitstisch und bedachte, was zu tun wäre. "Es geht nicht", rief er endlich aus, "ich will fort, hier kann ich doch nicht in Ruhe leben." Er schnürte sein Bündel und eilte zum Tore hinaus. Als er auf die Wiesen kam, erblickte er seinen alten Freund, den Storch, der da wie ein Weltweiser auf und ab ging, zuweilen stillstand, einen Frosch in nähere Betrachtung nahm und ihn endlich verschluckte. Der Storch kam heran und begrüßte ihn. "Ich sehe", hub er an, "du hast deinen Ranzen auf dem Rücken, warum willst du die Stadt verlassen?" Der Schneider erzählte ihm, was der König von ihm verlangt hatte und er nicht erfüllen konnte, und jammerte über sein Mißgeschick. "Laß dir darüber keine grauen Haare wachsen", sagte der Storch, "ich will dir aus der Not helfen. Schon lange bringe ich die Wickelkinder in die Stadt, da kann ich auch einmal einen kleinen Prinzen aus dem Brunnen holen. Geh heim und verhalte dich ruhig. Heut über neun Tage begib dich in das königliche Schloß, da will ich kommen." Das Schneiderlein ging nach Haus und war zu rechter Zeit in dem Schloß. Nicht lange, so kam der Storch herangeflogen und klopfte ans Fenster. Der Schneider öffnete ihm, und Vetter Langbein stieg vorsichtig herein und ging mit gravitätischen Schritten über den glatten Marmorboden; er hatte aber ein Kind im Schnabel, das schön wie ein Engel war und seine Händchen nach der Königin ausstreckte. Er legte es ihr auf den Schoß, und sie herzte und küßte es und war vor Freude außer sich. Der Storch nahm, bevor er wieder wegflog, seine Reisetasche von der Schulter herab und überreichte sie der Königin. Es steckten Düten darin mit bunten Zuckererbsen, sie wurden unter die kleinen Prinzessinnen verteilt. Die älteste aber erhielt nichts, sondern bekam den lustigen Schneider zum Mann. "Es ist mir geradeso", sprach der Schneider, "als wenn ich das große Los gewonnen hätte. Meine Mutter hatte doch recht, die sagte immer: ,Wer auf Gott vertraut und nur Glück hat, dem kann's nicht fehlen."
Der Schuster mußte die Schuhe machen, in welchen das Schneiderlein auf dem Hochzeitsfest tanzte, hernach ward ihm befohlen, die Stadt auf immer zu verlassen. Der Weg nach dem Wald führte ihn zu dem Galgen. Von Zorn und der Hitze des Tages ermüdet, warf er sich nieder. Als er die Augen zumachte und schlafen wollte, stürzten die beiden Krähen von den Köpfen der Gehenkten herab und hackten ihm die Augen aus. Unsinnig rannte er in den Wald und muß darin verschmachtet sein; denn es hat ihn niemand wieder gesehen oder etwas von ihm gehört.

 

Die Brosamen auf dem Tisch

Der Güggel het einisch zue sine Hüendlene gseit 'chömmet weidli i d'Stuben ufe, go Brotbrösmele zämmebicke ufem Tisch: euse Frau isch ußgange, go ne Visite mache.' Do säge do d,Hüendli 'nei nei, mer chömme nit: weist, d,Frau balget amme mit is.' Do seit der Güggel 'se weiß jo nüt dervo, chömmet er numme: se git is doch au nie nit Guets.' Do säge d,Hüendli wider 'nei, nei, sisch uß und verby, mer gönd nit ufe.' Aber der Güggel het ene kei Ruei glo, bis se endlig gange sind und ufe Tisch, und do Brotbrösmeli zämme gläse hend in aller Strenge. Do chunt justement d,Frau derzue und nimmt gschwind e Stäcke und steubt se abe und regiert gar grüseli mit ene. Und wo se do vor em Hus unde gsi sind, do säge do d'Hüendli zum Güggel 'gse gse gse gse gse gse gsehst aber?' Do het der Güggel glachet und numme gseit 'ha ha han is nit gwüßt?' Do händ se chönne goh.

 

Bruder Lustig

Es war einmal ein großer Krieg, und als der Krieg zu Ende war, bekamen viele Soldaten ihren Abschied. Nun bekam der Bruder Lustig auch seinen Abschied und sonst nichts als ein kleines Laibchen Kommißbrot und vier Kreuzer an Geld; damit zog er fort. Der heilige Petrus aber hatte sich als ein armer Bettler an den Weg gesetzt, und wie der Bruder Lustig daherkam, bat er ihn um ein Almosen. Er antwortete 'lieber Bettelmann, was soll ich dir geben? ich bin Soldat gewesen und habe meinen Abschied bekommen, und habe sonst nichts als das kleine Kommißbrot und vier Kreuzer Geld, wenn das all ist, muß ich betteln, so gut wie du. Doch geben will ich dir was.' Darauf teilte er den Laib in vier Teile und gab davon dem Apostel einen und auch einen Kreuzer. Der heilige Petrus bedankte sich, ging weiter und setzte sich in einer andern Gestalt wieder als Bettelmann dem Soldaten an den Weg, und als er zu ihm kam, bat er ihn, wie das vorigemal, um eine Gabe. Der Bruder Lustig sprach wie vorher und gab ihm wieder ein Viertel von dem Brot und einen Kreuzer. Der heilige Petrus bedankte sich und ging weiter, setzte sich aber zum drittenmal in einer andern Gestalt als ein Bettler an den Weg und sprach den Bruder Lustig an. Der Bruder Lustig gab ihm auch das dritte Viertel Brot und den dritten Kreuzer. Der heilige Petrus bedankte sich, und der Bruder Lustig ging weiter und hatte nicht mehr als ein Viertel Brot und einen Kreuzer. Damit ging er in ein Wirtshaus, aß das Brot und ließ sich für den Kreuzer Bier dazu geben. Als er fertig war, zog er weiter, und da ging ihm der heilige Petrus gleichfalls in der Gestalt eines verabschiedeten Soldaten entgegen und redete ihn an 'guten Tag, Kamerad, kannst du mir nicht ein Stück Brot geben und einen Kreuzer zu einem Trunk?, 'Wo soll ichs hernehmen,' antwortete der Bruder Lustig, 'ich habe meinen Abschied und sonst nichts als einen Laib Kommißbrot und vier Kreuzer an Geld bekommen. Drei Bettler sind mir auf der Landstraße begegnet,
davon hab ich jedem ein Viertel von meinem Brot und einen Kreuzer Geld gegeben. Das letzte Viertel habe ich im Wirtshaus gegessen und für den letzten Kreuzer dazu getrunken. Jetzt bin ich leer, und wenn du auch nichts mehr hast, so können wir miteinander betteln gehen.' 'Nein,' antwortete der heilige Petrus, 'das wird just nicht nötig sein: ich verstehe mich ein wenig auf die Doktorei, und damit will ich mir schon so viel verdienen, als ich brauche.' 'Ja,' sagte der Bruder Lustig, 'davon verstehe ich nichts, also muß ich allein betteln gehen.' 'Nun komm nur mit,' sprach der heilige Petrus, 'wenn ich was verdiene, sollst du die Hälfte davon haben.' 'Das ist mir wohl recht,' sagte der Bruder Lustig. Also zogen sie miteinander fort.
Nun kamen sie an ein Bauernhaus und hörten darin gewaltig jammern und schreien, da gingen sie hinein, so lag der Mann darin auf den Tod krank und war nah am Verscheiden, und die Frau heulte und weinte ganz laut. 'Laßt Euer Heulen und Weinen,' sprach der heilige Petrus, 'ich will den Mann wieder gesund machen,' nahm eine Salbe aus der Tasche und heilte den Kranken augenblicklich, so daß er aufstehen konnte und ganz gesund war. Sprachen Mann und Frau in großer Freude 'wie können wir Euch lohnen? was sollen wir Euch geben?, Der heilige Petrus aber wollte nichts nehmen, und je mehr ihn die Bauersleute baten, desto mehr weigerte er sich. Der Bruder Lustig aber stieß den heiligen Petrus an und sagte 'so nimm doch was, wir brauchens ja.' Endlich brachte die Bäuerin ein Lamm und sprach zu dem heiligen Petrus, das müßte er annehmen, aber er wollte es nicht. Da stieß ihn der Bruder Lustig in die Seite und sprach 'nimms doch, dummer Teufel, wir brauchens ja.' Da sagte der heilige Petrus endlich 'ja, das Lamm will ich nehmen, aber ich trags nicht: wenn dus willst, so mußt du es tragen.' 'Das hat keine Not,' sprach der Bruder Lustig, 'das will ich schon tragen,' und nahms auf die Schulter. Nun gingen sie fort und kamen in einen Wald, da war das Lamm dem Bruder Lustig schwer geworden, er aber war hungrig, also sprach er zu dem heiligen Petrus 'schau, da ist ein schöner Platz, da könnten wir das Lamm kochen und verzehren.' 'Mir ists recht,' antwortete der heilige Petrus, 'doch kann ich mit der Kocherei nicht umgehen: willst du kochen, so hast du da einen Kessel, ich will derweil auf- und abgehen, bis es gar ist. Du mußt aber nicht eher zu essen anfangen, als bis ich wieder zurück bin; ich will schon zu rechter Zeit kommen.' 'Geh nur,' sagte Bruder Lustig, 'ich verstehe mich aufs Kochen, ich wills schon machen.' Da ging der heilige Petrus fort, und der Bruder Lustig schlachtete das Lamm, machte Feuer an, warf das Fleisch in den Kessel und kochte.
Das Lamm war aber schon gar und der Apostel immer noch nicht zurück, da nahm es der Bruder Lustig aus dem Kessel, zerschnitt es und fand das Herz.
'Das soll das Beste sein,' sprach er und versuchte es, zuletzt aber aß er es ganz auf. Endlich kam der heilige Petrus zurück und sprach 'du kannst das ganze Lamm allein essen, ich will nur das Herz davon, das gib mir.' Da nahm Bruder Lustig Messer und Gabel, tat, als suchte er eifrig in dem Lammfleisch herum, konnte aber das Herz nicht finden; endlich sagte er kurzweg 'es ist keins da.' 'Nun, wo solls denn sein?, sagte der Apostel. 'Das weiß ich nicht,' antwortete der Bruder Lustig, 'aber schau, was sind wir alle beide für Narren, suchen das Herz vom Lamm, und fällt keinem von uns ein, ein Lamm hat ja kein Herz!, 'Ei,' sprach der heilige Petrus, 'das ist was ganz Neues, jedes Tier hat ja ein Herz, warum sollt ein Lamm kein Herz haben?, 'Nein, gewißlich, Bruder, ein Lamm hat kein Herz, denk nur recht nach, so wird dirs einfallen, es hat im Ernst keins.' 'Nun, es ist schon gut,' sagte der heilige Petrus, 'ist kein Herz da, so brauch ich auch nichts vom Lamm, du kannsts allein essen.' 'Was ich halt nicht aufessen kann, das nehm ich mit in meinem Ranzen,' sprach der Bruder Lustig, aß das halbe Lamm und steckte das übrige in seinen Ranzen.
Sie gingen weiter, da machte der heilige Petrus, daß ein großes Wasser quer über den Weg floß und sie hindurch mußten. Sprach der heilige Petrus 'geh du nur voran.' 'Nein,' antwortete der Bruder Lustig, 'geh du voran,' und dachte 'wenn dem das Wasser zu tief ist, so bleib ich zurück.' Da schritt der heilige Petrus hindurch, und das Wasser ging ihm nur bis ans Knie. Nun wollte Bruder Lustig auch hindurch, aber das Wasser wurde größer und stieg ihm an den Hals. Da rief er 'Bruder, hilf mir.' Sagte der heilige Petrus 'willst du auch gestehen, daß du das Herz von dem Lamm gegessen hast?, 'Nein,' antwortete er, 'ich hab es nicht gegessen.' Da ward das Wasser noch größer und stieg ihm bis an den Mund, 'hilf mir, Bruder,' rief der Soldat. Sprach der heilige Petrus noch einmal 'willst du auch gestehen, daß du das Herz vom Lamm gegessen hast?' 'Nein,' antwortete er, 'ich hab es nicht gegessen.' Der heilige Petrus wollte ihn doch nicht ertrinken lassen, ließ das Wasser wieder fallen und half ihm hinüber.
Nun zogen sie weiter, und kamen in ein Reich, da hörten sie, daß die Königstochter todkrank läge. 'Hallo, Bruder,' sprach der Soldat zum heiligen Petrus, 'da ist ein Fang für uns, wenn wir die gesund machen, so ist uns auf ewige Zeiten geholfen.' Da war ihm der heilige Petrus nicht geschwind genug, 'nun, heb die Beine auf, Bruderherz,' sprach er zu ihm, 'daß wir noch zu rechter Zeit hinkommen.' Der heilige Petrus ging aber immer langsamer, wie auch der Bruder Lustig ihn trieb und schob, bis sie endlich hörten, die Königstochter wäre gestorben. 'Da haben wirs,' sprach der Bruder Lustig, 'das kommt von deinem schläfrigen Gang.' 'Sei nur still,' antwortete der heilige Petrus, 'ich kann noch mehr als Kranke gesund machen, ich kann auch Tote wieder ins Leben erwecken.' 'Nun, wenn das ist,' sagte der Bruder Lustig, 'so laß ich mirs gefallen, das halbe Königreich mußt du uns aber zum wenigsten damit verdienen.' Darauf gingen sie in das königliche Schloß, wo alles in großer Trauer war: der heilige Petrus aber sagte zu dem König, er wolle die Tochter wieder lebendig machen. Da ward er zu ihr geführt, und dann sprach er 'bringt mir einen Kessel mit Wasser,' und wie der gebracht war, hieß er jedermann hinausgehen, und nur der Bruder Lustig durfte bei ihm bleiben. Darauf schnitt er alle Glieder der Toten los und warf sie ins Wasser, machte Feuer unter den Kessel und ließ sie kochen. Und wie alles Fleisch von den Knochen herabgefallen war, nahm er das schöne weiße Gebein heraus und legte es auf eine Tafel, und reihte und legte es nach seiner natürlichen Ordnung zusammen. Als das geschehen war, trat er davor und sprach dreimal 'im Namen der allerheiligsten Dreifaltigkeit, Tote, steh auf.' Und beim drittenmal erhob sich die Königstochter lebendig, gesund und schön. Nun war der König darüber in großer Freude und sprach zum heiligen Petrus 'begehre deinen Lohn, und wenns mein halbes Königreich wäre, so will ich dirs geben.' Der heilige Petrus aber antwortete 'ich verlange nichts dafür.' 'O, du Hans Narr!, dachte der Bruder Lustig bei sich, stieß seinen Kameraden in die Seite und sprach 'sei doch nicht so dumm, wenn du nichts willst, so brauch ich doch was.' Der heilige Petrus aber wollte nichts; doch weil der König sah, daß der andere gerne was wollte, ließ er ihm vom Schatzmeister seinen Ranzen mit Gold anfüllen.
Sie zogen darauf weiter, und wie sie in einen Wald kamen, sprach der heilige Petrus zum Bruder Lustig 'jetzt wollen wir das Gold teilen.' 'Ja,' antwortete er, 'das wollen wir tun.' Da teilte der heilige Petrus das Gold, und teilte es in drei Teile. Dachte der Bruder Lustig 'was er wieder für einen Sparren im Kopf hat! macht drei Teile, und unser sind zwei.' Der heilige Petrus aber sprach 'nun habe ich genau geteilt, ein Teil für mich, ein Teil für dich, und ein Teil für den, der das Herz vom Lamm gegessen hat.' 'O, das hab ich gegessen,' antwortete der Bruder Lustig und strich geschwind das Gold ein, 'das kannst du mir glauben.' 'Wie kann das wahr sein,' sprach der heilige Petrus, 'ein Lamm hat ja kein Herz.' 'Ei, was, Bruder, wo denkst du hin! ein Lamm hat ja ein Herz, so gut wie jedes Tier, warum sollte das allein keins haben?, 'Nun, es ist schon gut,' sagte der heilige Petrus, 'behalt das Gold allein, aber ich bleibe nicht mehr bei dir und will meinen Weg allein gehen.' 'Wie du willst, Bruderherz,' antwortete der Soldat, 'leb wohl.'
Da ging der heilige Petrus eine andere Straße, Bruder Lustig aber dachte 'es ist gut, daß er abtrabt, es ist doch ein wunderlicher Heiliger.' Nun hatte er zwar Geld genug, wußte aber nicht mit umzugehen, vertats, verschenkts, und wie eine Zeit herum war, hatte er wieder nichts. Da kam er in ein Land, wo er hörte, daß die Königstochter gestorben wäre. 'Holla!, dachte er, 'das kann gut werden, die will ich wieder lebendig machen und mirs bezahlen lassen, daß es eine Art hat.' Ging also zum König und bot ihm an, die Tote wieder zu erwecken. Nun hatte der König gehört, daß ein abgedankter Soldat herumziehe und die Gestorbenen wieder lebendig mache, und dachte, der Bruder Lustig wäre dieser Mann, doch weil er kein Vertrauen zu ihm hatte, fragte er erst seine Räte, die sagten aber, er könnte es wagen, da seine Tochter doch tot wäre. Nun ließ sich der Bruder Lustig Wasser im Kessel bringen, hieß jedermann hinausgehen, schnitt die Glieder ab, warf sie ins Wasser und machte Feuer darunter, gerade wie er es beim heiligen Petrus gesehen hatte. Das Wasser fing an zu kochen, und das Fleisch fiel herab, da nahm er das Gebein heraus und tat es auf die Tafel; er wußte aber nicht, in welcher Ordnung es liegen mußte, und legte alles verkehrt durcheinander. Dann stellte er sich davor und sprach 'im Namen der allerheiligsten Dreifaltigkeit, Tote, steh auf,' und sprachs dreimal, aber die Gebeine rührten sich nicht. Da sprach er es noch dreimal, abergleichfalls umsonst. 'Du Blitzmädel, steh auf,' rief er, 'steh auf, oder es geht dir nicht gut.' Wie er das gesprochen, kam der heilige Petrus auf einmal in seiner vorigen Gestalt, als verabschiedeter Soldat, durchs Fenster hereingegangen und sprach 'du gottloser Mensch, was treibst du da, wie kann die Tote auferstehen, da du ihr Gebein so untereinander geworfen hast?, 'Bruderherz, ich habs gemacht, so gut ich konnte,' antwortete er. 'Diesmal will ich dir aus der Not helfen, aber das sag ich dir, wo du noch einmal so etwas unternimmst, so bist du unglücklich, auch darfst du von dem König nicht das Geringste dafür begehren oder annehmen.' Darauf legte der heilige Petrus die Gebeine in ihre rechte Ordnung, sprach dreimal zu ihr 'im Namen der allerheiligsten Dreifaltigkeit, Tote, steh auf,' und die Königstochter stand auf, war gesund und schön wie vorher. Nun ging der heilige Petrus wieder durchs Fenster hinaus: der Bruder Lustig war froh, daß es so gut abgelaufen war, ärgerte sich aber doch, daß er nichts dafür nehmen sollte. 'Ich möchte nur wissen,' dachte er, 'was der für Mucken im Kopf hat, denn was er mit der einen Hand gibt, das nimmt er mit der andern: da ist kein Verstand drin.' Nun bot der König dem Bruder Lustig an, was er haben wollte, er durfte aber nichts nehmen, doch brachte er es durch Anspielung und Listigkeit dahin, daß ihm der König seinen Ranzen mit Gold füllen ließ, und damit zog er ab. Als er hinauskam, stand vor dem Tor der heilige Petrus und sprach 'schau, was du für ein Mensch bist, habe ich dir nicht verboten, etwas zu nehmen, und nun hast du den Ranzen doch voll Gold.' 'Was kann ich dafür,' antwortete Bruder Lustig, 'wenn mirs hineingesteckt wird.' 'Das sag ich dir, daß du nicht zum zweitenmal solche Dinge unternimmst, sonst soll es dir schlimm ergehen.' 'Ei, Bruder, sorg doch nicht, jetzt hab ich Gold, was soll ich mich da mit dem Knochenwaschen abgeben.' 'Ja,' sprach der heilige Petrus, 'das Gold wird lang dauern! Damit du aber hernach nicht wieder auf unerlaubten Wegen gehst, so will ich deinem Ranzen die Kraft geben, daß alles, was du dir hineinwünschest, auch darin sein soll. Leb wohl, du siehst mich nun nicht wieder.' 'Gott befohlen,' sprach der Bruder Lustig und dachte 'ich bin froh, daß du fortgehst, du wunderlicher Kauz, ich will dir wohl nicht nachgehen.' An die Wunderkraft aber, die seinem Ranzen verliehen war, dachte er nicht weiter.
Bruder Lustig zog mit seinem Gold umher, und vertats und verfumfeits wie das erstemal. Als er nun nichts mehr als vier Kreuzer hatte, kam er an einem Wirtshaus vorbei und dachte 'das Geld muß fort,' und ließ sich für drei Kreuzer Wein und einen Kreuzer Brot geben. Wie er da saß und trank, kam ihm der Geruch von gebratenen Gänsen in die Nase. Bruder Lustig schaute und guckte, und sah, daß der Wirt zwei Gänse in der Ofenröhre stehen hatte. Da fiel ihm ein, daß ihm sein Kamerad gesagt hatte, was er sich in seinen Ranzen wünschte, das sollte darin sein. 'Holla, das mußt du mit den Gänsen versuchen!, Also ging er hinaus, und vor der Türe sprach er 'so wünsch ich die zwei gebratenen Gänse aus der Ofenröhre in meinen Ranzen.' Wie er das gesagt hatte, schnallte er ihn auf und schaute hinein, da lagen sie beide darin. 'Ach, so ists recht,' sprach er, 'nun bin ich ein gemachter Kerl,' ging fort auf eine Wiese und holte den Braten hervor. Wie er so im besten Essen war, kamen zwei Handwerksburschen daher und sahen die eine Gans, die noch nicht angerührt war, mit hungrigen Augen an. Dachte der Bruder Lustig 'mit einer hast du genug,' rief die zwei Burschen herbei und sprach 'da nehmt die Gans und verzehrt sie auf meine Gesundheit.' Sie bedankten sich, gingen damit ins Wirtshaus, ließen sich eine Halbe Wein und ein Brot geben, packten die geschenkte Gans aus und fingen an zu essen. Die Wirtin sah zu und sprach zu ihrem Mann 'die zwei essen eine Gans, sieh doch nach, obs nicht eine von unsern aus der Ofenröhre ist.' Der Wirt lief hin, da war die Ofenröhre leer: 'was, ihr Diebsgesindel, so wohlfeil wollt ihr Gänse essen! gleich bezahlt, oder ich will euch mit grünem Haselsaft waschen.' Die zwei sprachen 'wir sind keine Diebe, ein abgedankter Soldat hat uns die Gans draußen auf der Wiese geschenkt.' 'Ihr sollt mir keine Nase drehen, der Soldat ist hier gewesen, aber als ein ehrlicher Kerl zur Tür hinaus gegangen, auf den hab ich acht gehabt: ihr seid die Diebe und sollt bezahlen.' Da sie aber nicht bezahlen konnten, nahm er den Stock und prügelte sie zur Türe hinaus.
Bruder Lustig ging seiner Wege und kam an einen Ort, da stand ein prächtiges Schloß und nicht weit davon ein schlechtes Wirtshaus. Er ging in das Wirtshaus und bat um ein Nachtlager, aber der Wirt wies ihn ab und sprach 'es ist kein Platz mehr da, das Haus ist voll vornehmer Gäste.' 'Das nimmt mich wunder,' sprach der Bruder Lustig, 'daß sie zu Euch kommen und nicht in das prächtige Schloß gehen.' 'Ja,' antwortete der Wirt, 'es hat was an sich, dort eine Nacht zu liegen, wers noch versucht hat, ist nicht lebendig wieder herausgekommen.' 'Wenns andere versucht haben,' sagte der Bruder Lustig, 'will ichs auch versuchen.' 'Das laßt nur bleiben,' sprach der Wirt, 'es geht Euch an den Hals.' 'Es wird nicht gleich an den Hals gehen,' sagte der Bruder Lustig, 'gebt mir nur die Schlüssel und brav Essen und Trinken mit.' Nun gab ihm der Wirt die Schlüssel und Essen und Trinken, und damit ging der Bruder Lustig ins Schloß, ließ sichs gut schmecken, und als er endlich schläfrig wurde, legte er sich auf die Erde, denn es war kein Bett da. Er schlief auch bald ein, in der Nacht aber wurde er von einem großen Lärm aufgeweckt, und wie er sich ermunterte, sah er neun häßliche Teufel in dem Zimmer, die hatten einen Kreis um ihn gemacht und tanzten um ihn herum. Sprach der Bruder Lustig 'nun tanzt, solang ihr wollt, aber komm mir keiner zu nah.' Die Teufel aber drangen immer näher auf ihn ein und traten ihm mit ihren garstigen Füßen fast ins Gesicht. 'Habt Ruh, ihr Teufelsgespenster,' sprach er, aber sie triebens immer ärger. Da ward der Bruder Lustig bös und rief 'holla, ich will bald Ruhe stiften!, kriegte ein Stuhlbein und schlug mitten hinein. Aber neun Teufel gegen einen Soldaten war doch zuviel, und wenn er auf den vordern zuschlug, so packten ihn die andern hinten bei den Haaren und rissen ihn erbärmlich. 'Teufelspack,' rief er, 'jetzt wird mirs zu arg: wartet aber! Alle neune in meinen Ranzen hinein!, husch, steckten sie darin, und nun schnallte er ihn zu und warf ihn in eine Ecke. Da wars auf einmal still, und Bruder Lustig legte sich wieder hin und schlief bis an den hellen Morgen. Nun kamen der Wirt und der Edelmann, dem das Schloß gehörte, und wollten sehen, wie es ihm ergangen wäre; als sie ihn gesund und munter erblickten, erstaunten sie und fragten 'haben Euch denn die Geister nichts getan?, 'Warum nicht gar,' antwortete Bruder Lustig, 'ich habe sie alle neune in meinem Ranzen. Ihr könnt Euer Schloß wieder ganz ruhig bewohnen, es wird von nun an keiner mehr darin umgehen!, Da dankte ihm der Edelmann, beschenkte ihn reichlich und bat ihn, in seinen Diensten zu bleiben, er wollte ihn auf sein Lebtag versorgen. 'Nein,' antwortete er, 'ich bin an das Herumwandern gewöhnt, ich will weiterziehen.' Da ging der Bruder Lustig fort, trat in eine Schmiede und legte den Ranzen, worin die neun Teufel waren, auf den Amboß, und bat den Schmied und seine Gesellen zuzuschlagen. Die schlugen mit ihren großen Hämmern aus allen Kräften zu, daß die Teufel ein erbärmliches Gekreisch erhoben. Wie er danach den Ranzen aufmachte, waren achte tot, einer aber, der in einer Falte gesessen hatte, war noch lebendig, schlüpfte heraus und fuhr wieder in die Hölle.
Darauf zog der Bruder Lustig noch lange in der Welt herum, und wers wüßte, könnte viel davon erzählen. Endlich aber wurde er alt und dachte an sein Ende, da ging er zu einem Einsiedler, der als ein frommer Mann bekannt war, und sprach zu ihm 'ich bin das Wandern müde und will nun trachten, in das Himmelreich zu kommen.' Der Einsiedler antwortete 'es gibt zwei Wege, der eine ist breit und angenehm und führt zur Hölle, der andere ist eng und rauh und führt zum Himmel.' 'Da müßt ich ein Narr sein,' dachte der Bruder Lustig, 'wenn ich den engen und rauhen Weg gehen sollte.' Machte sich auf und ging den breiten und angenehmen Weg, und kam endlich zu einem großen schwarzen Tor, und das war das Tor der Hölle. Bruder Lustig klopfte an, und der Torwächter guckte, wer da wäre. Wie er aber den Bruder Lustig sah, erschrak er, denn er war gerade der neunte Teufel, der mit in dem Ranzen gesteckt hatte und mit einem blauen Auge davongekommen war. Darum schob er den Riegel geschwind wieder vor, lief zum Obersten der Teufel und sprach 'draußen ist ein Kerl mit einem Ranzen und will herein, aber laßt ihn beileibe nicht herein, er wünscht sonst die ganze Hölle in seinen Ranzen. Er hat mich einmal garstig darin hämmern lassen.' Also ward dem Bruder Lustig hinausgerufen, er sollte wieder abgehen, er käme nicht herein. 'Wenn sie mich da nicht wollen,' dachte er, 'will ich sehen, ob ich im Himmel ein Unterkommen finde, irgendwo muß ich doch bleiben.' Kehrte also um und zog weiter, bis er vor das Himmelstor kam, wo er auch anklopfte. Der heilige Petrus saß gerade dabei als Torwächter: Der Bruder Lustig erkannte ihn gleich und dachte 'hier findest du einen alten Freund, da wirds besser gehen.' Aber der heilige Petrus sprach 'ich glaube gar, du willst in den Himmel?, 'Laß mich doch ein, Bruder, ich muß doch wo einkehren; hätten sie mich in der Hölle aufgenommen, so wär ich nicht hierher gegangen.' 'Nein,' sagte der heilige Petrus, 'du kommst nicht herein.' 'Nun, willst du mich nicht einlassen, so nimm auch deinen Ranzen wieder: dann will ich gar nichts von dir haben,' sprach der Bruder Lustig. 'So gib ihn her,' sagte der heilige Petrus. Da reichte er den Ranzen durchs Gitter in den Himmel hinein, und der heilige Petrus nahm ihn und hing ihn neben seinen Sessel auf. Da sprach der Bruder Lustig 'nun wünsch ich mich selbst in meinen Ranzen hinein.' Husch, war er darin, und saß nun im Himmel, und der heilige Petrus mußte ihn darin lassen.

 

Daumerlings Wanderschaft

Ein Schneider hatte einen Sohn, der war klein geraten und nicht größer als ein Daumen, darum hieß er auch der Daumerling. Er hatte aber Courage im Leibe und sagte zu seinem Vater "Vater, ich soll und muß in die Welt hinaus." "Recht, mein Sohn," sprach der Alte, nahm eine lange Stopfnadel und machte am Licht einen Knoten von Siegellack daran, "da hast du auch einen Degen mit auf den Weg." Nun wollte das Schneiderlein noch einmal mitessen und hüpfte in die Küche, um zu sehen, was die Frau Mutter zu guter Letzt gekocht hätte. Es war aber eben angerichtet, und die Schüssel stand auf dem Herd. Da sprach es "Frau Mutter, was gibts heute zu essen?" "Sieh du selbst zu" sagte die Mutter. Da sprang Daumerling auf den Herd und guckte in die Schüssel: weil er aber den Hals zu weit hineinstreckte, faßte ihn der Dampf von der Speise und trieb ihn zum Schornstein hinaus. Eine Weile ritt er auf dem Dampf in der Luft herum, bis er endlich wieder auf die Erde herabsank. Nun war das Schneiderlein draußen in der weiten Welt, zog umher, ging auch bei einem Meister in die Arbeit, aber das Essen war ihm nicht gut genug. "Frau Meisterin, wenn sie uns kein besser Essen gibt," sagte Daumerling, "so gehe ich fort und schreibe morgen früh mit Kreide an ihre Haustüre: Kartoffel zu viel, Fleisch zu wenig, adies, Herr Kartoffelkönig." "Was willst du wohl, Grashüpfer?" sagte die Meisterin, ward bös, ergriff einen Lappen und wollte nach ihm schlagen: mein Schneiderlein kroch behende unter den Fingerhut, guckte unten hervor und streckte der Frau Meisterin die Zunge heraus. Sie hob den Fingerhut auf und wollte ihn packen, aber der kleine Daumerling hüpfte in die Lappen, und wie die Meisterin die Lappen auseinanderwarf und ihn suchte, machte er sich in den Tischritz. "He, he, Frau Meisterin," rief er und steckte den Kopf in die Höhe, und wenn sie zuschlagen wollte, sprang er in die Schublade hinunter. Endlich aber erwischte sie ihn doch und jagte ihn zum Haus hinaus.
Das Schneiderlein wanderte und kam in einen großen Wald, da begegnete ihm ein Haufen Räuber, die hatten vor, des Königs Schatz zu bestehlen. Als sie das Schneiderlein sahen, dachten sie 'so ein kleiner Kerl kann durch ein Schlüsselloch kriechen und uns als Dietrich dienen.' "Heda," rief einer, "du Riese Goliath, willst du mit zur Schatzkammer gehen? du kannst dich hineinschleichen und das Geld herauswerfen." Der Daumerling besann sich, endlich sagte er "ja, und ging mit zu der Schatzkammer. Da besah er die Türe oben und unten, ob kein Ritz darin wäre. Nicht lange, so entdeckte er einen, der breit genug war, um ihn einzulassen. Er wollte auch gleich hindurch, aber eine von den beiden Schildwachen, die vor der Tür standen, bemerkte ihn und sprach zu der andern "was kriecht da für eine häßliche Spinne? ich will sie tottreten." "Laß das arme Tier gehen," sagte die andere, "es hat dir ja nichts getan." Nun kam der Daumerling durch den Ritz glücklich in die Schatzkammer, öffnete das Fenster, unter welchem die Räuber standen, und warf ihnen einen Taler nach dem andern hinaus. Als das Schneiderlein in der besten Arbeit war, hörte es den König kommen, der seine Schatzkammer besehen wollte, und verkroch sich eilig. Der König merkte, daß viele harte Taler fehlten, konnte aber nicht begreifen, wer sie sollte gestohlen haben, da Schlösser und Riegel in gutem Zustand waren, und alles wohl verwahrt schien. Da ging er wieder fort und sprach zu den zwei Wachen "habt acht, es ist einer hinter dem Geld." Als der Daumerling nun seine Arbeit von neuem anfing, hörten sie das Geld drinnen sich regen und klingen klipp, klapp, klipp, klapp. Sie sprangen geschwind hinein und wollten den Dieb greifen. Aber das Schneiderlein, das sie kommen hörte, war noch geschwinder, sprang in eine Ecke und deckte einen Taler über sich, so daß nichts von ihm zu sehen war, dabei neckte es noch die Wachen und rief "hier bin ich." Die Wachen liefen dahin, wie sie aber ankamen, war es schon in eine andere Ecke unter einen Taler gehüpft und rief "he, hier bin ich." Die Wachen sprangen eilends herbei, Daumerling war aber längst in einer dritten Ecke und rief "he, hier bin ich." Und so hatte es sie zu Narren und trieb sie so lange in der Schatzkammer herum, bis sie müde waren und davongingen. Nun warf es die Taler nach und nach alle hinaus: den letzten schnellte es mit aller Macht, hüpfte dann selber noch behendiglich darauf und flog mit ihm durchs Fenster hinab. Die Räuber machten ihm große Lobsprüche, "du bist ein gewaltiger Held," sagten sie, "willst du unser Hauptmann werden?" Daumerling bedankte sich aber und sagte, er wollte erst die Welt sehen. Sie teilten nun die Beute, das Schneiderlein aber verlangte nur einen Kreuzer, weil es nicht mehr tragen konnte.
Darauf schnallte es seinen Degen wieder um den Leib, sagte den Räubern guten Tag und nahm den Weg zwischen die Beine. Es ging bei einigen Meistern in Arbeit, aber sie wollte ihm nicht schmecken, endlich verdingte es sich als Hausknecht in einem Gasthof. Die Mägde aber konnten es nicht leiden, denn ohne daß sie ihn sehen konnten, sah er alles, was sie heimlich taten, und gab bei der Herrschaft an, was sie sich von den Tellern genommen und aus dem Keller für sich weggeholt hatten. Da sprachen sie "wart, wir wollen dirs eintränken," und verabredeten untereinander, ihm einen Schabernack anzutun. Als die eine Magd bald hernach im Garten mähte, und den Daumerling da herumspringen und an den Kräutern auf- und abkriechen sah, mähte sie ihn mit dem Gras schnell zusammen, band alles in ein großes Tuch und warf es heimlich den Kühen vor. Nun war eine große schwarze darunter, die schluckte ihn mit hinab, ohne ihm weh zu tun. Unten gefiels ihm aber schlecht, denn es war da ganz finster und brannte auch kein Licht. Als die Kuh gemelkt wurde, da rief er "strip, strap, stroll, ist der Eimer bald voll?"
Doch bei dem Geräusch des Melkens wurde er nicht verstanden. Hernach trat der Hausherr in den Stall und sprach "morgen soll die Kuh da geschlachtet werden." Da war dem Daumerling angst, daß er mit heller Stimme rief "laßt mich erst heraus, ich sitze ja drin." Der Herr hörte das wohl, wußte aber nicht, wo die Stimme herkam. "Wo bist du?" fragte er. "In der schwarzen," antwortete er, aber der Herr verstand nicht, was das heißen sollte, und ging fort.
Am andern Morgen ward die Kuh geschlachtet. Glücklicherweise traf bei dem Zerhacken und Zerlegen den Daumerling kein Hieb, aber er geriet unter das Wurstfleisch. Wie nun der Metzger herbeitrat und seine Arbeit anfing, schrie er aus Leibeskräften "hackt nicht zu tief, hackt nicht zu tief, ich stecke ja drunter." Von dem Lärmen der Hackmesser hörte das kein Mensch. Nun hatte der arme Daumerling seine Not" aber die Not macht Beine, und da sprang er so behend zwischen den Hackmessern durch, daß ihn keins anrührte und er mit heiler Haut davonkam. Aber entspringen konnte er auch nicht: es war keine andere Auskunft, er mußte sich mit den Speckbrocken in eine Blutwurst hinunterstopfen lassen. Da war das Quartier etwas enge, und dazu ward er noch in den Schornstein zum Räuchern aufgehängt, wo ihm Zeit und Weile gewaltig lang wurde. Endlich im Winter wurde er heruntergeholt. weil die Wurst einem Gast sollte vorgesetzt werden. Als nun die Frau Wirtin die Wurst in Scheiben schnitt, nahm er sich in acht, daß er den Kopf nicht zu weit vorstreckte, damit ihm nicht etwa der Hals mit abgeschnitten würde: endlich ersah er seinen Vorteil, machte sich Luft und sprang heraus.
In dem Hause aber, wo es ihm so übel ergangen war, wollte das Schneiderlein nicht Iänger mehr bleiben, sondern begab sich gleich wieder auf die Wanderung. Doch seine Freiheit dauerte nicht lange. Auf dem offenen Feld kam es einem Fuchs in den Weg, der schnappte es in Gedanken auf. "Ei, Herr Fuchs," riefs Schneiderlein, "ich bins ja, der in Eurem Hals steckt, laßt mich wieder frei." "Du hast recht," antwortete der Fuchs" "an dir habe ich doch so viel als nichts; versprichst du mir die Hühner in deines Vaters Hof, so will ich dich loslassen." "Von Herzen gern," antwortete der Daumerling, "die Hühner sollst du alle haben, das gelobe ich dir." Da ließ ihn der Fuchs wieder los und trug ihn selber heim. Als der Vater sein liebes Söhnlein wiedersah, gab er dem Fuchs gern alle die Hühner, die er hatte. "Dafür bring ich dir auch ein schön Stück Geld mit," sprach der Daumerling und reichte ihm den Kreuzer, den er auf seiner Wanderschaft erworben hatte.
"Warum hat aber der Fuchs die armen Piephühner zu fressen kriegt?" "Ei, du Narr, deinem Vater wird ja wohl sein Kind lieber sein als die Hühner auf dem Hof."

 

Daumesdick

Es war ein armer Bauersmann, der saß Abends beim Herd und schürte das Feuer, und die Frau saß und spann. Da sprach er "wie ists so traurig, daß wir keine Kinder haben! es ist so still bei uns, und in den andern Häusern gehts so laut und lustig her". "Ja", antwortete die Frau und seufzte, "wenns nur ein einziges wäre, und wenns auch ganz klein wäre, nur Daumes groß, so wollt ich schon zufrieden sein; wir hättens doch von Herzen lieb." Nun geschah es, daß die Frau kränklich ward und nach sieben Monaten ein Kind gebar, das zwar an allen Gliedern vollkommen, aber nicht länger als ein Daumen war. Da sprachen sie "es ist, wie wir es gewünscht haben, und es soll unser liebes Kind sein", und nannten es nach seiner Gestalt Daumesdick. Sie ließens nicht an Nahrung fehlen, aber das Kind ward nicht größer, sondern blieb, wie es in der ersten Stunde gewesen war; doch schaute es verständig aus den Augen und zeigte sich bald als ein kluges und behendes Ding, dem alles glückte, was es anfieng.
Der Bauer machte sich einmal fertig in den Wald zu gehen und Holz zu fällen; da sprach er so vor sich hin "nun wollt ich, daß einer da wäre, der mir den Wagen nach brächte". "O Vater", rief Daumesdick, "den Wagen will ich schon bringen, verlaßt euch drauf, er soll zur bestimmten Zeit im Walde sein." Da lachte der Mann und sprach "wie sollte das zugehen, du bist viel zu klein, um das Pferd mit dem Zügel zu leiten". "Das thut nichts, Vater, wenn nur die Mutter anspannen will, ich setze mich dem Pferd ins Ohr und rufe ihm zu, wie es gehen soll." "Nun", antwortete der Vater, "einmal wollen wirs versuchen." Als die Stunde kam, spannte die Mutter an und setzte den Daumesdick dem Pferd ins Ohr: da rief der Kleine, wie das Pferd gehen sollte, "jüh und joh! hott und har!" Da ging es ganz ordentlich als wie bei einem Meister, und der Wagen fuhr den rechten Weg nach dem Walde. Es trug sich zu, als er eben um eine Ecke bog, und der Kleine "har, har!" rief, daß zwei fremde Männer daher kamen. "Mein", sprach der eine, "was ist das? da fährt ein Wagen, und ein Fuhrmann ruft dem Pferde zu und ist doch nicht zu sehen." "Das geht nicht mit rechten Dingen zu", sagte der andere, "wir wollen dem Karren folgen und sehen, wo er anhält." Der Wagen aber fuhr vollends in den Wald hinein und richtig zu dem Platze, wo das Holz gehauen ward. Als Daumesdick seinen Vater erblickte, rief er ihm zu "siehst du, Vater, da bin ich mit dem Wagen, nun hol mich herunter". Der Vater faßte das Pferd mit der linken und holte mit der rechten sein Söhnlein aus dem Ohr, das sich ganz lustig auf einen Strohhalm niedersetzte. Als die beiden fremden Männer den Daumesdick erblickten, wußten sie nicht, was sie vor Verwunderung sagen sollten. Da nahm der eine den andern beiseit und sprach "hör, der kleine Kerl könnte unser Glück machen, wenn wir ihn in einer großen Stadt für Geld sehen ließen: wir wollen ihn kaufen". Sie giengen zu dem Bauer und sprachen "verkauft uns den kleinen Mann, er solls gut bei uns haben". "Nein", antwortete der Vater, "es ist mein Herzblatt und ist mir für alles Gold in der Welt nicht feil." Daumesdick aber, als er von dem Handel hörte, kroch an den Rockfalten seines Vaters hinauf, stellte sich ihm auf die Schulter und sagte ihm ins Ohr "Vater, gib mich nur hin, ich will schon wieder zu dir kommen". Da gab ihn der Vater für ein schones Stück Geld den beiden Männern hin.
"Wo willst du sitzen?" sprachen sie zu ihm. "Ach, setzt mich nur auf den Rand von eurem Hut, da kann ich auf und ab spazieren und die Gegend betrachten und falle doch nicht herunter." Sie thaten ihm den Willen, und als Daumesdick Abschied von seinem Vater genommen hatte, machten sie sich mit ihm fort. So giengen sie, bis es dämmerig ward, da sprach der Kleine "hebt mich einmal herunter, es ist nöthig". "Bleib nur droben", sprach der Mann, auf dessen Kopf er saß, "ich will mir nichts draus machen, die Vögel lassen mir auch manchmal was drauf fallen." "Nein", sprach Daumesdick, "ich weiß auch, was sich schickt: hebt mich nur geschwind herab." Der Mann nahm den Hut ab und setzte den Kleinen auf einen Acker am Weg, da sprang und kroch er ein wenig zwischen den Schollen hin und her und schlüpfte dann auf einmal in ein Mausloch das er sich ausgesucht hatte. "Guten Abend ihr Herren, geht nur ohne mich heim", rief er ihnen zu und lachte sie aus. Sie liefen herbei und stachen mit Stöcken in das Mausloch, aber das war vergebliche Mühe, Daumesdick kroch immer weiter zurück; und da es bald ganz dunkel ward, so mußten sie mit Aerger und mit leerem Beutel wieder heim wandern. Als Daumesdick merkte, daß sie fort waren, kroc h er aus dem unterirdischen Gang wieder hervor. "Es ist hier auf dem Acker in der Finsterniß so gefährlich gehen", sprach er, "wie leicht bricht einer Hals und Bein!" Zum Glück stieß er an ein leeres Schneckenhaus. "Gottlob", sagte er, "da kann ich die Nacht sicher zubringen", und setzte sich hinein.
Nicht lang, als er eben einschlafen wollte, so hörte er zwei Männer vorüber gehen, davon sprach der eine "wie wirs nur anfangen, um dem reichen Pfarrer sein Geld und sein Silber zu holen?" "Das könnt ich dir sagen", rief Daumesdick dazwischen. "Was war das?" sprach der eine Dieb erschrocken, "ich hörte jemand sprechen." Sie blieben stehen und horchten, da sprach Daumesdick wieder "nehmt mich mit, so will ich euch helfen". "Wo bist du denn?" "Suchet nur hier auf der Erde und merkt, wo die Stimme herkommt", antwortete er. Da fanden ihn endlich die Diebe und hoben ihn in die Höhe. "Du kleiner Wicht, was willst du uns helfen!" sprachen sie. "Seht", antwortete er, "ich krieche zwischen den Eisenstäben in die Kammer des Pfarrers hinein und reiche euch heraus, was ihr haben wollt." "Wohlan", sagten sie, "wir wollen sehen, was du kannst." Als sie bei dem Pfarrhaus kamen, kroch Daumesdick in die Kammer, schrie aber gleich aus Leibeskräften "wollt ihr alles haben, was hier ist?" Die Diebe erschraken und sagten "so sprich doch leise, damit niemand aufwacht". Aber Daumesdick that, als hätte er sie nicht verstanden und schrie von neuem "was wollt ihr? wollt ihr alles haben, was hier ist?" Das hörte die Köchin, die in der Stube daran schlief, richtete sich im Bette auf und horchte. Die Diebe aber waren vor Schrecken ein Stück Wegs zurückgelaufen, endlich faßten sie wieder Muth, dachten "der kleine Kerl will uns necken", kamen zurück und flüsterten ihm hinein "nun mach Ernst und reich uns etwas heraus". Da schrie Daumesdick noch einmal, so laut er konnte, "ich will euch ja alles geben, reicht nur die Hände herein".
Das hörte die horchende Magd ganz deutlich, sprang aus dem Bett und stolperte zur Thür herein. Die Diebe liefen fort und rannten, als wäre der wilde Jäger hinter ihnen: die Magd aber, als sie nichts bemerken konnte, gieng ein Licht anzuzünden. Wie sie damit herbei kam, machte sich Daumesdick, ohne daß er gesehen wurde, hinaus in die Scheune: die Magd aber, nachdem sie alle Winkel durchgesucht und nichts gefunden hatte, legte sich endlich wieder zu Bett und glaubte, sie hätte mit offenen Augen und Ohren doch nur geträumt. Daumesdick war in den Heuhälmchen herumgeklettert und hatte einen schönen Platz zum Schlafen gefunden: da wollte er sich ausruhen, bis es Tag wäre, und dann zu seinen Eltern wieder heim gehen. Aber er mußte andere Dinge erfahren! ja, es gibt viel Trübsal und Noth auf der Welt!
Die Magd stieg, wie gewöhnlich, als der Tag graute, schon aus dem Bett und wollte das Vieh füttern. Ihr erster Gang war in die Scheune, wo sie einen Arm voll Heu packte und gerade dasjenige, worin der arme Daumesdick lag und schlief. Er schlief aber so fest, daß er nichts gewahr ward, auch nicht eher aufwachte als bis er in dem Maul der Kuh war, die ihn mit dem Heu aufgerafft hatte. "Ach Gott", rief er, "wie bin ich in die Walkmühle gerathen!" merkte aber bald, wo er war. Da hieß es aufpassen, daß er nicht zwischen die Zähne kam und zermalmt ward, aber er mußte doch mit in den Magen hinabrutschen. "In dem Stübchen sind die Fenster vergessen", sprach er, "und scheint keine Sonne hinein: ein Licht wird gar nicht zu haben sein!"
Ueberhaupt gefiel ihm das Quartier schlecht, und was das schlimmste war, es kam immer mehr neues Heu zur Thür herein und der Platz ward immer enger. Da rief er endlich in der Angst, so laut er konnte, "bringt mir kein frisch Futter mehr, bringt mir kein frisch Futter mehr". Die Magd melkte gerade die Kuh, und als sie sprechen hörte, ohne jemand zu sehen, und es dieselbe Stimme war, die sie auch in der Nacht gehört hatte, erschrak sie so, daß sie von ihrem Stühlchen herab glitschte und die Milch verschüttete. Sie lief in der größten Hast zu ihrem Herrn und rief "ach Gott, Herr Pfarrer, die Kuh hat geredet". "Du bist verrückt", antwortete der Pfarrer, gieng aber doch selbst in den Stall nachzusehen, was vor wäre. Aber kaum hatte er den Fuß hineingesetzt, so rief Daumesdick eben aufs neue "bringt mir kein frisch Futter mehr, bringt mir kein frisch Futter mehr". Da erschrak der Pfarrer selbst, meinte, es wäre ein böser Geist und hieß die Kuh tödten. Nun ward sie geschlachtet, der Magen aber worin Daumesdick steckte, ward auf den Mist geworfen. Daumesdick suchte sich hindurch zu arbeiten, und hatte große Mühe damit, doch endlich brachte er es so weit, daß er Platz bekam, aber, als er eben sein Haupt herausstrecken wollte, kam ein neues Unglück. Ein hungriger Wolf sprang vorbei und verschlang den ganzen Magen mit einem Schluck.
Daumesdick verlor den Muth nicht, "vielleicht", dachte er, "läßt der Wolf mit sich reden", und rief ihm aus dem Wanste zu "lieber Wolf, ich weiß dir einen herrlichen Fraß". "Wo ist der zu holen?" sprach der Wolf. "In dem und dem Haus, da mußt du durch die Gosse hinein kriechen und wirst Kuchen, Speck und Wurst finden, so viel du essen willst", und beschrieb ihm genau seines Vaters Haus. Der Wolf ließ sich das nicht zweimal sagen, drängte sich in der Nacht zur Gosse hinein und fraß in der Vorrathskammer nach Herzenslust. Als er satt war, wollte er wieder fort, aber er war so dick geworden, daß er denselben Weg nicht wieder hinaus konnte. Darauf hatte Daumesdick gerechnet und fieng nun an in dem Leib des Wolfs einen gewaltigen Lärmen zu machen, tobte und schrie, was er konnte. "Willst du stille sein", sprach der Wolf, "du weckst die Leute auf." "Ei was", antwortete der Kleine, "du hast dich satt gefressen, ich will mich auch lustig machen", und fieng von neuem an aus allen Kräften zu schreien.
Davon erwachte endlich sein Vater und seine Mutter, liefen an die Kammer und schauten durch die Spalte hinein. Wie sie sahen, daß ein Wolf darin hauste, liefen sie davon, und der Mann holte die Axt, und die Frau die Sense. "Bleib dahinten", sprach der Mann, als sie in die Kammer traten, "wenn ich ihm einen Schlag gegeben habe und er davon noch nicht todt ist, so mußt du auf ihn einhauen und ihm den Leib zerschneiden." Da hörte Daumesdick die Stimme seines Vaters und rief "lieber Vater, ich bin hier, ich stecke im Leibe des Wolfs". Sprach der Vater voll Freuden "gottlob, unser liebes Kind hat sich wieder gefunden", und hieß der Frau die Sense wegthun, damit Daumesdick nicht beschädigt würde. Danach holte er aus und schlug dem Wolf einen Schlag auf den Kopf, daß er todt niederstürzte: dann suchten sie Messer und Scheere, schnitten ihm den Leib auf und zogen den Kleinen wieder hervor. "Ach", sprach der Vater, "was haben wir für Sorge um dich ausgestanden!" "Ja, Vater, ich bin viel in der Welt herumgekommen; gottlob, daß ich wieder frische Luft schöpfe." "Wo bist du denn all gewesen?" "Ach Vater, ich war in einem Mauseloch, in einer Kuh Bauch und in eines Wolfes Wanst: nun bleib ich bei euch." "Und wir verkaufen dich um alle Reichthümer der Welt nicht wieder." Da herzten und küßten sie ihren lieben Daumesdick, gaben ihm zu essen und trinken und ließen ihm neue Kleider machen, denn die seinigen waren ihm auf der Reise verdorben.

 

Die Rabe

Es war einmal eine Königin, die hatte ein Töchterchen, das war noch klein und mußte noch auf dem Arm getragen werden. Zu einer Zeit war das Kind unartig, und die Mutter mochte sagen, was sie wollte, es hielt nicht Ruhe. Da ward sie ungeduldig, und weil die Raben so um das Schloß herumflogen, öffnete sie das Fenster und sagte: "Ich wollte, du wärst ein Rabe und flögst fort, so hätt' ich Ruhe." Kaum hatte sie das Wort gesagt, so war das Kind in eine Rabe verwandelt und flog zum Fenster hinaus. Sie flog in einen dunklen Wald und blieb lange Zeit darin, und die Eltern hörten nichts von ihr. Danach führte einmal einen Mann sein Weg in diesen Wald, der hörte die Rabe rufen und ging der Stimme nach, und als er näher kam, sprach die Rabe: Ich bin eine Königstochter von Geburt und bin verwünscht worden, du aber kannst mich erlösen." "Was soll ich tun?" fragte er. Sie sagte: "Geh weiter in den Wald, und du wirst ein Haus finden, darin sitzt eine alte Frau, die wird dir Essen und Trinken reichen, aber du darfst nichts nehmen, sonst verfällst du in einen Schlaf und kannst mich nicht erlösen. Im Garten hinter dem Haus ist eine große Lohhucke, darauf sollst du stehen und mich erwarten. Drei Tage lang komm' ich jeden Mittag um zwei Uhr zu dir in einem Wagen, der ist erst mit vier weißen Hengsten bespannt, dann mit vier roten und zuletzt mit vier schwarzen, wenn du aber nicht wach bist, sondern schläfst, so werde ich nicht erlöst." Der Mann versprach, alles zu tun, was sie verlangt hatte. Die Rabe aber sagte: "Ach, ich weiß es schon, du wirst mich nicht erlösen, du nimmst etwas von der Frau." Da versprach der Mann noch einmal, er wollte gewiß nichts anrühren, weder von dem Essen noch von dem Trinken.
Wie er aber in das Haus kam, trat die alte Frau zu ihm und sagte: "Armer Mann, was seid Ihr abgemattet, kommt und erquickt Euch, esset und trinket." "Nein", sagte der Mann, "ich will nicht essen und nicht trinken." Sie ließ ihm aber keine Ruhe und sprach: "Wenn Ihr dann nicht essen wollt, so tut einen Zug aus dem Glas, einmal ist keinmal." Da ließ er sich überreden und trank. Nachmittags gegen zwei Uhr ging er hinaus in den Garten auf die Lohhucke und wollte auf die Rabe warten. Wie er dastand, ward er auf einmal so müde und konnte es nicht überwinden und legte sich ein wenig nieder, doch wollte er nicht einschlafen. Aber kaum hatte er sich hingestreckt, so fielen ihm die Augen von selber zu, und er schlief ein und schlief so fest, daß ihn nichts auf der Welt hätte erwecken können. Um zwei Uhr kam die Rabe mit vier weißen Hengsten gefahren, aber sie war schon in voller Trauer und sprach: "Ich weiß, daß er schläft." Und als sie in den Garten kam, lag er auch da auf der Lohhucke und schlief. Sie stieg aus dem Wagen, ging zu ihm und schüttelte ihn und rief ihn an, aber er erwachte nicht. Am andern Tag zur Mittagszeit kam die alte Frau wieder und brachte ihm Essen und Trinken, aber er wollte es nicht annehmen. Doch sie ließ ihm keine Ruhe und redete ihm so lange zu, bis er wieder einen Zug aus dem Glase tat. Gegen zwei Uhr ging er in den Garten auf die Lohhucke und wollte auf die Rabe warten, da empfand er auf einmal so große Müdigkeit, daß seine Glieder ihn nicht mehr hielten. Er konnte sich nicht helfen, mußte sich legen und fiel in tiefen Schlaf. Als die Rabe daherfuhr mit vier braunen Hengsten, war sie schon in voller Trauer und sagte:
"Ich weiß, daß er schläft." Sie ging zu ihm hin, aber er lag da und war nicht zu erwecken. Am andern Tag sagte die alte Frau, was das wäre? Er äße und tränke nichts; ob er sterben wollte? Er antwortete: "Ich will und darf nicht essen und trinken." Sie stellte aber die Schüssel mit Essen und das Glas mit Wein vor ihn hin, und als der Geruch davon zu ihm aufstieg, so konnte er nicht wiederstehen und tat einen starken Zug. Als die Zeit kam, ging er hinaus in den Garten auf die Lohhucke und wartete auf die Königstochter. Da ward er noch müder als die Tage vorher, legte sich nieder und schlief so fest, als wäre er ein Stein. Um zwei Uhr kam die Rabe und hatte vier schwarze Hengste, und die Kutsche und alles war schwarz. Sie war aber schon in voller Trauer und sprach: "Ich weiß, daß er schläft und mich nicht erlösen kann." Als sie zu ihm kam, lag er da und schlief fest. Sie rüttelte ihn und rief ihn, aber sie konnte ihn nicht aufwecken. Da legte sie ein Brot nehen ihn hin, dann ein Stück Fleisch, eine Flasche Wein, und er konnte von allem so viel nehmen, wie er wollte, es ward nicht weniger. Danach nahm sie einen goldenen Ring von ihrem Finger und steckte ihn an seinen Finger, ihr Name war darin eingegraben. Zuletzt legte sie einen Brief hin, darin stand, was sie ihm gegeben hatte und daß es nie alle würde, und es stand auch darin: "Ich sehe wohl, daß du mich hier nicht erlösen kannst, willst du mich aber noch erlösen, so komm nach dem goldenen Schloß von Stromberg, es steht in deiner Macht, das weiß ich gewiß. " Und wie sie ihm das alles gegeben hatte, setzte sie sich in ihren Wagen und fuhr in das goldene Schloß von Stromberg.
Als der Mann aufwachte und sah, daß er geschlafen hatte, ward er von Herzen traurig und sprach: "Gewiß, nun ist sie vorbeigefahren, und ich habe sie nicht erlöst. " Da fielen ihm die Dinge in die Augen, die neben ihm lagen, und er las den Brief. Also machte er sich auf und ging fort und wollte nach dem goldenen Schloß von Stromberg, aber er wußte nicht, wo es lag. Nun war er schon lange in der Welt herumgegangen, da kam er in einen dunklen Wald und ging vierzehn Tage darin fort und konnte sich nicht herausfinden. Da ward es wieder Abend, und er war so müde, daß er sich an einen Busch legte und einschlief.
Am andern Tag ging er weiter, und abends, als er sich wieder an einen Busch legen wollte, hörte er ein Heulen und Jammern, daß er nicht einschlafen konnte. Und wie die Zeit kam, wo die Leute Lichter anstecken, sah er eins schimmern, machte sich auf und ging ihm nach; da kam er vor ein Haus, das schien so klein; denn es stand ein großer Riese davor. Da dachte er bei sich: ,Gehst du hinein und der Riese erblickt dich, so ist es leicht um dein Leben geschehen.' Endlich wagte er es und trat heran. Als der Riese ihn sah, sprach er: "Es ist gut, daß du kommst, ich habe lange nichts gegessen, ich will dich gleich zum Abendbrot verschlucken." "Laß das lieber sein", sprach der Mann, "ich lasse mich nicht gerne verschlucken; verlangst du zu essen, so habe ich genug, um dich satt zu machen.'' "Wenn das wahr ist'', sagte der Riese, "so kannst du ruhig bleiben; ich wollte dich nur verzehren, weil ich nichts anderes habe." Da gingen sie und setzten sich an den Tisch, und der Mann holte Brot, Wein und Fleisch, das nicht alle ward. "Das gefällt mir wohl", sprach der Riese und aß nach Herzenslust. Danach sprach der Mann zu ihm: "Kannst du mir nicht sagen, wo das goldene Schloß von Stromberg ist?" Der Riese sagte: "Ich will auf meiner Landkarte nachsehen, darauf sind alle Städte, Dörfer und Häuser zu finden." Er holte die Landkarte, die er in der Stube hatte, und suchte das Schloß, aber es stand nicht darauf. "Es tut nichts", sprach er, "ich habe oben im Schranke noch größere Landkarten; darauf wollen wir suchen"; aber es war auch vergeblich. Der Mann wollte nun weitergehen; aber der Riese bat ihn, noch ein paar Tage zu warten, bis sein Bruder heimkäme, der wäre ausgegangen, Lebensmittel zu holen.
Als der Bruder heimkam, fragten sie nach dem Schloß von Stromberg, er antwortete: "Wenn ich gegessen habe und satt bin, dann will ich auf der Karte suchen." Er stieg dann mit ihnen auf seine Kammer, und sie suchten auf seiner Landkarte, konnten es aber nicht finden. Da holte er noch andere alte Karten, und sie ließen nicht ab, bis sie endlich das goldene Schloß von Stromberg fanden, aber es war viele tausend Meilen weit weg. "Wie werde ich nun dahin kommen?" fragte der Mann. Der Riese sprach: "Zwei Stunden hab' ich Zeit, da will ich dich bis in die Nähe tragen, dann aber muß ich wieder nach Haus und das Kind säugen, das wir haben." Da trug der Riese den Mann bis etwa hundert Stunden vom Schloß und sagte: "Den übrigen Weg kannst du wohl allein gehen." Dann kehrte er um, der Mann aber ging vorwärts Tag und Nacht, bis er endlich zu dem goldenen Schloß von Stromberg kam. Es stand aber auf einem gläsernen Berge, und die verwünschte Jungfrau fuhr in ihrem Wagen um das Schloß herum und ging dann hinein. Er freute sich, als er sie erblickte, und wollte zu ihr hinaufsteigen, aber wie er es auch anfing, er rutschte an dem Glas immer wieder herunter. Und er ward ganz betrübt und sprach zu sich selbst: "Ich will hier unten bleiben und auf sie warten." Also baute er sich eine Hütte und saß darin ein ganzes Jahr und sah die Königstochter alle Tage oben fahren, konnte aber nicht zu ihr hinaufkommen.
Da sah er einmal aus seiner Hütte, wie drei Räuber sich schlugen, und rief ihnen zu: "Gott sei mit euch!" Sie hielten bei dem Ruf inne, als sie aber niemand sahen, fingen sie wieder an, sich zu schlagen, und das war ganz gefährlich. Da rief er abermals: "Gott sei mit euch!" Sie hörten wieder auf, guckten sich um, weil sie aber niemand sahen, fuhren sie auch wieder fort, sich zu schlagen. Da rief er zum drittenmal: "Gott sei mit euch!" und dachte: ,Du mußt sehen, was die drei vorhaben', ging hin und fragte, warum sie aufeinander losschlügen. Da sagte der eine, er hätte einen Stock gefunden, wenn er damit wider eine Tür schlüge, so spränge sie auf; der andere sagte, er hätte einen Mantel gefunden, wenn er den umhinge, so wäre er unsichtbar; der dritte aber sprach, er hätte ein Pferd gefangen, damit könne er überall hinreisen, auch den gläsernen Berg hinauf. Nun wüßten sie nicht, ob sie das in Gemeinschaft behalten oder ob sie sich trennen sollten. Da sprach der Mann: "Die drei Sachen will ich euch eintauschen. Geld habe ich zwar nicht, aber andere Dinge, die mehr wert sind! Doch muß ich vorher eine Probe machen, ob ihr auch die Wahrheit gesagt habt." Da ließen sie ihn aufs Pferd sitzen, hingen ihm den Mantel um und gaben ihm den Stock in die Hand, und wie er das alles hatte, konnten sie ihn nicht mehr sehen. Da gab er ihnen tüchtige Schläge und rief: "Nun, ihr Bärenhäuter, da habt ihr, was euch gebührt, seid ihr zufrieden?''
Dann ritt er den Glasberg hinauf, und als er vor das Schloß kam, war es verschlossen. Da schlug er mit dem Stock an das Tor, und alsbald sprang es auf. Er trat ein und ging die Treppe hinauf bis oben in den Saal, da saß die Jungfrau und hatte einen goldenen Kelch mit Wein vor sich. Sie konnte ihn aber nicht sehen, weil er den Mantel umhatte Und als er vor sie kam, zog er den Ring, den sie ihm gegeben hatte, vom Finger und warf ihn in den Kelch. Da rief sie: "Das ist mein Ring, so muß auch der Mann da sein, der mich erlösen wird.'' Sie suchten im ganzen Schloß und fanden ihn nicht, er war aber hinausgegangen, hatte sich aufs Pferd gesetzt und den Mantel abgeworfen. Wie sie nun vor das Tor kamen, sahen sie ihn und schrien vor Freude. Da stieg er ab und nahm die Königstochter in den Arm; sie aber küßte ihn und sagte: "Jetzt hast du mich erlöst, und morgen wollen wir unsere Hochzeit feiern."

 

Doktor Allwissend

Es war einmal ein armer Bauer namens Krebs, der fuhr mit zwei Ochsen ein Fuder Holz in die Stadt und verkaufte es für zwei Taler an einen Doktor. Wie ihm nun das Geld ausbezahlt wurde, saß der Doktor gerade zu Tisch; da sah der Bauer, wie er schön aß und trank, und das Herz ging ihm danach auf, und er wäre auch gern ein Doktor gewesen. Also blieb er noch ein Weilchen stehen und fragte endlich, ob er nicht auch könnte ein Doktor werden. "O ja", sagte der Doktor, "das ist bald geschehen." "Was muß ich tun?" fragte der Bauer. "Erstlich kauf dir ein Abecebuch, so eins, wo vorn ein Gockelhahn drin ist; zweitens mache deinen Wagen und deine zwei Ochsen zu Geld und schaff dir damit Kleider an und was sonst zur Doktorei gehört; drittens laß dir ein Schild malen mit den Worten: ,Ich bin der Doktor Allwissend' und laß das oben über deine Haustür nageln!"
Der Bauer tat alles, wie's ihm geheißen war. Als er nun ein wenig gedoktert hatte, aber noch nicht viel, ward einem reichen, großen Herrn Geld gestohlen. Da ward ihm von dem Doktor Allwissend gesagt, der in dem und dem Dorfe wohnte und auch wissen müßte, wo das Geld hingekommen wäre. Also ließ der Herr seinen Wagen anspannen, fuhr hinaus ins Dorf und fragte bei ihm an, ob er der Doktor Allwissend wäre. Ja, der wär er. So sollte er mitgehen und das gestohlene Geld wieder schaffen. O ja, aber die Grete, seine Frau müßte auch mit. Der Herr war damit zufrieden und ließ sie beide in den Wagen sitzen, und sie fuhren zusammen fort.
Als sie auf den adligen Hof kamen, war der Tisch gedeckt; da sollte er erst mitessen. Ja, aber seine Frau, die Grete, auch, sagte er und setzte sich mit ihr hinter den Tisch. Wie nun der erste Bediente mit einer Schüssel schönem Essen kam, stieß der Bauer seine Frau an und sagte: "Grete, das war der erste", und meinte, es wäre derjenige, welcher das erste Essen brächte. Der Bediente aber meinte, er hätte damit sagen wollen: Das ist der erste Dieb; und weil er's nun wirklich war, ward ihm angst, und er sagte draußen zu seinen Kameraden: "Der Doktor weiß alles, wir kommen übel an; er hat gesagt, ich wäre der erste." Der zweite wollte gar nicht herein, er mußte aber doch. Wie er nun mit seiner Schüssel herein kam, stieß der Bauer seine Frau an: "Grete, das ist der zweite." Dem Bedienten ward ebenfalls angst, und er machte, daß er hinauskam. Dem dritten ging's nicht besser; der Bauer sagte wieder: "Grete, das ist der dritte." Der vierte mußte eine verdeckte Schüssel hereintragen, und der Herr sprach zum Doktor, er sollte seine Kunst zeigen und raten, was darunter läge; es waren aber Krebse. Der Bauer sah die Schüssel an, wußte nicht, wie er sich helfen sollte, und sprach: "Ach, ich armer Krebs!" Wie der Herr das hörte, rief er: "Da, er weiß es, nun weiß er auch, wer das Geld hat."
Dem Bedienten aber ward gewaltig angst, und er blinzelte den Doktor an, er möchte einmal herauskommen. Wie er nun hinauskam, gestanden sie ihm alle viere, sie hätten das Geld gestohlen; sie wollten's ja gerne herausgeben und ihm eine schwere Summe dazu, wenn er sie nicht verraten wollte; es ginge ihnen sonst an den Hals. Sie führten ihn auch hin, wo das Geld versteckt lag. Damit war der Doktor zufrieden, ging wieder hinein, setzte sich an den Tisch und sprach: "Herr, nun will ich in meinem Buch suchen, wo das Geld steckt." Der fünfte Bediente aber kroch in den Ofen und wollte hören, ob der Doktor noch mehr wüßte. Der saß aber und schlug sein Abecebuch auf, blätterte hin und her und suchte den Gockelhahn. Weil er ihn nicht gleich finden konnte, sprach er: "Du bist doch darin und mußt auch heraus." Da glaubte der im Ofen, er wäre gemeint, sprang voller Schrecken heraus und rief: "Der Mann weiß alles." Nun zeigte der Doktor Allwissend dem Herrn, wo das Geld lag, sagte aber nicht, wer's gestohlen hatte, bekam von beiden Seiten viel Geld zur Belohnung und ward ein berühmter Mann.

 

Die drei Brüder

Es war ein Mann, der hatte drei Söhne und weiter nichts im Vermögen als das Haus, worin er wohnte. Nun hätte jeder gerne nach seinem Tode das Haus gehabt, dem Vater war aber einer so lieb wie der andere, da wußte er nicht, wie er's anfangen sollte, daß er keinem zu nahe trat; verkaufen wollte er das Haus auch nicht, weil's von seinen Voreltern war, sonst hätte er das Geld unter sie geteilt. Da fiel ihm endlich ein Rat ein, und er sprach zu seinen Söhnen: "Geht in die Welt und versucht euch, und lerne jeder sein Handwerk. Wer das beste Meisterstück macht, wenn ihr dann wiederkommt, der soll das Haus haben."
Da waren die Söhne zufrieden, und der älteste wollte ein Hufschmied, der zweite ein Barbier, der dritte aber ein Fechtmeister werden. Darauf bestimmten sie eine Zeit, wo sie wieder nach Haus zusammenkommen wollten, und zogen fort. Es traf sich auch, daß jeder einen tüchtigen Meister fand. Der Schmied mußte des Königs Pferde beschlagen und dachte: ,Nun kann dir's nicht fehlen, du kriegst das Haus.' Der Barbier rasierte lauter vornehme Herren und meinte auch, das Haus wäre schon sein. Der Fechtmeister kriegte manchen Hieb, biß aber die Zähne zusammen und ließ sich's nicht verdrießen; denn er dachte bei sich: ,Fürchtest du dich vor einem Hieb, so kriegst du das Haus nimmermehr.' Als.nun die gesetzte Zeit herum war, kamen sie bei ihrem Vater wieder zusammen. Sie wußten aber nicht, wie sie die beste Gelegenheit finden sollten, ihre Kunst zu zeigen, und ratschlagten. Wie sie so saßen, kam auf einmal ein Hase übers Feld dahergelaufen. "Ei"' sagte der Barbier, "der kommt wie gerufen" nahm Becher und Seife, schaumte so lange, bis der Hase in die Nähe kam, dann seifte er ihn in vollem Laufe ein und rasierte ihm auch in vollem Laufe ein Stutzbärtchen, und dabei schnitt er ihn nicht und tat ihm an keinem Haare weh. "Das gefällt mir", sagte der Vater, "wenn sich die andern nicht gewaltig angreifen, so ist das Haus dein." Es währte nicht lang, so kam ein Herr in einem Wagen dahergerennt in vollem Jagen. "Nun sollt Ihr sehen, Vater, was ich kann", sprach der Hufschmied, sprang dem Wagen nach, riß dem Pferd, das in einem fort jagte, die vier Hufeisen ab und schlug ihm vier neue wieder an. "Du bist ein ganzer Kerl", sprach der Vater, "du machst deine Sache so gut wie dein Bruder; ich weiß nicht, wem ich das Haus geben soll." Da sprach der dritte: "Vater, laßt mich auch einmal gewähren", und weil es anfing zu regnen, zog er seinen Degen und schwenkte ihn in Kreuzhieben über seinen Kopf, daß kein Tropfen auf ihn fiel; und als der Regen stärker ward und endlich so stark, als ob man mit Mulden vom Himmel gösse, schwang er den Degen immer schneller und blieb so trocken, als säß' er unter Dach und Fach. Wie der Vater das sah, erstaunte er und sprach: "Du hast das beste Meisterstück gemacht, das Haus ist dein."
Die beiden andern Brüder waren zufrieden, wie sie vorher gelobt hatten, und weil sie einander so lieb hatten, blieben sie alle drei zusammen im Haus und trieben ihr Handwerk; und da sie so gut ausgelemt hatten und so geschickt waren, verdienten sie viel Geld. So lebten sie vergnügt bis in ihr Alter zusammen, und als der eine krank ward und starb, grämten sich die zwei andern so sehr darüber, daß sie auch bald krank wurden und bald starben. Da wurden sie, weil sie sich so liebgehabt hatten, alle drei zusammen in ein Grab gelegt.

 

Die drei Federn

Es war einmal ein König, der hatte drei Söhne, davon waren zwei klug und gescheit, aber der dritte sprach nicht viel, war einfältig und hieß nur der Dummling. Als der König alt und schwach ward und an sein Ende dachte, wußte er nicht, welcher von seinen Söhnen nach ihm das Reich erben sollte. Da sprach er zu ihnen: "Ziehet aus, und wer mir den feinsten Teppich bringt, der soll nach meinem Tod König sein." Und damit es keinen Streit unter ihnen gab, führte er sie vor sein Schloß, blies drei Federn in die Luft und sprach: "Wie die fliegen, so sollt ihr ziehen." Die eine Feder flog nach Osten, die andere nach Westen, die dritte flog aber geradeaus und flog nicht weit, sondern fiel bald zur Erde. Nun ging der eine Bruder rechts, der andere ging links, und sie lachten den Dummling aus, der bei der dritten Feder da, wo sie niedergefallen war, bleiben mußte.
Der Dummling setzte sich nieder und war traurig. Da bemerkte er auf einmal, daß neben der Feder eine Falltür lag. Er hob sie in die Höhe, fand eine Treppe und stieg hinab. Da kam er vor eine andere Tür, klopfte an und hörte, wie es inwendig rief:
"Jungfer grün und klein,
Hutzelbein,
Hutzelbeins Hündchen,
Hutzel hin und her,
laß geschwind sehen, wer draußen wär'."
Die Tür tat sich auf, und er sah eine große, dicke Itsche (Kröte) sitzen und rings um sie eine Menge kleiner Itschen. Die dicke Itsche fragte, was sein Anliegen wäre. Er antwortete: "Ich hätte gerne den schönsten und feinsten Teppich." Da rief sie eine junge und sprach:
"Jungfer grün und klein,
Hutzelbein,
Hutzelbeins Hündchen,
Hutzel hin und her,
bring mir die große Schachtel her."
Die junge ltsche holte die Schachtel, und die dicke Itsche machte sie auf und gab dem Dummling einen Teppich daraus, so schön und so fein, wie oben auf der Erde keiner konnte gewebt werden. Da dankte er ihr und stieg wieder hinauf.
Die beiden andern hatten aber ihren jüngsten Bruder für so albern gehalten, daß sie glaubten, er würde garnichts finden und aufbringen. "Was sollen wir uns mit Suchen groß Mühe geben" sprachen sie, nahmen dem ersten besten Schäfersweib, das ihnen begegnete, die groben Tücher vom Leib und trugen sie dem König heim: Zu derselben Zeit kam auch der Dummling zurück und brachte seinen schönen Teppich, und als der König den sah, erstaunte er und sprach: "Wenn es dem Recht nach gehen soll, so gehört dem jüngsten das Königreich. Aber die zwei andern ließen dem Vater keine Ruhe und sprachen, unmöglich könnte der Dunimling König werden, und baten ihn, er möchte eine neue Bedingung machen. Da sagte der Vater: "Der soll das Reich erben, der mir den schönsten Ring bringt", führte die drei Brüder hinaus und blies drei Federn in die Luft, denen sie nachgehen sollten. Die zwei Ältesten zogen wieder nach Osten und Westen, und für den Dummling flog die Feder geradeaus und fiel neben der Erdtür nieder. Da stieg er wieder hinab zu der dicken Itsche und sagte ihr, daß er den schönsten Ring brauchte. Sie ließ sich gleich ihre große Schachtel holen und gab ihm daraus einen Ring, der glänzte von Edelsteinen und war so schön, daß ihn kein Goldschmied auf der Erde hätte machen können. Die zwei ältesten lachten über den Dummling, der einen goldenen Ring suchen wollte, gaben sich gar keine Mühe, sondern schlugen einem alten Wagenring die Nägel aus und brachten ihn dem König. Als aber der Dummling seinen goldenen Ring vorzeigte, so sprach der Vater abermals: "Ihm gehört das Reich." Die zwei ältesten ließen nicht ab, den König zu quälen, bis er noch eine dritte Bedingung machte und den Ausspruch tat, der sollte das Reich haben, der die schönste Frau heimbrächte. Die drei Federn blies er nochmals in die Luft, und sie flogen wie die vorigen Male.
Da ging der Dummling ohne weiteres hinab zu der dicken Itsche und sprach: "Ich soll die schönste Frau heimbringen." - "Ei", antwortete die Itsche, "die schönste Frau! Die ist nicht gleich zur Hand, aber du sollst sie doch haben." Sie gab ihm eine ausgehöhlte gelbe Rübe mit sechs Mäuschen bespannt. Da sprach der Dummling ganz traurig: "Was soll ich damit anfangen?" Die Itsche antwortete: "Setze nur eine von meinen kleinen Itschen hinein. " Da griff er auf Geratewohl eine aus dem Kreis und setzte sie in die gelbe Kutsche, aber kaum saß sie darin, so ward sie zu einem wunderschönen Fräulein, die Rübe zur Kutsche und die sechs Mäuschen zu Pferden. Da küßte er sie, jagte mit den Pferden davon und brachte sie zu dem König. Seine Brüder kamen nach, die hatten sich gar keine Mühe gegeben, eine schöne Frau zu suchen, sondern die ersten besten Bauernweiber mitgenommen. Als der König sie erblickte, sprach er: "Dem jüngsten gehört der Keich nach meinem Tod." Aber die zwei ältesten betäubten die Ohren des Königs aufs neue mit ihrem Geschrei: "Wir können's nicht zugeben, daß der Dummling König wird", und verlangten, der sollte den Vorzug haben, dessen Frau durch einen Ring springen könnte, der da mitten in dem Saal hing. Sie dachten: ,Die Bauernweiber können das wohl, die sind stark genug, aber das zarte Fräulein springt sich tot.' Der alte König gab das auch noch zu. Da sprangen die zwei Bauemweiber, sprangen auch durch den Ring, waren aber so plump, daß sie fielen und ihre groben Arme und Beine entzweibrachen. Darauf sprang das schöne Fräulein, das der Dummling mitgebracht hatte, und sprang so leicht hindurch wie ein Reh, und aller Widerspruch mußte aufhören. Also erhielt er die Krone und hat lange in Weisheit geherrscht.

 

Die drei Glückskinder

Ein Vater ließ einmal seine drei Söhne vor sich kommen und schenkte dem ersten einen Hahn, dem zweiten eine Sense, dem dritten eine Katze. 'Ich bin schon alt,' sagte er, 'und mein Tod ist nah, da wollte ich euch vor meinem Ende noch versorgen. Geld hab ich nicht, und was ich euch jetzt gebe, scheint wenig wert, es kommt aber bloß darauf an, daß ihr es verständig anwendet: sucht euch nur ein Land, wo dergleichen Dinge noch unbekannt sind, so ist euer Glück gemacht.'

Nach dem Tode des Vaters ging der äIteste mit seinem Hahn aus, wo er aber hinkam, war der Hahn schon bekannt: in den Städten sah er ihn schon von weitem auf den Türmen sitzen und sich mit dem Wind umdrehen, in den Dörfern hörte er mehr als einen krähen, und niemand wollte sich über das Tier wundern, so daß es nicht das Ansehen hatte, als würde er sein Glück damit machen. Endlich aber geriets ihm doch, daß er auf eine Insel kam, wo die Leute nichts von einem Hahn wußten, sogar ihre Zeit nicht einzuteilen verstanden. Sie wußten wohl, wenns Morgen oder Abend war, aber nachts, wenn sies nicht verschliefen, wußte sich keiner aus der Zeit herauszufinden. 'Seht,' sprach er, 'was für ein stolzes Tier, es hat eine rubinrote Krone auf dem Kopf, und trägt Sporn wie ein Ritter: es ruft euch des Nachts dreimal zu bestimmter Zeit an, und wenns das letztemal ruft, so geht die Sonne bald auf. Wenns aber bei hellem Tag ruft, so richtet euch darauf ein, dann gibts gewiß anderes Wetter.' Den Leuten gefiel das wohl, sie schliefen eine ganze Nacht nicht und hörten mit großer Freude, wie der Hahn um zwei, vier und sechs Uhr laut und vernehmlich die Zeit abrief. Sie fragten ihn, ob das Tier nicht feil wäre, und wieviel er dafür verlangte. 'Etwa so viel, als ein Esel Gold trägt,' antwortete er. 'Ein Spottgeld für ein so kostbares Tier,' riefen sie insgesamt und gaben ihm gerne, was er gefordert hatte.

Als er mit dem Reichtum heim kam, verwunderten sich seine Brüder, und der zweite sprach 'so will ich mich doch aufmachen und sehen, ob ich meine Sense auch so gut losschlagen kann.' Es hatte aber nicht das Ansehen danach, denn überall begegneten ihm Bauern und hatten so gut eine Sense auf der Schulter als er. Doch zuletzt glückte es ihm auch auf einer Insel, wo die Leute nichts von einer Sense wußten. Wenn dort das Korn reif war, so fuhren sie Kanonen vor den Feldern auf, und schossens herunter. Das war nun ein ungewisses Ding, mancher schoß darüber hinaus, ein anderer traf statt des Halms die Ähren und schoß sie fort, dabei ging viel zugrund, und obendrein gabs einen lästerlichen Lärm. Da stellte sich der Mann hin und mähte es so still und so geschwind nieder, daß die Leute Maul und Nase vor Verwunderung aufsperrten. Sie waren willig, ihm dafür zu geben, was er verlangte, und er bekam ein Pferd, dem war Gold aufgeladen, soviel es tragen konnte.

Nun wollte der dritte Bruder seine Katze auch an den rechten Mann bringen. Es ging ihm wie den andern, solange er auf dem festen Lande blieb, war nichts auszurichten, es gab allerorten Katzen, und waren ihrer so viel, daß die neugebornen Jungen meist im Wasser ersäuft wurden. Endlich ließ er sich auf eine Insel überschiffen, und es traf sich glücklicherweise, daß dort noch niemals eine gesehen war und doch die Mäuse so überhand genommen hatten, daß sie auf den Tischen und Bänken tanzten, der Hausherr mochte daheim sein oder nicht. Die Leute jammerten gewaltig über die Plage, der König selbst wußte sich in seinem Schlosse nicht dagegen zu retten: in allen Ecken pfiffen Mäuse und zernagten, was sie mit ihren Zähnen nur packen konnten. Da fing nun die Katze ihre Jagd an und hatte bald ein paar Säle gereinigt, und die Leute baten den König, das Wundertier für sein Reich zu kaufen. Der König gab gerne, was gefordert wurde, das war ein mit Gold beladener Maulesel, und der dritte Bruder kam mit den allergrößten Schätzen heim.

Die Katze machte sich in dem königlichen Schlosse mit den Mäusen eine rechte Lust und biß so viele tot, daß sie nicht mehr zu zählen waren. Endlich ward ihr von der Arbeit heiß und sie bekam Durst: da blieb sie stehen, drehte den Kopf in die Höhe und schrie 'miau, miau.' Der König samt allen seinen Leuten, als sie das seltsame Geschrei vernahmen, erschraken und liefen in ihrer Angst sämtlich zum Schloß hinaus. Unten hielt der König Rat, was zu tun das beste wäre; zuletzt ward beschlossen, einen Herold an die Katze abzuschicken und sie aufzufordern, das Schloß zu verlassen, oder zu gewärtigen, daß Gewalt gegen sie gebraucht würde. Die Räte sagten 'lieber wollen wir uns von den Mäusen plagen lassen, an das Übel sind wir gewöhnt, als unser Leben einem solchen Untier preisgeben.' Ein Edelknabe mußte hinaufgehen und die Katze fragen, ob sie das Schloß gutwillig räumen wollte. Die Katze aber, deren Durst nur noch größer geworden war, antwortete bloß 'miau, miau.' Der Edelknabe verstand 'durchaus, durchaus nicht,' und überbrachte dem König die Antwort. 'Nun,' sprachen die Räte, 'soll sie der Gewalt weichen.' Es wurden Kanonen aufgeführt und das Haus in Brand geschossen. Als das Feuer in den Saal kam, wo die Katze saß, sprang sie glücklich zum Fenster hinaus; die Belagerer hörten aber nicht eher auf, als bis das ganze Schloß in Grund und Boden geschossen war.

 

Die drei Sprachen

In der Schweiz lebte einmal ein alter Graf, der hatte nur einen einzigen Sohn, aber er war dumm und konnte nichts lernen. Da sprach der Vater:
"Hört' mein Sohn, ich bringe nichts in deinen Kopf, ich mag es anfangen, wie ich will. Du mußt fort von hier, ich will dich einem berühmten Meister übergeben, der soll es mit dir versuchen." Der Junge ward in eine fremde Stadt geschickt und blieb bei dem Meister ein ganzes Jahr. Nach Verlauf dieser Zeit. kam er wieder heim, und der Vater fragte: "Nun, mein Sohn, was hast du gelernt?" - "Vater, ich habe gelernt, was die Hunde bellen", antwortete er. "Daß Gott erbarm", rief der Vater aus, "ist das alles, was du gelernt hast? Ich will dich in eine andere Stadt zu einem andern Meister tun." Der Junge ward hingebracht und blieb bei diesem Meister auch ein Jahr. Als er zurückkam, fragte der Vater wiederum: "Mein Sohn, was hast du gelernt?" Er antwortete: "Vater, ich habe gelernt, was die Vögli sprechen." Da geriet der Vater in Zorn und sprach: "O du verlorner Mensch, hast die kostbare Zeit hingebracht und nichts gelernt und schämst dich nicht, mir unter die Augen zu treten? Ich will dich zu einem dritten Meister schicken, aber lernst du auch diesmal nichts, so will ich dein Vater nicht mehr sein." Der Sohn blieb bei dem dritten Meister ebenfalls ein ganzes Jahr, und als er wieder nach Haus kam und der Vater fragte: "Mein Sohn, was hast du gelernt?", so antwortete er: "Lieber Vater, ich habe dieses Jahr gelernt, was die Frösche quaken." Da geriet der Vater in den höchsten Zorn, sprang auf, rief seine Leute herbei und sprach: "Dieser Mensch ist mein Sohn nicht mehr, ich stoße ihn aus und gebiete euch, daß ihr ihn hinaus in den Wald führt und ihm das Leben nehmt." Sie führten ihn hinaus, aber als sie ihn töten sollten, konnten sie nicht vor Mitleiden und ließen ihn gehen. Sie schnitten einem Reh Augen und Zunge aus, damit sie dem Alten die Wahrzeichen bringen konnten.
Der Jüngling wanderte fort und kam nach einiger Zeit zu einer Burg, wo er um Nachtherberge bat. "Ja", sagte der Burgherr, "wenn du da unten in dem alten Turm übernachten willst, so gehe hin, aber ich warne dich, es ist lebensgefährlich; denn er ist voll wilder Hunde, die bellen und heulen in einem fort, und zu gewissen Stunden müssen sie einen Menschen ausgeliefert haben, den sie auch gleich verzehren." Die ganze Gegend war darüber in Trauer und Leid und konnte doch niemand helfen. Der Jüngling aber war ohne Furcht und sprach: "Laßt mich nur hinab zu den bellenden Hunden, und gebt mir etwas, das ich ihnen vorwerfen kann; mir sollen sie nichts tun." Weil er nun selber nicht anders wollte, so brachten sie ihn hinab zu dem Turm. Als er hineintrat, bellten ihn die Hunde nicht an, wedelten mit den Schwänzen ganz freundlich um ihn herum, fraßen, was er ihnen hinsetzte, und krümmten ihm kein Härchen. Am andern Morgen kam er zu jedermanns Erstaunen gesund und unversehrt wieder zum Vorschein und sagte zu dem Burgherrn: "Die Hunde haben mir in ihrer Sprache offenbart, warum sie da hausen und dem Lande Schaden bringen. Sie sind verwünscht und müssen einen großen Schatz hüten, der unten im Turme liegt, und kommen nicht eher zur Ruhe, als bis er gehoben ist, und wie dies geschehen muß, das habe ich ebenfalls aus ihren Reden vernommen." Da freuten sich alle, die das hörten, und der Burgherr sagte, er wollte ihn an Sohnes Statt annehmen, wenn er es glücklich vollbrächte. Er stieg wieder hinab, und weil er wußte, was er zu tun hatte, so vollführte er es und brachte eine mit Gold gefüllte Truhe herauf. Das Geheul der wilden Hunde ward von nun an nicht mehr gehört; sie waren verschwunden, und das Land war von der Plage befreit.
Über eine Zeit kam es ihm in den Sinn, er wollte nach Rom fahren. Auf dem Weg kam er an einem Sumpf vorbei, in welchem Frösche saßen und quakten. Er horchte auf, und als er vernahm, was sie sprachen, ward er ganz nachdenklich und traurig. Endlich langte er in Rom an; da war gerade der Papst gestorben und unter den Kardinälen großer Zweifel, wen sie zum Nachfolger bestimmen sollten. Sie wurden zuletzt einig, derjenige sollte zum Papst erwählt werden, an dem sich ein göttliches Wunderzeichen offenbaren würde. In demselben Augenblick trat der junge Graf in die Kirche, und plötzlich flogen zwei schneeweiße Tauben auf seine beiden Schultern und blieben da sitzen. Die Geistlichkeit erkannte darin das Zeichen Gottes und fragte ihn auf der Stelle, ob er Papst werden wolle. Er war unschlüssig und wußte nicht, ob er dessen würdig wäre, aber die Tauben redeten ihm zu, daß er es tun möchte, und endlich sagte er: "Ja." Da wurde er gesalbt und geweiht, und damit war eingetroffen, was er von den Fröschen unterwegs gehört und was ihn so bestürzt gemacht hatte, daß er der heilige Papst werden sollte. Darauf mußte er eine Messe singen und wußte kein Wort davon, aber die zwei Tauben saßen stets auf seinen Schultern und sagten ihm alles ins Ohr.

 

Das Eselein

Es lebten einmal ein König und eine Königin, die waren reich und hatten alles, was sie sich wünschten, nur keine Kinder. Darüber klagte die Königin Tag und Nacht und sprach: "Ich bin wie ein Acker, auf dem nichts wächst. "Endlich erfüllte Gott ihre Wünsche; als das Kind aber zur Welt kam, sah's nicht aus wie ein Menschenkind, sondern war ein junges Eselein. Wie die Mutter das erblickte, fing ihr Klagen erst recht an, sie hätte lieber gar kein Kind gehabt als einen Esel, und sagte, man sollt' ihn ins Wasser werfen, damit ihn die Fische fräßen. Der König aber sprach: "Nein, hat Gott ihn gegeben, soll er auch mein Sohn und Erbe sein und nach meinem Tod die königliche Krone tragen." Also ward das Eselein aufgezogen, nahm zu, und die Ohren wuchsen ihm auch fein hoch und gerad hinauf. Es war aber sonst fröhlicher Art, sprang herum, spielte und hatte besonders seine Lust an der Musik, so daß es zu einem berühmten Spielmann ging und sprach: "Lehre mich deine Kunst, daß ich so gut die Laute schlagen kann wie du." "Ach, liebes Herrlein", antwortete der Spielmann, "das sollt' Euch schwerfallen, Eure Finger sind allerdings nicht dazu gemacht und gar zu groß; ich sorge, die Saiten halten's nicht aus. Es half keine Ausrede, das Eselein wollte und mußte die Laute schlagen, war beharrlich und fleißig und lernte es am Ende so gut wie sein Meister selber. Einmal ging das junge Herrlein nachdenksam spazieren und kam an einen Brunnen, da schaute es hinein und sah im spiegelhellen Wasser seine Eseleinsgestalt. Darüber ward es so betrübt, daß es in die weite Welt ging und nur einen treuen Gesellen mitnahm. Sie zogen auf und ab, zuletzt kamen sie in ein Reich, wo ein alter König herrschte, der nur eine einzige, aber wunderschöne Tochter hatte. Das Eselein sagte: "Hier wollen wir weilen", klopfte ans Tor und rief: "Es ist ein Gast haußen, macht auf, damit er eingehen kann." Als aber nicht aufgetan ward, nahm es seine Laute und schlug sie mit seinen zwei Vorderfüßen aufs lieblichste. Da sperrte der Türhüter gewaltig die Augen auf, lief zum König und sprach: "Da draußen sitzt ein junges Eselein vor dem Tor, das schlägt die Laute so gut wie ein gelernter Meister." "So laß mir den Musikanten hereinkommen", sprach der König. Wie aber ein Eselein hereintrat, fing alles an zu lachen. Nun sollte das Eselein unten zu den Knechten gesetzt und gespeist werden, es ward aber unwillig und sprach: "Ich bin kein gemeines Stalleselein, ich bin ein vornehmes." Da sagten sie: "Wenn du das bist, so setze dich zu dem Kriegsvolk." "Nein", sprach es, "ich will beim König sitzen." Der König lachte und sprach in gutem Mut: "Ja, es soll so sein, wie du verlangst, Eselein, komm her zu mir." Danach fragte er: "Eselein, wie gefällt dir meine Tochter?" Das Eselein drehte den Kopf nach ihr, schaute sie an, nickte und sprach: "Über die Maßen wohl, sie ist so schön, wie ich noch keine gesehen habe." "Nun, so sollst du auch neben ihr sitzen", sagte der König. "Das ist mir eben recht", sprach das Eselein und setzte sich an ihre Seite, aß und trank und wußte sich fein und säuberlich zu betragen. Als das edle Tierlein eine gute Zeit an des Königs Hof geblieben war, dachte es: ,Was hilft das alles, du mußt wieder heim', ließ den Kopf traurig hängen, trat vor den König und verlangte seinen Abschied. Der König hatte es aber liebgewonnen und sprach: "Eselein, was ist dir? Du schaust ja sauer wie ein Essigkrug; bleib bei mir, ich will dir geben, was du verlangst. Willst du Gold?" "Nein", sagte das Eselein und schüttelte mit dem Kopf. "Willst du Kostbarkeiten und Schmuck?" "Nein." "Willst du mein halbes Reich?" "Ach nein." Da sprach der König: "Wenn ich nur wüßte, was dich vergnügt machen könnte; willst du meine schöne Tochter zur Frau?" "Ach ja", sagte das Eselein, "die möchte ich wohl haben", war auf einmal ganz lustig, denn das war's gerade, was es sich gewünscht hatte. Also ward eine große und prächtige Hochzeit gehalten. Abends, wie Braut und Bräutigam in ihr Schlafkämmerlein geführt wurden, wollte der König wissen, ob sich das Eselein auch fein artig und manierlich betrüge, und hieß einen Diener sich dort verstecken. Wie sie nun beide drinnen waren, schob der Bräutigam den Riegel vor die Tür, blickte sich um und, wie er glaubte, daß sie ganz allein wären, da warf er auf einmal seine Eselshaut ab und stand da als schöner königlicher Jüngling. "Nun siehst du", sprach er, "wer ich bin, und siehst auch, daß ich deiner nicht unwert war." Da ward die Braut froh, küßte ihn und hatte ihn von Herzen lieb. Als aber der Morgen herankam, sprang er auf, zog seine Tierhaut wieder über, und kein Mensch hätte gedacht, was für einer dahintersteckte. Bald kam auch der alte König gegangen: "Ei", rief er, "ist das Eselein schon munter! Du bist wohl recht traurig", sagte er zu seiner Tochter, daß du keinen ordentlichen Menschen zum Mann bekommen hast?" "Ach, nein, lieber Vater, ich habe ihn so lieb und will ihn mein Lebtag behalten." Der König wunderte sich, aber der Diener, der sich versteckt hatte, kam und offenbarte ihm alles. Der König sprach: "Das ist nimmermehr wahr." "So wacht selber die folgende Nacht, Ihr werdet's mit eigenen Augen sehen, und wißt Ihr was, Herr König, nehmt ihm die Haut weg und werft sie ins Feuer, so muß er sich wohl in seiner rechten Gestalt zeigen." "Dein Rat ist gut", sprach der König, und abends, als sie schliefen, schlich er sich hinein, und wie er zum Bett kam, sah er im Mondschein einen stolzen Jüngling da ruhen, und die Haut lag abgestreift auf der Erde. Da nahm er sie weg und ließ draußen ein gewaltiges Feuer anmachen und die Haut hineinwerfen und blieb selber dabei, bis sie ganz zu Asche verbrannt war. Weil er aber sehen wollte, wie sich der Beraubte anstellen würde, blieb er die Nacht über wach und lauschte. Als der Jüngling ausgeschlafen hatte, stand er beim ersten Morgenschein auf und wollte die Eseishaut anziehen, aber sie war nicht zu finden. Da erschrak er und sprach voll Trauer und Angst: "Nun muß ich sehen, daß ich entfliehe." Wie er hinaustrat, stand aber der König da und sprach: "Mein Sohn, wohin so eilig, was hast du im Sinn? Bleib hier, du bist ein so schöner Mann, du sollst nicht wieder von mir. Ich gebe dir jetzt mein Reich halb, und nach meinem Tod bekommst du es ganz." "So wünsch' ich, daß der gute Anfang auch ein gutes Ende nehme", sprach der Jüngling, "ich bleibe bei Euch." Da gab ihm der Alte das halbe Reich, und als er nach einem Jahr starb, hatte er das ganze und nach dem Tod seines Vaters noch eins dazu, und sie lebten in aller Herrlichkeit.

 

Die Eule

Vor ein paar hundert Jahren, als die Leute noch lange nicht so klug und verschmitzt waren, wie sie heutzutage sind, hat sich in einer kleinen Stadt eine seltsame Geschichte zugetragen. Von ungefähr war eine von den großen Eulen, die man Schuhu nennt, aus dem benachbarten Walde bei nächtlicher Weile in die Scheuer eines Bürgers geraten und wagte sich, als der Tag anbrach, aus Furcht vor den andern Vögeln, die, wenn sie sieh blicken läßt, ein furchtbares Geschrei erheben, nicht wieder aus ihrem Schlupfwinkel heraus. Als nun der Hausknecht morgens in die Scheuer kam, erschrak er bei dem Anblick der Eule, die da in einer Ecke saß, so gewaltig, daß er fortlief und seinem Herrn ankündigte, ein Ungeheuer, wie er zeit seines Lebens keins erblickt hätte, säße in der Scheuer, drehte die Augen im Kopf herum und könnte einen ohne Umstände verschlingen. "Ich kenne dich schon", sagte der Herr, "einer Amsel im Felde nachzujagen, dazu hast du Mut genug, aber wenn du ein totes Huhn liegen siehst, so holst du dir erst einen Stock, ehe du ihm nahe kommst. Ich muß nur selbst einmal nachsehen, was das für ein Ungeheuer ist", setzte der Herr hinzu, ging tapfer zur Scheuer hinein und blickte umher. Als er aber das seltsame und greuliche Tier sah, so geriet er in nicht geringere Angst als der Knecht. Mit ein paar Sätzen sprang er hinaus, lief zu seinen Nachbarn und bat sie flehentlich, ihm gegen ein unbekanntes und gefährliches Tier Beistand zu leisten; ohnehin könnte die ganze Stadt in Gefahr kommen, wenn es aus der Scheuer, wo es säße, herausbräche. Es entstanden großer Lärm und Geschrei in allen Straßen, die Bürger kamen mit Spießen, Heugabeln, Sensen und Äxten bewaffnet herbei, als wollten sie gegen den Feind ausziehen; zuletzt erschienen auch die Herren des Rats mit dem Bürgermeister an der Spitze. Als sie sich auf dem Markt geordnet hatten, zogen sie zu der Scheuer und umringten sie von allen Seiten. Hierauf trat einer der Beherztesten hervor und ging mit gefälltem Spieß hinein, kam aber gleich darauf mit einem Schrei und totenbleich wieder herausgelaufen und konnte kein Wort hervorbringen. Noch zwei andere wagten sich hinein, es erging ihnen aber nicht besser. Endlich trat einer hervor, ein großer, starker Mann, der wegen seiner Kriegstaten berühmt war, und sprach: "Mit bloßem Ansehen werdet ihr das Ungetüm nicht vertreiben, hier muß Ernst gebraucht werden, aber ich sehe, daß ihr alle zu Weibern geworden seid und keiner den Fuchs beißen will." Er ließ sich Harnisch, Schwert und Spieß bringen und rüstete sich. Alle rühmten seinen Mut, obgleich viele um sein Leben besorgt waren. Die beiden Scheuertore wurden aufgetan, und man erblickte die Eule, die sich indessen in die Mitte auf einen großen Querbalken gesetzt hatte. Er ließ eine Leiter herbeibringen, und als er sie anlegte und sich bereitete, hinaufzusteigen, so riefen ihm alle zu, er solle sich männlich halten, und empfahlen ihn dem heiligen Georg, der den Drachen getötet hatte. Als er bald oben war und die Eule sah, daß er an sie wollte, sie auch von der Menge und dem Geschrei des Volks verwirrt war und nicht wußte, wohinaus, so verdrehte sie die Augen, sträubte die Federn, sperrte die Flügel auf, gnappte mit dem Schnabel und ließ ihr ,Schuhu, schuhu!' mit rauher Stimme hören. "Stoß zu, stoß zu!" rief die Menge draußen dem tapfern Helden zu. "Wer hier stände, wo ich stehe", antwortete er, "der würde nicht ,stoß zu' rufen.'' Er setzte zwar den Fuß noch eine Staffel höher, dann aber fing er an zu zittern und machte sich halb ohnmächtig auf den Rückweg.
Nun war keiner mehr übrig, der sich in die Gefahr hätte begeben wollen. "Das Ungeheuer", sagten sie, "hat unseren stärksten Mann durch sein Gnappen und Anhauchen allein vergiftet und tödlich verwundet, sollen wir andern auch unser Leben in die Schanze schlagen?" Sie ratschlagten, was zu tun wäre, wenn die ganze Stadt nicht sollte zugrunde gehen. Lange Zeit schien alles vergeblich, bis endlich der Bürgermeister einen Ausweg fand. "Ich meine", sprach er, "daß wir aus gemeinem Säckel diese Scheuer samt allem, was darin liegt, dem Eigentümer bezahlen und ihn schadlos halten, dann aber das ganze Gebäude und mit ihm das fürchterliche Tier abbrennen, so braucht doch niemand sein Leben daransetzen. Hier ist keine Gelegenheit zu sparen, und Knauserei wäre übel angewendet." Alle stimmten ihm bei. Also ward die Scheuer angezündet und mit ihr die Eule jämmerlich verbrannt. Wer's nicht glauben will, der gehe hin und frage selbst nach.

 

Der Frieder und das Katherlieschen

Es war ein Mann, der hieß Frieder, und eine Frau, die hieß Katherlieschen, die hatten einander geheiratet und lebten zusammen als junge Eheleute. Eines Tages sprach der Frieder 'ich will jetzt zu Acker, Katherlieschen, wann ich wiederkomme, muß etwas Gebratenes auf dem Tisch stehen für den Hunger, und ein frischer Trunk dabei für den Durst.' 'Geh nur, Friederchen,' antwortete die Katherlies, 'geh nur, will dirs schon recht machen.' Als nun die Essenszeit herbeirückte, holte sie eine Wurst aus dem Schornstein, tat sie in eine Bratpfanne, legte Butter dazu und stellte sie übers Feuer. Die Wurst fing an zu braten und zu brutzeln, Katherlieschen stand dabei, hielt den Pfannenstiel und hatte so seine Gedanken, da fiel ihm ein 'bis die Wurst fertig wird, derweil könntest du ja im Keller den Trunk zapfen.' Also stellte es den Pfannenstiel fest, nahm eine Kanne, ging hinab in den Keller und zapfte Bier. Das Bier lief in die Kanne, und Katherlieschen sah ihm zu, da fiel ihm ein 'holla, der Hund oben ist nicht beigetan, der könnte die Wurst aus der Pfanne holen, du kämst mir recht!, und im Hui war es die Kellertreppe hinauf; aber der Spitz hatte die Wurst schon im Maul und schleifte sie auf der Erde mit sich fort. Doch Katherlieschen, nicht faul, setzte ihm nach und jagte ihn ein gut Stück ins Feld; aber der Hund war geschwinder als Katherlieschen, ließ auch die Wurst nicht fahren, sondern über die Äcker hinhüpfen. 'Hin ist hin!' sprach Katherlieschen, kehrte um' und weil es sich müde gelaufen hatte, ging es hübsch langsam und kühlte sich ab. Während der Zeit lief das Bier aus dem Faß immerzu' denn Katherlieschen hatte den Hahn nicht umgedreht, und als die Kanne voll und sonst kein Platz da war, so lief es in den Keller und hörte nicht eher auf, als bis das ganze Faß leer war. Katherlieschen sah schon auf der Treppe das Unglück. 'Spuk,' rief es, 'was fängst du jetzt an, daß es der Frieder nicht merkt!' Es besann sich ein Weilchen, endlich fiel ihm ein, von der letzten Kirmes stände noch ein Sack mit schönem Weizenmehl auf dem Boden, das wollte es herabholen und in das Bier streuen. 'Ja,' sprach es, 'wer zu rechter Zeit was spart, der hats hernach in der Not,' stieg auf den Boden, trug den Sack herab und warf ihn gerade auf die Kanne voll Bier, daß sie umstürzte und der Trunk des Frieders auch im Keller schwamm. 'Es ist ganz recht,' sprach Katherlieschen, 'wo eins ist, muß das andere auch sein,' und zerstreute das Mehl im ganzen Keller. Als es fertig war, freute es sich gewaltig über seine Arbeit und sagte 'wies so reinlich und sauber hier aussieht!'
Um Mittagszeit kam der Frieder heim. 'Nun, Frau, was hast du mir zurecht gemacht?' 'Ach, Friederchen,' antwortete sie, 'ich wollte dir ja eine Wurst braten, aber während ich das Bier dazu zapfte, hat sie der Hund aus der Pfanne weggeholt, und während ich dem Hund nachsprang, ist das Bier ausgelaufen, und als ich das Bier mit dem Weizenmehl auftrocknen wollte, hab ich die Kanne auch noch umgestoßen; aber sei nur zufrieden' der Keller ist wieder ganz trocken.' Sprach der Frieder 'Katherlieschen, Katherlieschen' das hättest du nicht tun müssen! läßt die Wurst wegholen und das Bier aus dem Faß laufen, und verschüttest obendrein unser feines Mehl!' 'Ja, Friederchen' das habe ich nicht gewußt, hättest mirs sagen müssen.'
Der Mann dachte 'geht das so mit deiner Frau, so mußt du dich besser vorsehen.' Nun hatte er eine hübsche Summe Taler zusammengebracht, die wechselte er in Gold ein und sprach zum Katherlieschen 'siehst du' das sind gelbe Gickelinge, die will ich in einen Topf tun und im Stall unter der Kuhkrippe vergraben, aber daß du mir ja davonbleibst, sonst geht dirs schlimm.' Sprach sie 'nein, Friederchen, wills gewiß nicht tun.' Nun, als der Frieder fort war, da kamen Krämer, die irdene Näpfe und Töpfe feil hatten, ins Dorf und fragten bei der jungen Frau an, ob sie nichts zu handeln hätte. 'O, ihr lieben Leute,' sprach Katherlieschen, 'ich hab kein Geld und kann nichts kaufen; aber könnt ihr gelbe Gickelinge brauchen, so will ich wohl kaufen.' 'Gelbe Gickelinge, warum nicht? laßt sie einmal sehen.' So geht in den Stall und grabt unter der Kuhkrippe, so werdet ihr die gelben Gickelinge finden,' ich darf nicht dabeigehen.' Die Spitzbuben gingen hin, gruben und fanden eitel Gold. Da packten sie auf damit, liefen fort und ließen Töpfe und Näpfe im Hause stehen. Katherlieschen meinte, sie müßte das neue Geschirr auch brauchen: weil nun in der Küche ohnehin kein Mangel daran war, schlug sie jedem Topf den Boden aus und steckte sie insgesamt zum Zierat auf die Zaunpfähle rings ums Haus herum. Wie der Frieder kam und den neuen Zierat sah, sprach er 'Katherlieschen, was hast du gemacht?, 'Habs gekauft, Friederchen, für die gelben Gickelinge' die unter der Kuhkrippe steckten, bin selber nicht dabeigegangen, die Krämer haben sichs herausgraben müssen.' 'Ach, Frau,' sprach der Frieder, 'was hast du gemacht! das waren keine Gickelinge, es war eitel Gold, und war all unser Vermögen; das hättest du nicht tun sollen.' 'Ja, Friederchen,' antwortete sie' 'das hab ich nicht gewußt, hättest mirs vorher sagen sollen.'
Katherlieschen stand ein Weilchen und besann sich' da sprach sie 'hör, Friederchen, das Gold wollen wir schon wiederkriegen, wollen hinter den Dieben herlaufen.' 'So komm', sprach der Frieder, 'wir wollens versuchen; nimm aber Butter und Käse mit, daß wir auf dem Weg was zu essen haben.' 'Ja' Friederchen, wills mitnehmen.' Sie machten sich fort, und weil der Frieder besser zu Fuß war, ging Katherlieschen hintennach. 'Ist mein Vorteil,' dachte es, 'wenn wir umkehren, hab ich ja ein Stück voraus.' Nun kam es an einen Berg, wo auf beiden Seiten des Wegs tiefe Fahrgleisen waren. 'Da sehe einer,' sprach Katherlieschen, 'was sie das arme Erdreich zerrissen, geschunden und gedrückt haben! das wird sein Lebtag nicht wieder heil.' Und aus mitleidigem Herzen nahm es seine Butter und bestrich die Gleisen, rechts und links, damit sie von den Rädern nicht so gedrückt würden: und wie es sich bei seiner Barmherzigkeit so bückte, rollte ihm ein Käse aus der Tasche den Berg hinab. Sprach das Katherlieschen 'ich habe den Weg schon einmal herauf gemacht, ich gehe nicht wieder hinab, es mag ein anderer hinlaufen und ihn wieder holen.' Also nahm es einen andern Käs und rollte ihn hinab. Die Käse aber kamen nicht wieder, da ließ es noch einen dritten hinablaufen und dachte 'vielleicht warten sie auf Gesellschaft und gehen nicht gern allein.' Als sie alle drei ausblieben, sprach es 'ich weiß nicht, was das vorstellen soll! doch kanns ja sein, der dritte hat den Weg nicht gefunden und sich verirrt, ich will nur den vierten schicken, daß er sie herbeiruft.' Der vierte machte es aber nicht besser als der dritte. Da ward das Katherlieschen ärgerlich und warf noch den fünften und sechsten hinab, und das waren die letzten. Eine Zeitlang blieb es stehen und lauerte, daß sie kämen, als sie aber immer nicht kamen, sprach es 'o, ihr seid gut nach dem Tod schicken, ihr bleibt fein lange aus; meint ihr, ich wollt noch länger auf euch war
ten? ich gehe meiner Wege, ihr könnt mir nachlaufen, ihr habt jüngere Beine als ich.' Katherlieschen ging fort und fand den Frieder, der war stehen geblieben und hatte gewartet, weil er gerne was essen wollte. 'Nun, gib einmal her, was du mitgenommen hast.' Sie reichte ihm das trockene Brot. 'Wo ist Butter und Käse?, fragte der Mann. 'Ach, Friederchen,' sagte Katherlieschen, 'mit der Butter hab ich die Fahrgleisen geschmiert, und die Käse werden bald kommen; einer lief mir fort, da hab ich die andern nachgeschickt, sie sollten ihn rufen.' Sprach der Frieder 'das hättest du nicht tun sollen, Katherlieschen, die Butter an den Weg schmieren und die Käse den Berg hinabrollen.' 'Ja, Friederchen, hättest mirs sagen müssen.'
Da aßen sie das trockne Brot zusammen, und der Frieder sagte 'Katherlieschen, hast du auch unser Haus verwahrt, wie du fortgegangen bist?' 'Nein, Friederchen, hättest mirs vorher sagen sollen.' 'So geh wieder heim und bewahr erst das Haus, ehe wir weitergehen; bring auch etwas anderes zu essen mit, ich will hier auf dich warten.' Katherlieschen ging zurück und dachte 'Friederchen will etwas anderes zu essen, Butter und Käse schmeckt ihm wohl nicht, so will ich ein Tuch voll Hutzeln und einen Krug Essig zum Trunk mitnehmen.' Danach riegelte es die Obertüre zu' aber die Untertüre hob es aus' nahm sie auf die Schulter und glaubte, wenn es die Türe in Sicherheit gebracht hätte, müßte das Haus wohl bewahrt sein. Katherlieschen nahm sich Zeit zum Weg und dachte 'desto länger ruht sich Friederchen aus.' Als es ihn wieder erreicht hatte, sprach es 'da, Friederchen, hast du die Haustüre, da kannst du das Haus selber verwahren.' 'Ach, Gott,' sprach er, 'was hab ich für eine kluge Frau! hebt die Türe unten aus, daß alles hineinlaufen kann, und riegelt sie oben zu. Jetzt ists zu spät, noch einmal nach Haus zu gehen, aber hast du die Türe hierher gebracht, so sollst du sie auch ferner tragen.' 'Die Türe will ich tragen, Friederchen, aber die Hutzeln und der Essigkrug werden mir zu schwer: ich hänge sie an die Türe, die mag sie tragen.'
Nun gingen sie in den Wald und suchten die Spitzbuben, aber sie fanden sie nicht. Weils endlich dunkel ward, stiegen sie auf einen Baum und wollten da übernachten. Kaum aber saßen sie oben, so kamen die Kerle daher' die forttragen' was nicht mitgehen will, und die Dinge finden, ehe sie verloren sind. Sie ließen sich gerade unter dem Baum nieder, auf dem Frieder und Katherlieschen saßen, machten sich ein Feuer an und wollten ihre Beute teilen. Der Frieder stieg von der andern Seite herab und sammelte Steine' stieg damit wieder hinauf und wollte die Diebe totwerfen. Die Steine aber trafen nicht, und die Spitzbuben riefen 'es ist bald Morgen, der Wind schüttelt die Tannäpfel herunter.' Katherlieschen hatte die Türe noch immer auf der Schulter, und weil sie so schwer drückte, dachte es, die Hutzeln wären schuld, und sprach 'Friederchen, ich muß die Hutzeln hinabwerfen.' 'Nein, Katherlieschen, jetzt nicht,' antwortete er, 'sie könnten uns verraten.' 'Ach' Friederchen, ich muß' sie drücken mich gar zu sehr.' 'Nun so tus, ins Henkers Namen!' Da rollten die Hutzeln zwischen den ästen herab, und die Kerle unten sprachen 'die Vögel misten.' Eine Weile danach, weil die Türe noch immer drückte' sprach Katherlieschen 'ach, Friederchen, ich muß den Essig ausschütten.' 'Nein, Katherlieschen, das darfst du nicht, es könnte uns verraten.' 'Ach, Friederchen, ich muß, er drückt mich gar zu sehr.' 'Nun so tus ins Henkers Namen!' Da schüttete es den Essig aus, daß er die Kerle bespritzte. Sie sprachen untereinander 'der Tau tröpfelt schon herunter.' Endlich dachte Katherlieschen 'sollte es wohl die Türe sein, was mich so drückt?' und sprach 'Friederchen, ich muß die Türe hinabwerfen.' 'Nein, Katherlieschen, jetzt nicht, sie könnte uns verraten.' 'Ach, Friederchen, ich muß, sie drückt mich gar zu sehr.' 'Nein, Katherlieschen, halt sie ja fest.' 'Ach, Friederchen, ich
laß sie fallen.' 'Ei' antwortete Frieder ärgerlich, 'so laß sie fallen ins Teufels Namen!' Da fiel sie herunter mit starkem Gepolter' und die Kerle unten riefen 'der Teufel kommt vom Baum herab' rissen aus und ließen alles im Stich. Frühmorgens, wie die zwei herunterkamen, fanden sie all ihr Gold wieder und trugens heim.
Als sie wieder zu Haus waren, sprach der Frieder 'Katherlieschen, nun mußt du aber auch fleißig sein und arbeiten.' 'Ja, Friederchen, wills schon tun, will ins Feld gehen, Frucht schneiden.' Als Katherlieschen im Feld war' sprachs mit sich selber 'eß ich, eh ich schneid, oder schlaf ich, eh ich schneid? hei, ich will ehr essen!' Da aß Katherlieschen und ward überm Essen schläfrig, und fing an zu schneiden und schnitt halb träumend alle seine Kleider entzwei, Schürze, Rock und Hemd. Wie Katherlieschen nach langem Schlaf wieder erwachte, stand es halb nackigt da und sprach zu sich selber 'bin ichs, oder bin ichs nicht? ach, ich bins nicht!' Unterdessen wards Nacht, da lief Katherlieschen ins Dorf hinein, klopfte an ihres Mannes Fenster und rief 'Friederchen?' 'Was ist denn?' 'Möcht gern wissen, ob Katherlieschen drinnen ist.' 'Ja, ja,' antwortete der Frieder, 'es wird wohl drin liegen und schlafen.' Sprach sie 'gut, dann bin ich gewiß schon zu Haus,' und lief fort.
Draußen fand Katherlieschen Spitzbuben, die wollten stehlen. Da ging es bei sie und sprach 'ich will euch helfen stehlen.' Die Spitzbuben meinten, es wüßte die Gelegenheit des Orts, und warens zufrieden. Katherlieschen ging vor die Häuser und rief 'Leute, habt ihr was? wir wollen stehlen.' Dachten die Spitzbuben 'das wird gut werden,' und wünschten, sie wären Katherlieschen wieder los. Da sprachen sie zu ihm 'vorm Dorfe hat der Pfarrer Rüben auf dem Feld, geh hin und rupf uns Rüben.' Katherlieschen ging hin aufs Land und fing an zu rupfen, war aber so faul und hob sich nicht in die Höhe. Da kam ein Mann vorbei, sahs und stand still und dachte, das wäre der Teufel, der so in den Rüben wühlte. Lief fort ins Dorf zum Pfarrer und sprach 'Herr Pfarrer, in Eurem Rübenland ist der Teufel und rupft.' 'Ach Gott,' antwortete der Pfarrer, 'ich habe einen lahmen Fuß, ich kann nicht hinaus und ihn wegbannen.' Sprach der Mann 'so will ich Euch hockeln,' und hockelte ihn hinaus. Und als sie bei das Land kamen, machte sich das Katherlieschen auf und reckte sich in die Höhe. 'Ach, der Teufel!' rief der Pfarrer, und beide eilten fort, und der Pfarrer konnte vor großer Angst mit seinem lahmen Fuße gerader laufen als der Mann, der ihn gehockt hatte, mit seinen gesunden Beinen.

 

Der Fuchs und die Gänse

Der Fuchs kam einmal auf eine Wiese, wo eine Herde schöner fetter Gänse saß, da lachte er und sprach 'ich komme ja wie gerufen, ihr sitzt hübsch beisammen, so kann ich eine nach der andern auffressen.' Die Gänse gackerten vor Schrecken, sprangen auf, fingen an zu jammern und kläglich um ihr Leben zu bitten. Der Fuchs aber wollte auf nichts hören und sprach 'da ist keine Gnade, ihr müßt sterben.'
Endlich nahm sich eine das Herz und sagte 'sollen wir armen Gänse doch einmal unser jung frisch Leben lassen, so erzeige uns die einzige Gnade und erlaub uns noch ein Gebet, damit wir nicht in unsern Sünden sterben: hernach wollen wir uns auch in eine Reihe stellen, damit du dir immer die fetteste aussuchen kannst.' 'Ja,' sagte der Fuchs' 'das ist billig, und ist eine fromme Bitte: betet, ich will so lange warten.' Also fing die erste ein recht langes Gebet an, immer 'ga! ga!' und weil sie gar nicht aufhören wollte, wartete die zweite nicht, bis die Reihe an sie kam, sondern fing auch an 'ga! ga!' Die dritte und vierte folgte ihr, und bald gackerten sie alle zusammen. (Und wenn sie ausgebetet haben, soll das Märchen weitererzählt werden, sie beten aber alleweile noch immer fort.)

 

Der Fuchs und die Katze

Es trug sich zu, daß die Katze in einem Walde dem Herrn Fuchs begegnete, und weil sie dachte: ,Er ist gescheit und wohlerfahren und gilt viel in der Welt', so sprach sie ihm freundlich zu. "Guten Tag, lieber Herr Fuchs, wie geht's? Wie steht's? Wie schlagt Ihr Euch durch in dieser teuren Zeit?" Der Fuchs, alles Hochmutes voll, betrachtete die Katze von Kopf bis zu Füßen und wußte lange nicht, ob er eine Antwort geben sollte. Endlich sprach er: "O du armseliger Bartputzer, du buntscheckiger Narr, du Hungerleider und Mäusejäger, was kommt dir in den Sinn? Du unterstehst dich zu fragen, wie mir's gehe? Was hast du gelernt? Wieviel Künste verstehst du?" "Ich verstehe nur eine einzige", antwortete bescheidentlich die Katze. "Was ist das für eine Kunst?" fragte der Fuchs. "Wenn die Hunde hinter mir her sind, so kann ich auf einen Baum springen und mich retten." "Ist das alles?" sagte der Fuchs, "1ch bin Herr über hundert Künste und habe überdies noch einen Sack voll Listen. Du jammerst mich, komm mit mir, ich will dich lehren, wie man den Hunden entgeht." Indem kam ein Jäger mit vier Hunden daher. Die Katze sprang behend auf einen Baum und setzte sich in den Wipfel, wo Äste und Laubwerk sie völlig verbargen. "Bindet den Sack auf, Herr Fuchs, bindet den Sack auf", rief ihm die Katze zu, aber die Hunde hatten ihn schon gepackt und hielten ihn fest. "Ei, Herr Fuchs", rief die Katze, "Ihr bleibt mit Euern hundert Künsten stecken. Hättet Ihr heraufkriechen können wie ich, so wär's nicht um Euer Leben geschehen."

 

Fundevogel

Es war einmal ein Förster, der ging in den Wald auf die Jagd, und wie er in den Wald kam, hörte er schreien, als ob's ein kleines Kind wäre. Er ging dem Schreien nach und kam endlich zu einem hohen Baum, und oben darauf saß ein kleines Kind. Es war aber die Mutter mit dem Kinde unter dem Baum eingeschlafen, und ein Raubvogel hatte das Kind in ihrem Schoße gesehen; da war er hinzu geflogen, hatte es mit seinem Schnabel weggenommen und auf den hohen Baum gesetzt.
Der Förster stieg hinauf, holte das Kind herunter und dachte: Du willst das Kind mit nach Haus nehmen und mit deinem Lenchen zusammen aufziehen. Er brachte es also heim, und die zwei Kinder wuchsen miteinander auf. Das aber, das auf dem Baum gefunden worden war, und weil es ein Vogel weggetragen hatte, wurde Fundevogel geheißen. Fundevogel und Lenchen hatten sich so lieb, nein, so lieb, und wenn eins das andere nicht sah, ward es traurig.
Der Förster hatte aber eine alte Köchin, die nahm eines Abends zwei Eimer und fing an Wasser zu schleppen und ging nicht einmal, sondern vielemal hinaus an den Brunnen. Lenchen sah es und sprach: "Hör einmal, alte Sanne, was trägst du denn so viel Wasser zu?" "Wenn du's keinem Menschen wieder sagen willst, so will ich dir's wohl sagen." Da sagte Lenchen nein, sie wollte es keinem Menschen wiedersagen; so sprach die Köchin: "Morgen früh, wenn der Förster auf die Jagd ist, da koche ich das Wasser, und wenn's im Kessel siedet, werfe ich den Fundevogel hinein und will ihn darin kochen."
Des andern Morgens in aller Frühe stand der Förster auf und ging auf die Jagd, und als er weg war, lagen die Kinder noch im Bett. Da sprach Lenchen zum Fundevogel: "Verläßt du mich nicht, so verlass' ich dich auch nicht"; so sprach der Fundevogel: "Nun und nimmermehr." Da sprach Lenchen: "Ich will es dir nur sagen, die alte Sanne schleppte gestern abend so viel Eimer Wasser ins Haus, da fragte ich sie, warum sie das täte, so sagte sie, wenn ich's keinem Menschen sagen wollte, so wollte sie es mir wohl sagen. Sprach ich, ich wollte es gewiß keinem Menschen sagen; da sagte sie, morgen früh, wenn der Vater auf die Jagd wäre, wollte sie den Kessel voll Wasser sieden, dich hineinwerfen und kochen. Wir wollen aber geschwind aufstehen, uns anziehen und zusammen fortgehen."
Also standen die beiden Kinder auf, zogen sich geschwind an und gingen fort. Wie nun das Wasser im Kessel kochte, ging die Köchin in die Schlafkammer, wollte den Fundevogel holen und ihn hineinwerfen. Aber als sie hineinkam und zu den Betten trat, waren die Kinder alle beide fort; da wurde ihr grausam angst, und sie sprach vor sich: "Was will ich nun sagen, wenn der Förster heim kommt und sieht, daß die Kinder weg sind?" Geschwind hinten nach, daß wir sie wieder kriegen!"
Da schickte die Köchin drei Knechte nach, die sollten laufen und die Kinder einfangen. Die Kinder aber saßen vor dem Wald, und als sie die drei Knechte von weitem laufen sahen, sprach Lenchen zum Fundevogel: "Verläßt du mich nicht, so verlass' ich dich auch nicht." So sprach Fundevogel: "Nun und nimmermehr." Da sagte Lenchen: "Werde du zum Rosenstöckchen und ich zum Röschen darauf!" Wie nun die drei Knechte vor den Wald kamen, so war nichts da als ein Rosenstrauch und ein Röschen oben drauf, die Kinder aber nirgends. Da sprachen sie: "Hier ist nichts zu machen", und gingen heim und sagten der Köchin, sie hätten nichts in der Welt gesehen als nur ein Rosenstöckchen und ein Röschen oben darauf. Da schalt die alte Köchin: "Ihr Einfaltspinsel, ihr hättet das Rosenstöckchen sollen entzwei schneiden und das Röschen abbrechen und mit nach Haus bringen, geschwind und tut's!"
Sie mußten also zum zweitenmal hinaus und suchen. Die Kinder sahen sie aber von weitem kommen; da sprach Lenchen: "Fundevogel, verläßt du mich nicht, so verlass' ich dich auch nicht." Fundevogel sagte: "Nun und nimmermehr." Sprach Lenchen: "So werde du eine Kirche und ich die Krone darin!" Wie nun die drei Knechte dahin kamen, war nichts da als eine Kirche und eine Krone darin. Sie sprachen also zueinander: "Was sollen wir hier machen? Laßt uns nach Hause gehen!" Wie sie nach Haus kamen, fragte die Köchin, ob sie nichts gefunden hätten. Da sagten sie: Nein, sie hätten nichts gefunden als eine Kirche, da wäre eine Krone darin gewesen. "Ihr Narren", schalt die Köchin, "warum habt ihr nicht die Kirche zerbrochen und die Krone mit heimgebracht?"
Nun machte sich die alte Köchin selbst auf die Beine und ging mit den drei Knechten den Kindern nach. Die Kinder sahen aber die drei Knechte von weitem kommen, und die Köchin wackelte hinten nach. Da sprach Lenchen: "Fundevogel, verläßt du mich nicht, so verlass' ich dich auch nicht." Da sprach der Fundevogel: "Nun und nimmermehr." Sprach Lenchen: "Werde zum Teich und ich die Ente drauf!" Die Köchin aber kam herzu; und als sie den Teich sah, legte sie sich drüber hin und wollte ihn aussaufen. Aber die Ente kam schnell geschwommen, faßte sie mit ihrem Schnabel beim Kopf und zog sie ins Wasser hinein; da mußte die alte Hexe ertrinken. Da gingen die Kinder zusammen nach Haus und waren herzlich froh; und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch.

 

Die Gänsehirtin am Brunnen

Es war einmal ein steinaltes Mütterchen, das lebte mit seiner Herde Gänse in einer Einöde zwischen Bergen und hatte da ein kleines Haus. Jeden Morgen nahm die Alte ihre Krücke und wackelte in den Wald. Da war aber das Mütterchen ganz geschäftig, mehr als man ihm bei seinen hohen Jahren zugetraut hätte, sammelte Gras für seine Gänse, brach sich das wilde Obst ab, soweit es mit den Händen reichen konnte, und trug alles auf seinem Rücken heim. Man hätte meinen sollen, die schwere Last müßte sie zu Boden drücken, aber sie brachte sie immer glücklich nach Haus. Wenn ihr jemand begegnete, so grüßte sie ganz freundlich: "Guten Tag, lieber Landsmann, heute ist schönes Wetter. Ja, Ihr wundert Euch, daß ich das Gras schleppe, aber jeder muß seine Last auf den Rücken nehmen." Doch die Leute begegneten ihr nicht gerne und nahmen lieber einen Umweg, und wenn ein Vater mit seinem Knaben an ihr vorüberging, so sprach er leise zu ihm: "Nimm dich in acht vor der Alten, die hat's faustdick hinter den Ohren, es ist eine Hexe."
Eines Morgens ging ein hübscher junger Mann durch den Wald. Die Sonne schien hell, die Vögel sangen, und ein kühles Lüftchen strich durch das Laub, und er war voll Freude und Lust. Noch war ihm kein Mensch begegnet, als er plötzlich die alte Hexe erblickte, die am Boden auf den Knien saß und Gras mit einer Sichel abschnitt. Eine ganze Last hatte sie schon in ihr Tragtuch geschoben, und daneben standen zwei Körbe, die mit wilden Birnen und Apfeln angefüllt waren. "Aber, Mütterchen", sprach er, "wie kannst du das alles fortschaffen?" "Ich muß sie tragen, lieber Herr", antwortete sie, "reicher Leute Kinder brauchen es nicht. Aber beim Bauer heißt's:
Schau dich nicht um,
dein Buckel ist krumm.
Wollt ihr mir helfen?" sprach sie, als er bei ihr stehenblieb, "Ihr habt noch einen geraden Rücken und junge Beine,. es wird Euch ein leichtes sein. Auch ist mein Haus nicht so weit von hier, hinter dem Berge dort steht es auf einer Heide. Wie bald seid Ihr da hinaufgesprungen!" Der junge Mann empfand Mitleiden mit der Alten: "Zwar ist mein Vater kein Bauer", antwortete er, "sondern ein reicher Graf, aber damit Ihr seht, daß die Bauern nicht allein tragen können, so will ich Euer Bündel aufnehmen." "Wollt Ihr's versuchen", sprach sie, "so soll mir's lieb sein. Eine Stunde weit werdet Ihr freilich gehen müssen, aber was macht Euch das aus! Dort die Apfel und Birnen müßt Ihr auch tragen." Es kam dem jungen Grafen doch ein wenig bedenklich vor, als er von einer Stunde Wegs hörte, aber die Alte ließ ihn nicht wieder los, packte ihm das Tragtuch auf den Rücken und hing ihm die beiden Körbe in den Arm. "Seht Ihr, es geht ganz leicht", sagte sie. "Nein, es geht nicht leicht", antwortete der Graf und machte ein schmerzliches Gesicht, "das Bündel drückt ja so schwer, als wären lauter Wackersteine darin, und die Äpfel und Birnen haben ein Gewicht, als wären sie von Blei; ich kann kaum atmen." Er hatte Lust, alles wieder abzulegen, aber die Alte ließ es nicht zu. "Seht einmal", sprach sie spöttisch, "der junge Herr will nicht tragen, was ich alte Frau schon so oft fortgeschleppt habe. Mit schönen Worten sind sie bei der Hand, aber wenn's Ernst wird, so wollen sie sich aus dem Staub machen. Was steht Ihr da", fuhr sie fort, "und zaudert, hebt die Beine auf! Es nimmt Euch niemand das Bündel wieder ab." Solange er auf ebener Erde ging, war's noch auszuhalten, aber als sie an den Berg kamen und steigen mußten und die Steine hinter seinen Füßen hinabrollten, als wären sie lebendig, da ging's über seine Kräfte. Die Schweißtropfen standen ihm auf der Stirne und liefen ihm bald heiß, bald kalt über den Rücken hinab. "Mütterchen", sagte er, "ich kann nicht weiter." "Nichts da", antwortete die Alte, "wenn wir angelangt sind, so könnt Ihr ausruhen. Wer weiß, wozu Euch das gut ist." "Alte, du wirst unverschämt", sagte der Graf und wollte das Tragtuch abwerfen, aber er bemühte sich vergeblich; es hing so fest an seinem Rücken, als wenn es angewachsen wäre. Er drehte und wendete sich, aber er konnte es nicht wieder loswerden. Die Alte lachte dazu und sprang ganz vergnügt auf ihrer Krücke herum. "Erzürnt Euch nicht, lieber Herr", sprach sie, "Ihr werdet ja so rot im Gesicht wie ein Zinshahn. Tragt Euer Bündel mit Geduld, wenn wir zu Hause angelangt sind, so will ich Euch schon ein gutes Trinkgeld geben." Was wollte er machen? Er mußte sich in sein Schicksal fügen und geduldig hinter der Alten herschleichen. Sie schien immer flinker zu werden und ihm seine Last immer schwerer. Auf einmal tat sie einen Satz, sprang auf das Tragtuch und setzte sich obendarauf; wie zaundürre sie war, so hatte sie doch mehr Gewicht als die dickste Bauerndirne. Dem Jüngling zitterten die Knie, aber wenn er nicht fortging, so schlug ihn die Alte mit einer Gerte und mit Brennesseln auf die Beine. Unter beständigem Ächzen stieg er den Berg hinauf und langte endlich bei dem Haus der Alten an, als er eben niedersinken wollte. Als die Gänse die Alte erblickten, streckten sie die Flügel in die Höhe und die Hälse voraus, liefen ihr entgegen und schrien ihr ,wulle, wulle'. Hinter der Herde, mit einer Rute in der Hand, ging eine bejahrte Trulle, stark und groß, aber häßlich wie die Nacht. "Frau Mutter", sprach sie zur Alten, "ist Euch etwas begegnet? Ihr seid solange ausgeblieben." "Bewahre mein Töchterchen", erwiderte sie, "mir ist nichts Böses begegnet, im Gegenteil, der liebe Herr da hat mir meine Last getragen; denk dir, als ich müde war, hat er mich selbst noch auf den Rücken genommen. Der Weg ist uns auch gar nicht lang geworden, wir sind lustig gewesen und haben immer Spaß miteinander gemacht. " Endlich rutschte die Alte herab, nahm dem jungen Mann das Bündel vom Rücken und die Körbe vom Arm, sah ihn ganz freundlich an und sprach: "Nun setzt Euch auf die Bank vor der Tür und ruht Euch aus. Euer Lohn soll auch nicht ausbleiben." Dann sprach sie zu der Gänsehirtin: "Geh du ins Haus hinein, mein Töchterchen, es schickt sich nicht, daß du mit einem jungen Herrn allein bist; er könnte sich in dich verlieben." Der Graf wußte nicht, ob er weinen oder lachen sollte. ,Solch ein Schätzchen', dachte er, ,und wenn es dreißig Jahre jünger wäre, könnte doch mein Herz nicht rühren.' Indessen hätschelte und streichelte die Alte ihre Gänse wie Kinder und ging dann mit ihrer Tochter in das Haus. Der Jüngling streckte sich auf die Bank unter einem wilden Apfelbaum. Die Luft war lau und mild; ringsumher breitete sich eine grüne Wiese aus, die mit Himmelsschlüsseln, wildem Thymian und tausend andern Blumen übersät war. Mittendurch rauschte ein klarer Bach, auf dem die Sonne glitzerte, und die weißen Gänse gingen auf und ab spazieren oder pudelten sich im Wasser. "Es ist recht lieblich hier", sagte er, "aber ich bin so müde, daß ich die Augen nicht aufbehalten mag; ich will ein wenig schlafen. Wenn nur kein Windstoß kommt und bläst mir meine Beine vom Leib weg; denn sie sind mürb wie Zunder." Als er ein Weilchen geschlafen hatte, kam die Alte und schüttelte ihn wach. "Steh auf", sagte sie, "hier kannst du nicht bleiben. Freilich habe ich dir's sauer genug gemacht, aber das Leben hat's doch nicht gekostet. Jetzt will ich dir deinen Lohn geben." Damit steckte sie ihm ein Büchslein in die Hand, das aus einem einzigen Smaragd geschnitten war. "Bewahr's wohl", setzte sie hinzu, "es wird dir Glück bringen." Der Graf sprang auf, und da er fühlte, daß er ganz frisch und wieder bei Kräften war, so dankte er der Alten für ihr Geschenk und machte sich auf den Weg, ohne nach dem schönen Töchterchen auch nur einmal umzublicken. Als er schon eine Strecke weg war, hörte er noch aus der Ferne das lustige Geschrei der Gänse.
Der Graf mußte drei Tage in der Wildnis herumirren, ehe er sich heraus finden konnte. Da kam er in eine große Stadt, und weil ihn niemand kannte ward er in das königliche Schloß geführt, wo der König und die Königin auf dem Thron saßen. Der Graf ließ sich auf ein Knie nieder, zog das smaragdene Gefäß aus der Tasche und legte es der Königin zu Füßen. Sie hieß ihn aufstehen, und er mußte ihr das Büchslein hinaufreichen. Kaum aber hatte sie es geöffnet und hineingeblickt, so fiel sie wie tot zur Erde. Der Graf ward von den Dienern des Königs festgehalten und sollte in das Gefängnis geführt werden, da schlug die Königin die Augen auf und rief, sie sollten ihn freilassen, und jeder sollte hinausgehen, sie wollte insgeheim mit ihm reden.
Als die Königin allein war, fing sie bitterlich an zu weinen und sprach: "Was hilft mir Glanz und Ehre, die mich umgehen, jeden Morgen erwache ich mit Sorgen und Kummer. Ich habe drei Töchter gehabt, davon war die jüngste so schön, daß sie alle Welt für ein Wunder hielt. Sie war so weiß wie Schnee, so rot wie Apfelblüte und ihr Haar so glänzend wie Sonnenstrahlen. Wenn sie weinte, so fielen nicht Tränen aus ihren Augen, sondern lauter Perlen und Edelsteine. Als sie fünfzehn Jahre alt war, da ließ der König alle drei Schwestern vor seinen Thron kommen. Da hättet Ihr sehen sollen, was die Leute für Augen machten, als die jüngste eintrat, es war, als wenn die Sonne aufging. Der König sprach: ,Meine Töchter, ich weiß nicht, wann mein letzter Tag kommt, ich will heute bestimmen, was eine jede nach meinem Tode erhalten soll. Ihr alle habt mich lieb, aber welche mich von euch am liebsten hat, die soll das Beste haben.' Jede sagte, sie hätte ihn am liebsten. "Könnt ihr mir's nicht ausdrücken', erwiderte der König, ,wie lieb ihr mich habt? Daran werde ich sehen, wie ihr's meint.' Die älteste sprach: 'Ich habe Vater so lieb wie den süßesten Zucker.' Die zweite: 'Ich habe den Vater licb wie mein schönstes Kleid.' Die jüngste aber schwieg. Da fragte der Vater: 'Und du, mein liebstes Kind, wie lieb hast du mich?' 'Ich weiß es nicht', antwortete sie, 'und kann meine Liebe mit nichts vergleichen.' Aber der Vater bestand darauf, sie müßte etwas nennen. Da sagte sie endlich: 'Die beste Speise schmeckt mir nicht ohne Salz, darum habe ich den Vater so lieb wie Salz.' Als der König das hörte, geriet er in Zorn und sprach: ,Wenn du mich so liebst wie Salz, so soll deine Liebe auch mit Salz belohnt werden.' Da teilte er das Reich zwischen den beiden ältesten, der jüngsten aber ließ er einen Sack Salz auf den Rücken binden und sie in den wilden Wald führen. Wir alle haben für sie gefleht und gebeten', sagte die Königin, 'aber der Zorn des Königs war nicht zu erweichen. Wie hat sie geweint, als sie uns verlassen mußte! Der ganze Weg ist mit Perlen besät worden, die ihr aus den Augen geflossen sind. Den König hat bald hernach seine große Härte gereut, und er hat das arme Kind in dem ganzen Wald suchen lassen, aber niemand konnte sie finden. Wenn ich denke, daß sie die wilden Tiere gefressen haben, so weiß ich mich vor Traurigkeit nicht zu fassen; manchmal tröste ich mich mit der Hoffnung, sie sei noch am Leben und habe bei mitleidigen Menschen Schutz gefunden. Aber stellt Euch vor, als ich Euer Smaragdbüchslein aufmachte, so lag eine Perle darin, gerade der Art, wie sie meiner Tochter aus den Augen geflossen sind, und da könnt Ihr Euch vorstellen, wie mir der Anblick das Herz bewegt hat. Ihr sollt mir sagen, wie Ihr zu der Perle gekommen seid." Der Graf erzählte ihr, daß er sie von der Alten im Walde erhalten hätte, die ihm nicht geheuer vorgekommen wäre und eine Hexe sein müßte; von ihrem Kinde aber hatte er nichts gehört und gesehen. Der König und die Königin faßten den Entschluß, die Alte aufzusuchen; sie dachten, wo die Perle gewesen wäre, da müßten sie auch Nachricht von ihrer Tochter finden.
Die Alte saß draußen in der Einöde hei ihrem Spinnrad und spann. Es war schon dunkel geworden, und ein Span, der unten am Herd brannte, gab ein sparsames Licht. Auf einmal ward's draußen laut, die Gänse kamen heim von der Weide und ließen ihr heiseres Gekreisch hören. Bald hernach trat auch die Tochter herein. Aber die Alte dankte ihr kaum und schüttelte nur ein wenig mit dem Kopf. Die Tochter setzte sich zu ihr nieder, nahm ihr Spinnrad und drehte den Faden so flink wie ein junges Mädchen. So saßen beide zwei Stunden und sprachen kein Wort miteinander. Endlich raschelte etwas am Fenster, und zwei feurige Augen glotzten herein. Es war eine alte Nachteule, die dreimal uhu schrie. Die Alte schaute in die Höhe und sprach: "Jetzt ist's Zeit, Töchterchen, daß du hinausgehst, tu deine Arbeit."
Sie stand auf und ging hinaus. Wo ist sie denn hingegangen? Über die Wiesen immer weiter bis in das Tal. Endlich kam sie zu einem Brunnen. Der Mond war indessen rund und groß über dem Berg aufgestiegen, und es war so hell, daß man eine Stecknadel hätte finden können. Sie zog eine Haut ab, die auf ihrem Gesicht lag, bückte sich dann zu dem Brunnen und fing an, sich zu waschen. Als sie fertig war, tauchte sie auch die Haut in das Wasser und legte sie dann auf die Wiese, damit sie wieder im Mondschein bleichen und trocknen sollte. Aber wie war das Mädchen verwandelt! So was habt ihr nie gesehen! Als der graue Zopf abfiel, da quollen die goldenen Haare wie Sonnenstrahlen hervor und breiteten sich, als wär's ein Mantel, über ihre ganze Gestalt. Nur die Augen blitzten heraus wie die Sterne am Himmel, und die Wangen schimmerten in sanfter Röte wie die Apfelblüte.
Aber das schöne Mädchen war traurig. Es setzte sich nieder und weinte bitterlich. Eine Träne nach der andern drang aus seinen Augen und rollte zwischen den langen Haaren auf den Boden. So saß es da und wäre lange sitzengeblieben, wenn es nicht in den Ästen des nahestehenden Baumes geknittert und gerauscht hätte. Sie sprang auf wie ein Reh, das den Schuß des Jägers vernimmt. Der Mond ward gerade von einer schwarzen Wolke bedeckt, und im Augenblick war das Mädchen wieder in die alte Haut geschlüpft und verschwand wie ein Licht, das der Wind ausbläst.
Zitternd wie Espenlaub lief sie zu dem Haus zurück. Die Alte stand vor der Türe, und das Mädchen wollte ihr erzählen, was ihm begegnet war, aber die Alte lachte freundlich und sagte: "Ich weiß schon alles." Sie führte es in die Stube und zündete einen neuen Span an. Aber sie setzte sich nicht wieder zu dem Spinnrad, sondern sie holte einen Besen und fing an zu kehren und zu scheuern. "Es muß alles rein und sauber sein", sagte sie zu dem Mädchen. "Aber, Mutter", sprach das Mädchen, "warum fangt Ihr in so später Stunde die Arbeit an? Was habt Ihr?" "Weißt du denn, welche Stunde es ist?" fragte die Alte. "Noch nicht Mitternacht", antwortete das Mädchen, "aber schon elf Uhr vorbei." "Denkst du nicht daran", fuhr die Alte fort, "daß du heute vor drei Jahren zu mir gekommen bist? Deine Zeit ist aus, wir können nicht länger beisammenbleiben." Das Mädchen erschrak und sagte: "Ach, liebe Mutter, wollt Ihr mich verstoßen? Wo soll ich hin? Ich habe keine Freunde und keine Heimat, wohin ich mich wenden kann. Ich habe alles getan, was Ihr verlangt habt, und Ihr seid immer zufrieden mit mir gewesen, schickt mich nicht fort." Die Alte wollte dem Mädchen nicht sagen, was ihm bevorstand. "Meines Bleibens ist nicht länger hier", sprach sie zu ihm, "wenn ich aber ausziehe, muß Haus und Stube sauber sein. Deinetwegen sei ohne Sorgen, du sollst ein Dach finden, unter dem du wohnen kannst, und mit dem Lohn, den ich dir geben will, wirst du auch zufrieden sein." "Aber sagt mir nur, was ist los?" fragte das Mädchen weiter. "Ich sage dir nochmals, störe mich nicht in meiner Arbeit. Rede kein Wort weiter, geh in deine Kammer, nimm die Haut vom Gesicht und zieh das seidene Kleid an, das du trugst, als du zu mir kamst, und dann harre in deiner Kammer, bis ich dich rufe. "
Aber ich muß wieder von dem König und der Königin erzählen, die mit dem Grafen ausgezogen waren und die Alte in der Einöde aufsuchen wollten. Der Graf war nachts in dem Walde von ihnen abgekommen und mußte allein weitergehen. Am andern Tag kam es ihm vor, als befände er sich auf dem rechten Weg. Er ging immerfort, bis die Dunkelheit einbrach, da stieg er auf einen Baum und wollte da übernachten; denn er war besorgt, er möchte sich verirren. Als der Mond die Gegend erhellte, so erblickte er eine Gestalt, die den Berg herabwandelte. Sie hatte keine Rute in der Hand, aber er konnte doch sehen, daß es die Gänsehirtin war, die er früher bei dem Haus der Alten gesehen hatte. "Oho!" rief er, "da kommt sie, und habe ich erst die eine Hexe, so soll mir die andere auch nicht entgehen." Wie erstaunte er aber, als sie zu dem Brunnen trat, die Haut ablegte und sich wusch, als die goldenen Haare über sie herabfielen und sie so schön war, wie er noch niemand auf der Welt gesehen hatte. Kaum, daß er zu atmen wagte, aber er streckte den Hals zwischen dem Laub so weit vor, wie er nur konnte, und schaute sie mit unverwandten Blicken an. Ob er sich zu weit überbog oder was sonst schuld war, plötzlich krachte der Ast, und in demselben Augenblick schlüpfte das Mädchen in die Haut und sprang wie ein Reh davon.
Kaum war sie verschwunden, so stieg der Graf von dem Baum herab und eilte ihr mit behenden Schritten nach. Er war noch nicht lange gegangen, so sah er in der Dämmerung zwei Gestalten über die Wiese wandeln. Es waren der König und die Königin, die hatten aus der Ferne das Licht in dem Häuschen der Alten erblickt und waren draufzugegangen. Der Graf erzählte ihnen, was er für Wunderdinge bei dem Brunnen gesehen hatte, und sie zweifelten nicht, daß das ihre verlorene Tochter gewesen wäre. Voll Freude gingen sie weiter und kamen bald bei dem Häuschen an; die Gänse saßen ringsherum, hatten den Kopf in die Flügel gesteckt und schliefen, und keine regte sich. Sie schauten zum Fenster hinein, da saß die Alte ganz still und spann, nickte mit dem Kopf und sah sich nicht um. Es war ganz sauber in der Stube, als wenn da die kleinen Nebelmännlein wohnten, die keinen Staub auf den Füßen tragen. Ihre Tochter aber sahen sie nicht. Sie schauten das alles eine Zeitlang an, endlich faßten sie ein Herz und klopften leise ans Fenster. Die Alte schien sie erwartet zu haben, sie stand auf und rief ganz freundlich: "Nur herein, ich kenne euch schon.'" Als sie in die Stube eingetreten waren, sprach die Alte: "Den weiten Weg hättet ihr euch sparen können, wenn ihr euer Kind, das so gut und liebreich ist, nicht vor drei Jahren ungerechterweise verstoßen hättet. Ihr hat's nichts geschadet, sie hat drei Jahre lang die Gänse hüten müssen; sie hat nichts Böses dabei gelernt, sondern ihr reines Herz behalten. Ihr aber seid durch die Angst, in der ihr gelebt habt, hinlänglich gestraft.'" Dann ging sie in die Kammer und rief: "Komm heraus mein Töchterchen." Die Tür ging auf, und die Königstochter trat heraus in dem seidenen Gewand mit ihren goldenen Haaren und ihren leuchtenden Augen, und es war, als ob ein Engel vom Himmel käme.
Sie ging auf ihren Vater und ihre Mutter zu, fiel ihnen um den Hals und küßte sie; es war nicht anders, sie mußten alle vor Freude weinen. Der junge Graf stand neben ihnen, und als sie ihn erblickte, ward sie so rot im Gesicht wie eine Moosrose; sie wußte selbst nicht warum. Der König sprach: "Liebes Kind, mein Königreich habe ich verschenkt, was soll ich dir geben?'" "Sie braucht nichts'", sagte die Alte, "ich schenke ihr die Tränen, die sie um euch geweint hat, das sind lauter Perlen, schöner, als sie im Meer gefunden werden, und sie sind mehr wert als euer ganzes Königreich. Und zum Lohn für ihre Dienste gebe ich ihr mein Häuschen." Als die Alte das gesagt hatte, verschwand sie vor ihren Augen. Es knatterte ein wenig in den Wänden, und als sie sich umsahen, war das Häuschen in einen prächtigen Palast verwandelt, und eine königliche Tafel war gedeckt, und die Bedienten liefen hin und her.
Die Geschichte geht noch weiter, aber meiner Großmutter, die sie mir erzählt hat, war das Gedächtnis schwach geworden, sie hatte das übrige vergessen. Ich glaube immer, die schöne Königstochter ist mit dem Grafen vermählt worden, und sie haben in aller Glückseligkeit gelebt, solange Gott wollte. Ob die schneeweißen Gänse, die bei dem Häuschen gehütet wurden, lauter Mädchen waren - es braucht's niemand übelzunehmen -, welche die Alte zu sich genommen hatte, und ob sie jetzt ihre menschliche Gestalt wiedererhielten und als Dienerinnen bei der jungen Königin blieben, das weiß ich nicht genau, aber ich vermute es doch. Soviel ist gewiß, daß die Alte keine Hexe war, wie die Leute glaubten, sondern eine weise Frau, die es gut meinte. Wahrscheinlich ist sie es gewesen, die der Königstochter bei der Geburt die Gabe verliehen hat, Perlen zu weinen statt der Tränen. Heutzutage kommt das nicht mehr vor, sonst könnten die Armen bald reich werden.

 

Die Gänsemagd

Es lebte einmal eine alte Königin, der war ihr Gemahl schon lange Jahre gestorben, und sie hatte eine schöne Tochter. Wie die erwuchs, wurde sie weit über Feld an einen Königssohn versprochen. Als nun die Zeit kam, wo sie vermählt werden sollte und nun das Kind in das fremde Reich abreisen mußte, packte ihr die Alte gar viel köstliches Gerät und Geschmeide ein, Gold und Silber, Becher und Kleinode, kurz alles, was nur zu einem königlichen Brautschatz gehörte, denn sie hatte ihr Kind von Herzen lieb. Auch gab sie ihr eine Kammerjungfer bei, welche mitreiten und die Braut in die Hände des Bräutigams überliefern sollte. Und jede bekam ein Pferd zur Reise, aber das Pferd der Königstochter hieß Falada und konnte sprechen. Wie nun die Abschiedsstunde da war, begab sich die alte Mutter in ihre Schlafkammer, nahm ein Messerlein und schnitt damit in ihre Finger, daß sie bluteten; darauf hielt sie ein weißes Läppchen unter und ließ drei Tropfen Blut hineinfallen, gab sie der Tochter und sprach: "Liebes Kind, verwahre sie wohl, sie werden dir unterwegs not tun."
Also nahmen beide voneinander betrübten Abschied. Das Läppchen steckte die Königstochter in ihren Busen vor sich, setzte sich aufs Pferd und zog nun fort zu ihrem Bräutigam. Da sie eine Stunde geritten waren, empfand sie heißen Durst und sprach zu ihrer Kammerjungfer: "Steig ab und schöpfe mir mit meinem Becher, den du für mich mitgenommen hast, Wasser aus dem Bache, ich möchte gern einmal trinken." "Wenn Ihr Durst habt", sprach die Kammerjungfer, "so steigt selber ab, legt Euch ans Wasser und trinkt, ich mag Eure Magd nicht sein." Da stieg die Königstochter vor großem Durst herunter, neigte sich über das Wasser im Bach und trank und durfte nicht aus dem goldenen Becher trinken. Da sprach sie: "Ach Gott!" Da antworteten die drei Blutstropfen: "Wenn das deine Mutter wüßte, das Herz im Leib tät' ihr zerspringen." Aber die Königsbraut war demütig, sagte nichts und stieg wieder zu Pferde.
So ritten sie etliche Meilen weiter fort, aber der Tag war warm, die Sonne stach, und sie durstete bald von neuem. Da sie nun an einen Wasserfluß kamen, rief sie noch einmal ihrer Kammerjungfer: "Steig' ab und gib mir aus meinem Goldbecher zu trinken", denn sie hatte alle bösen Worte längst vergessen. Die Kammerjungfer sprach aber noch hochmütiger: "Wollt Ihr trinken, so trinkt allein, ich mag nicht Eure Magd sein." Da stieg die Königstochter hernieder vor großem Durst, legte sich über das fließende Wasser, weinte und sprach: "Ach Gott!", und die Blutstropfen antworteten wiederum: "Wenn das deine Mutter wüßte, das Herz im Leibe tät' ihr zerspringen." Und wie sie so trank und sich recht überlehnte, fiel ihr das Läppchen, worin die drei Tropfen waren, aus dem Busen und floß mit dem Wasser fort, ohne daß sie es in ihrer großen Angst merkte. Die Kammerjungfer hatte aber zugesehen und freute sich, daß sie Gewalt über die Braut bekäme; denn damit, daß diese die Blutstropfen verloren hatte, war sie schwach und machtlos geworden. Als sie nun wieder auf ihr Pferd steigen wollte, das da hieß Falada, sagte die Kammerfrau: "Auf Falada gehöre ich, und auf meinen Gaul gehörst du!", und das mußte sie sich gefallen lassen. Dann befahl ihr die Kammerfrau mit harten Worten, die königlichen Kleider auszuziehen und ihre schlechten anzulegen, und endlich mußte sie sich unter freiem Himmel verschwören, daß sie am königlichen Hof keinem Menschen etwas davon sprechen wollte; und wenn sie diesen Eid nicht abgelegt hätte, wäre sie auf der Stelle umgebracht worden. Aber Falada sah das alles an und nahm's wohl in acht.
Die Kammerfrau stieg nun auf Falada und die wahre Braut auf das schlechte Roß, und so zogen sie weiter, bis sie endlich in dem königlichen Schloß eintrafen. Da war große Freude über ihre Ankunft, und der Königssohn sprang ihnen entgegen, hob die Kammerfrau vom Pferde und meinte, sie wäre seine Gemahlin. Sie ward die Treppe hinaufgeführt, die wahre Königstochter aber mußte unten stehenbleiben. Da schaute der alte König am Fenster und sah sie im Hof halten und sah, wie sie fein war, zart und gar schön; ging alsbald hin ins königliche Gemach und fragte die Braut nach der, die sie bei sich hätte und da unten im Hof stände und wer sie wäre? "Die hab' ich mir unterwegs mitgenommen zur Gesellschaft; gebt der Magd was zu arbeiten, daß sie nicht müßig steht!" Aber der alte König hatte keine Arbeit für sie und wußte nichts, als daß er sagte: "Da hab' ich so einen kleinen Jungen, der hütet die Gänse, dem mag sie helfen." Der Junge hieß Kürdchen, dem mußte die wahre Braut helfen Gänse hüten.
Bald aber sprach die falsche Braut zu dem jungen König: "Liebster Gemahl, ich bitte Euch, tut mir einen Gefallen!" Er antwortete: "Das will ich gerne tun." "Nun, so laßt den Schinder rufen und da dem Pferde, worauf ich hergeritten bin, den Hals abhauen, weil es mich unterwegs geärgert hat." Eigentlich aber fürchtete sie, daß das Pferd sprechen möchte, wie sie mit der Königstochter umgegangen war. Nun war das so weit geraten, daß es geschehen und der treue Falada sterben sollte, da kam es auch der rechten Königstochter zu Ohr, und sie versprach dem Schinder heimlich ein Stück Geld, das sie ihm bezahlen wollte, wenn er ihr einen kleinen Dienst erwiese. In der Stadt war ein großes finsteres Tor, wo sie abends und morgens mit den Gänsen durch mußte, unter das finstere Tor möchte er dem Falada seinen Kopf hinnageln, daß sie ihn doch noch mehr als einmal sehen könnte. Also versprach das der Schindersknecht zu tun, hieb den Kopf ab und nagelte ihn unter das finstere Tor fest.
Des Morgens früh, da sie und Kürdchen unterm Tor hinaustrieben, sprach sie im Vorbeigehen:
"O du Falada, da du hangest",
da antwortete der Kopf:
"O du Jungfer Königin, da du gangest,
wenn das deine Mutter wüßte,
ihr Herz tät' ihr zerspringen."
Da zog sie still weiter zur Stadt hinaus, und sie trieben die Gänse aufs Feld. Und wenn sie auf der Wiese angekommen war, saß sie nieder und machte ihre Haare auf, die waren eitel Gold, und Kürdchen sah sie und freute sich, wie sie glänzten, und wollte ihr ein paar ausraufen. Da sprach sie:
"Weh, weh, Windchen,
nimm Kürdchen sein Hütchen
und laß'n sich mit jagen,
bis ich mich geflochten und geschnatzt
und wieder aufgesatzt."
Und da kam ein so starker Wind, daß er dem Kürdchen sein Hütchen weg wehte über alle Land, und es mußte ihm nachlaufen. Bis er wiederkam, war sie mit dem Kämmen und Aufsetzen fertig, und er konnte keine Haare kriegen. Da ward Kürdchen bös und sprach nicht mit ihr; und so hüteten sie die Gänse, bis daß es Abend ward, dann gingen sie nach Haus.
Den andern Morgen, wie sie unter dem finstern Tor hinaustrieben, sprach die Jungfrau:
"O du Falada, da du hangest",
Falada antwortete:
"O du Jungfer Königin, da du gangest,
wenn das deine Mutter wüßte,
ihr Herz tät' ihr zerspringen."
Und in dem Feld setzte sie sich wieder auf die Wiese und fing an, ihr Haar auszukämmen, und Kürdchen lief und wollte danach greifen, da sprach sie schnell:
"Weh, weh, Windchen,
nimm Kürdchen sein Hütchen
und laß'n sich mit jagen,
bis ich mich geflochten und geschnatzt
und wieder aufgesatzt."
Da wehte der Wind und wehte ihm das Hütchen vom Kopf weit weg, daß Kürdchen nachlaufen mußte, und als es wiederkam, hatte sie längst ihr Haar zurecht, und es konnte keins davon erwischen, und so hüteten sie die Gänse, bis es Abend ward. Abends aber, nachdem sie heimgekommen waren, ging Kürdchen vor den alten König und sagte: "Mit dem Mädchen will ich nicht länger Gänse hüten!" "Warum denn?" fragte der alte König. "Ei, das ärgert mich den ganzen Tag." Da befahl ihm der alte König zu erzählen, wie's ihm denn mit ihr ginge. Da sagte Kürdchen: "Morgens, wenn wir unter dem finstern Tor mit der Herde durchkommen, so ist da ein Gaulskopf an der Wand, zu dem redet sie:
,Falada, da du hangest',
da antwortet der Kopf:
,O du Königsjungfer, da du gangest,
wenn das deine Mutter wüßte,
ihr Herz tät' ihr zerspringen!
Und so erzählte Kürdchen weiter, was auf der Gänsewiese geschähe und wie es da dem Hut im Winde nachlaufen müßte.
Der alte König befahl ihm, den nächsten Tag wieder hinauszutreiben, und er selbst, wie es Morgen war, setzte sich hinter das finstere Tor und hörte da, wie sie mit dem Haupt des Falada sprach. Und dann ging er ihr auch nach in das Feld und barg sich in einem Busch auf der Wiese. Da sah er nun bald mit seinen eigenen Augen, wie die Gänsemagd die Herde getrieben brachte und wie nach einer Weile sie sich setzte und ihre Haare losflocht, die strahlten von Glanz. Gleich sprach sie wieder:
"Weh, weh, Windchen,
faß Kürdchen sein Hütchen
und laß'n sich mit jagen,
bis ich mich geflochten und geschnatzt
und wieder aufgesatzt."
Da kam ein Windstoß und fuhr mit Kürdchens Hut weg, daß es weit zu laufen hatte, und die Magd kämmte und flocht ihre Locken still fort, welches der alte König alles beobachtete. Darauf ging er unbemerkt zurück, und als abends die Gänsemagd heimkam, rief er sie beiseite und fragte, warum sie dem allem so täte. "Das darf ich Euch nicht sagen und darf auch keinem Menschen mein Leid klagen, denn so hab' ich mich unter freiem Himmel verschworen, weil ich sonst um mein Leben gekommen wäre." Er drang in sie und ließ ihr keinen Frieden, aber er konnte nichts aus ihr herausbringen. Da sprach er: "Wenn du mir nichts sagen willst, so klag' dem Eisenofen da dein Leid", und ging fort. Da kroch sie in den Eisenofen, fing an zu jammern und zu weinen, schüttete ihr Herz aus und sprach: "Da sitze ich nun von aller Welt verlassen und bin doch eine Königstochter, und eine falsche Kammerjungfer hat mich mit Gewalt dahin gebracht, daß ich meine königlichen Kleider habe ablegen müssen, und hat meinen Platz bei meinem Bräutigam eingenommen, und ich muß als Gänsemagd gemeine Dienste tun. Wenn das meine Mutter wüßte, das Herz im Leib tät' ihr zerspringen." Der alte König stand aber außen an der Ofenröhre, lauerte ihr zu und hörte, was sie sprach. Da kam er wieder herein und ließ sie aus dem Ofen gehen. Da wurden ihr königliche Kleider angetan, und es schien ein Wunder, wie sie so schön war.
Der alte König rief seinen Sohn und offenbarte ihm, daß er die falsche Braut hätte: die wäre bloß ein Kammermädchen, die wahre aber stände hier als gewesene Gänsemagd. Der junge König war herzensfroh, als er ihre Schönheit und Tugend erblickte, und ein großes Mahl wurde angestellt, zu dem alle Leute und guten Freunde gebeten wurden. Obenan saß der Bräutigam, die Königstochter zur einen Seite und die Kammerjungfer zur andern, aber die Kammerjungfer war verblendet und erkannte jene nicht mehr in dem glänzenden Schmuck. Als sie nun gegessen und getrunken hatten und guten Muts waren, gab der alte König der Kammerfrau ein Rätsel auf, was eine solche wert wäre, die den Herrn so und so betrogen hätte, erzählte damit den ganzen Verlauf und fragte: "Welchen Urteils ist diese würdig?" Da sprach die falsche Braut: "Die ist nichts Besseres wert, als daß sie splitternackt ausgezogen und in ein Faß gesteckt wird, das inwendig mit spitzen Nägeln beschlagen ist; und zwei weiße Pferde müssen vorgespannt werden, die sie Gasse auf Gasse ab zu Tode schleifen." "Das bist du", sprach der alte König, "und hast dein eigen Urteil gefunden, und danach soll dir widerfahren." Und als das Urteil vollzogen war, vermählte sich der junge König mit seiner rechten Gemahlin, und beide beherrschten ihr Reich in Frieden und Seligkeit.

 

Der Geist im Glas

Es war einmal ein armer Holzhacker, der arbeitete vom Morgen bis in die späte Nacht. Als er sich endlich etwas Geld zusammengespart hatte, sprach er zu seinem Jungen: "Du bist mein einziges Kind, ich will das Geld, das ich mit saurem Schweiß erworben habe, zu deinem Unterricht anwenden; lernst du etwas Rechtschaffenes, so kannst du mich im Alter ernähren, wenn meine Glieder steif geworden sind und ich daheim sitzen muß." Da ging der Junge auf eine hohe Schule und lernte fleißig, so daß ihn seine Lehrer rühmten, und blieb eine Zeitlang dort. Als er ein paar Schulen durchgelernt hatte, doch aber noch nicht in allem vollkommen war, so war das bißchen Armut, das der Vater erworben hatte, draufgegangen, und er mußte wieder zu ihm heimkehren. "Ach", sprach der Vater betrübt "ich kann dir nichts mehr geben und kann in der teuern Zeit auch keinen Heller mehr verdienen als das tägliche Brot."
"Lieber Vater", antwortete der Sohn, "macht Euch darüber keine Gedanken, wenn's Gottes Wille also ist, so wird's zu meinem Besten ausschlagen; ich will mich schon drein schicken." Als der Vater hinaus in den Wald wollte, um etwas am Malterholz (am Zuhauen und Aufrichten) zu verdienen, so sprach der Sohn: "Ich will mit Euch gehen und Euch helfen."
"Ja, mein Sohn", sagte der Vater, "das sollte dir beschwerlich ankommen, du bist an harte Arbeit nicht gewöhnt, du hältst das nicht aus; ich habe auch nur eine Axt und kein Geld übrig, um noch eine zu kaufen."
"Geht nur zum Nachbar", antwortete der Sohn, "der leiht Euch seine Axt so lange, bis ich mir selbst eine verdient habe."
Da borgte der Vater beim Nachbar eine Axt, und am andern Morgen, bei Anbruch des Tags, gingen sie zusammen hinaus in den Wald.
Der Sohn half dem Vater und war ganz munter und frisch dabei. Als nun die Sonne über ihnen stand, sprach der Vater: "Wir wollen rasten und Mittag halten, hernach geht's noch einmal so gut." Der Sohn nahm sein Brot in die Hand und sprach: "Ruht Euch nur aus, Vater, ich bin nicht müde, ich will in dem Wald ein wenig auf und ab gehen und Vogelnester suchen."
"O du Geck", sprach der Vater, "was willst du da herumlaufen, hernach bist du müde und kannst den Arm nicht mehr aufheben; bleib hier und setze dich zu mir."
Der Sohn aber ging in den Wald, aß sein Brot, war ganz fröhlich und sah in die grünen Zweige hinein, ob er etwa ein Nest entdeckte. So ging er hin und her, bis er endlich zu einer großen, gefährlichen Eiche kam, die gewiß schon viele hundert Jahre alt war und die keine fünf Menschen umspannt hätten.
Er blieb stehen und sah sie an und dachte: Es muß doch mancher Vogel sein Nest hineingebaut haben. Da deuchte ihn auf einmal, als hörte er eine Stimme. Er horchte und vernahm, wie es mit so einem recht dumpfen Ton rief: "Laß mich heraus, laß mich heraus." Er sah sich rings um, konnte aber nichts entdecken, doch es war ihm, als ob die Stimme unten aus der Erde hervorkäme. Da rief er: "Wo bist du?"
Die Stimme antwortete: "Ich stecke da unten bei den Eichwurzeln. Laß mich heraus, laß mich heraus." Der Schüler fing an unter dem Baum aufzuräumen und bei den Wurzeln zu suchen, bis er endlich in einer kleinen Höhlung eine Glasflasche entdeckte. Er hob sie in die Höhe und hielt sie gegen das Licht, da sah er ein Ding, gleich einem Frosch gestaltet, das sprang darin auf und nieder. "Laß mich heraus, laß mich heraus", rief's von neuem, und der Schüler, der an nichts Böses dachte, nahm den Pfropfen von der Flasche ab. Alsbald stieg ein Geist heraus und fing an zu wachsen und wuchs so schnell, daß er in wenigen Augenblicken als ein entsetzlicher Kerl, so groß wie der halbe Baum, vor dem Schüler stand. "Weißt du", rief er mit einer fürchterlichen Stimme, "was dein Lohn dafür ist, daß du mich herausgelassen hast?"
"Nein", antwortete der Schüler ohne Furcht, "wie soll ich das wissen?"
"So will ich dir's sagen", rief der Geist, "den Hals muß ich dir dafür brechen."
"Das hättest du mir früher sagen sollen", antwortete der Schüler, "so hätte ich dich steckenlassen; mein Kopf aber soll vor dir wohl feststehen, da müssen mehr Leute gefragt werden."
"Mehr Leute hin, mehr Leute her", rief der Geist, "deinen verdienten Lohn, den sollst du haben. Denkst du, ich wäre aus Gnade da so lange Zeit eingeschlossen worden, nein, es war zu meiner Strafe; ich bin der großmächtige Merkurius, wer mich losläßt, dem muß ich den Hals brechen."
"Sachte", antwortete der Schüler, "so geschwind geht das nicht, erst muß ich auch wissen, daß du wirklich in der kleinen Flasche gesessen hast und daß du der rechte Geist bist; kannst du auch wieder hinein, so will ich's glauben, und dann magst du mit mir anfangen, was du willst." Der Geist sprach voll Hochmut: "Das ist eine geringe Kunst", zog sich zusammen und machte sich so dünn und klein, wie er anfangs gewesen war, also daß er durch dieselbe öffnung und durch den Hals der Flasche wieder hineinkroch. Kaum aber war er darin, so drückte der Schüler den abgezogenen Pfropfen wieder auf und warf die Flasche unter die Eichwurzeln an ihren alten Platz, und der Geist war betrogen.
Nun wollte der Schüler zu seinem Vater zurückgehen, aber der Geist rief ganz kläglich: "Ach, laß mich doch heraus, laß mich doch heraus."
"Nein", antwortete der Schüler, "zum zweiten Male nicht; wer mir einmal nach dem Leben gestrebt hat, den laß ich nicht los, wenn ich ihn wieder eingefangen habe."
"Wenn du mich frei machst", rief der Geist, "so will ich dir so viel geben, daß du dein Lebtag genug hast."
"Nein", antwortete der Schüler, "du würdest mich betrügen wie das erstemal."
"Du verscherzest dein Glück", sprach der Geist, "ich will dir nichts tun, sondern dich reichlich belohnen."
Der Schüler dachte: Ich will's wagen, vielleicht hält er Wort, und anhaben soll er mir doch nichts. Da nahm er den Pfropfen ab, und der Geist stieg wie das vorige Mal heraus, dehnte sich auseinander und ward groß wie ein Riese. "Nun sollst du deinen Lohn haben", sprach er und reichte dem Schüler einen kleinen Lappen, ganz wie ein Pflaster, und sagte: "Wenn du mit dem einen Ende eine Wunde bestreichst, so heilt sie; und wenn du mit dem andern Ende Stahl und Eisen bestreichst, so wird es in Silber verwandelt."
"Das muß ich erst versuchen", sprach der Schüler, ging an einen Baum, ritzte die Rinde mit seiner Axt und bestrich sie mit dem einen Ende des Pflasters; alsbald schloß sie sich wieder zusammen und war geheilt. "Nun, es hat seine Richtigkeit", sprach er zum Geist, "jetzt können wir uns trennen."
Der Geist dankte ihm für seine Erlösung, und der Schüler dankte dem Geist für sein Geschenk und ging zurück zu seinem Vater.
"Wo bist du herumgelaufen?" sprach der Vater. "Warum hast du die Arbeit vergessen? Ich habe es ja gleich gesagt, daß du nichts zustande bringen würdest."
"Gebt Euch zufrieden, Vater, ich will's nachholen."
"Ja nachholen", sprach der Vater zornig, "das hat keine Art."
"Habt acht, Vater, den Baum da will ich gleich umhauen, daß er krachen soll." Da nahm er sein Pflaster, bestrich die Axt damit und tat einen gewaltigen Hieb; aber weil das Eisen in Silber verwandelt war, so legte sich die Schneide um. "Ei, Vater, seht einmal, was habt Ihr mir für eine schlechte Axt gegeben, die ist ganz schief geworden." Da erschrak der Vater und sprach: "Ach, was hast du gemacht! Nun muß ich die Axt bezahlen und weiß nicht womit; das ist der Nutzen, den ich von deiner Arbeit habe."
"Werdet nicht bös", antwortete der Sohn, "die Axt will ich schon bezahlen."
"Oh, du Dummbart", rief der Vater, "wovon willst du sie bezahlen? Du hast nichts, als was ich dir gebe; das sind Studentenkniffe, die dir im Kopf stecken, aber vom Holzhacken hast du keinen Verstand."
über ein Weilchen sprach der Schüler: "Vater, ich kann doch nichts mehr arbeiten, wir wollen lieber Feierabend machen,"
"Ei was", antwortete er, "meinst du, ich wollte die Hände in den Schoß legen wie du? Ich muß noch schaffen, du kannst dich aber heimpacken."
"Vater, ich bin zum erstenmal hier in dem Wald, ich weiß den Weg nicht allein, geht doch mit mir." Weil sich der Zorn gelegt hatte, so ließ der Vater sich endlich bereden und ging mit ihm heim. Da sprach er zum Sohn: "Geh und verkauf die verschändete Axt und sieh zu, was du dafür kriegst; das übrige muß ich verdienen, um sie dem Nachbar zu bezahlen." Der Sohn nahm die Axt und trug sie in die Stadt zu einem Goldschmied, der probierte sie, legte sie auf die Waage und sprach: "Sie ist vierhundert Taler wert, soviel habe ich nicht bar." Der Schüler sprach: "Gebt mir, was Ihr habt, das übrige will ich Euch borgen." Der Goldschmied gab ihm dreihundert Taler und blieb einhundert schuldig. Darauf ging der Schüler heim und sprach: "Vater, ich habe Geld, geht und fragt, was der Nachbar für die Axt haben will."
"Das weiß ich schon", antwortete der Alte, "einen Taler sechs Groschen."
"So gebt ihm zwei Taler zwölf Groschen, das ist dasDoppelte und ist genug; seht Ihr, ich habe Geld im überfluß", und gab dem Vater einhundert Taler und sprach: "Es soll Euch niemals fehlen, lebt nach Eurer Bequemlichkeit."
"Mein Gott", sprach der Alte, "wie bist du zu dem Reichtum gekommen?" Da erzählte er ihm, wie alles zugegangen wäre und wie er im Vertrauen auf sein Glück einen so reichen Fang getan hätte. Mit dem übrigen Geld aber zog er wieder hin auf die hohe Schule und lernte weiter, und weil er mit seinem Pflaster alle Wunden heilen konnte, ward er der berühmteste Doktor auf der ganzen Welt.

 

Der gelernte Jäger

Es war einmal ein junger Bursch, der hatte die Schlosserhantierung gelernt und sprach zu seinem Vater, er wollte jetzt in die Welt gehen und sich versuchen. "Ja, sagte der Vater, das bin ich zufrieden" und gab ihm etwas Geld auf die Reise. Also zog er herum und suchte Arbeit. Auf eine Zeit, da wollt' ihm das Schlosserwerk nicht mehr folgen und stand ihm auch nicht mehr an, aber er kriegte Lust zur Jägerei. Da begegnete ihm auf der Wanderschaft ein Jäger im grünen Kleide, der fragte, wo er her käme und wo er hin wollte. Er wär' ein Schlossergesell, sagte der Bursch, aber das Handwerk gefiele ihm nicht mehr, und er hätte Lust zur Jägerei, ob er ihn als Lehrling annehmen wollte. "O ja, wenn du mit mir gehen willst." Da ging der junge Bursch mit, vermietete sich etliche Jahre bei ihm und lernte die Jägerei. Danach wollte er sich weiter versuchen, und der Jäger gab ihm nichts zum Lohn als eine Windbüchse, die hatte aber die Eigenschaft, wenn er damit einen Schuß tat, so traf er ohnfehlbar. Da ging er fort und kam in einen sehr großen Wald, von dem konnte er in einem Tag das Ende nicht finden. Wie's Abend war, setzte er sich auf einen hohen Baum, den wilden Tieren nicht erreichbar. Gegen Mitternacht zu, deuchte ihn, schimmerte ein kleines Lichtchen von weitem, da sah er durch die Äste darauf hin und behielt in acht, wo es war. Doch nahm er noch seinen Hut und warf ihn nach dem Licht zu herunter, daß er danach gehen wollte, wann er herabgestiegen wäre, wie nach einem Zeichen. Nun kletterte er herunter, ging auf seinen Hut los, setzte ihn wieder auf und zog geradeswegs fort. Je weiter er ging, je größer ward das Licht, und wie er nahe dabei kam, sah er, daß es ein gewaltiges Feuer war, und saßen drei Riesen dabei und hatten einen Ochsen am Spieß und ließen ihn braten. Nun sprach der eine: "Ich muß doch schmecken, ob das Fleisch bald zu essen ist", riß ein Stück herab und wollt' es in den Mund stecken, aber der Jäger schoß es ihm aus der Hand. "Nun ja", sprach der Riese, "da weht mir der Wind das Stück aus der Hand", und nahm sich ein anderes. Wie er eben anbeißen wollte, schoß es ihm der Jäger abermals weg; da gab der Riese dem, der neben ihm saß, eine Ohrfeige und rief zornig:
"Was reißt du mir mein Stück weg?" "Ich habe es nicht weggerissen", sprach der andere, "es wird dir's ein Scharfschütze weggeschossen haben." Der Riese nahm das dritte Stück in die Hand, der Jäger aber schoß es ihm heraus. Da sprachen die Riesen: "Das muß ein guter Schütze sein, der den Bissen vor dem Maul wegschießt, so einer wäre uns nützlich", und riefen laut: "Komm herbei, du Scharfschütze, setze dich zu uns ans Feuer und iß dich satt, wir wollen dir nichts tun; aber kommst du nicht und wir holen dich mit Gewalt, so bist du verloren." Da trat der Bursch herzu und sagte, er wäre gelernter Jäger, und wonach er mit seiner Büchse ziele, das treffe er auch sicher und gewiß. Da sprachen sie, wenn er mit ihnen gehen wollte, sollte er's gut haben, und erzählten ihm, vor dem Wald sei ein großes Wasser, dahinter ständ' ein Turm, und in dem Turm säß' eine schöne Königstochter, die wollten sie gern rauben. "Ja", sprach er, "die will ich bald geschafft haben." Sagten sie weiter: "Es ist aber noch etwas dabei, es liegt ein kleines Hündchen dort, das fängt gleich an zu bellen, wann sich jemand nähert, und sobald das bellt, wacht auch alles am königlichen Hofe auf, und deshalb können wir nicht hineinkommen; unterstehst du dich, das Hündchen totzuschießen?" "Ja", sprach er, "das ist mir ein kleiner Spaß". Danach setzte er sich auf ein Schiff und fuhr über das Wasser, und wie er bald beim Land war, kam das Hündchen gelaufen und wollte bellen, aber er kriegte seine Windbüchse und schoß es tot. Wie die Riesen das sahen, freuten sie sich und meinten, sie hätten die Königstochter schon gewiß, aber der Jäger wollte erst sehen, wie die Sache beschaffen war, und sprach, sie sollten haußen bleiben, bis er sie riefe. Da ging er in das Schloß, und es war mäuschenstill darin, und alles schlief. Wie er das erste Zimmer aufmachte, hing da ein Säbel an der Wand, der war von purem Silber, und war ein goldener Stern darauf und des Königs Name; daneben aber lag auf einem Tisch ein versiegelter Brief, den brach er auf, und es stand darin, wer den Säbel hätte, könnte alles ums Leben bringen, was ihm vorkäme. Da nahm er den Säbel, hing ihn um und ging weiter. Da kam er in das Zimmer, wo die Königstochter lag und schlief; und sie war so schön, daß er stillstand und sie betrachtete und den Atem anhielt. Er dachte bei sich selbst ,Wie darf ich eine unschuldige Jungfrau in die Gewalt der wilden Riesen bringen, die haben Böses im Sinn. Er schaute sich weiter um, da standen unter dem Bett ein Paar Pantoffeln, auf dem rechten stand ihres Vaters Name mit einem Stern und auf dem linken ihr eigener Name mit einem Stern. Sie hatte auch ein großes Halstuch um, von Seide und mit Gold ausgestickt, auf der rechten Seite ihres Vaters Name, auf der linken ihr Name, alles mit goldenen Buchstaben. Da nahm der Jäger eine Schere und schnitt den rechten Schlippen ab und tat ihn in seinen Ranzen, und dann nahm er auch den rechten Pantoffel mit des Königs Namen und steckte ihn hinein. Nun lag die Jungfrau noch immer und schlief, und sie war ganz in ihr Hemd eingenäht. Da schnitt er auch ein Stückchen von dem Hemd ab und steckte es zu dem andern, doch tat er das alles, ohne sie anzurühren. Dann ging er fort und ließ sie schlafen, und als er wieder ans Tor kam, warteten die Riesen noch auf ihn und dachten, er würde die Königstochter bringen. Er rief ihnen aber zu, sie sollten hereinkommen, die Jungfrau wäre schon in seiner Gewalt. Die Tür könnte er ihnen aber nicht aufmachen, aber da wäre ein Loch, durch welches sie kriechen müßten. Nun kam der erste näher, da wickelte der Jäger des Riesen Haar um seine Hand, zog den Kopf herein und hieb ihn mit seinem Säbel in einem Streich ab und zog ihn dann vollends herein. Dann rief er den zweiten und hieb ihm gleichfalls das Haupt ab und endlich auch dem dritten, und war froh, daß er die schöne Jungfrau von ihren Feinden befreit hatte, und er schnitt ihnen die Zungen aus und steckte sie in seinen Ranzen. Da dachte er: ,Ich will heimgehen zu meinem Vater und ihm zeigen, was ich schon getan habe, dann will ich in der Welt herumziehen; das Glück, das mir Gott bescheren will, wird mich schon erreichen."
Der König in dem Schloß aber, als er aufwachte, erblickte die drei toten Riesen. Dann ging er in die Schlafkammer seiner Tochter, weckte sie auf und fragte, wer das wohl gewesen wäre, der die Riesen ums Leben gebracht hätte. Da sagte sie: "Lieber Vater, ich weiß es nicht, ich habe geschlafen." Wie sie nun aufstand und ihre Pantoffeln anziehen wollte, da war der rechte weg, und wie sie ihr Halstuch betrachtete, war es durchschnitten, und es fehlte der rechte Schlippen, und wie sie ihr Hemd ansah, war ein Stückchen heraus. Der König ließ den ganzen Hof zusammenkommen und fragte, wer seine Tochter befreit und die Riesen ums Leben gebracht hätte. Nun hatte er einen Hauptmann, der war einäugig und ein häßlicher Mensch, der sagte, er hätte es getan. Da sprach der alte König, so er das vollbracht hätte, sollte er seine Tochter auch heiraten. Die Jungfrau aber sagte: "Lieber Vater, dafür, daß ich den heiraten soll, will ich lieber in die Welt gehen, so weit wie mich meine Beine tragen." Da sprach der König, wenn sie den nicht heiraten wollte, sollte sie die königlichen Kleider ausziehen und Bauernkleider antun und fortgehen; und sie sollte zu einem Töpfer gehen und einen Handel mit irdenem Geschirr anfangen. Da tat sie ihre königlichen Kleider aus und ging zu einem Töpfer und borgte sich einen Kram irden Werk; sie versprach ihm auch, wenn sie's am Abend verkauft hätte, wollte sie es bezahlen. Nun sagte der König, sie sollte sich an eine Ecke damit setzen und es verkaufen, dann bestellte er etliche Bauernwagen, die sollten mittendurch fahren, daß alles in tausend Stücke ginge. Wie nun die Königstochter ihren Kram auf die Straße hingestellt hatte, kamen die Wagen und zerbrachen ihn zu lauter Scherben. Sie fing an zu weinen und sprach: "Ach Gott, wie will ich nun den Töpfer bezahlen?" Der König aber hatte sie damit zwingen wollen, den Hauptmann zu heiraten, statt dessen ging sie wieder zum Töpfer und fragte ihn, ob er ihr noch einmal borgen wollte. Er antwortete, nein, sie sollte erst das vorige bezahlen. Da ging sie zu ihrem Vater, schrie und jammerte und sagte, sie wollte in die Welt gehen. Da sprach er: "Ich will dir draußen in dem Wald ein Häuschen bauen lassen, darin sollst du dein Lebtag sitzen und für jedermann kochen, du darfst aber kein Geld nehmen." Als das Häuschen fertig war, ward vor die Tür ein Schild gehängt, darauf stand geschrieben:
,Heute umsonst, morgen für Geld.' Da saß sie lange Zeit, und es sprach sich in der Welt herum, da säße eine Jungfrau, die kochte umsonst, und das stände vor der Tür an einem Schild. Das hörte auch der Jäger und dachte:
,Das wär' etwas für dich, du bist doch arm und hast kein Geld.' Er nahm also seine Windbüchse und den Ranzen, worin noch alles steckte, was er damals im Schloß als Wahrzeichen mitgenommen hatte, ging in den Wald und fand auch das Häuschen mit dem Schild: ,Heute umsonst, morgen für Geld.' Er hatte aber den Degen umhängen, womit er den drei Riesen den Kopf abgehauen hatte, trat so in das Häuschen und ließ sich etwas zu essen geben. Er freute sich über das schöne Mädchen, es war aber auch bildschön.
Sie fragte, wo er her käme und hin wollte, da sagte er: "Ich reise in der Welt herum." Da fragte sie ihn, wo er den Degen her hätte, da stände ja ihres Vaters Name darauf. Fragte er, ob sie des Königs Tochter wäre. "Ja", antwortete sie. "Mit diesem Säbel", sprach er, "habe ich drei Riesen den Kopf abgehauen", und holte zum Zeichen ihre Zungen aus dem Ranzen, dann auch den Pantoffel, den Schlippen vom Halstuch und das Stück vom Hemd. Da war sie voll Freude und sagte, er wäre derjenige, der sie erlöst hätte.
Darauf gingen sie zum König und holten ihn herbei, und sie führte ihn in ihre Kammer und sagte ihm, der Jäger wäre der rechte, der sie von den Riesen erlöst hätte. Und wie der alte König die Wahrzeichen sah, da konnte er nicht mehr zweifeln und sagte, es wäre ihm lieb, daß er wüßte, wie alles zugegangen wäre, und er sollte sie nun auch zur Gemahlin haben; darüber freute sich die Jungfrau von Herzen. Darauf kleideten sie ihn, als wenn er ein fremder Herr wäre, und der König ließ ein Gastmahl anstellen. Als sie nun zu Tisch gingen, kam der Hauptmann auf die linke Seite der Königstochter zu sitzen, der Jäger aber auf die rechte; und der Hauptmann meinte, das wäre ein fremder Herr und wäre zu Besuch gekommen. Wie sie gegessen und getrunken hatten, sprach der alte König zum Hauptmann, er wollte ihm etwas aufgeben, das sollte er erraten. Wenn einer spräche, er hätte drei Riesen ums Leben gebracht und er gefragt würde, wo die Zungen der Riesen wären, und er müßte zusehen, und wären keine in ihren Köpfen, wie das zuginge? Da sagte der Hauptmann: "Sie werden keine gehabt haben." "Nicht so", sagte der König, "jedes Getier hat eine Zunge", und fragte weiter, was der wert wäre, der seinen Herrn so betröge? Antwortete der Hauptmann: "Der gehört in Stücke zerrissen zu werden." Da sagte der König, er hätte sich selber sein Urteil gesprochen, und ward der Hauptmann in vier Stücke zerrissen, die Königstochter aber mit dem Jäger vermählt. Danach holte er seinen Vater und seine Mutter herbei, und die lebten in Freude bei ihrem Sohn, und nach des alten Königs Tod bekam er das Reich.

 

Die Geschenke des kleinen Volkes

Ein Schneider und ein Goldschmied wanderten zusammen und vernahmen eines Abends, als die Sonne hinter die Berge gesunken war, den Klang einer fernen Musik, die immer deutlicher ward; sie tönte ungewöhnlich, aber so anmutig, daß sie aller Müdigkeit vergaßen und rasch weiterschritten. Der Mond war schon aufgestiegen, als sie zu einem Hügel gelangten, auf dem sie eine Menge kleiner Männer und Frauen erblickten, die sich bei den Händen gefaßt hatten und mit größter Lust und Freudigkeit im Tanze herumwirbelten, sie sangen dazu auf das lieblichste; und das war die Musik, die die Wanderer gehört hatten. In der Mitte saß ein Alter, der etwas größer war als die übrigen, der einen buntfarbigen Rock trug und dem ein eisgrauer Bart über die Brust herabhing. Die beiden blieben voll Verwunderung stehen und sahen dem Tanz zu. Der Alte winkte, sie sollten eintreten, und das kleine Volk öffnete bereitwillig seinen Kreis. Der Goldschmied, der einen Höcker hatte und wie alle Buckeligen keck genug war, trat herzu; der Schneider empfand zuerst einige Scheu und hielt sich zurück, doch als er sah, wie es so lustig herging, faßte er sich ein Herz und kam nach. Alsbald schloß sich der Kreis wieder, und die Kleinen sangen und tanzten in den wildesten Sprüngen weiter, der Alte aber nahm ein breites Messer, das an seinem Gürtel hing, wetzte es, und als es hinlänglich geschärft war, blickte er sich nach den Fremdlingen um. Es ward ihnen angst, aber sie hatten nicht lange Zeit, sich zu besinnen, der Alte packte den Goldschmied und schor in der größten Geschwindigkeit ihm Haupthaar und Bart glatt hinweg; ein Gleiches geschah hierauf dem Schneider. Doch ihre Angst verschwand, als der Alte nach vollbrachter Arbeit beiden freundlich auf die Schulter klopfte, als wollte er sagen, sie hätten es gut gemacht, daß sie ohne Sträuben alles willig hätten geschehen lassen. Er zeigte mit dem Finger auf einen Haufen Kohlen, der zur Seite lag, und deutete ihnen durch Gebärden an, daß sie ihre Taschen damit füllen sollten. Beide gehorchten, obgleich sie nicht wußten, wozu ihnen die Kohlen dienen sollten, und gingen dann weiter, um ein Nachtlager zu suchen. Als sie ins Tal gekommen waren, schlug die Glocke des benachbarten Klosters zwölf Uhr; augenblicklich verstummte der Gesang, alles war verschwunden, und der Hügel lag im einsamen Mondschein.
Die beiden Wanderer fanden eine Herberge und deckten sich auf dem Strohlager mit ihren Röcken zu, vergaßen aber wegen ihrer Müdigkeit, die Kohlen zuvor herauszunehmen. Ein schwerer Druck auf ihren Gliedern weckte sie früher als gewöhnlich. Sie griffen in die Taschen und wollten ihren Augen nicht trauen, als sie sahen, daß sie nicht mit Kohlen, sondern mit reinem Gold angefüllt waren; auch Haupthaar und Bart waren glücklich wieder in aller Fülle vorhanden. Sie waren nun reiche Leute geworden, doch besaß der Goldschmied, der seiner habgierigen Natur gemäß die Taschen besser gefüllt hatte, noch einmal soviel als der Schneider. Ein Habgieriger, wenn er viel hat, verlangt noch mehr, der Goldschmied machte dem Schneider den Vorschlag, noch einen Tag zu verweilen, am Abend wieder hinauszugehen, um sich bei dem Alten auf dem Berge noch größere Schätze zu holen. Der Schneider wollte nicht und sagte: "Ich habe genug und bin zufrieden; jetzt werde ich Meister, heirate meinen angenehmen Gegenstand - wie er seine Liebste nannte - und bin ein glücklicher Mann." Doch wollte er ihm zu Gefallen den Tag noch bleiben. Abends hing der Goldschmied noch ein paar Taschen über die Schulter, um recht einsacken zu können, und machte sich auf den Weg zu dem Hügel. Er fand wie in der vorigen Nacht das kleine Volk bei Gesang und Tanz. Der Alte schor ihn abermals glatt und deutete ihm an, Kohlen mitzunehmen. Er zögerte nicht, einzustecken, was nur in seine Taschen gehen wollte, kehrte ganz glückselig heim und deckte sich mit dem Rock zu. "Wenn das Gold auch drückt", sprach er, "ich will das schon ertragen", und schlief endlich mit dem süßen Vorgefühl ein, morgen als steinreicher Mann zu erwachen. Als er die Augen öffnete, erhob er sich schnell, um die Taschen zu untersuchen, aber wie erstaunte er, als er nichts herauszog als schwarze Kohlen. ,Noch bleibt mir das Gold, das ich die Nacht vorher gewonnen habe', dachte er und holte es herbei, aber wie erschrak er, als er sah, daß es ebenfalls wieder zu Kohlen geworden war. Er schlug sich mit der schwarzbestäubten Hand an die Stirne, da fühlte er, daß der ganze Kopf kahl und glatt war wie das Gesicht. Aber sein Mißgeschick war noch nicht zu Ende, er merkte erst jetzt, daß ihm zu dem Höcker auf dem Rücken noch ein zweiter ebenso großer vorn auf der Brust gewachsen war. Da erkannte er die Strafe seiner Habgier und begann laut zu weinen. Der gute Schneider, der davon aufgeweckt ward, tröstete den Unglücklichen, so gut es gehen wollte, und sprach: "Du bist mein Geselle auf der Wanderschaft gewesen, du sollst bei mir bleiben und mit von meinem Schatz zehren." Er hielt Wort, aber der arme Goldschmied mußte sein Lebtag die beiden Höcker tragen und seinen kahlen Kopf mit einer Mütze bedecken.

 

Der gestiefelte Kater

Ein Müller hatte drei Söhne, seine Mühle, einen Esel und einen Kater; die Söhne mußten mahlen, der Esel Getreide holen und Mehl forttragen und die Katze die Mäuse wegfangen. Als der Müller starb, teilten sich die drei Söhne in die Erbschaft, der älteste bekam die Mühle, der zweite den Esel, der dritte den Kater, weiter blieb nichts für ihn übrig. Da war er traurig und sprach zu sich selbst: "Ich hab' es doch am allerschlimmsten gekriegt, mein ältester Bruder kann mahlen, mein zweiter kann auf seinem Esel reiten, was kann ich mit dem Kater anfangen? Lass' ich mir ein Paar Pelzhandschuhe aus seinem Fell machen, so ist es vorbei." - "Hör", fing der Kater an, der alles verstanden hatte, was er gesagt, "du brauchst mich nicht zu töten um ein Paar schlechte Handschuhe, laß mir nur ein Paar Stiefel machen, daß ich ausgehen und mich unter den Leuten sehen lassen kann, dann soll dir bald geholfen sein." Der Müllerssohn verwunderte sich, daß der Kater so sprach, weil aber eben der Schuster vorbeiging, rief er ihn herein und ließ ihm ein Paar Stiefel anmessen.
Als sie fertig waren, zog sie der Kater an, nahm einen Sack, machte den Boden desselben voll Korn, oben aber eine Schnur daran, womit man ihn zuziehen konnte, dann warf er ihn über den Rücken und ging auf zwei Beinen wie ein Mensch zur Tür hinaus.
Dazumal regierte ein König in dem Land, der aß die Rebhühner so gern. Es war aber eine Not, daß keine zu kriegen waren. Der ganze Wald war voll, aber sie waren so scheu, daß kein Jäger sie erreichen konnte. Das wußte der Kater und gedachte seine Sache besser zu machen; als er in den Wald kam, tat er den Sack auf, breitete das Korn auseinander, die Schnur aber legte er ins Gras und leitete sie hinter eine Hecke. Dann versteckte er sich und lauerte.
Rebhühner kamen bald gelaufen, fanden das Korn und eins nach dem anderen hüpfte in den Sack hinein. Als eine gute Anzahl darin war, zog der den Strick zu, lief herzu und drehte ihnen den Hals um; dann ging er regs nach des Königs Schloß. Die Wache rief: "Halt! Wohin?" "Zum König", antwortete der Kater kurzweg. - "Bist du toll, ein Kater zum König?" - "Laß ihn nur gehen", sagte ein anderer, "der König hat doch Langeweile, vielleicht macht ihm der Kater mit seinem Brummen und Spinnen Vergnügen. " Als der Kater vor den König kam, machte er eine Reverenz und sagte: "Mein Herr, der Graf", dabei nannte er einen langen, vornehmen Namen, "läßt sich dem Herrn König empfehlen und schickt ihm hier Rebhühner, die er eben in Schlingen gefangen hat." Der König erstaunte über die schönen Rebhühner, wußte sich vor Freude nicht zu lassen und befahl, dem Kater so viel Gold aus der Schatzkammer in den Sack zu tun, als er tragen könne: "Das bring deinem Herrn und dank ihm für sein Geschenk."
Der arme Müllerssohn aber saß zu Haus am Fenster, stützte den Kopf auf und dachte, daß er nun sein Letztes für die Stiefel des Katers weggegeben, und was werde ihm der schon Großes dafür bringen können. Da trat der Kater herein, warf den Sack vom Rücken, schnürte ihn auf und schüttete das vor den Müller hin: "Da hast du etwas für die Stiefel, der König läßt dich auch grüßen und dir viel Dank sagen. " Der Müller war froh über den Reichtum, ohne daß er noch recht begreifen konnte, wie es zugegangen war. Der Kater aber, während er seine Stiefel auszog, erzählte ihm alles, dann sagte er: "Du hast zwar jetzt Geld genug, aber dabei soll es nicht bleiben, morgen zieh' ich meine Stiefel wieder an, du sollst noch reicher werden, dem König hab ich auch gesagt, daß du ein Graf bist." Am andern Tag ging der Kater, wie er gesagt hatte, wohlgestiefelt wieder auf die Jagd und brachte dem König einen reichen Fang. So ging es alle Tage, und der Kater brachte alle Tage Gold heim und ward so beliebt wie einer bei dem König, daß er aus und ein gehen durfte und im Schloß herumstreichen, wo er wollte. Einmal stand der Kater in der Küche des Königs beim Herd und wärmte sich, da kam der Kutscher und fluchte: "Ich wünsch', der König mit der Prinzessin wär' beim Henker! Ich wollt' ins Wirtshaus gehen und einmal trinken und Karten spielen, da soll ich sie spazierenfahren an den See." Wie der Kater das hörte, schlich er nach Haus und sagte zu seinem Herrn: ,'Wenn du willst ein Graf und reich werden, so komm mit mir hinaus an den See und bad dich darin." Dcr Müller wußte nicht, was er dazu sagen sollte, doch folgte er dem Kater, zog sich splitternackend aus und sprang ins Wasser. Der Kater aber nahm seine Kleider und versteckte sie. Kaum war er damit fertig, da kam der König dahergefahren; der Kater fing sogleich an, erbärmlich zu lamentieren:
"Ach! Allergnädigster König! Mein Herr, der hat sich hier im See gebadet, da ist ein Dieb gekommen und hat ihm die Kleider gestohlen, nun ist der Herr Graf im Wasser und kann nicht heraus, und wenn er länger darin bleibt, wird er sich erkälten und sterben." Wie der König das hörte, ließ er haltmachen, und einer von seinen Leuten mußte zurückjagen und von des Königs Kleidern holen. Der Herr Graf zog die prächtigsten Kleider an, und weil ihm ohnehin der König wegen der Rebhühner, die er meinte von ihm empfangen zu haben, gewogen war, so mußte er sich zu ihm in die Kutsche setzen. Die Prinzessin war auch nicht bös darüber, denn der junge Graf gefiel ihr recht gut.
Der Kater aber war vorausgegangen und zu einer großen Wiese gekommen, wo über hundert Leute waren und Heu machten. "Wem ist die Wiese, ihr Leute?" fragte der Kater. - "Dem großen Zauberer." - "Hört, jetzt wird der König bald vorbeifahren, wenn der fragt, wem die Wiese gehört, so antwortet: 'Dem Grafen'; und wenn ihr das nicht tut, so werdet ihr alle totgeschlagen." - Darauf ging der Kater weiter und kam an ein Kornfeld, so groß, daß es niemand übersehen konnte, da standen mehr als zweihundert Leute und schnitten das Korn. "Wem ist das Korn, ihr Leute?" - "Dem Zauberer." - "Hört, jetzt wird der König vorbeifahren, wenn er fragt, wem das Korn gehört, so antwortet: ,Dem Grafen'; und wenn ihr das nicht tut, so werdet ihr alle totgeschlagen." - Endlich kam der Kater an einen prächtigen Wald, da standen mehr als dreihundert Leute, fällten die großen Eichen und machten Holz. "Wem ist der Wald, ihr Leute?" - "Dem Zauberer." - "Hört, jetzt wird der König vorbeifahren, wenn er fragt, wem der Wald gehört, so antwortet: ,Dem Grafen'; und wenn ihr das nicht tut, so werdet ihr alle umgebracht." Der Kater ging noch weiter, die Leute sahen ihm alle nach, und weil er so wunderlich aussah und wie ein Mensch in Stiefeln daherging, fürchteten sie sich vor ihm. Er kam bald an des Zauberers Schloß, trat kecklich hinein und vor ihn hin. Der Zauberer sah ihn verächtlich an und fragte ihn, was er wolle. Der Kater machte eine Reverenz und sagte: "Ich habe gehört, daß du in jedes Tier nach deinem Gefallen dich verwandeln könntest; was einen Hund, Fuchs oder auch Wolf betrifft, da will ich es wohl glauben, aber von einem Elefant, das scheint mir ganz unmöglich, und deshalb bin ich gekommen, um mich selbst zu überzeugen." Der Zauberer sagte stolz: "Das ist mir eine Kleinigkeit", und war in dem Augenblick in einen Elefant verwandelt. "Das ist viel, aber auch in einen Löwen?" - "Das ist auch nichts", sagte der Zauberer und stand als ein Löwe vor dem Kater. Der Kater stellte sich erschrocken und rief: "Das ist unglaublich und unerhört, dergleichen hätt' ich mir nicht im Traume in die Gedanken kommen lassen; aber noch mehr als alles andere wäre es, wenn du dich auch in ein so kleines Tier, wie eine Maus ist, verwandeln könntest, du kannst gewiß mehr als irgendein Zauberer auf der Welt, aber das wird dir doch zu hoch sein." Der Zauberer war ganz freundlich durch die süßen Worte und sagte: "O ja, liebes Kätzchen, das kann ich auch", und sprang als eine Maus im Zimmer herum. Der Kater war hinter ihr her, fing die Maus und fraß sie auf.
Der König aber war mit dem Grafen und der Prinzessin weiter spazieren gefahren und kam zu der großen Wiese. "Wem gehört das Heu?" fragte der König. - "Dem Herrn Grafen", riefen alle, wie der Kater ihnen befohlen hatte. - "Ihr habt da ein schön Stück Land, Herr Graf", sagte er. Darnach kamen sie an das große Kornfeld. "Wem gehört das Korn, ihr Leute?" -"Dem Herrn Grafen." - "Ei! Herr Graf! Große schöne Ländereien!" - Darauf kam er zu dem Wald: "Wem gehört das Holz, ihr Leute?" - "Dem Herrn Grafen." - Der König verwunderte sich noch mehr und sagte: "Ihr müßt ein reicher Mann sein, Herr Graf, ich habe keinen so prächtigen Wald." Endlich kamen sie an das Schloß, der Kater stand oben an der Treppe, und als der Wagen unten hielt, sprang er herab, machte die Tür auf und sagte: "Herr König, Ihr gelangt hier in das Schloß meines Herrn, des Grafen, den diese Ehre für sein Lebtag glücklich machen wird." Der König stieg aus und verwunderte sich über das prächtige Gebäude, das fast größer und schöner war als sein Schloß; der Graf aber führte die Prinzessin hinauf in den Saal.
Da ward die Prinzessin mit dem Grafen versprochen, und als der König starb, ward er König, der gestiefelte Kater aber sein erster Minister.

 

Der Gevatter Tod

Es hatte ein armer Mann zwölf Kinder und mußte Tag und Nacht arbeiten, damit er ihnen nur Brot geben konnte. Als nun das dreizehnte zur Welt kam, wußte er sich in seiner Not nicht zu helfen, lief hinaus auf die große Landstraße und wollte den ersten, der ihm begegnete, zu Gevatter bitten. Der erste, der ihm begegnete, das war der liebe Gott. Der wußte schon, was er auf dem Herzen hatte, und sprach zu ihm: ,,Armer Mann, du dauerst mich, ich will dein Kind aus der Taufe heben, will für es sorgen und es glücklich machen auf Erden."
Der Mann sprach: ,,Wer bist du?" - ,,Ich bin der liebe Gott." - ,,So begehr' ich dich nicht zu Gevatter", sagte der Mann, ,,du gibst dem Reichen und lässest den Armen hungern." Das sprach der Mann, weil er nicht wußte, wie weislich Gott Reichtum und Armut verteilt. Also wendete er sich von dem Herrn und ging weiter.
Da trat der Teufel zu ihm und sprach: ,,Was suchst du? Willst du mich zum Paten deines Kindes nehmen, so will ich ihm Gold die Hülle und Fülle und alle Lust der Welt dazu geben." - Der Mann fragte: ,,Wer bist du?" - ,,Ich bin der Teufel." - ,,So begehr' ich dich nicht zu Gevatter", sprach der Mann, ,,du betrügst und verführst die Menschen."
Er ging weiter; da kam der dürrbeinige Tod auf ihn zugeschritten und sprach: ,,Nimm mich zu Gevatter." Der Mann fragte: ,,Wer bist du?" - ,,Ich bin der Tod, der alle gleichmacht."
Da sprach der Mann: ,,Du bist der Rechte, du holst den Reichen wie den Armen ohne Unterschied, du sollst mein Gevattersmann sein." Der Tod antwortete: ,,Ich will dein Kind reich und berühmt machen; denn wer mich zum Freunde hat, dem kann's nicht fehlen." Der Mann sprach: ,,Künftigen Sonntag ist die Taufe, da stelle dich zu rechter Zeit ein." Der Tod erschien, wie er versprochen hatte, und stand ganz ordentlich Gevatter.
Als der Knabe zu Jahren gekommen war, trat zu einer Zeit der Pate ein und hieß ihn mitgehen. Er führte ihn hinaus in den Wald, zeigte ihm ein Kraut, das da wuchs, und sprach: ,,Jetzt sollst du dein Patengeschenk empfangen. Ich mache dich zu einem berühmten Arzt. Wenn du zu einem Kranken gerufen wirst, so will ich dir jedesmal erscheinen. Steh' ich zu Häupten des Kranken, so kannst du keck sprechen, du wolltest ihn wieder gesund machen, und gibst du ihm dann von jenem Kraut ein, so wird er genesen. Steh' ich aber zu Füßen des Kranken, so ist er mein, und du mußt sagen, alle Hilfe sei umsonst. Aber hüte dich, daß du das Kraut nicht gegen meinen Willen gebrauchst, es könnte dir schlimm ergehen."
Es dauerte nicht lange, so war der Jüngling der berühmteste Arzt auf der ganzen Welt. ,Er braucht nur den Kranken anzusehen, so weiß er schon, wie es steht, ob er wieder gesund wird oder ob er sterben muß', so hieß es von ihm, und weit und breit kamen die Leute herbei, holten ihn zu den Kranken und gaben ihm so viel Gold, daß er bald ein reicher Mann war.
Nun trug es sich zu, daß der König erkrankte. Der Arzt ward berufen und sollte sagen, ob Genesung möglich wäre. Wie er aber zu dem Bette trat, so stand der Tod zu den Füßen des Kranken, und da war für ihn kein Kraut mehr gewachsen. ,Wenn ich doch einmal den Tod überlisten könnte', dachte der Arzt, ,er wird's freilich übelnehmen, aber da ich sein Pate bin, so drückt er wohl ein Auge zu, ich will's wagen.' Er faßte also den Kranken und legte ihn verkehrt, so daß der Tod zu Haupten desselben zu stehen kam. Dann gab er ihm von dem Kraute ein, und der König erholte sich und ward wieder gesund. Der Tod aber kam zu dem Arzte, machte ein böses und finsteres Gesicht, drohte mit dem Finger und sagte: ,,Du hast mich hinter das Licht geführt, diesmal will ich dir's nachsehen, weil du mein Pate bist, aber wagst du das noch einmal, so geht dir's an den Kragen, und ich nehme dich selbst mit fort."
Bald hernach verfiel die Tochter des Königs in eine schwere Krankheit. Sie war sein einziges Kind, er weinte Tag und Nacht, daß ihm die Augen erblindeten, und ließ bekanntmachen, wer sie vom Tode errette, der sollte ihr Gemahl werden und die Krone erben. Der Arzt, als er zu dem Bette der Kranken kam, erblickte den Tod zu ihren Füßen. Er hätte sich der Warnung seines Paten erinnern sollen, aber die große Schönheit der Königstochter und das Glück, ihr Gemahl zu werden, betörten ihn so, daß er alle Gedanken in den Wind schlug. Er sah nicht, daß der Tod ihm zornige Blicke zuwarf, die Hand in die Höhe hob und mit der dürren Faust drohte; er hob die Kranke auf und legte ihr Haupt dahin, wo die Füße gelegen hatten. Dann gab er ihr das Kraut ein, und alsbald regte sich das Leben von neuem.
Der Tod, als er sich zum zweitenmal um sein Eigentum betrogen sah, ging mit langen Schritten auf den Arzt zu und sprach: ,,Es ist aus mit dir, und die Reihe kommt nun an dich", packte ihn mit seiner eiskalten Hand so hart, daß er nicht widerstehen konnte, und führte ihn in eine unterirdische Höhle. Da sah er, wie tausend und tausend Lichter in unübersehbaren Reihen brannten, einige groß, andere halbgroß, andere klein. Jeden Augenblick verloschen einige, und andere brannten wieder auf, also daß die Flämmchen in beständigem Wechsel zu sein schienen. ,,Siehst du", sprach der Tod, ,,das sind die Lebenslichter der Menschen. Die großen gehören Kindern, die halbgroßen Eheleuten in ihren besten Jahren, die kleinen gehören Greisen. Doch auch Kinder und junge Leute haben oft nur ein kleines Lichtchen." - ,,Zeige mir mein Lebenslicht", sagte der Arzt und meinte, es wäre noch recht groß. Der Tod deutete auf ein kleines Endchen, das eben auszugehen drohte, und sagte: ,,Siehst du, da ist es." - ,,Ach, lieber Pate", sagte der erschrockene Arzt, ,,zündet mir ein neues an, tut mir's zuliebe, damit ich König werde und Gemahl der schönen Königstochter." - ,,Ich kann nicht", antwortete der Tod, ,,erst muß eins verlöschen, eh' ein neues anbrennt. - ,,So setzt das alte auf ein neues, das gleich fortbrennt, wenn jenes zu Ende ist", bat der Arzt.
Der Tod stellte sich, als ob er seinen Wunsch erfüllen wollte, langte ein frisches, großes Licht herbei, aber weil er sich rächen wollte, versah er's beim Umstecken absichtlich, und das Stöckchen fiel um und verlosch. Alsbald sank der Arzt zu Boden und war nun selbst in die Hand des Todes geraten.

 

Der gläserne Sarg

Sage niemand, daß ein armer Schneider es nicht weit bringen und nicht zu hohen Ehren gelangen könne, es ist weiter gar nichts nötig, als daß er an die rechte Schmiede kommt und, was die Hauptsache ist, daß es ihm glückt. Ein solches artiges und behendes Schneiderbürschchen ging einmal seiner Wanderschaft nach und kam in einen großen Wald, und weil es den Weg nicht wußte, verirrte es sich. Die Nacht brach ein, und es blieb ihm nichts übrig, als in dieser schauerlichen Einsamkeit ein Lager zu suchen. Auf dem weichen Moose hätte er freilich ein gutes Bett gefunden, allein die Furcht vor den wilden Tieren ließ ihm da keine Ruhe, und er mußte sich endlich entschließen, auf einem Baume zu übernachten. Er suchte eine hohe Eiche, stieg bis in den Gipfel hinauf und dankte Gott, daß er sein Bügeleisen bei sich trug, weil ihn sonst der Wind, der über die Gipfel der Bäume wehete, weggeführt hätte.
Nachdem er einige Stunden in der Finsternis, nicht ohne Zittern und Zagen, zugebracht hatte, erblickte er in geringer Entfernung den Schein eines Lichtes; und weil er dachte, daß da eine menschliche Wohnung sein möchte, wo er sich besser befinden würde als auf den ästen eines Baums, so stieg er vorsichtig herab und ging dem Lichte nach. Es leitete ihn zu einem kleinen Häuschen, das aus Rohr und Binsen geflochten war. Er klopfte mutig an, die Türe öffnete sich, und bei dem Scheine des herausfallenden Lichtes sah er ein altes eisgraues Männchen, das ein von buntfarbigen Lappen zusammengesetztes Kleid anhatte. 'Wer seid Ihr, und was wollt Ihr?' fragte es mit einer schnarrenden Stimme. 'Ich bin ein armer Schneider,' antwortete er, 'den die Nacht hier in der Wildnis überfallen hat, und bitte Euch inständig, mich bis morgen in Eurer Hütte aufzunehmen.' 'Geh deiner Wege,' erwiderte der Alte mit mürrischem Tone, 'mit Landstreichern will ich nichts zu schaffen haben; suche dir anderwärts ein Unterkommen.' Nach diesen Worten wollte er wieder in sein Haus schlüpfen, aber der Schneider hielt ihn am Rockzipfel fest und bat so beweglich, daß der Alte, der so böse nicht war, als er sich anstellte, endlich erweicht ward und ihn mit in seine Hütte nahm, wo er ihm zu essen gab und dann in einem Winkel ein ganz gutes Nachtlager anwies.
Der müde Schneider brauchte keines Einwiegens, sondern schlief sanft bis an den Morgen, würde auch noch nicht an das Aufstehen gedacht haben, wenn er nicht von einem lauten Lärm wäre aufgeschreckt worden. Ein heftiges Schreien und Brüllen drang durch die dünnen Wände des Hauses. Der Schneider, den ein unerwarteter Mut überkam, sprang auf, zog in der Hast seine Kleider an und eilte hinaus. Da erblickte er nahe bei dem Häuschen einen großen schwarzen Stier und einen schönen Hirsch, die in dem heftigsten Kampfe begriffen waren. Sie gingen mit so großer Wut aufeinander los, daß von ihrem Getrampel der Boden erzitterte, und die Luft von ihrem Geschrei erdröhnte. Es war lange ungewiß, welcher von beiden den Sieg davontragen würde: endlich stieß der Hirsch seinem Gegner das Geweih in den Leib, worauf der Stier mit entsetzlichem Brüllen zur Erde sank, und durch einige Schläge des Hirsches völlig getötet ward.
Der Schneider, welcher dem Kampfe mit Erstaunen zugesehen hatte, stand noch unbeweglich da, als der Hirsch in vollen Sprüngen auf ihn zueilte und ihn, ehe er entfliehen konnte, mit seinem großen Geweihe geradezu aufgabelte. Er konnte sich nicht lange besinnen, denn es ging schnellen Laufes fort über Stock und Stein, Berg und Tal, Wiese und Wald. Er hielt sich mit beiden Händen an den Enden des Geweihes fest und überließ sich seinem Schicksal. Es kam ihm aber nicht anders vor, als flöge er davon. Endlich hielt der Hirsch vor einer Felsenwand still und ließ den Schneider sanft herabfallen. Der Schneider, mehr tot als lebendig, bedurfte längerer Zeit, um wieder zur Besinnung zu kommen. Als er sich einigermaßen erholt hatte, stieß der Hirsch, der neben ihm stehen geblieben war, sein Geweih mit solcher Gewalt gegen eine in dem Felsen befindliche Türe, daß sie aufsprang. Feuerflammen schlugen heraus, auf welche ein großer Dampf folgte, der den Hirsch seinen Augen entzog. Der Schneider wußte nicht, was er tun und wohin er sich wenden sollte, um aus dieser Einöde wieder unter Menschen zu gelangen. Indem er also unschlüssig stand, tönte eine Stimme aus dem Felsen, die ihm zurief 'tritt ohne Furcht herein, dir soll kein Leid widerfahren.' Er zauderte zwar, doch, von einer heimlichen Gewalt angetrieben, gehorchte er der Stimme und gelangte durch die eiserne Tür in einen großen geräumigen Saal, dessen Decke, Wände und Boden aus glänzend geschliffenen Quadratsteinen bestanden, auf deren jedem ihm unbekannte Zeichen eingehauen waren. Er betrachtete alles voll Bewunderung und war eben im Begriff, wieder hinauszugehen, als er abermals die Stimme vernahm, welche ihm sagte 'tritt auf den Stein, der in der Mitte des Saales liegt, und dein wartet großes Glück.'
Sein Mut war schon so weit gewachsen, daß er dem Befehle Folge leistete. Der Stein begann unter seinen Füßen nachzugeben und sank langsam in die Tiefe hinab. Als er wieder feststand und der Schneider sich umsah, befand er sich in einem Saale, der an Umfang dem vorigen gleich war. Hier aber gab es mehr zu betrachten und zu bewundern. In die Wände waren Vertiefungen eingehauen, in welchen Gefäße von durchsichtigem Glase standen, die mit farbigem Spiritus oder mit einem bläulichen Rauche angefüllt waren. Auf dem Boden des Saales standen, einander gegenüber, zwei große gläserne Kasten, die sogleich seine Neugierde reizten. Indem er zu dem einen trat, erblickte er darin ein schönes Gebäude, einem Schlosse ähnlich, von Wirtschaftsgebäuden, Ställen und Scheuern und einer Menge anderer artigen Sachen umgeben. Alles war klein, aber überaus sorgfältig und zierlich gearbeitet, und schien von einer kunstreichen Hand mit der höchsten Genauigkeit ausgeschnitzt zu sein.
Er würde seine Augen von der Betrachtung dieser Seltenheiten noch nicht abgewendet haben, wenn sich nicht die Stimme abermals hätte hören lassen. Sie forderte ihn auf, sich umzukehren und den gegenüberstehenden Glaskasten zu beschauen. Wie stieg seine Verwunderung, als er darin ein Mädchen von größter Schönheit erblickte. Es lag wie im Schlafe, und war in lange blonde Haare wie in einen kostbaren Mantel eingehüllt. Die Augen waren fest geschlossen, doch die lebhafte Gesichtsfarbe und ein Band, das der Atem hin und her bewegte, ließen keinen Zweifel an ihrem Leben. Der Schneider betrachtete die Schöne mit klopfendem Herzen, als sie plötzlich die Augen aufschlug und bei seinem Anblick in freudigem Schrecken zusammenfuhr. 'Gerechter Himmel,' rief sie, 'meine Befreiung naht! geschwind, geschwind, hilf mir aus meinem Gefängnis: wenn du den Riegel an diesem gläsernen Sarg wegschiebst, so bin ich erlöst.' Der Schneider gehorchte ohne Zaudern, alsbald hob sie den Glasdeckel in die Höhe, stieg heraus und eilte in die Ecke des Saals, wo sie sich in einen weiten Mantel verhüllte. Dann setzte sie sich auf einen Stein nieder, hieß den jungen Mann herangehen, und nachdem sie einen freundlichen Kuß auf seinen Mund gedrückt hatte, sprach sie 'mein lang ersehnter Befreier, der gütige Himmel hat mich zu dir geführt und meinen Leiden ein Ziel gesetzt. An demselben Tage, wo sie endigen, soll dein Glück beginnen. Du bist der vom Himmel bestimmte Gemahl, und sollst, von mir geliebt und mit allen irdischen Gütern überhäuft, in ungestörter Freud dein Leben zubringen. Sitz nieder und höre die Erzählung meines Schicksals.
Ich bin die Tochter eines reichen Grafen. Meine Eltern starben, als ich noch in zarter Jugend war, und empfahlen mich in ihrem letzten Willen meinem älteren Bruder, bei dem ich auferzogen wurde. Wir liebten uns so zärtlich und waren so übereinstimmend in unserer Denkungsart und unsern Neigungen, daß wir beide den Entschluß faßten, uns niemals zu verheiraten, sondern bis an das Ende unseres Lebens beisammen zu bleiben. In unserm Hause war an Gesellschaft nie Mangel: Nachbarn und Freunde besuchten uns häufig, und wir übten gegen alle die Gastfreundschaft in vollem Maße. So geschah es auch eines Abends, daß ein Fremder in unser Schloß geritten kam und unter dem Vorgeben, den nächsten Ort nicht mehr erreichen zu können, um ein Nachtlager bat. Wir gewährten seine Bitte mit zuvorkommender Höflichkeit, und er unterhielt uns während des Abendessens mit seinem Gespräche und eingemischten Erzählungen auf das anmutigste. Mein Bruder hatte ein so großes Wohlgefallen an ihm, daß er ihn bat, ein paar Tage bei uns zu verweilen, wozu er nach einigem Weigern einwilligte. Wir standen erst spät in der Nacht vom Tische auf, dem Fremden wurde ein Zimmer angewiesen, und ich eilte, ermüdet, wie ich war, meine Glieder in die weichen Federn zu senken. Kaum war ich ein wenig eingeschlummert, so weckten mich die Töne einer zarten und lieblichen Musik. Da ich nicht begreifen konnte, woher sie kamen, so wollte ich mein im Nebenzimmer schlafendes Kammermädchen rufen, allein zu meinem Erstaunen fand ich, daß mir, als lastete ein Alp auf meiner Brust, von einer unbekannten Gewalt die Sprache benommen und ich unvermögend war, den geringsten Laut von mir zu geben. Indem sah ich bei dem Schein der Nachtlampe den Fremden in mein durch zwei Türen fest verschlossenes Zimmer eintreten. Er näherte sich mir und sagte, daß er durch Zauberkräfte, die ihm zu Gebote ständen, die liebliche Musik
habe ertönen lassen, um mich aufzuwecken, und dringe jetzt selbst durch alle Schlösser in der Absicht, mir Herz und Hand anzubieten. Mein Widerwille aber gegen seine Zauberkünste war so groß, daß ich ihn keiner Antwort würdigte. Er blieb eine Zeitlang unbeweglich stehen, wahrscheinlich in der Absicht, einen günstigen Entschluß zu erwarten, als ich aber fortfuhr zu schweigen, erklärte er zornig, daß er sich rächen und Mittel finden werde, meinen Hochmut zu bestrafen, worauf er das Zimmer wieder verließ. Ich brachte die Nacht in höchster Unruhe zu und schlummerte erst gegen Morgen ein. Als ich erwacht war, eilte ich zu meinem Bruder, um ihn von dem, was vorgefallen war, zu benachrichtigen, allein ich fand ihn nicht auf seinem Zimmer, und der Bediente sagte mir, daß er bei anbrechendem Tage mit dem Fremden auf die Jagd geritten sei.
Mir ahnete gleich nichts Gutes. Ich kleidete mich schnell an, ließ meinen Leibzelter satteln und ritt, nur von einem Diener begleitet, in vollem Jagen nach dem Walde. Der Diener stürzte mit dem Pferde und konnte mir, da das Pferd den Fuß gebrochen hatte, nicht folgen. Ich setzte, ohne mich aufzuhalten, meinen Weg fort, und in wenigen Minuten sah ich den Fremden mit einem schönen Hirsch, den er an der Leine führte, auf mich zukommen. Ich fragte ihn, wo er meinen Bruder gelassen habe und wie er zu diesem Hirsche gelangt sei, aus dessen großen Augen ich Tränen fließen sah. Anstatt mir zu antworten, fing er an laut aufzulachen. Ich geriet darüber in höchsten Zorn, zog eine Pistole und drückte sie gegen das Ungeheuer ab, aber die Kugel prallte von seiner Brust zurück und fuhr in den Kopf meines Pferdes. Ich stürzte zur Erde, und der Fremde murmelte einige Worte, die mir das Bewußtsein raubten.
Als ich wieder zur Besinnung kam, fand ich mich in dieser unterirdischen Gruft in einem gläsernen Sarge. Der Schwarzkünstler erschien nochmals, sagte, daß er meinen Bruder in einen Hirsch verwandelt, mein Schloß mit allem Zubehör verkleinert in den andern Glaskasten eingeschlossen und meine in Rauch verwandelten Leute in Glasflaschen gebannt hätte. Wolle ich mich jetzt seinem Wunsche fügen, so sei ihm ein leichtes, alles wieder in den vorigen Stand zu setzen: er brauche nur die Gefäße zu öffnen, so werde alles wieder in die natürliche Gestalt zurückkehren. Ich antwortete ihm so wenig als das erstemal. Er verschwand und ließ mich in meinem Gefängnisse liegen, in welchem mich ein tiefer Schlaf befiel. Unter den Bildern, welche an meiner Seele vorübergingen, war auch das tröstliche, daß ein junger Mann kam und mich befreite, und als ich heute die Augen öffne, so erblicke ich dich und sehe meinen Traum erfüllt. Hilf mir vollbringen, was in jenem Gesichte noch weiter geschah. Das erste ist, daß wir den Glaskasten, in welchem mein Schloß sich befindet, auf jenen breiten Stein heben.'
Der Stein, sobald er beschwert war, hob sich mit dem Fräulein und dem Jüngling in die Höhe und stieg durch die öffnung der Decke in den obern Saal, wo sie dann leicht ins Freie gelangen konnten. Hier öffnete das Fräulein den Deckel, und es war wunderbar anzusehen, wie Schloß, Häuser und Gehöfte sich ausdehnten und in größter Schnelligkeit zu natürlicher Größe heranwuchsen. Sie kehrten darauf in die unterirdische Höhle zurück und ließen die mit Rauch gefüllten Gläser von dem Steine herauftragen. Kaum hatte das Fräulein die Flaschen geöffnet, so drang der blaue Rauch heraus und verwandelte sich in lebendige Menschen, in welchen das Fräulein ihre Diener und Leute erkannte. Ihre Freude ward noch vermehrt, als ihr Bruder, der den Zauberer in dem Stier getötet hatte, in menschlicher Gestalt aus dem Walde herankam, und noch denselben Tag reichte das Fräulein, ihrem Versprechen gemäß, dem glücklichen Schneider die Hand am Altare.

 

Die goldene Gans

Es war ein Mann, der hatte drei Söhne, davon hieß der jüngste der Dummling und wurde verachtet und verspottet und bei jeder Gelegenheit zurückgesetzt. Es geschah, daß der älteste in den Wald gehen wollte, Holz hauen, und eh' er ging, gab ihm noch seine Mutter einen schönen, feinen Eierkuchen und eine Flasche Wein mit, damit er nicht Hunger und Durst litte. Als er in den Wald kam, begegnete ihm ein altes, graues Männlein, das bot ihm einen guten Tag und sprach: "Gib mir doch ein Stück Kuchen aus deiner Tasche und laß mich einen Schluck von deinem Wein trinken, ich bin so hungrig und durstig." Der kluge Sohn aber antwortete: "Geb' ich dir meinen Kuchen und meinen Wein, so hab' ich selber nichts, pack dich deiner Wege", und ließ das Männlein stehen. Als er nun anfing, einen Baum zu behauen, dauerte es nicht lange, so hieb er fehl, und die Axt fuhr ihm in den Arm, daß er heimgehen und sich verbinden lassen mußte. Das war aber von dem grauen Männchen gekommen.
Darauf ging der zweite Sohn in den Wald, und die Mutter gab ihm wie dem ältesten einen Eierkuchen und eine Flasche Wein. Dem begegnete gleichfalls das Männchen und hielt um ein Stückchen Kuchen und einen Trunk Wein an. Aber der zweite Sohn sprach auch ganz verständig: "Was ich dir gebe, das geht mir selber ab, pack dich deiner Wege", ließ das Männlein stehen und ging fort. Die Strafe blieb nicht aus; als er ein paar Hiebe am Baum getan, hieb er sich ins Bein, daß er nach Haus getragen werden mußte.
Da sagte der Dummling: "Vater, laß mich einmal hinausgehen und Holz hauen." Antwortete der Vater: "Deine Brüder haben sich Schaden dabei getan, bleib davon, du verstehst nichts davon." Der Dummling aber bat so lange, bis er endlich sagte: "Geh nur hin, durch Schaden wirst du klug werden." Die Mutter gab ihm einen Kuchen, der war mit Wasser in der Asche gebacken, und dazu eine Flasche saueres Bier. Als er in den Wald kam, begegnete ihm gleichfalls das alte, graue Männchen, grüßte ihn und sprach: "Gib mir ein Stück von deinem Kuchen und einen Trunk aus deiner Flasche, ich bin so hungrig und durstig." Antwortete der Dummling: "Ich habe aber nur Aschenkuchen und saueres Bier, wenn dir das recht ist, so wollen wir uns setzen und essen." Da setzten sie sich, und als der Dummling seinen Aschenkuchen herausholte, so war's ein feiner Eierkuchen, und das sauere Bier war ein guter Wein. Nun aßen und tranken sie, und danach sprach das Männlein: "Weil du ein gutes Herz hast und von dem Deinigen gerne mitteilst, so will ich dir Glück bescheren. Dort steht ein alter Baum, den hau ab, so wirst du in den Wurzeln etwas finden." Darauf nahm das Männlein Abschied.
Der Dummling ging hin und hieb den Baum um, und wie er fiel, saß in den Wurzeln eine Gans, die hatte Federn von reinem Gold. Er hob sie heraus, nahm sie mit sich und ging in ein Wirtshaus, da wollte er übernachten. Der Wirt aber hatte drei Töchter, die sahen die Gans, waren neugierig, was das für ein wunderlicher Vogel wäre, und hätten gar gern eine von seinen goldenen Federn gehabt. Die älteste dachte: ,Es wird sich schon eine Gelegenheit finden, wo ich mir eine Feder ausziehen kann', und als der Dummling einmal hinausgegangen war, faßte sie die Gans beim Flügel, aber Finger und Hand blieben ihr daran festhängen. Bald danach kam die zweite und hatte keinen andern Gedanken, als sich eine goldene Feder zu holen. Kaum aber hatte sie ihre Schwester angerührt, so blieb sie festhängen. Endlich kam auch die dritte in gleicher Absicht. Da schrien die andern: "Bleib weg, um's Himmels willen, bleib weg!" Aber sie begriff nicht, warum sie wegbleiben sollte, dachte: ,Sind die dabei, so kann ich auch dabei sein', und sprang herzu, und wie sie ihre Schwester angerührt hatte, so blieb sie an ihr hängen. So mußten sie die Nacht bei der Gans zubringen.
Am andern Morgen nahm der Dummling die Gans in den Arm, ging fort ünd bekümmerte sich nicht um die drei Mädchen, die daran hingen. Sie mußten immer hinter ihm dreinlaufen. Mitten auf dem Felde begegnete ihnen der Pfarrer, und als er den Aufzug sah, sprach er: "Schämt euch, ihr garstigen Mädchen, was lauft ihr dem jungen Bursch nach, schickt sich das?" Damit faßte er die jüngste an die Hand und wollte sie zurückziehen. Wie er sie aber anrührte, blieb er gleichfalls hängen und mußte selber hinterdreinlaufen. Nicht lange, so kam der Küster daher und sah den Herrn Pfarrer, der drei Mädchen auf dem Fuß folgte; Da verwunderte er sich und rief: "Ei, Herr Pfarrer, wo hinaus so geschwind? Vergeßt nicht, daß wir heute noch eine Kindtaufe haben", lief auf ihn zu und faßte ihn am Ärmel, blieb aber auch festhängen. Wie die fünf so hintereinander her trabten, kamen zwei Bauern mit ihren Hacken vom Feld; da rief der Pfarrer sie an und bat, sie möchten ihn und den Küster losmachen. Kaum aber hatten sie den Küster angerührt, so blieben sie hängen, und es waren ihrer nun siebene, die dem Dummung mit der Gans nachliefen.
Er kam darauf in eine Stadt, da herrschte ein König, der hatte eine Tochter, die war so ernsthaft, daß sie niemand zum Lachen bringen konnte. Darum hatte er ein Gesetz gegeben, wer sie zum Lachen bringen könnte, der sollte sie heiraten. Der Dummling, als er das hörte, ging mit seiner Gans und ihrem Anhang vor die Königstocher, und als diese die sieben Menschen immer hintereinander her laufen sah, fing sie überlaut an zu lachen und wollte gar nicht wieder aufhören. Da verlangte sie der Dummling zur Braut, aber dem König gefiel der Schwiegersohn nicht, er machte allerlei Einwendungen und sagte, er müßte ihm erst einen Mann bringen, der einen Keller voll Wein austrinken könnte. Der Dummling dachte an das graue Männchen, das könnte ihm wohl helfen, ging hinaus in den Wald, und auf der Stelle, wo er den Baum abgehauen hatte, sah er einen Mann sitzen, der machte ein ganz betrübtes Gesicht. Der Dummling fragte, was er sich so sehr zu Herzen nähme. Da antwortete er: "Ich habe so großen Durst und kann ihn nicht löschen, das kalte Wasser vertrage ich nicht, ein Faß Wein habe ich zwar ausgeleert, aber was ist ein Tropfen auf einem heißen Stein?" - "Da kann ich dir helfen", sagte der Dummling, "komm nur mit mir, du sollst satt haben." Er führte ihn darauf in des Königs Keller, und der Mann trank und trank, daß ihm die Hüften weh taten, und ehe ein Tag herum war, hatte er den ganzen Keller ausgetrunken. Der Dummling verlangte abermals seine Braut, der König aber ärgerte sich, daß ein schlechter Bursch, den jedermann einen Dummling nannte, seine Tochter davontragen sollte, und machte neue Bedingungen: Er müßte erst einen Mann schaffen, der einen Berg voll Brot aufessen könnte. Der Dummling ging sogleich hinaus in den Wald. Da saß auf demselben Platz ein Mann, der schnürte sich den Leib mit einem Riemen zusammen, machte ein grämliches Gesicht und sagte: "Ich habe einen ganzen Backofen voll Raspelbrot gegessen, aber was hilft das, wenn man so großen Hunger hat wie ich, mein Magen bleibt leer, und ich muß mich nur zuschnüren, wenn ich nicht Hungers sterben soll." Der Dummling war froh darüber und sprach: "Mach dich auf und geh mit mir, du sollst dich satt essen." Er führte ihn an den Hof des Königs, der hatte alles Mehl aus dem ganzen Reich zusammenfahren und einen ungeheuern Berg davon backen lassen; der Mann aber aus dem Walde stellte sich davor, fing an zu essen, und in einem Tag war der ganze Berg verschwunden. Der Dummling forderte zum drittenmal seine Braut, der König aber suchte noch einmal Ausflucht und verlangte ein Schiff, das zu Land und zu Wasser fahren könnte. "Sowie du aber damit angesegelt kommst", sagte er, "so sollst du gleich meine Tochter zur Gemahlin haben." Der Dummling ging geradesweges in den Wald, da saß das alte, graue Männchen, dem er seinen Kuchen gegeben hatte, und sagte: "Ich habe für dich getrunken und gegessen, ich will dir auch das Schiff geben, das alles tu' ich, weil du barmherzig gegen mich gewesen bist." Da gab er ihm das verlangte Schiff, und als der König das sah, konnte er ihm seine Tochter nicht länger vorenthalten. Die Hochzeit ward gefeiert, nach des Königs Tod erbte der Dummling das Reich und lebte lange Zeit vergnügt mit seiner Gemahlin.

 

Die Goldkinder

Es waren ein armer Mann und eine arme Frau, die hatten nichts als eine kleine Hütte und nährten sich nur vom Fischfang. Es geschah aber, als der Mann eines Tages beim Wasser saß und sein Netz auswarf, daß er einen Fisch herauszog, der ganz golden war. Und als er den Fisch voll Verwunderung betrachtete, hub dieser an zu reden und sprach: "Hör, Fischer, wirfst du mich wieder ins Wasser, so mach' ich deine Hütte zu einem prächtigen Schloß." Da antwortete der Fischer: "Was hilft mir ein Schloß, wenn ich nichts zu essen habe?" Sprach der Goldfisch weiter: "Auch dafür soll gesorgt sein, es wird ein Schrank im Schloß sein, wenn du den aufschließest, so stehen Schüsseln darin mit den schönsten Speisen, soviel du dir wünschest." "Wenn das ist", sprach der Mann, "so kann ich dir wohl den Gefallen tun." "Ja", sagte der Fisch, "es ist aber die Bedingung dabei, daß du keinem Menschen auf der Welt, wer es auch immer sein mag, entdeckst, woher dein Glück gekommen ist; sprichst du ein einziges Wort, so ist alles vorbei."
Nun warf der Mann den wunderbaren Fisch wieder ins Wasser und ging heim. Wo aber sonst seine Hütte gestanden hatte, da stand jetzt ein großes Schloß. Da machte er große Augen, trat hinein und sah seine Frau, mit schönen Kleidern geputzt, in einer prächtigen Stube sitzen. Sie war ganz vergnügt und sprach: "Mann, wie ist das auf einmal gekommen? Das gefällt mir wohl." "Ja", sagte der Mann, "es gefällt mir auch, aber es hungert mich auch gewaltig, gib mir erst was zu essen." Sprach die Frau: "Ich habe nichts und weiß in dem neuen Haus nichts zu finden." "Das hat keine Not", sagte der Mann, "dort sehe ich einen großen Schrank, den schließ einmal auf." wie sie den Schrank aufschloß, standen da Kuchen, Fleisch, Obst, Wein und Iachten einen ordentlich an. Da rief die Frau voll Freude: "Herz, was begehrst du nun?" und sie setzten sich nieder, aßen und tranken zusammen. Wie sie satt waren, fragte die Frau: "Aber Mann, wo kommt all dieser Reichtum her?" "Ach", antwortete er, "frage mich nicht darum, ich darf dir's nicht sagen, sonst ist unser Glück wieder dahin." "Gut", sprach sie, "wenn ich's nicht wissen soll, so begehr' ich's auch nicht zu wissen. Das war aber ihr Ernst nicht, es ließ ihr keine Ruhe, und sie quälte und stachelte den Mann so lange, bis er in Ungeduld heraussagte, es käme alles von dem goldenen Fisch, den er gefangen und dafür wieder in Freiheit gelassen hätte. Und wie's heraus war, da verschwand alsbald das schöne Schloß mit dem Schrank, und sie saßen wieder in der alten Fischerhütte.
Der Mann mußte von vorne anfangen, seinem Gewerbe nachgehen und fischen. Das Glück wollte es aber, daß er den goldenen Fisch noch einmal herauszog. "Hör", sprach der Fisch, "wenn du mich wieder ins Wasser wirfst, so will ich dir noch einmal das Schloß mit dem Schrank voll Gesottenem und Gebratenem zurückgeben; nur halt dich fest und verrat beileibe nicht, von wem du's hast, sonst geht's wieder verloren." "Ich will mich schon hüten", antwortete der Fischer und warf den Fisch in sein Wasser hinab. Daheim war nun alles wieder in voriger Herrlichkeit, und die Frau war in einer Freude über das Glück; aber die Neugierde ließ ihr doch keine Ruhe, daß sie nach ein paar Tagen wieder zu fragen anhub, wie es zugegangen wäre und wie er es angefangen habe. Der Mann schwieg eine Zeitlang still dazu, endlich aber machte sie ihn so ärgerlich, daß er herausplatzte und das Geheimnis verriet. In dem Augenblick verschwand das Schloß, und sie saßen wieder in der alten Hütte. "Nun hast du's", sagte der Mann, "jetzt können wir wieder am Hungertuch nagen." "Ach", sprach die Frau, "ich will den Reichtum lieber nicht, wenn ich nicht weiß, von wem er kommt; sonst habe ich doch keine Ruhe."
Der Mann ging wieder fischen, und über eine Zeit, da war's nicht anders, er holte den Goldfisch zum drittenmal heraus. "Hör", sprach der Fisch, "ich sehe wohl, ich soll immer wieder in deine Hände fallen, nimm mich mit nach Haus und zerschneid mich in sechs Stücke, zwei davon gib deiner Frau zu essen, zwei deinem Pferd und zwei leg in die Erde, so wirst du Segen davon haben." Der Mann nahm den Fisch mit nach Haus und tat, wie er ihm gesagt hatte. Es geschah aber, daß aus den zwei Stücken, die in die Erde gelegt waren, zwei goldene Lilien aufwuchsen und daß das Pferd zwei goldene Füllen bekam und des Fischers Frau zwei goldene Kinder gebar.
Die Kinder wuchsen heran, wurden groß und schön, und die Lilien und Pferde wuchsen mit ihnen. Da sprachen sie: "Vater, wir wollen uns auf unsere goldenen Rosse setzen und in die Welt ausziehen." Er aber antwortete betrübt: "Wie soll ich's aushalten, wenn ihr fortzieht und ich nicht weiß, wie s euch geht?" Da sagten sie: "Die zwei goldenen Lilien bleiben hier, daran könnt Ihr sehen, wie's uns geht. Sind sie frisch, so sind wir gesund; sind sie welk, so sind wir krank; fallen sie um, so sind wir tot." Sie ritten fort und kamen in ein Wirtshaus, darin waren viele Leute, und als sie die zwei Goldkinder erblickten, fingen sie an zu lachen und zu spotten. Wie der eine das Gespött hörte, so schämte er sich, kehrte um und kam wieder heim zu seinem Vater. Der andere aber ritt fort und gelangte zu einem großen Wald. Und als er hineinreiten wollte, sprachen die Leute: "Es geht nicht, daß Ihr durchreitet, der Wald ist voller Räuber, die werden übel mit Euch umgehen, und gar, wenn sie sehen, daß Ihr golden seid und Euer Pferd auch, so werden sie Euch totschlagen." Er aber ließ sich nicht schrecken und sprach: "Ich muß und soll hindurch." Da nahm er Bärenfelle und überzog sich und sein Pferd damit, daß nichts mehr vom Gold zu sehen war, und ritt getrost in den Wald hinein. Als er ein wenig fortgeritten war, so hörte er es in den Gebüschen rauschen und vernahm Stimmen. Von der einen Seite rief's: "Da ist einer", von der andern aber: "Laß ihn laufen, das ist ein Bärenhäuter und arm wie eine Kirchenmaus, was sollen wir mit ihm anfangen?"
Eines Tages kam er in ein Dorf, darin sah er ein Mädchen, das war so schön, daß er nicht glaubte, es könnte ein schöneres auf der Welt sein. Und weil er eine so große Liebe zu ihm empfand, so ging er zu ihm und sagte: "Ich habe dich von ganzem Herzen lieb, willst du meine Frau werden?" Er gefiel aber auch dem Mädchen so sehr, daß es einwilligte und sprach: "Ja, ich will deine Frau werden und dir treu sein mein lebelang." Nun hielten sie Hochzeit zusammen, und als sie eben in der größten Freude waren, kam der Vater der Braut heim, und als er sah, daß seine Tochter Hochzeit machte, verwunderte er sich und sprach: "Wo ist der Bräutigam?" Sie zeigten ihm das Goldkind, das hatte aber noch seine Bärenfelle um. Da sprach der Vater zornig: "Nimmermehr soll ein Bärenhäuter meine Tochter haben", und wollte ihn ermorden. Da bat ihn die Braut, was sie konnte, und sprach: "Er ist einmal mein Mann, und ich habe ihn von Herzen lieb", bis er sich endlich besänftigen ließ. Doch es kam ihm nicht auS den Gedanken, so daß er am andern morgen früh aufstand und seiner Tochter Mann sehen wollte, ob er ein verlumpter Bettler wäre. Wie er aber hinblickte, sah er einen herrlichen goldenen Mann im Bette, und die abgeworfenen Bärenfelle lagen auf der Erde. Da ging er zurück und dachte: ,Wie gut ist's, daß ich meinen Zorn bändigte, ich hätte eine große Missetat begangen.'
Dem Goldkind aber träumte, er zöge hinaus auf die Jagd nach einem prächtigen Hirsch, und als er am Morgen erwachte, sprach er zu seiner Braut: "Ich will hinaus auf die Jagd." Ihr war angst, und sie bat ihn, dazubleiben, und sagte: "Leicht kann dir ein großes Unglück begegnen", aber er antwortete: "Ich soll und muß fort." Da stand er auf und zog in den Wald, und gar nicht lange, so hielt auch ein stolzer Hirsch vor ihm, ganz nach seinem Traume. Er wollte ihn schießen, aber der Hirsch sprang fort. Da jagte er ihm nach über Gräben und durch Gebüsche und ward nicht müde den ganzen Tag; am Abend aber verschwand der Hirsch vor seinen Augen. Und als das Goldkind sich umsah, so stand er vor einem kleinen Haus, darin saß eine Hexe. Er klopfte an, und ein Mütterchen kam heraus und fragte: "Was wollt Ihr so spät noch mitten in dem großen Wald?" Er sprach: "Habt Ihr keinen Hirsch gesehen?" "Ja", antwortete sie, "den Hirsch kenn' ich wohl", und ein Hündlein, das mit ihr aus dem Haus gekommen war, bellte dabei den Mann heftig an. "Willst du schweigen, du böse Kröte", sprach er, "sonst schieß' ich dich tot." Da rief die Hexe zornig: "Was, mein Hündchen willst du töten?" und verwandelte ihn alsbald, daß er dalag wie ein Stein, und seine Braut erwartete ihn umsonst und dachte: ,Er ist gewiß eingetroffen, was mir so angst machte und so schwer auf dem Herzen lag.'
Daheim aber stand der andere Bruder bei den Goldlilien, als plötzlich eine davon umfiel. "Ach, Gott", sprach er, "meinem Bruder ist ein großes Unglück zugestoßen, ich muß fort, ob ich ihn vielleicht errette." Da sagte der Vater: "Bleib hier, wenn ich auch dich verliere, was soll ich anfangen?" Er aber antwortete: " Ich soll und muß fort. " Da setzte er sich auf sein goldenes Pferd und ritt fort und kam in den großen Wald, wo sein Bruder lag und Stein war. Die alte Hexe kam aus ihrem Haus, rief ihn an und wollte ihn auch berücken, aber er näherte sich nicht, sondern sprach: "Ich schieße dich nieder, wenn du meinen Bruder nicht wieder lebendig machst." Sie rührte, so ungerne sie's auch tat, den Stein mit dem Finger an, und alsbald erhielt er sein menschliches Leben zurück. Die beiden Goldkinder aber freuten sich, küßten und herzten sich und ritten zusammen fort, der eine zu seiner Braut, der andere heim zu seinem Vater. Da sprach der Vater: "Ich wußte wohl, daß du deinen Bruder erlöst hattest; denn die goldene Lilie ist auf einmal wieder aufgestanden und hat fortgeblüht." Nun lebten sie vergnügt bis an ihr Ende.

 

Der Grabhügel

Ein reicher Bauer stand eines Tages in seinem Hof und schaute nach seinen Feldern und Gärten. Das Korn wuchs kräftig heran, und die Obstbäume hingen voller Früchte. Das Getreide des vorigen Jahrs lag noch in so mächtigen Haufen auf dem Boden, daß es kaum die Balken tragen konnten. Dann ging er in den Stall, da standen die gemästeten Ochsen, die fetten Kühe und die spiegelglatten Pferde. Endlich ging er in seine Stube zurück und warf prüfende Blicke auf die eisernen Kasten, in welchen sein Geld lag. Als er so dastand und seinen Reichtum übersah, klopfte es auf einmal heftig bei ihm an. Es klopfte aber nicht an die Tür seiner Stube, sondern an die Tür seines Herzens. Sie tat sich auf, und er hörte eine Stimme, die zu ihm sprach: "Hast du den Deinigen damit wohlgetan? Hast du die Not der Armen angesehen? Hast du mit den Hungrigen dein Brot geteilt? War dir genug, was du besaßest, oder hast du noch immer mehr verlangt?" Das Herz zögerte nicht mit der Antwort: "Ich bin hart und unerbittlich gewesen und habe den Meinigen niemals etwas Gutes erzeigt. Ist ein Armer gekommen, so habe ich mein Auge weggewendet. Ich habe mich um Gott nicht bekümmert, sondern nur an die Mehrung meines Reichtums gedacht." Als er diese Antwort vernahm, erschrak er heftig, die Knie fingen an, ihm zu zittern, und er mußte sich niedersetzen. Da klopfte es abermals an, aber es klopfte an die Tür seiner Stube. Es war sein Nachbar, ein armer Mann, der ein Häuflein Kinder hatte, die er nicht mehr sättigen konnte. ,Ich weiß' dachte der Arme, ,mein Nachbar ist reich, aber er ist ebenso hart; ich glaube nicht, daß er mir hilft, aber meine Kinder schreien nach Brot, da will ich es wagen.' Er sprach zu dem Reichen: "Ihr gebt nicht leicht etwas von dem Eurigen weg, aber ich stehe da wie einer, dem das Wasser bis an den Kopf geht. Meine Kinder hungern, leiht mir vier Malter Korn." Der Reiche sah ihn lange an, da begann der erste Sonnenstrahl der Milde einen Tropfen von dem Eis der Habsucht abzuschmelzen. "Vier Malter will ich dir nicht leihen", antwortete er, "sondern achte will ich dir schenken, aber eine Bedingung mußt du erfüllen." "Was soll ich tun?" sprach der Arme. "Wenn ich tot bin, sollst du drei Nächte an meinem Grab wachen." Dem Bauer ward bei dem Antrag unheimlich zumut, doch in der Not sagte er zu und trug das Korn heim.
Es war, als hätte der Reiche vorausgesehen, was geschehen würde. Nach drei Tagen fiel er plötzlich tot zur Erde; man wußte nicht recht, wie es zugegangen war, aber niemand trauerte um ihn. Als er bestattet war, fiel dem Armen sein Versprechen ein. Gerne wäre er davon entbunden gewesen, aber er dachte: ,Er hat sich gegen dich doch mildtätig erwiesen, du hast mit seinem Korn deine hungrigen Kinder gesättigt, und wäre das auch nicht, du hast einmal das Versprechen gegeben, und du mußt es halten.' Bei einbrechender Nacht ging er auf den Kirchhof und setzte sich auf den Grabhügel. Es war alles still, nur der Mond schien über die Grabhügel, und manchmal flog eine Eule vorbei und ließ ihre kläglichen Töne hören. Als die Sonne aufging, begab sich der Arme ungefährdet heim, und ebenso ging die zweite Nacht ruhig vorüber. Den Abend des dritten Tags empfand er eine besondere Angst, es war ihm, als stände noch etwas bevor. Als er hinauskam, erblickte er an der Mauer des Kirchhofs einen Mann, den er noch nie gesehen hatte. Er war nicht mehr jung, hatte Narben im Gesicht, und seine Augen blickten scharf und feurig umher. Er war ganz von einem alten Mantel bedeckt, und nur große Reiterstiefel waren sichtbar. "Was sucht Ihr hier?" redete ihn der Bauer an, "gruselt Euch nicht auf dem einsamen Kirchhof?" "Ich suche nichts", antwortete er, "aber ich fürchte auch nichts. Ich bin wie der Junge, der ausging, das Gruseln zu lernen und sich vergeblich bemühte, der aber die Königstochter zur Frau bekam und mit ihr große Reichtümer, und ich bin immer arm geblieben. Ich bin nichts als ein abgedankter Soldat und will hier die Nacht zubringen, weil ich sonst kein Obdach habe." "Wenn Ihr keine Furcht habt", sprach der Bauer, "so bleibt bei mir und helft mir dort den Grabhügel bewachen." "Wacht halten ist Sache des Soldaten", antwortete er, "was uns hier begegnet, Gutes oder Böses, das wollen wir gemeinschaftlich tragen. Der Bauer schlug ein, und sie setzten sich zusammen auf das Grab.
Alles blieb still bis Mitternacht, da ertönte mit einemmal ein schneidendes Pfeifen in der Luft, und die beiden Wächter erblickten den Bösen, der leibhaftig vor ihnen stand. "Fort, ihr Halunken', nef er ihnen zu, "der in dem Grab liegt, ist mein. Ich will ihn holen, und wo Ihr nicht weggeht, dreh' ich Euch die Hälse um." "Herr mit der roten Feder", sprach der Soldat, "Ihr seid ein Hauptmann nicht, ich brauch' Euch nicht zu gehorchen. Geht Eurer Wege, wir bleiben hier sitzen." Der Teufel dachte: ,Mit Gold fängst du die beiden Haderlumpen am besten', zog gelindere Saiten auf und fragte ganz zutraulich, ob sie nicht einen Beutel mit Gold annehmen und damit heimgehen wollten. "Das läßt sich hören", antwortete der Soldat, "aber mit einem Beutel voll Gold ist uns nicht gedient, wenn Ihr soviel Gold geben wollt, als da in einen von meinen Stiefeln geht, so wollen wir Euch das Feld räumen und abziehen." "Soviel habe ich nicht bei mir", sagte der Teufel, "aber ich will es holen. In der benachbarten Stadt wohnt ein Wechsler, der mein guter Freund ist, der streckt mir gerne soviel vor." Als der Teufel verschwunden war, zog der Soldat seinen linken Stiefel aus und sprach: "Dem Kohlenbrenner wollen wir schon eine Nase drehen. Gebt mir Euer Messer, Gevatter," Er schnitt von dem Stiefel die Sohle ab und stellte ihn neben den Hügel in das hohe Gras an den Rand einer halb überwachsenen Grube. "So ist alles gut", sprach er, "nun kann der Schornsteinfeger kommen."
Beide setzten sich und warteten, es dauerte nicht lange, so kam der Teufel und hatte ein Säckchen Gold in der Hand. "Schüttet es nur hinein", sprach der Soldat und hob den Stiefel ein wenig in die Höhe, "das wird aber nicht genug sein." Der Schwarze leerte das Säckchen, das Gold fiel durch, und der Stiefel blieb leer. "Dummer Teufel", rief der Soldat, "es reicht nicht, habe ich es nicht gleich gesagt? Kehrt nur wieder um und holt mehr." Der Teufel schüttelte den Kopf, ging und kam nach einer Stunde mit einem viel größeren Sack unter dem Arm. "Nur eingefüllt", rief der Soldat, "aber ich zweifle, daß der Stiefel voll wird." Das Gold klingelte, als es hinabfiel, und der Stiefel blieb leer. Der Teufel blickte mit seinen glühenden Augen selbst hinein und überzeugte sich von der Wahrheit. "Ihr habt unverschämt starke Waden", rief er und verzog den Mund. "Meint Ihr", erwiderte der Soldat, "ich hätte einen Pferdefuß wie Ihr? Macht, daß Ihr mehr Gold herbeischafft, sonst wird aus unserm Handel nichts." Der Unhold trollte sich abermals fort. Diesmal blieb er länger aus, und als er endlich erschien, keuchte er unter der Last eines Sackes, der auf seiner Schulter lag. Er schüttete ihn in den Stiefel, der sich aber so wenig füllte wie vorher. Er war wütend und wollte dem Soldat den Stiefel aus der Hand reißen, aber in diesem Augenblick drang der erste Strahl der aufgehenden Sonne am Himmel herauf, und der böse Geist entfloh mit lautem Geschrei. Die arme Seele war gerettet.
Der Bauer wollte das Gold teilen, aber der Soldat sprach: "Gib den Armen, was mir zufällt, ich ziehe zu dir in deine Hütte, und wir wollen mit dem übrigen in Ruhe und Frieden zusammenleben, solange es Gott gefällt."

 

Der gute Handel

Ein Bauer hatte seine Kuh auf den Markt getrieben und für sieben Taler verkauft. Auf dem Heimweg mußte er an einem Teich vorbei, und da hörte er schon von weitem, wie die Frösche riefen: "Ak, ak, ak, ak." - "Ja", sprach er für sich, "die schreien auch ins Haberfeld hinein, sieben sind's, die ich gelöst habe, keine acht." Als er zu dem Wasser kam, rief er ihnen zu:
"Dummes Vieh, das ihr seid! Wißt ihr's nicht besser? Sieben Taler sind's und keine acht." Die Frösche blieben aber bei ihrem: "Ak, ak, ak, ak." - "Nun, wenn ihr's nicht glauben wollt, ich kann's euch vorzählen", holte das Geld aus der Tasche und zählte die sieben Taler ab, immer vierundzwanzig Groschen auf einen. Die Frösche kehrten sich aber nicht an seine Rechnung und riefen abermals: "Ak, ak, ak, ak." - "Ei", rief der Bauer ganz bös, "wollt ihr's besser wissen als ich, so zählt selber", und warf ihnen das Geld mit-einander ins Wasser hinein. Er blieb stehen und wollte warten, bis sie fertig wären und ihm das Seinige wiederbrächten, aber die Frösche beharrten auf ihrem Sinn, schrien immerfort: "Ak, ak, ak, ak", und warfen auch das Geld nicht wieder heraus. Er wartete noch eine gute Weile, bis der Abend anbrach und er nach Haus mußte, da schimpfte er die Frösche aus und rief: "Ihr Wasserpatscher, ihr Dickköpfe, ihr Glotzaugen, schreien könnt ihr, daß einem die Ohren weh tun, aber sieben Taler könnt ihr nicht zählen. Meint ihr, ich wollte da stehen, bis ihr fertig wäret?" Damit ging er fort, aber die Frösche riefen noch: "Ak, ak, ak, ak", hinter ihm her, daß er ganz verdrießlich heimkam.
Über eine Zeit erhandelte er sich wieder eine Kuh, die schlachtete er und machte die Rechnung: Wenn er das Fleisch gut verkaufte, könnte er soviel lösen, als die beiden Kühe wert wären, und das Fell hätte er obendrein. Als er nun mit dem Fleisch zur Stadt kam, war vor dem Tore ein ganzes Rudel Hunde zusammengelaufen, voran ein großer Windhund, der sprang um das Fleisch, schnupperte und bellte: "Was, was, was, was." Als er gar nicht aufhören wollte, sprach der Bauer zu ihm: "Ja, ich merke wohl, du sagst: ,was, was', weil du etwas von dem Fleisch verlangst, da sollt' ich aber schön ankommen, wenn ich dir's geben wollte." Der Hund antwortete nur: "Was, was."
"Willst du's auch nicht fressen und für deine Kameraden gut stehen?"
"Was, was", sprach der Hund. "Nun, wenn du dabei beharrst, so will ich dir's lassen, ich kenne dich wohl und weiß, bei wem du dienst, aber das sage ich dir, in drei Tagen muß ich mein Geld haben, sonst geht dir's schlimm. Du kannst mir's nur hinausbringen. " Darauf lud er das Fleisch ab und kehrte wieder um, die Hunde machten sich darüber her und bellten laut: "Was, was." Der Bauer, der es von weitem hörte, sprach zu sich: "Horch, jetzt' verlangen sie alle was, aber der große muß mir einstehen."
Als drei Tage herum waren, dachte der Bauer: ,Heute abend hast du dein Geld in der Tasche', und war ganz vergnügt. Aber es wollte niemand kommen und auszahlen. "Es ist kein Verlaß mehr auf jemand", sprach er, und endlich riß ihm die Geduld, daß er in die Stadt zu dem Fleischer ging und sein Geld forderte. Der Fleischer meinte, es wäre ein Spaß, aber der Bauer sagte: "Spaß beiseite, ich will mein Geld. Hat der große Hund Euch nicht die ganze geschlachtete Kuh vor drei Tagen heimgebracht?" Da ward der Fleischer zornig, griff nach einem Besenstiel und jagte ihn hinaus. "Wart", sprach der Bauer, "es gibt noch Gerechtigkeit auf der Welt!" und ging in das königliche Schloß und bat sich Gehör aus. Er ward vor den König geführt, der da saß mit seiner Tochter und fragte, was ihm für ein Leid widerfahren wäre." Ach", sagte er, "die Frösche und die Hunde haben mir das Meinige genommen, und der Metzger hat mich dafür mit dem Stock bezahlt", und erzählte weitläufig, wie es zugegangen war. Darüber fing die Königstochter laut an zu lachen, und der König sprach zu ihm: "Recht kann ich dir hier nicht geben, aber dafür sollst du meine Tochter zur Frau haben. Ihr Lebtag hat sie noch nicht gelacht als eben über dich, und ich habe sie dem versprochen, der sie zum Lachen brächte. Du kannst Gott für dein Glück danken." "Oh", antwortete der Bauer, "ich will sie gar nicht, ich habe daheim nur eine einzige Frau, und die ist mir schon zuviel. Wenn ich nach Haus komme, so ist es, als ob in jedem Winkel eine stände." Da ward der König zornig und sagte:
"Du bist ein Grobian." - "Ach, Herr König", antwortete der Bauer, "was könnt Ihr von einem Ochsen anders erwarten als Rindfleisch!" -"Warte", erwiderte der König, "du sollst einen andern Lohn haben. Jetzt pack dich fort, aber in drei Tagen komm wieder, so sollen dir fünfhundert vollgezählt werden.''
Wie der Bauer hinaus vor die Tür kam, sprach die Schildwache: "Du hast die Königstochter zum Lachen gebracht, da wirst du was Rechtes bekommen haben." "Ja, das mein' ich", antwortete der Bauer, "fünfhundert werden mir ausgezahlt." "Hör", sprach der Soldat, "gib mir etwas davon! Was willst du mit all dem Geld anfangen!" -"Weil du's bist", sprach der Bauer, "so sollst du zweihundert haben, melde dich in drei Tagen beim König und laß dir's aufzählen.'' Ein Jude, der in der Nähe gestanden und das Gespräch mit angehört hatte, lief dem Bauer nach, hielt ihn beim Rock und sprach: "Gottes Wunder, was seid Ihr ein Glückskind! Ich will's Euch wechseln, ich will's Euch umsetzen in Scheidemünz, was wollt Ihr mit den harten Talern?" - "Mauschel", sagte der Bauer, "dreihundert kannst du noch haben, gib mir's gleich in Münze, heut über drei Tage wirst du dafür beim König bezahlt werden." Der Jude freute sich über das Profitchen und brachte die Summe in schlechten Groschen, wo drei soviel wert sind wie zwei gute.
Nach Verlauf der drei Tage ging der Bauer, dem Befehl des Königs gemäß, vor den König. "Zieht ihm den Rock aus", sprach dieser, "er soll seine fünfhundert haben." - "Ach", sagte der Bauer, "sie gehören nicht mehr mein, zweihundert habe ich an die Schildwache verschenkt, und dreihundert hat mir der Jude eingewechselt, von Rechts wegen gebührt mir gar nichts." Indem kamen der Soldat und der Jude herein, verlangten das Ihrige, das sie dem Bauer abgewonnen hätten, und erhielten die Schläge richtig zugemessen. Der Soldat ertrug's geduldig und wußte schon, wie's schmeckte, der Jude aber tat jämmerlich: "Au weih geschrien! Sind das die harten Taler?" Der König mußte über den Bauer Iachen, und da aller Zorn verschwunden war, sprach er: "Weil du deinen Lohn schon verloren hast, bevor er dir zuteil ward, so will ich dir einen Ersatz geben. Geh in meine Schatzkammer und hol dir Geld, soviel du willst." Der Bauer ließ sich das nicht zweimal sagen und füllte seine weiten Taschen. Danach ging er ins Wirtshaus und überzählte sein Geld. Der Jude war ihm nachgeschlichen und hörte, wie er mit sich allein brummte: "Nun hat mich der Spitzbube von König doch hinters Licht geführt! Hätte er mir nicht selbst das Geld geben können, so wüßte ich, was ich hätte; wie kann ich nun wissen, ob das richtig ist, was ich so auf gut Glück eingesteckt habe!" -"Gott bewahre", sprach der Jude für sich, "der spricht despektierlich von unserm Herrn, ich lauf' und geb's an, da krieg' ich eine Belohnung, und er wird obendrein noch bestraft." Als der König von den Reden des Bauern hörte, geriet er in Zorn und hieß den Juden hingehen und den Sünder herbeiholen. Der Jude lief zum Bauer: "Ihr sollt gleich zum Herrn König kommen, wie Ihr geht und steht." - "Ich weiß besser, was sich schickt'', antwortete der Bauer, "erst lass' ich mir einen neuen Rock machen; meinst du, ein Mann, der soviel Geld in der Tasche hat, sollte in dem alten Lumpenrock hingehen?" Der Jude, als er sah, daß der Bauer ohne einen andern Rock nicht wegzubringen war, und weil er fürchtete, wenn der Zorn des Königs verraucht wäre, so käme er um seine Belohnung und der Bauer um seine Strafe, so sprach er: "Ich will Euch für die kurze Zeit einen schöneren Rock leihen, was tut der Mensch nicht alles aus Liebe!" Der Bauer ließ sich das gefallen, zog den Rock vom Juden an und ging mit ihm fort. Der König hielt dem Bauer die bösen Reden vor, die der Jude hinterbracht hatte. "Ach", sprach der Bauer, "was ein Jude sagt, ist immer gelogen, dem geht kein wahres Wort aus dem Munde; der Kerl da ist imstand und behauptet, ich hätte seinen Rock an." - "Was soll mir das?" schrie der Jude, "ist der Rock nicht mein? Hab' ich ihn Euch nicht aus bloßer Freundschaft geborgt, damit Ihr vor den Herrn König treten konntet?" Wie der König das hörte, sprach er: "Einen hat der Jude gewiß betrogen, mich oder den Bauer", und ließ ihm noch etwas in harten Talern nachzahlen. Der Bauer aber ging mit Rock und Geld heim und sprach: "Diesmal hab' ich's getroffen."

 

Hans mein Igel

Es war einmal ein Bauer, der hatte Geld und Gut genug, aber wie reich er war, so fehlte doch etwas an seinem Glück. Er hatte mit seiner Frau keine Kinder. Öfter, wenn er mit den andern Bauern in die Stadt ging, spotteten sie und fragten, warum er keine Kinder hätte. Da ward er endlich zornig, und als er nach Haus kam, sprach er: "Ich will ein Kind haben, und sollt's ein Igel sein." Da kriegte seine Frau ein Kind, das war oben ein Igel und unten ein Junge, und als sie das Kind sah, erschrak sie und sprach: "Siehst du, du hast uns verwünscht." Da sprach der Mann: "Was kann das alles helfen, getauft muß der Junge werden, aber wir können keinen Gevatter dazu nehmen." Die Frau sprach: "Wir können ihn auch nicht anders taufen als Hans mein Igel." Als er getauft war, sagte der Pfarrer: "Der kann wegen seiner Stacheln in kein ordentlich Bett kommen." Da ward hinter dem Ofen ein wenig Stroh zurecht gemacht und Hans mein Igel daraufgelegt. Er konnte auch an der Mutter nicht trinken; denn er hätte sie mit seinen Stacheln gestocheh. So lag er da hinter dem Ofen acht Jahre, und sein Vater war ihn müde und dachte: ,Wenn er nur stürbe.'
Nun trug es sich zu, daß in der Stadt ein Markt war, und der Bauer wollte hingehen, da fragte er seine Frau, was er ihr mitbringen sollte. "Ein wenig Fleisch und ein paar Wecke, was zum Haushalt gehört", sprach sie. Darauf fragte er die Magd, die wollte ein paar Toffeln und Zwickelstrümpfe. Endlich sagte er auch: "Hans mein Igel, was willst du denn haben?" "Väterchen", sprach er, "bring mir doch einen Dudelsack mit." Wie nun der Bauer wieder nach Haus kam, gab er der Frau, was er ihr gekauft hatte, Fleisch und Wecke, dann gab er der Magd die Toffeln und die Zwickelstrümpfe, endlich ging er hinter den Ofen und gab dem Hans mein Igel den Dudelsack. Und wie Hans mein Igel den Dudelsack hatte, sprach er: "Väterchen, geht doch vor die Schmiede und laßt mir meinen Gockelhahn beschlagen, dann will ich fortreiten und nie wiederkommen." Da war der Vater froh, daß er ihn loswerden sollte, und ließ ihm den Hahn beschlagen, und als er fertig war, setzte sich Hans mein Igel darauf, ritt fort, nahm auch Schweine und Esel mit, die wollt' er draußen im Walde hüten. Im Wald aber mußte der Hahn mit ihm auf einen hohen Baum fliegen, da saß er und hütete die Esel und Schweine und saß lange Jahre, bis die Herde ganz groß war, und sein Vater wußte nichts von ihm.
Wenn er aber auf dem Baum saß, blies er seinen Dudelsack und machte Musik, die war sehr schön. Einmal kam ein König vorbeigefahren, der hatte sich verirrt und hörte die Musik. Da wunderte er sich darüber und schickte seinen Bedienten hin, er sollte sich einmal umgucken, wo die Musik herkäme. Er sah ein kleines Tier auf dem Baum oben sitzen, das war wie ein Gockelhahn, auf dem ein Igel saß, und der machte die Musik. Da sprach der König zum Bedienten, er sollte fragen, ob er nicht wüßte, wo der Weg in sein Königreich ginge. Da stieg Hans mein Igel vom Baum und sprach, er wollte den Weg zeigen, wenn der König ihm verschreiben und versprechen wollte, was ihrn zuerst begegnete am königlichen Hofe, sobald er nach Hause käme. Da dachte der König: ,Das kann ich leicht tun, Hans mein Igel versteht's doch nicht, und ich kann schreiben, was ich will.' Da nahm der König Feder und Tinte und schrieb etwas auf, und als es geschehen war, zeigte ihm Hans mein Igel den Weg, und er kam glücklich nach Haus. Seine Tochter aber, wie sie ihn von weitem sah, war voll Freuden, daß sie ihm entgegenlief und ihn küßte. Da gedachte er an Hans mein Igel und erzählte ihr, wie es ihm gegangen wäre und daß er einem wunderlichen Tier hätte verschreiben sollen, was ihm daheim zuerst begegnen würde, und das Tier hätte auf einem Hahn wie auf einem Pferde gesessen und schöne Musik gemacht; er hätte aber geschrieben, es sollt's nicht haben; denn Hans mein Igel könnt' es doch nicht lesen. Darüber war die Prinzessin froh und sagte, das wäre gut; denn sie wäre doch nimmermehr hingegangen.
Hans mein Igel aber hütete die Esel und Schweine, war immer lustig, saß auf dem Baum und blies auf seinem Dudelsack. Nun geschah es, daß ein anderer König gefahren kam mit seinen Bedienten und Läufern und hatte sich verirrt und fand nicht mehr nach Haus, weil der Wald so groß war. Da hörte er gleichfalls die schöne Musik von weitem und sprach zu seinem Läufer, was das wohl wäre, er sollte einmal zusehen. Da ging der Läufer hin unter den Baum und sah den Gockelhahn sitzen und Hans mein Igel obendrauf. Der Läufer fragte ihn, was er da oben vorhätte. "Ich hüte meine Esel und Schweine; aber was ist Euer Begehren?" Der Läufer sagte, sie hätten sich verirrt und könnten nicht wieder ins Königreich, ob er ihnen den Weg nicht zeigen wollte. Da stieg Hans mein Igel mit dem Hahn vom Baum herunter und sagte zu dem alten König, er wolle ihm den Weg zeigen, wenn er ihm zu eigen geben wolle, was ihm zu Haus vor seinem königlichen Schlosse als erstes begegnen würde. Der König sagte "Ja", und unterschrieb sich dem Hans mein Igel, er solle es haben. Als das geschehen war, ritt er auf dem Gockelhahn voraus und zeigte ihm den Weg, und der König gelangte glücklich wieder in sein Reich. Wie er auf den Hof kam, war große Freude darüber. Nun hatte er eine einzige Tochter, die war sehr schön, die lief ihm entgegen, fiel ihm um den Hals und küßte ihn und freute sich, daß ihr alter Vater wiederkam. Sie fragte ihn auch, wo er so lange in der Welt gewesen wäre, da erzählte er ihr, er hätte sich verirrt und wäre beinahe gar nicht wiedergekommen, aber als er durch einen großen Wald gefahren wäre, hätte einer, halb wie ein Igel, halb wie ein Mensch, rittlings auf einem Hahn in einem hohen Baum gesessen und schöne Musik gemacht, der hätte den Weg gezeigt, er aber hätte ihm dafür versprochen, was ihm am königlichen Hofe zuerst begegnete, und das wäre sie, und das täte ihm nun so leid. Da versprach sie ihm aber, sie wollte gerne mit ihm gehen, wann er käme, ihrem alten Vater zuliebe.
Hans mein Igel aber hütete seine Schweine, und die Schweine bekamen wieder Schweine, und es wurden ihrer so viel, daß der ganze Wald voll war. Da wollte Hans mein Igel nicht länger im Walde leben und ließ seinem Vater sagen, sie sollten alle Städte im Dorf räumen; denn er käme mit einer so großen Herde, daß jeder schlachten könnte, der wollte. Da war sein Vater betrübt, als er das hörte; denn er dachte, Hans mein Igel wäre schon lange gestorben. Hans mein Igel aber setzte sich auf seinen Gockelhahn, trieb die Schweine vor sich her ins Dorf und ließ schlachten. Danach sagte Hans mein Igel: "Väterchen, laßt mir meinen Gockelhahn noch einmal vor der Schmiede beschlagen, dann reit' ich fort und komme mein Lebtag nicht wieder." Da ließ der Vater den Gockelhahn beschlagen und war froh, daß Hans mein Igel nicht wiederkommen wollte.
Hans mein Igel ritt fort in das erste Königreich, da hatte der König befohlen, wenn einer käme auf einem Hahn geritten und hätte einen Dudelsack bei sich, dann sollten alle auf ihn schießen, hauen und stechen, damit er nicht ins Schloß käme. Als nun Hans mein Igel dahergeritten kam, drangen sie mit den Bajonetten auf ihn ein, aber er gab dem Hahn die Sporen, flog auf, über das Tor hin vor des Königs Fenster, ließ sich da nieder und rief ihm zu, er sollt, ihm geben, was er versprochen hätte, sonst wollt' er ihm und seiner Tochter das Leben nehmen. Da gab der Konig seiner Tochter gute Worte, sie möchte zu ihm hinausgehen, damit sie ihm und sich das Leben rettete. Da zog sie sich weiß an, und ihr Vater gab ihr einen Wagen mit sechs Pferden und herrlichen Bedienten, Geld und Gut. Sie setzte sich ein, und Hans mein Igel mit seinem Hahn und Dudelsack neben sie, dann nahmen sie Abschied und zogen fort, und der König dachte, er kriegte sie nicht wieder zu sehen. Es ging aber anders, als er dachte; denn als sie ein Stück Wegs von der Stadt waren, da zog ihr Hans mein Igel die schönen Kleider aus und stach sie mit seiner Igelhaut, bis sie ganz blutig war, und sagte: "Das ist der Lohn für Eure Falschheit, geh hin, ich will dich nicht", und jagte sie damit nach Haus, und sie war beschimpft ihr Lebtag.
Hans mein Igel aber ritt weiter auf seinem Gockelhahn und mit seinem Dudelsaek nach dem zweiten Königreich, wo er dem König auch den Weg gezeigt hatte. Der aber hatte bestellt, wenn einer käme wie Hans mein Igel, sollten sie das Gewehr präsentieren, ihn frei hereinführen, Vivat rufen und ihn ins königliche Schloß bringen. Wie ihn die Königstochter sah, war sie erschrocken, weil er doch gar zu wunderlich aussah, sie dachte aber, es wäre nicht anders, sie hätte es ihrem Vater versprochen. Da ward Hans mein Igel von ihr bewillkommt und ward mit ihr vermählt, und er mußte mit an die königliche Tafel gehen, und sie setzte sich zu seiner Seite, und sie aßen und tranken. Wie's nun Abend ward, daß sie wollten schlafen gehen, da fürchtete sie sich sehr vor seinen Stacheln; er aber sprach, sie sollte sich nicht fürchten, es geschehe ihr kein Leid, und sagte zu dem alten König, er solhe vier Mann bestellen, die sollten wachen vor der Kammertür und ein großes Feuer anmachen, und wann er in die Kammer einginge und sich ins Bett legen wollte, würde er aus seiner Igelshaut herauskriechen und sie vor dem Bett liegenlassen. Dann sollten die Männer hurtig herbeispringen und sie ins Feuer werfen, auch dabeibleiben, bis sie vom Feuer verzehrt wäre. Wie die Glocke nun elf schlug, da ging er in die Kammer, streifte die Igelshaut ab und ließ sie vor dem Bett liegen. Da kamen die Männer und holten sie geschwind und warfen sie ins Feuer; und als sie das Feuer verzehrt hatte, da war er erlöst und lag da im Bett ganz als ein Mensch gestaltet, aber er war kohlschwarz wie gebrannt. Der König schickte zu seinem Arzt, der wusch ihn mit guten Salben und balsamierte ihn, da ward er weiß und war ein schöner junger Herr. Wie das die Königstochter sah, war sie froh, und am andern Morgen ward die Vermählung erst recht gefeiert, und Hans mein Igel bekam das Königreich von dem alten König.
Wie etliche Jahre herum waren, fuhr er mit seiner Gemahlin zu seinem Vater und sagte, er wäre sein Sohn; der Vater aber sprach, er hätte keinen, er hätte nur einen gehabt, der wäre aber wie ein Igel mit Stacheln geboren worden und wäre in die Welt gegangen. Da gab er sich zu erkennen, und der alte Vater freute sich und ging mit ihm in sein Königreich.
Mein Märchen ist aus
und geht vor Gustchen sein Haus.

 

Die himmlische Hochzeit

Es hörte einmal ein armer Bauernjunge in der Kirche, wie der Pfarrer sprach 'wer da will ins Himmelreich kommen, muß immer geradaus gehen.' Da machte er sich auf, und ging immerzu, immer gerade, ohne abzuweichen, über Berg und Tal. Endlich führte ihn sein Weg in eine große Stadt, und mitten in die Kirche, wo eben Gottesdienst gehalten wurde. Wie er nun all die Herrlichkeit sah, meinte er, nun wäre er im Himmel angelangt, setzte sich hin und war von Herzen froh. Als der Gottesdienst vorbei war und der Küster ihn hinausgehen hieß, antwortete er 'nein, ich gehe nicht wieder hinaus, ich bin froh, daß ich endlich im Himmel bin,' Da ging der Küster zum Pfarrer und sagte ihm, es wäre ein Kind in der Kirche, das wollte nicht wieder heraus, weil es glaubte, es wäre im Himmelreich. Der Pfarrer sprach 'wenn es das glaubt, so wollen wir es darin lassen.' Darauf ging er hin und fragte, ob es auch Lust hätte zu arbeiten. 'Ja,' antwortete der Kleine, ans Arbeiten wäre er gewöhnt, aber aus dem Himmel ginge er nicht wieder heraus.

Nun blieb er in der Kirche, und als er sah, wie die Leute zu dem Muttergottesbild mit dem Jesuskind, das aus Holz geschnitten war, kamen, knieten und beteten, dachte er 'das ist der liebe Gott,' und sprach 'hör einmal, lieber Gott, was bist du mager! gewiß lassen dich die Leute hungern: ich will dir aber jeden Tag mein halbes Essen bringen,' Von nun an brachte er dem Bilde jeden Tag die Hälfte von seinem Essen, und das Bild fing auch an, die Speise zu genießen. Wie ein paar Wochen herum waren, merkten die Leute, daß das Bild zunahm, dick und stark ward, und wunderten sich sehr. Der Pfarrer konnt es auch nicht begreifen, blieb in der Kirche und ging dem Kleinen nach, da sah er, wie der Knabe sein Brot mit der Mutter Gottes teilte und diese es auch annahm.

Nach einiger Zeit wurde der Knabe krank und kam acht Tage lang nicht aus dem Bett; wie er aber wieder aufstehen konnte, war sein erstes, daß er seine Speise der Mutter Gottes brachte. Der Pfarrer ging ihm nach und hörte, wie er sprach 'lieber Gott, nimms nicht übel, daß ich dir so lange nichts gebracht habe: ich war aber krank und konnte nicht aufstehen,' Da antwortete ihm das Bild und sprach 'ich habe deinen guten Willen gesehen, das ist mir genug; nächsten Sonntag sollst du mit mir auf die Hochzeit kommen,' Der Knabe freute sich darüber und sagte es dem Pfarrer, der bat ihn hinzugehen und das Bild zu fragen, ob er auch dürfte mitkommen. 'Nein,' antwortete das Bild, 'du allein,' Der Pfarrer wollte ihn erst vorbereiten und ihm das Abendmahl geben, das war der Knabe zufrieden; und nächsten Sonntag, wie das Abendmahl an ihn kam, fiel er um und war tot und war zur ewigen Hochzeit.

 

Der Herr Gevatter

Ein armer Mann hatte so viel Kinder, daß er schon alle Welt zu Gevatter gebeten hatte, und als er noch eins bekam, so war niemand mehr übrig, den er bitten konnte. Er wußte nicht, was er anfangen sollte, legte sich in seiner Betrübnis nieder und schlief ein. Da träumte ihm, er sollte vor das Tor gehen und den ersten, der ihm begegnete, zu Gevatter bitten. Als er aufgewacht war, beschloß er, dem Traume zu folgen, ging hinaus vor das Tor, und den ersten, der ihm begegnete, bat er zu Gevatter. Der Fremde schenkte ihm ein Gläschen mit Wasser und sagte: "Das ist ein wunderbares Wasser, damit kannst du die Kranken gesund machen. Du mußt nur sehen, wo der Tod steht. Steht er beim Kopf, so gib dem Kranken von dem Wasser, und er wird gesund werden; steht er aber bei den Füßen, so ist alle Mühe vergebens, er muß sterben." Der Mann konnte von nun an immer sagen, ob ein Kranker zu retten war oder nicht, ward berühmt und verdiente viel Geld. Einmal ward er zu dem Kind des Königs gerufen, und als er eintrat, sah er den Tod bei dem Kopfe stehen und heilte es mit dem Wasser, und so war es auch bei dem zweitenmal, aber das drittemal stand der Tod bei den Füßen, da mußte das Kind sterben.
Der Mann wollte doch einmal seinen Gevatter besuchen und ihm erzählen, wie es mit dem Wasser gegangen war. Als er aber ins Haus kam, war eine so wunderliche Wirtschaft darin. Auf der ersten Treppe zankten sich Schippe und Besen und schmissen gewaltig aufeinander los. Er fragte sie: "Wo wohnt der Herr Gevatter?" Der Besen antwortete: "Eine Treppe höher." Als er auf die zweite Treppe kam, sah er eine Menge toter Finger liegen. Er fragte:
"Wo wohnt der Herr Gevatter?" Einer antwortete: "Eine Treppe höher." Auf der dritten Treppe lag ein Haufen toter Köpfe, die wiesen ihn wieder eine Treppe höher. Auf der vierten Treppe sah er Fische über dem Feuer stehen, die sich selber in der Pfanne backten. Sie sprachen auch: "Eine Treppe höher." Und als er die fünfte hinaufgestiegen war, so kam er vor eine Stube und guckte durch das Schlüsselloch; da sah er den Gevatter, der ein Paar lange Hörner hatte. Als er hineinging, legte sich der Gevatter geschwind aufs Bett und deckte sich zu. Da sprach der Mann: "Herr Gevatter, was ist für eine wunderliche Wirtschaft in Eurem Hause? Als ich auf Eure erste Treppe kam, so zankten sich Schippe und Besen miteinander und schlugen gewaltig aufeinander los." - "Wie seid Ihr so einfältig", sagte der Gevatter, "das waren der Knecht und die Magd, die sprachen miteinander." - "Aber auf der zweiten Treppe sah ich tote Finger liegen." - "Ei, wie seid Ihr albern! Das waren Skorzonerewurzeln." - "Auf der dritten Treppe lag ein Haufen Totenköpfe." - "Dummer Mann, das waren Krautköpfe." - "Auf der vierten sah ich Fische in der Pfanne, die britzelten und backten sich selber." Wie er das gesagt hatte, kamen die Fische und trugen sich selber auf. "Und als ich die fünfte Treppe heraufgekommen war, guckte ich durch das Schlüsselloch einer Tür, und da sah ich Euch, Gevatter, und Ihr hattet lange Hörner." - "Ei, das ist nicht wahr!" Dem Mann ward angst, und er lief fort, und wer weiß, was ihm der Herr Gevatter sonst angetan hätte.

 

Der junge Riese

Ein Bauersmann hatte einen Sohn, der war so groß wie ein Daumen und ward gar nicht größer und wuchs in etlichen Jahren nicht ein Haarbreit. Einmal wollte der Bauer ins Feld gehen und pflügen, da sagte der Kleine: "Vater, ich will mit hinaus." "Du willst mit hinaus?" sprach der Vater, "bleib du hier, dort bist du zu nichts nutz, du könntest mir auch verloren gehen." Da fing der Däumling an zu weinen, und um Ruhe zu haben, steckte ihn der Vater in die Tasche und nahm ihn mit. Draußen auf dem Felde holte er ihn wieder heraus und setzte ihn in eine frische Furche. Wie er da so saß, kam über den Berg ein großer Riese daher. "Siehst du dort den großen Butzemann?" sagte der Vater und wollte den Kleinen schrecken, damit er artig ware, "der kommt und holt dich." Der Riese aber hatte mit seinen langen Beinen kaum ein paar Schritte getan, so war er bei der Furche. Er hob den kleinen Däumling mit zwei Fingern behutsam in die Höhe, betrachtete ihn und ging, ohne ein Wort zu sprechen, mit ihm fort. Der Vater stand dabei, konnte vor Schrecken keinen Laut hervorbringen und dachte nicht anders, als sein Kind wäre verloren.
Der Riese aber trug es heim und ließ es an seiner Brust saugen, und der Däumling wuchs und ward groß und stark nach Art des Riesen. Nach Verlauf von zwei Jahren ging der Alte mit ihm in den Wald, wollte ihn versuchen und sprach: "Zieh dir eine Gerte heraus." Da war der Knabe schon so stark, daß er einen jungen Baum mit den Wurzeln aus der Erde riß. Der Riese aber meinte: "Das muß besser kommen", nahm ihn wieder mit und säugte ihn noch zwei Jahre. Als er ihn versuchte, hatte seine Kraft schon so zugenommen, daß er einen alten Baum aus der Erde brechen konnte. Das war dem Riesen noch immer nicht genug, er säugte ihn abermals zwei Jahre, und als er dann mit ihm in den Wald ging und sprach: "Nun reiß einmal eine ordentliche Gerte aus", so riß der Junge den dicksten Eichenbaum aus der Erde, daß es krachte, und es war ihm nur ein Spaß. "Nun ist's genug", sprach der Riese, "du hast ausgelernt", und führte ihn zurück auf den Acker, wo er ihn geholt hatte. Sein Vater stand da hinter dem Pflug, der junge Riese ging auf ihn zu und sprach: "Sieht Er wohl, Vater, was Sein Sohn für ein Mann geworden ist?" Der Bauer erschrak und sagte: "Nein, du bist mein Sohn nicht, ich will dich nicht, geh weg von mir." "Freilich bin ich Sein Sohn, laß Er mich an die Arbeit, ich kann pflügen so gut wie Er und noch besser." "Nein, nein, du bist mein Sohn nicht, du kannst auch nicht pflügen, geh weg von mir." Weil er sich aber vor dem großen Mann fürchtete, ließ er den Pflug los, trat zurück und setzte sich zur Seite ans Land. Da nahm der Junge das Geschirr und drückte bloß mit einer Hand darauf, aber der Druck war so gewaltig, daß der Pflug tief in die Erde ging. Der Bauer konnte das nicht mit ansehen und rief ihm zu: "Wenn du pflügen willst, mußt du nicht so gewaltig drücken, das gibt schlechte Arbeit." Der Junge aber spannte die Pferde aus, zog selber den Pflug und sagte: "Geh Er nur nach Haus, Vater, und laß Er die Mutter eine große Schüssel voll Essen kochen; ich will derweil den Acker schon umreißen." Da ging der Bauer heim und bestellte das Essen bei seiner Frau. Der Junge aber pflügte das Feld, zwei Morgen groß, ganz allein, und dann spannte er sich auch selber vor die Egge und eggte alles mit zwei Eggen zugleich. Wie er fertig war, ging er in den Wald und riß zwei Eichenbäume aus, legte sie auf die Schultern und hinten und vorn eine Egge darauf und hinten und vorn auch ein Pferd, und trug das alles, als wär es ein Bund Stroh, nach seiner Eltern Haus. Wie er in den Hof kam, erkannte ihn seine Mutter nicht und fragte: "Wer ist der entsetzliche, große Mann?" Der Bauer sagte: "Das ist unser Sohn." Sie sprach: "Nein, unser Sohn ist das nimmermehr." Sie rief ihm zu: "Geh fort, wir wollen dich nicht." Der Junge schwieg still, zog seine Pferde in den Stall, gab ihnen Hafer und Heu, alles, wie sich's gehörte. Als er fertig war, ging er in die Stube, setzte sich auf die Bank und sagte: "Mutter, nun hätte ich Lust zu essen, ist's bald fertig?" Da sagte sie: "Ja", und brachte zwei große, große Schüsseln voll herein, daran hätten sie und ihr Mann acht Tage lang satt gehabt. Der Junge aber aß sie allein auf und fragte, ob sie nicht mehr vorsetzen könnte. "Nein", sagte sie, "das ist alles, was wir haben." "Das war ja nur zum Schmecken, ich muß mehr haben." Sie getraute nicht, ihm zu widerstehen, ging hin und setzte einen großen Schweinekessel voll übers Feuer, und wie es gar war, trug sie es herein. "Endlich kommen noch ein paar Brocken", sagte er und aß alles hinein; es war aber doch nicht genug, seinen Hunger zu stillen. Da sprach er: "Vater, ich sehe wohl, bei Ihm werd' ich nicht satt, will Er mir einen Stab von Eisen verschaffen, der stark ist und den ich vor meinen Knien nicht zerbrechen kann, so will ich fort in die Welt gehen." Der Bauer war froh, spannte seine zwei Pferde vor den Wagen und holte bei dem Schmied einen Stab, so groß und dick, wie ihn die zwei Pferde nur fortschaffen konnten. Der Junge nahm ihn vor die Knie, und ratsch, brach er ihn wie eine Bohnenstange in der Mitte entzwei und warf ihn weg. Der Vater spannte vier Pferde vor und holte einen Stab, so groß und dick, wie ihn die vier Pferde fortschaffen konnten. Der Sohn knickte auch diesen vor dem Knie entzwei, warf ihn hin und sprach: "Vater, der kann mir nicht helfen, Er muß besser vorspannen und einen stärkern Stab holen." Da spannte derVater acht Pferde vor und holte einen Stab, so groß und dick, wie ihn die acht Pferde herbeifahren konnten. Wie der Sohn den in die Hand nahm, brach er gleich oben ein Stück davon ab und sagte: "Vater, ich sehe, Er kann mir keinen Stab anschaffen, wie ich ihn brauche, ich will nicht länger bei Ihm bleiben."
Da ging er fort und gab sich für einen Schmiedegesellen aus. Er kam in ein Dorf, darin wohnte ein Schmied, der war ein Geizmann, gönnte keinem Menschen etwas und wollte alles allein haben; zu dem trat er in die Schmiede und fragte, ob er keinen Gesellen brauchte. "Ja", sagte der Schmied, sah ihn an und dachte: ,Das ist ein tüchtiger Kerl, der wird gut vorschlagen und sein Brot verdienen.' Er fragte: "Wieviel willst du Lohn haben?" "Gar keinen will ich haben", antwortete er, "nur alle vierzehn Tage, wenn die andern Gesellen ihren Lohn bezahlt kriegen, will ich dir zwei Streiche geben, die mußt du aushalten." Da war der Geizmann von Herzen zufrieden und dachte, damit viel Geld zu sparen. Am andern Morgen sollte der fremde Geselle zuerst vorschlagen, wie aber der Meister den glühenden Stab brachte und jener den ersten Schlag tat, so flog das Eisen voneinander, und der Amboß sank tief in die Erde. Da ward der Geizmann bös.und sagte: "Eiwas, dich kann ich nicht brauchen, du schlägst gar zu grob, was willst du für den einen Zuschlag haben?" Da sprach er: "Ich will dir nur einen ganz kleinen Streich geben, weiter nichts." Und hob seinen Fuß auf und gab ihm einen Tritt, daß er über vier Fuder Heu hinausflog. Darauf suchte er sich den dicksten Eisenstab aus, der in der Schmiede war, nahm ihn als Stock in die Hand und ging weiter.
Als er eine Weile gezogen war, kam er zu einem Vorwerk und fragte den Amtmann, ob er keinen Großknecht nötig hätte. "Ja", sagte der Amtmann, "ich kann einen brauchen; du siehst aus wie ein tüchtiger Kerl, der schon was vermag, wieviel willst du Jahreslohn haben?" Er antwortete wiederum, er verlange gar keinen Lohn, aber alle Jahre wolle er ihm drei Streiche geben, die müsse er aushalten. Da war der Amtmann zufrieden; denn er war auch ein Geizhals. Am andern Morgen, da sollten die Knechte ins Holz fahren, und die andern Knechte waren schon auf, er aber lag noch im Bett. Da rief ihn einer an: "Steh auf, es ist Zeit, wir wollen ins Holz, und du mußt mit." "Ach", sagte er ganz grob und trotzig, "geht ihr nur hin, ich komme doch eher wieder als ihr alle miteinander." Da gingen die andern zum Amtmann und erzählten ihm, der Großknecht läge noch im Bett und wollte nicht mit ins Holz fahren. Der Amtmann sagte, sie sollten ihn noch einmal wecken und ihn heißen die Pferde vorspannen. Der Großknecht sprach aber wie vorher: "Geht ihr nur hin, ich komme doch eher wieder als ihr alle miteinander." Darauf blieb er noch zwei Stunden liegen, da stieg er endlich aus den Federn, holte sich aber erst zwei Scheffel voll Erbsen vom Boden, kochte sich einen Brei und aß den mit guter Ruhe, und wie das alles gediehen war, ging er hin, spannte die Pferde vor und fuhr ins Holz. Nidit weit vor dem Holz war ein Hohlweg, wo er durch mußte, da fuhr er den Wagen erst vorwärts, dann mußten die Pferde stillehalten, und er ging hinter den Wagen, nahm Bäume und Reisig und machte da eine große Hucke (Verhack), so daß kein Pferd durchkommen konnte. Wie er nun vors Holz kam, fuhren die andern eben mit ihren beladenen Wagen heraus und wollten heim, da sprach er zu ihnen: "Fahrt nur hin, ich komme doch eher als ihr nach Haus." Er fuhr gar nicht weit ins Holz, riß gleich zwei der allergrößten Bäume aus der Erde, warf sie auf den Wagen und drehte um. Als er vor der Hucke anlangte, standen die andern noch da und konnten nicht durch. "Seht ihr wohl", sprach er, "wärt ihr bei mir geblieben, so wärt ihr ebenso schnell nach Haus gekommen." Er wollte nun zufahren, aber seine Pferde konnten sich nicht durcharbeiten, da spannte er sie aus, legte sie oben auf den Wagen, nahm selber die Deichsel in die Hand, und hüf, zog er alles durch, und das ging so leicht, als hätt' er Federn geladen. Wie er drüben war, sprach er zu den andern: "Seht ihr wohl, ich bin schneller hindurch als ihr", fuhr weiter, und die andern mußten stehenbleiben. In dem Hof aber nahm er einen Baum in die Hand, zeigte ihn dem Amtmann und sagte: "Ist das nicht ein schönes Klafterstück?" Da sprach der Amtmann zu seiner Frau: "Der Knecht ist gut; wenn er auch lang schläft, er ist doch eher wieder da als die andern."
Nun diente er dem Amtmann ein Jahr. Wie das herum war und die andern Knechte ihren Lohn kriegten, sprach er, es wäre Zeit, er wollte sich auch seinen Lohn nehmen. Dem Amtmann ward aber angst vor den Streichen, die er kriegen sollte, und er bat ihn inständig, er möchte sie ihm schenken, lieber wollte er selbst Großknecht werden, und er sollte Amtmann sein. "Nein", sprach er, "ich will kein Amtmann werden, ich bin Großknecht und will's bleiben, ich will aber austeilen, was bedungen ist." Der Amtmann wollte ihm geben, was er nur verlangte, aber es half nichts, der Großknecht sprach zu allem: "Nein." Da wußte sich der Amtmann nicht zu helfen und bat ihn um vierzehn Tage Frist, er wollte sich auf etwas besinnen. Der Großknecht sprach, die Frist sollte er haben. Der Amtmann berief alle seine Schreiber zusammen, sie sollten sich bedenken und ihm einen Rat geben. Die Schreiber besannen sich lange, endlich sagten sie, vor dem Großknecht wäre niemand seines Lebens sicher, der schlüge einen Menschen wie eine Mücke tot. Er sollte ihn heißen in den Brunnen steigen und ihn reinigen; wenn er unten wäre, wollten sie einen von den Mühlensteinen, die da lägen, herbeirollen und ihm auf den Kopf werfen, dann würde er nicht wieder an des Tages Licht kommen. Der Rat gefiel dem Amtmann, und der Großknecht war bereit, in den Brunnen hinabzusteigen. Als er unten auf dem Grund stand, rollten sie den größten Mühlenstein hinab und meinten, der Kopf wäre ihm eingeschlagen, aber er rief: "Jagt die Hühner vom Brunnen weg, die kratzen da oben im Sand und werfen mir die Körner an die Augen, daß ich nicht sehen kann." Da rief der Amtmann: "Husch! Husch!" und tat, als scheuchte er die Hühner weg. Als der Großknecht mit seiner Arbeit fertig war, stieg er herauf und sagte: "Seht einmal, ich habe doch ein schönes Halsband um", da war es der Mühlenstein, den er um den Hals trug. Der Großknecht wollte jetzt seinen Lohn nehmen, aber der Amtmann bat wieder um vierzehn Tage Bedenkzeit. Die Schreiber kamen zusammen und gaben den Rat, er sollte den Großknecht in die verwünschte Mühle schicken, um dort in der Nacht Korn zu mahlen; von da wäre noch kein Mensch morgens lebendig herausgekommen. Der Anschlag gefiel dem Amtmann, er rief den Großknecht noch denselben Abend und hieß ihn acht Malter Korn in die Mühle fahren und in der Nacht noch mahlen; sie hätten's nötig. Da ging der Großknecht auf den Boden und tat zwei Malter in seine rechte Tasche, zwei in die linke, vier nahm er in einem Quersack halb auf den Rücken, halb auf die Brust, und ging also beladen nach der verwünschten Mühle. Der Müller sagte ihm, bei Tag könnte er recht gut da mahlen, aber nicht in der Nacht, da wäre die Mühle verwünscht; und wer da noch hineingegangen wäre, den hätte man am Morgen tot darin gefunden. Er sprach "Ich will schon durchkommen, macht Euch nur fort und legt Euch aufs Ohr. Darauf ging er in die Mühle und schüttete das Korn auf. Gegen elf Uhr ging er in die Müllerstube und setzte sich auf die Bank. Als er ein Weilchen dagesessen hatte, tat sich auf einmal die Tür auf, und es kam eine große, große Tafel herein, und auf die Tafel stellte sich Wein und Braten und viel gutes Essen, alles von selber. Da er hungrig war und die Speisen sah, so setzte er sich auch an die Tafel, aß und ließ sich's gut schmecken. Als er satt war, wurden die Lichter auf einmal alle ausgeputzt, das hörte er deutlich, und wie's nun stockfinster war, so kriegte er so etwas wie eine Ohrfeige ins Gesicht. Da sprach er: "Wenn noch einmal so etwas kommt, so teil' ich auch wieder aus." Und wie er zum zweitenmal eine Ohrfeige kriegte, da schlug er gleichfalls mit hinein. Und so ging das fort die ganze Nacht, er nahm nichts umsonst, sondern gab reichlich zurück und schlug nicht faul um sich herum; bei Tagesanbruch aber hörte alles auf. Wie der Müller aufgestanden war, wollt' er nach ihm sehen und verwunderte sich, daß er noch lebte. Da sprach er: "Ich habe mich satt gegessen, habe Ohrfeigen gekriegt, aber ich habe auch Ohrfeigen ausgeteilt." Der Müller freute sich und sagte, nun wäre die Mühle erlöst, und wollte ihm gern zur Belohnung viel Geld geben. Er sprach aber: "Geld will ich nicht, ich habe doch genug." Dann nahm er sein Mehl auf den Rücken, ging nach Haus und sagte dem Amtmann, er hätte die Sache ausgerichtet und wollte nun seinen bedungenen Lohn haben. Der wußte sich nicht zu lassen, ging in der Stube auf und ab, und die Schweißtropfen liefen ihm von der Stirne herunter. Da machte er das Fenster auf nach frischer Luft, eh' er sich's aber versah, hatte ihm der Großknecht einen Tritt gegeben, daß er durchs Fenster in die Luft hineinflog, immerfort, bis ihn niemand mehr sehen konnte. Da sprach der Großknecht zur Frau des Amtmanns: "Kommt er nicht wieder, so müßt Ihr den anderen Streich hinnehmen." Sie rief: "Nein, nein, ich kann's nicht aushalten", und machte das andere Fenster auf, weil ihr die Schweißtropfen die Stirne herunterliefen. Da gab er ihr einen Tritt, daß sie gleichfalls hinausflog, und da sie leichter war, noch viel höher als ihr Mann. Der Mann rief: "Komm doch zu mir", sie aber rief: "Komm du zu mir, ich kann nicht zu dir." Und sie schwebten da in der Luft, und konnte keins zum andern kommen, und ob sie da noch schweben, das weiß ich nicht; der junge Riese aber nahm seine Eisenstange und ging weiter.

 

Jungfrau Maleen

Es war einmal ein König, der hatte einen Sohn, der warb um die Tochter eines mächtigen Königs, die hieß Jungfrau Maleen und war wunderschön. Weil ihr Vater sie einem andern geben wollte, so ward sie ihm versagt. Da sich aber beide von Herzen liebten, so wollten sie nicht voneinander lassen, und die Jungfrau Maleen sprach zu ihrem Vater 'ich kann und will keinen andern zu meinem Gemahl nehmen.' Da geriet der Vater in Zorn und ließ einen finstern Turn bauen, in den kein Strahl von Sonne oder Mond fiel. Als er fertig war, sprach er 'darin sollst du sieben Jahre lang sitzen, dann will ich kommen und sehen, ob dein trotziger Sinn gebrochen ist.' Für die sieben Jahre ward Speise und Trank in den Turm getragen, dann ward sie und ihre Kammerjungfer hineingeführt und eingemauert, und also von Himmel und Erde geschieden. Da saßen sie in der Finsternis, wußten nicht, wann Tag oder Nacht anbrach. Der Königssohn ging oft um den Turm herum und rief ihren Namen, aber kein Laut drang von außen durch die dicken Mauern. Was konnten sie anders tun als jammern und klagen?

Indessen ging die Zeit dahin, und an der Abnahme von Speise und Trank merkten sie, daß die sieben Jahre ihrem Ende sich näherten. Sie dachten, der Augenblick ihrer Erlösung wäre gekommen, aber kein Hammerschlag ließ sich hören und kein Stein wollte aus der Mauer fallen: es schien, als ob ihr Vater sie vergessen hätte. Als sie nur noch für kurze Zeit Nahrung hatten und einen jämmerlichen Tod voraussahen, da sprach die Jungfrau Maleen 'wir müssen das letzte versuchen und sehen, ob wir die Mauer durchbrechen.' Sie nahm das Brotmesser, grub und bohrte an dem Mörtel eines Steins, und wenn sie müd war, so löste sie die Kammerjungfer ab.

Nach langer Arbeit gelang es ihnen, einen Stein herauszunehmen, dann einen zweiten und dritten, und nach drei Tagen fiel der erste Lichtstrahl in ihre Dunkelheit, und endlich war die Öffnung so groß, daß sie hinausschauen konnten. Der Himmel war blau, und eine frische Luft wehte ihnen entgegen, aber wie traurig sah ringsumher alles aus: das Schloß ihres Vaters lag in Trümmern, die Stadt und die Dörfer waren, soweit man sehen konnte, verbrannt, die Felder weit und breit verheert: keine Menschenseele ließ sich erblicken. Als die Öffnung in der Mauer so groß war, daß sie hindurchschlüpfen konnten, so sprang zuerst die Kammerjungfer herab, und dann folgte die Jungfrau Maleen. Aber wo sollten sie sich hinwenden? Die Feinde hatten das ganze Reich verwüstet, den König verjagt und alle Einwohner erschlagen. Sie wanderten fort, um ein anderes Land zu suchen, aber sie fanden nirgend ein Obdach oder einen Menschen, der ihnen einen Bissen Brot gab, und ihre Not war so groß, daß sie ihren Hunger an einem Brennesselstrauch stillen mußten.

Als sie nach langer Wanderung in ein anderes Land kamen, boten sie überall ihre Dienste an, aber wo sie anklopften, wurden sie abgewiesen, und niemand wollte sich ihrer erbarmen. Endlich gelangten sie in eine große Stadt und gingen nach dem königlichen Hof. Aber auch da hieß man sie weitergehen, bis endlich der Koch sagte, sie könnten in der Küche bleiben und als Aschenputtel dienen.

Der Sohn des Königs, in dessen Reich sie sich befanden, war aber gerade der Verlobte der Jungfrau Maleen gewesen. Der Vater hatte ihm eine andere Braut bestimmt, die ebenso häßlich von Angesicht als bös von Herzen war. Die Hochzeit war festgesetzt und die Braut schon angelangt, bei ihrer großen Häßlichkeit aber ließ sie sich vor niemand sehen und schloß sich in ihre Kammer ein, und die Jungfrau Maleen mußte ihr das Essen aus der Küche bringen. Als der Tag herankam, wo die Braut mit dem Bräutigam in die Kirche gehen sollte, so schämte sie sich ihrer Häßlichkeit und fürchtete, wenn sie sich auf der Straße zeigte, würde sie von den Leuten verspottet und ausgelacht. Da sprach sie zur Jungfrau Maleen 'dir steht ein großes Glück bevor, ich habe mir den Fuß vertreten und kann nicht gut über die Straße gehen: du sollst meine Brautkleider anziehen und meine Stelle einnehmen: eine größere Ehre kann dir nicht zuteil werden.' Die Jungfrau Maleen aber schlug es aus und sagte 'ich verlange keine Ehre, die mir nicht gebührt.' Es war auch vergeblich, daß sie ihr Gold anbot. Endlich sprach sie zornig 'wenn du mir nicht gehorchst, so kostet es dir dein Leben: ich brauche nur ein Wort zu sagen, so wird dir der Kopf vor die Füße gelegt.' Da mußte sie gehorchen und die prächtigen Kleider der Braut samt ihrem Schmuck anlegen.

Als sie in den königlichen Saal eintrat, erstaunten alle über ihre große Schönheit, und der König sagte zu seinem Sohn 'das ist die Braut, die ich dir ausgewählt habe, und die du zur Kirche führen sollst.' Der Bräutigam erstaunte und dachte 'sie gleicht meiner Jungfrau Maleen, und ich würde glauben, sie wäre es selbst, aber die sitzt schon lange im Turm gefangen oder ist tot.' Er nahm sie an der Hand und führte sie zur Kirche. An dem Wege stand ein Brennesselbusch, da sprach sie

'Brennettelbusch, Brennettelbusch so klene,
wat steist du hier allene? ik hef de Tyt geweten,
da hef ik dy ungesaden ungebraden eten.'

'Was sprichst du da?' fragte der Königssohn. 'Nichts,' antwortete sie, 'ich dachte nur an die Jungfrau Maleen.' Er verwunderte sich, daß sie von ihr wußte, schwieg aber still. Als sie an den Steg vor dem Kirchhof kamen, sprach sie

'Karkstegels, brik nich,
bün de rechte Brut nich.'

'Was sprichst du da?' fragte der Königssohn. 'Nichts,' antwortete sie, 'ich dachte nur an die Jungfrau Maleen.' 'Kennst du die Jungfrau Maleen?' 'Nein,' antwortete sie, 'wie sollte ich sie kennen, ich habe nur von ihr gehört.' Als sie an die Kirchtüre kamen, sprach sie abermals

'Karkendär, brik nich,
bün de rechte Brut nich.'

'Was sprichst du da?' fragte er. 'Ach,' antwortete sie, 'ich habe nur an die Jungfrau Maleen gedacht.' Da zog er ein kostbares Geschmeide hervor, legte es ihr an den Hals und hakte die Kettenringe ineinander. Darauf traten sie in die Kirche, und der Priester legte vor dem Altar ihre Hände ineinander und vermählte sie. Er führte sie zurück, aber sie sprach auf dem ganzen Weg kein Wort. Als sie wieder in dem königlichen Schloß angelangt waren, eilte sie in die Kammer der Braut, legte die prächtigen Kleider und den Schmuck ab, zog ihren grauen Kittel an und behielt nur das Geschmeide um den Hals, das sie von dem Bräutigam empfangen hatte.

Als die Nacht herankam und die Braut in das Zimmer des Königssohns sollte geführt werden, so ließ sie den Schleier über ihr Gesicht fallen, damit er den Betrug nicht merken sollte. Sobald alle Leute fortgegangen waren, sprach er zu ihr 'was hast du doch zu dem Brennesselbusch gesagt, der an dem Wege stand?' 'Zu welchem Brennesselbusch?' fragte sie, 'ich spreche mit keinem Brennesselbusch.' 'Wenn du es nicht getan hast, so bist du die rechte Braut nicht,' sagte er. Da half sie sich und sprach

'mut heruet na myne Maegt,'
de my myn Gedanken draegt.'

Sie ging hinaus und fuhr die Jungfrau Maleen an 'Dirne, was hast du zu dem Brennesselbusch gesagt?' 'Ich sagte nichts als

Brennettelbusch,
Brennettelbusch so klene,
wat steist du hier allene?
ik hef de Tyt geweten,
da hef ik dy ungesaden
ungebraden eten.'

Die Braut lief in die Kammer zurück und sagte 'jetzt weiß ich, was ich zu dem Brennesselbusch gesprochen habe,' und wiederholte die Worte, die sie eben gehört hatte. 'Aber was sagtest du zu dem Kirchensteg, als wir darübergingen?' fragte der Königssohn. 'Zu dem Kirchensteg?' antwortete sie, 'ich spreche mit keinem Kirchensteg.' 'Dann bist du auch die rechte Braut nicht.' Sie sagte wiederum

'mut heruet na myne Maegt,
de my myn Gedanken draegt.'

Lief hinaus und fuhr die Jungfrau Maleen an 'Dirne, was hast du zu dem
Kirchsteg gesagt?' 'Ich sagte nichts als

Karkstegels, brik nich,
bün de rechte Brut nich.'

'Das kostet dich dein Leben,' rief die Braut, eilte aber in die Kammer und sagte 'jetzt weiß ich, was ich zu dem Kirchensteg gesprochen,' und wiederholte die Worte. 'Aber was sagtest du zur Kirchentür?' 'Zur Kirchentür?' antwortete sie, 'ich spreche mit keiner Kirchentür.' 'Dann bist du auch die rechte Braut nicht.' Sie ging hinaus, fuhr die Jungfrau
Maleen an 'Dirne, was hast du zu der Kirchentür gesagt?' 'Ich sagte nichts als

Karkendär, brik nich,
bün de rechte Brut nich.'

'Das bricht dir den Hals,' rief die Braut und geriet in den größten Zorn, eilte aber zurück in die Kammer und sagte 'jetzt weiß ich, was ich zu der Kirchentür gesprochen habe,' und wiederholte die Worte. 'Aber wo hast du das Geschmeide, das ich dir an der Kirchentür gab?' 'Was für ein Geschmeide?' antwortete sie, 'du hast mir kein Geschmeide gegeben.' 'Ich habe es dir selbst um den Hals gelegt und selbst eingehakt: wenn du das nicht weißt, so bist du die rechte Braut nicht.' Er zog ihr den Schleier vom Gesicht, und als er ihre grundlose Häßlichkeit erblickte, sprang er erschrocken zurück und sprach 'wie kommst du hierher? wer bist du?' 'Ich bin deine verlobte Braut, aber weil ich fürchtete, die Leute würden mich verspotten, wenn sie mich draußen erblickten, so habe ich dem Aschenputtel befohlen, meine Kleider anzuziehen und statt meiner zur Kirche zu gehen.' 'Wo ist das Mädchen?' sagte er, 'ich will es sehen, geh und hol es hierher.' Sie ging hinaus und sagte den Dienern, das Aschenputtel sei eine Betrügerin, sie sollten es in den Hof hinabführen und ihm den Kopf abschlagen. Die Diener packten es und wollten es fortschleppen, aber er schrie so laut um Hilfe, daß der Königssohn seine Stimme vernahm, aus seinem Zimmer herbeieilte und den Befehl gab, das Mädchen augenblicklich loszulassen.

Es wurden Lichter herbeigeholt, und da bemerkte er an ihrem Hals den Goldschmuck, den er ihm vor der Kirchentür gegeben hatte. 'Du bist die rechte Braut,' sagte er, 'die mit mir zur Kirche gegangen ist: komm mit mir in meine Kammer.' Als sie beide allein waren, sprach er 'du hast auf dem Kirchgang die Jungfrau Maleen genannt, die meine verlobte Braut war: wenn ich dächte, es wäre möglich, so müßte ich glauben, sie stände vor mir: du gleichst ihr in allem.' Sie antwortete 'ich bin die Jungfrau Maleen, die um dich sieben Jahre in der Finsternis gefangen gesessen, Hunger und Durst gelitten und so lange in Not und Armut gelebt hat: aber heute bescheint mich die Sonne wieder. Ich bin dir in der Kirche angetraut und bin deine rechtmäßige Gemahlin.' Da küßten sie einander und waren glücklich für ihr Lebtag. Der falschen Braut ward zur Vergeltung der Kopf abgeschlagen.

Der Turm, in welchem die Jungfrau Maleen gesessen hatte, stand noch lange Zeit, und wenn die Kinder vorübergingen, so sangen sie

'kling klang kloria
wer sitt in dissen Toria?
Dar sitt en Königsdochter in,
die kann ik nich to seen krygn.
De Muer, de will nich bräken,
de Steen, de will nich stechen.
Hänschen mit de bunte Jak,
kumm unn folg my achterna.'

 

Die kluge Bauerntochter

Es war einmal ein armer Bauer, der hatte kein Land, nur ein kleines Häuschen und eine Tochter. Da sprach die Tochter: "Wir sollten den Herrn König um ein Stück Rodland bitten." Da der König von ihrer Armut hörte, schenkte er ihnen auch ein Eckchen Rasen, den hackten sie und ihr Vater um und wollten ein wenig Korn und derart Frucht darauf säen. Als sie den Acker beinah herum hatten, so fanden sie in der Erde einen Mörser von purem Gold. "Hör", sagte der Vater zu dem Mädchen, "weil unser Herr König so gnädig gewesen ist, so müssen wir ihm den Mörser dafür geben." Die Tochter aber wollt' es nicht bewiligen und sagte: "Vater, wenn wir den Mörser haben und haben den Stößer nicht, dann müssen wir auch den Stößer herbeischaffen, darum schweigt lieber still." Er wollte ihr aber nicht gehorchen, nahm den Mörser, trug ihn zum Herrn König und sagt; den hatte er gefunden in der Heide, ob er ihn als eine Verehrung annehmen wollte. Der König nahm den Mörser und fragte, ob er nichts mehr gefunden häue. "Nein", antwortete der Bauer. Da sagte der König, er sollte nun auch den Stößer herbeischaffen. Der Bauer sprach, den hätten sie nicht gefunden; aber das half ihm so viel, als hätt' er's in den Wind gesagt, er ward ins Gefängnis gesetzt und sollte so lange da sitzen, bis er den Stößer herbeigeschafft hätte. Die Bedienten mußten ihm täglich Wasser und Brot bringen, da hörten sie, wie der Mann alsfort schrie: "Ach, hätt' ich meiner Tochter gehört! Ach, ach, hätt' ich meiner Tochter gehört!" Da gingen sie zum König und berichteten, wie der Gefangene alsfort schrie: "Ach, hätt' ich doch meiner Tochter gehört!" und wie er nicht essen und nicht trinken wollte. Da befahl er den Bedienten, sie sollten den Gefangenen vor ihn bringen, und da fragte ihn der Herr König, warum er alsfort schrie: ,Ach, hätt' ich meiner Tochter gehört!' "Was hat Eure Tochter denn gesagt?" "Ja, sie hat gesprochen, ich sollte den Mörser nicht bringen, sonst müßt' ich auch den Stößer schaffen." "Habt Ihr so eine kluge Tochter, so laßt sie einmal herkommen. " Also mußte sie vor den König kommen, der fragte sie, ob sie denn so klug wäre, und sagte, er wollte ihr ein Rätsel aufgeben, wenn sie das treffen könnte, dann wollte er sie heiraten. Da sprach sie gleich, ja, sie wollt's erraten. Da sagte der König: "Komm zu mir, nicht gekleidet, nicht nackend, nicht geritten, nicht gefahren, nicht in dem Weg, nicht außer dem Weg, und wenn du das kannst, will ich dich heiraten." Da ging sie hin und zog sich splitternackend aus, da war sie nicht gekleidet, nahm ein großes Fischgarn und setzte sich hinein und wickelte es ganz um sich herum, da war sie nicht nackend, borgte einen Esel fürs Geld und band dem Esel das Fischgarn an den Schwanz, darin er sie fortschleppen mußte, und das war nicht geritten und nicht gefahren. Der Esel mußte sie aber in dem Fahrgleise schleppen, so daß sie nur mit der großen Zehe auf die Erde kam, und das war nicht in dem Wege und nicht außer dem Wege. Und wie sie daherkam, sagte der König, sie hätte das Rätsel getroffen, und es wäre alles erfüllt. Da ließ er ihren Vater los aus dem Gefängnis und nahm sie als seine Gemahlin und befahl ihr das ganze königliche Gut an.
Nun waren etliche Jahre herum, als der Herr König einmal auf die Parade zog, da trug es sich zu, daß Bauern mit ihren Wagen vor dem Schloß hielten, die hatten Holz verkauft; etliche hatten Ochsen vorgespannt und etliche Pferde. Da war ein Bauer, der hatte drei Pferde, davon kriegte eins ein junges Füllchen, das lief weg und legte sich mitten zwischen zwei Ochsen, die vor dem Wagen waren. Als nun die Bauern zusammen kamen, fingen sie an, sich zu zanken und zu lärmen, und der Ochsenbauer wollte das Füllchen behalten und sagte, die Ochsen hätten's gehabt; und der andere sagte, nein, seine Pferde hätten's gehabt, und es wäre sein. Der Zank kam vor den König, und er tat den Ausspruch, wo das Füllen gelegen hätte, da sollt' es bleiben; und also bekam's der Ochsenbauer, dem's doch nicht gehörte. Da ging der andere weg, weinte und lamentierte über sein Füllchen. Nun hatte er gehört, daß die Frau Königin so gnädig wäre, weil sie auch von armen Bauersleuten gekommen wäre, ging zu ihr und bat sie, ob sie ihm nicht helfen könnte, daß er sein Füllchen wiederbekäme. Sagte sie: "Ja, wenn Ihr mir versprecht, daß Ihr mich nicht verraten wollt, so will ich's Euch sagen. Morgen früh, wenn der Könnig auf der Wachtparade ist, so stellt Euch hin mitten in die Straße, wo er vorbeikommen muß, nehmt ein großes Fischgarn und tut, als fischtet Ihr, und fischt alsofort und schüttet das Garn aus, als wenn Ihr's voll hättet", und sie sagte ihm auch, was er antworten sollte, wenn er vom König gefragt würde. Also stand der Bauer am andern Tag da und fischte auf einem trockenen Platz. Wie der König vorbeikam und das sah, schickte er seinen Laufer hin, der sollte fragen, was der närrische Mann vorhätte. Da gab er zur Antwort: "Ich fische. " Fragte der Laufer, wie er fischen könnte, es wäre ja kein Wasser da. Sagte der Bauer: "So gut als zwei Ochsen können ein Füllen kriegen, so gut kann ich auch auf dem trockenen Platz fischen." Der Laufer ging hin und brachte dem König die Antwort, da ließ er den Bauer vor sich kommen und sagte ihm, das hätte er nicht von sich, von wem er das hätte, und sollt's gleich bekennen. Der Bauer aber wollt's nicht tun und sagte immer: "Gott bewahr!" Er hätt' es von sich. Sie legten ihn aber auf ein Gebund Stroh und schlugen ihn so lange, bis er's bekannte, daß er's von der Frau Königin hätte. Als der König nach Haus kam, sagte er zu seiner Frau:
"Warum bist du so falsch mit mir, ich will dich nicht mehr zur Gemahlin. Geh wieder hin, woher du kommen bist, in dein Bauernhäuschen." Doch erlaubte er ihr eins, sie sollte sich das Liebste und Beste mitnehmen, was sie wüßte, und das sollte ihr Abschied sein. Sie sagte: "Ja, lieber Mann, wenn du's so befiehlst, will ich es auch tun", und fiel über ihn her und küßte ihn und sprach, sie wollte Abschied von ihm nehmen Dann ließ sie einen starken Schlaftrunk kommen, Abschied mit ihm zu trinken. Der König tat einen großen Zug, sie aber trank nur ein wenig. Da geriet er in einen tiefen Schlaf, und als sie das sah, rief sie einen Bedienten und nahm ein schönes weißes Linnentuch und schlug ihn da hinein, und die Bedienten mußten ihn in einen Wagen vor die Türe tragen, und sie fuhr ihn heim in ihr Häuschen. Da legte sie ihn in ihr Bettchen, und er schlief Tag und Nacht in einem fort, und als er aufwachte, sah er sich um und sagte: "Ach Gott, wo bin ich denn?" Er rief seinen Bedienten, aber es war keiner da. Endlich kam seine Frau vors Bett und sagte:
"Lieber Herr König, Ihr habt mir befohlen, ich sollte das Liebste und Beste aus dem Schloß mitnehmen, nun hab' ich nichts Besseres und Lieberes als dich, da hab' ich dich mitgenommen." Dem König stiegen die Tränen in die Augen, und er sagte: "Liebe Frau, du sollst mein sein und ich dein", und nahm sie wieder mit ins königliche Schloß und ließ sich aufs neue mit ihr vermählen; und sie werden ja wohl noch auf den heutigen Tag leben.

 

Die kluge Else

Es war ein Mann, der hatte eine Tochter, die hieß die kluge Else. Als sie nun erwachsen war, sprach der Vater: "Wir wollen sie heiraten lassen." - "Ja", sagte die Mutter, "wenn nur einer käme, der sie haben wollte." Endlich kam von weit her einer, der hieß Hans und hielt um sie an, er machte aber die Bedingung, daß die kluge Else auch recht gescheit wäre. "Oh", sprach der Vater, "die hat Zwirn im Kopf", und die Mutter sagte: "Ach, die sieht den Wind auf der Gasse laufen und hört die Fliegen husten." - "Ja", sprach der Hans, "wenn sie nicht recht gescheit ist, so nehm' ich sie nicht."
Als sie nun zu Tisch saßen und gegessen hatten, sprach die Mutter: "Else, geh in den Keller und hol Bier." Da nahm die kluge Else den Krug von der Wand und ging in den Keller. Als sie unten war, holte sie ein Stühlchen und stellte es vors Faß, damit sie sich nicht zu bücken brauchte und ihrem Rücken nicht etwa wehe täte und unverhofften Schaden nähme. Dann stellte sie die Kanne vor sich und drehte den Hahn auf, und während der Zeit, daß das Bier hineinlief, wollte sie doch ihre Augen nicht müßig lassen, sah oben an die Wand hinauf und erblickte nach vielem Hinundherschauen eine Kreuzhacke gerade über sich, welche die Maurer da aus Versehen hatten stecken lassen. Da fing die kluge Else an zu weinen und sprach: "Wenn ich den Hans kriege und wir kriegen ein Kind und das ist groß und wir schicken das Kind in den Keller, daß es hier Bier zapfen soll, so fällt ihm die Kreuzhacke auf den Kopf und schlägt's tot. Da saß sie und weinte und schrie aus Leibeskräften über das bevorstehende Unglück. Die oben warteten auf den Trank, aber die kluge Else kam immer nicht. Da sprach die Frau zur Magd: "Geh doch hinunter in den Keller ünd sieh, wo die Else bleibt." Die Magd ging und fand sie vor dem Fasse sitzend und laut schreiend. "Else, was weinst du?" fragte die Magd. "Ach", antwortete sie, "soll ich nicht weinen? Wenn ich den Hans kriege und wir kriegen ein Kind und das ist groß und soll hier Trinken zapfen, so fällt ihm vielleicht die Kreuzhacke auf den Kopf und schlägt es tot." Da sprach die Magd: "Was haben wir für eine kluge Else!" setzte sich zu ihr und fing auch an, über das Unglück zu weinen. Über eine Weile, als die Magd nicht wiederkam, sprach der Mann zum Knecht: "Geh doch hinunter in den Keller und sieh, wo die Else und die Magd bleiben." Der Knecht ging hinab; da saßen die kluge Else und die Magd und weinten beide zusammen. Da fragte er: "Was weint ihr denn?" - "Ach", sprach die Else, soll ich nicht weinen? Wenn ich den Hans kriege und wir kriegen ein Kind und das ist groß und soll hier Trinken zapfen, so fällt ihm die Kreuzhacke auf den Kopf und schlägt's tot." Da sprach der Knecht: "Was haben wir für eine kluge Else!" setzte sich zu ihr und fing auch an, laut zu heulen. Oben warteten sie auf den Knecht, als er aber immer nicht kam, sprach der Mann zur Frau: "Geh doch hinunter in den Keller und sieh, wo die Else bleibt." Die Frau ging hinab und fand alle drei in Wehklagen und fragte nach der Ursache; da erzählte ihr die Else auch, daß ihr zukünftiges Kind wohl würde von der Kreuzhacke totgeschlagen werden, wenn es erst groß wäre und Bier zapfen sollte und die Kreuzhacke fiele herab. Da sprach die Mutter gleichfalls: "Ach, was haben wir für eine kluge Else!" setzte sich hin und weinte mit. Der Mann oben wartete noch ein Weilchen, als aber seine Frau nicht wiederkam und sein Durst immer stärker ward, sprach er: "Ich muß nun selber in den Keller gehn und sehen, wo die Else bleibt." Als er aber in den Keller kam und alle da beieinander saßen und weinten und er die Ursache hörte, daß das Kind der Else schuld wäre, das sie vielleicht einmal zur Welt brächte und das von der Kreuzhacke könnte totgeschlagen werden, wenn es gerade zur Zeit, wo sie herabfiele, darunter säße um Bier zu zapfen, da rief er: "Was haben wir für eine kluge Else!" setzte sich und weinte auch mit. Der Bräutigam blieb lange oben allein; da niemand wiederkommen wollte, dachte er: ,Sie werden unten auf dich warten, du mußt auch hingehen und sehen, was sie vorhaben.' Als er hinabkam, saßen da fünfe und schrien und jammerten ganz erbärmlich, einer immer besser als der andere. "Was für ein Unglück ist denn geschehen?" fragte er. "Ach, lieber Hans", sprach die Else, "wann wir einander heiraten und haben ein Kind und es ist groß und wir schicken's vielleicht hierher, Trinken zu zapfen, da kann ihm ja die Kreuzhacke, die da oben ist steckengeblieben, wenn sie herabfallen sollte, den Kopf zerschlagen, daß es liegenbleibt; sollen wir da nicht weinen?" - "Nun", sprach Hans, "mehr Verstand ist für meinen Haushalt nicht nötig; weil du so eine kluge Else bist, so will ich dich haben", und nahm sie mit hinauf und hielt Hochzeit mit ihr.
Als sie den Hans eine Weile hatte, sprach er: "Frau, ich will ausgehen, arbeiten und uns Geld verdienen, geh du ins Feld und schneid das Korn, daß wir Brot haben." - "Ja, mein lieber Hans, das will ich tun." Nachdem der Hans fort war, kochte sie sich einen guten Brei und nahm ihn mit ins Feld. Als sie vor den Acker kam, sprach sie zu sich selbst: "Was tu' ich? Schneid' ich eher oder ess' ich eher? Hei, ich will erst essen!" Nun aß sie ihren Topf mit Brei aus, und als sie dick satt war, sprach sie wieder: "Was tu' ich? Schneid' ich eher oder schlaf' ich eher? Hei, ich will erst schlafen!" Da legte sie sich ins Korn und schlief ein. Der Hans war längst zu Haus, aber die Else wollte nicht kommen; da sprach er: "Was hab' ich für eine kluge Else, die ist so fleißig, daß sie nicht einmaL nach Haus kommt und ißt." Als sie aber noch ausblieb und es Abend ward, ging der Hans hinaus und wollte sehen, was sie geschnitten hätte. Aber es war nichts geschnitten, sondern sie lag im Korn und schlief. Da eilte Hans geschwind heim und holte ein Vogelgarn mit kleinen Schellen und hängte es um sie herum, und sie schlief noch immer fort. Dann lief er heim, schloß die Haustür zu und setzte sich auf seinen Stuhl und arbeitete. Endlich, als es schon ganz dunkel war, erwachte die kluge Else, und als sie aufstand, klingelten die Schellen bei jedem Schritte, den sie tat. Da erschrak sie, ward irre, ob sie auch wirklich die kluge Else wäre, und sprach: "Bin ich's, oder bin ich's nicht?" Sie wußte aber nicht, was sie darauf antworten sollte, und stand eine Zeitlang zweifelhaft. Endlich dachte sie: ,Ich will nach Haus gehen und fragen, ob ich's bin oder ob ich's nicht bin, die werden's ja wissen.' Sie lief vor ihre Haustür, aber die war verschlossen, da klopfte sie an das Fenster und rief: "Hans, ist die Else drinnen?" -"Ja", antwortete der Hans, "sie ist drinnen." Da erschrak sie und sprach: "Ach Gott, dann bin ich's nicht", und ging vor eine andere Tür; als aber die Leute das Klingeln der Schellen hörten, wollten sie nicht aufmachen, und sie konnte nirgends unterkommen. Da lief sie fort und niemand hat sie wieder gesehen.

 

Der kluge Knecht

Wie glücklich ist der Herr, und wie wohl steht es mit seinem Hause, wenn er einen klugen Knecht hat, der auf seine Worte zwar hört, aber nicht danach und lieber seiner eigenen Weisheit folgt. Ein solcher kluger Hans ward mal von seinem Herrn ausgeschickt, eine verlorene Kuh zu suchen. Er blieb aus, und der Herr dachte: ,Der treue Hans, er läßt sich in seinem Dienste keine Mühe verdrießen.' Als er aber gar nicht wiederkommen wollte, vermutete der Herr, es möchte ihm etwas zugestoßen sein, machte sich selbst auf und wollte sich nach ihm umsehen. Er mußte lange suchen, endlich erblickte er den Knecht, der im weiten Feld auf und ab lief. "Nun lieber Hans", sagte der Herr, als er ihn eingeholt hatte, "hast du die Kuh gefunden, nach der ich dich ausgeschickt habe?" "Nein, Herr", antwortete er, "die Kuh habe ich nicht gefunden, aber auch nicht gesucht." "Was hast du denn gesucht, Hans?" "Etwas Besseres, und das habe ich auch glücklich gefunden." "Was ist das, Hans?" "Drei Amseln", antwortete der Knecht. "Und wo sind sie?" der Herr. "Eine sehe ich, die andere höre ich, und die dritte jage ich", antwortete der kluge Knecht. Nehmt euch daran ein Beispiel, bekümmert euch nicht um euern Herrn und seine Befehle, tut lieber, was euch einfällt und wozu ihr Lust habt; dann werdet ihr ebenso weise handeln wie der kluge Hans.

 

Vom klugen Schneiderlein

Es war einmal eine Prinzessin gewaltig stolz; kam ein Freier, so gab sie ihm etwas zu raten auf, und wenn er's nicht erraten konnte, so ward er mit Spott fortgeschickt. Sie ließ auch bekanntmachen, wer ihre Rätsel löste, sollte sich mit ihr vermählen, möchte kommen, wer da wollte. Endlich fanden sich auch drei Schneider zusammen, davon meinten die zwei ältesten, sie hätten so manchen feinen Stich getan und hätten's getroffen, da könnt's ihnen nicht fehlen; der dritte war ein kleiner unnützer Springinsfeld, der nicht einmal sein Handwerk verstand, aber meinte, er müßte dabei Glück haben; denn woher sollt's ihm sonst kommen? Da sprachen die zwei andern zu ihm: "Bleib nur zu Haus, du wirst mit deinem bißchen Verstande nicht weit kommen." Das Schneiderlein ließ sich aber nicht irremachen und sagte, es hätte einmal seinen Kopf darauf gesetzt und wollte sich schon helfen, und ging dahin, als wäre die ganze Welt sein. Da meldeten sich alle drei bei der Prinzessin und sagten, sie sollte ihnen ihre Rätsel vorlegen; es wären die rechten Leute angekommen, die hätten einen feinen Verstand, daß man ihn wohl in eine Nadel fädeln könnte. Da sprach die Prinzessin: "Ich habe zweierlei Haar auf dem Kopf, von was für Farben ist das?" "Wenn's weiter nichts ist", sagte der erste, "es wird schwarz und weiß sein wie Tuch, das man Kümmel und Salz nennt." Die Prinzessin sprach: "Falsch geraten, der zweite antworte!" Da sagte der zweite: "Ist's nicht schwarz und weiß, so ist's braun und rot wie meines Herrn Vaters Bratenrock." "Falsch geraten", sagte die Prinzessin. "Der dritte antworte", dem seh' ich's an, der weiß es sicherlich." Da trat das Schneiderlein keck hervor und sprach: "Die Prinzessin hat ein silbernes und ein goldenes Haar auf dem Kopf, und das sind die zweierlei Farben." Wie die Prinzessin das hörte, ward sie blaß und wäre vor Schrecken beinahe hingefallen; denn das Schneiderlein hatte es getroffen, und sie hatte fest geglaubt, das würde kein Mensch auf der Welt herausbringen. Als ihr das Herz wiederkam, sprach sie: "Damit hast du mich noch nicht gewonnen, du mußt noch eins tun: Unten im Stall liegt ein Bär, bei dem sollst du die Nacht zubringen; wenn ich dann morgen aufstehe, und du bist noch lebendig, so sollst du mich heiraten." Sie dachte aber, damit wollte sie das Schneiderlein loswerden; denn der Bär hatte noch keinen Menschen lebendig gelassen, der ihm unter die Tatzen gekommen war. Das Schneiderlein ließ sich nicht abschrecken, war ganz vergnügt und sprach: "Frisch gewagt, ist halb gewonnen."
Als nun der Abend kam, ward mein Schneiderlein hinunter zum Bären gebracht. Der Bär wollt' auch gleich auf den kleinen Kerl los und ihm mit seiner Tatze einen guten Willkommen geben. "Sachte, sachte", sprach das Schneiderlein, "ich will dich schon zur Ruhe bringen." Da holte es ganz gemächlich, als hätt' es keine Sorgen, welsche Nüsse aus der Tasche, biß sie auf und aß die Kerne. Wie der Bär das sah, kriegte er auch Lust und wollte auch Nüsse haben. Das Schneiderlein griff in die Tasche und reichte ihm eine Handvoll; es waren aber keine Nüsse, sondern Wackersteine. Der Bär steckte sie ins Maul, konnte aber nichts aufbringen, er mochte beißen, wie er wollte. ,Ei', dachte er, ,was bist du für ein dummer Klotz', und sprach zum Schneiderlein: "Mein, beiß mir die Nüsse auf." "Da siehst du, was du für ein Kerl bist", sprach das Schneiderlein, "hast so ein großes Maul und kannst die kleine Nuß nicht aufbeißen." Da nahm es die Steine, war hurtig, steckte dafür eine Nuß in den Mund und knack, war sie entzwei. "Ich muß das Ding noch einmal probieren", sprach der Bär, "wenn ich's so ansehe, ich glaub, ich müßt's auch können." Da gab ihm das Schneiderlein abermals Wackersteine, und der Bär arbeitete und biß aus allen Leibeskräften hinein. Aber du glaubst auch nicht, daß er sie aufgebracht hat. Wie das vorbei war, holte das Schneiderlein eine Violine unter dem Rock hervor und spielte sich ein Stückchen darauf. Als der Bär die Musik vernahm, konnte er es nicht lassen und fing an zu tanzen, und als er ein Weilchen getanzt hatte, gefiel ihm das Ding so wohl, daß er zum Schneiderlein sprach: "Hör, ist das Geigen schwer?" "Kinderleicht, siehst du, mit der Linken leg' ich die Finger auf, und wit der Rechten streich' ich mit dem Bogen drauflos, da geht's lustig, hopsassa, vivallalera!" "So geigen", sprach der Bär, "das möcht' ich auch verstehen, damit ich tanzen könnte, sooft ich Lust hätte. Was meinst du dazu? Willst du mir Unterricht darin geben?" "Von Herzen gern", sagte das Schneiderlein, "wenn du Geschick dazu hast. Aber weis einmal deine Tatzen her, die sind gewaltig lang, ich muß dir die Nägel ein wenig abschneiden." Da ward ein Schraubstock herbeigeholt, und der Bär legte seine Tatzen darauf, das Schneiderlein aber schraubte sie fest und sprach: "Nun warte, bis ich mit der Schere komme", ließ den Bären brummen, soviel er wollte, legte sich in die Ecke auf ein Bund Stroh und schlief ein.
Die Prinzessin, als sie am Abend den Bären so gewaltig brummen hörte, glaubte nicht anders, als er brummte vor Freuden und hätte dem Schneider den Garaus gemacht. Am Morgen stand sie ganz unbesorgt und vergnügt auf; wie sie aber nach dem Stall guckt, so steht das Schneiderlein ganz munter davor und ist gesund wie ein Fisch im Wasser. Da konnte sie nun kein Wort mehr dagegen sagen, und der König ließ einen Wagen kommen, darin mußte sie mit dem Schneiderlein zur Kirche fahren, und da sollten sie vermählt werden. Wie sie eingestiegen waren, gingen die beiden andern Schneider, die ein falsches Herz hatten und ihm sein Glück nicht gönnten, in den Stall und schraubten den Bären los. Der Bär in voller Wut rannte hinter dem Wagen her. Die Prinzessin hörte ihn schnauben und brummen. Es ward ihr angst: "Ach, der Bär ist hinter uns und will dich holen." Das Schneiderlein war fix, stellte sich auf den Kopf, steckte die Beine zum Fenster hinaus und rief: "Siehst du den Schraubstock? Wann du nicht gehst, so sollst du wieder hinein." Wie der Bär das sah, drehte er sich um und lief fort. Mein Schneiderlein fuhr da ruhig in die Kirche, und die Prinzessin ward ihm angetraut, und er lebte mit ihr vergnügt wie eine Heidelerche. Wer's nicht glaubt, bezahlt einen Taler.

 

Der Königssohn, der sich vor nichts fürchtet

Es war einmal ein Königssohn, dem gefiel's nicht mehr daheim in seines Vaters Haus, und weil er vor nichts Furcht hatte, so dachte er: ,Ich will in die weite Welt gehen, da werde ich wunderliche Dinge genug sehen.' Also nahm er von seinen Eltern Abschied und ging fort, immerzu von Morgen bis Abend, und es war ihm einerlei, wohinaus ihn der Weg führte. Es trug sich zu, daß er vor eines Riesen Haus kam, und weil er so müde war, setzte er sich vor die Tür und ruhte. Und als er seine Augen so hin und her gehen ließ, sah er auf dem Hof des Riesen Spielwerk liegen. Das waren ein paar mächtige Kugeln und Kegel so groß wie ein Mensch. Über ein Weilchen bekam er Lust, stellte die Kegel auf und schob mit den Kugeln danach, schrie und rief, wenn die Kegel fielen, und war guter Dinge. Der Riese hörte den Lärm, steckte seinen Kopf zum Fenster heraus und erblickte einen Menschen, der nicht größer war als andere und doch mit seinen Kegeln spielte. "Würmchen", rief er, "was kegelst du mit meinen Kegeln? Wer hat dir die Stärke dazu gegeben?" Der Königssohn schaute auf, sah den Riesen an und sprach: "O du Klotz, du meinst wohl, du hättest allein starke Arme? Ich kann alles, wozu ich Lust habe." Der Riese kam herab, sah dem Kegeln ganz verwundert zu und sprach: "Menschenkind, wenn du derart bist, so geh und hol mir einen Apfel vom Baum des Lebens." "Was willst du damit?" sprach der Königssohn. "Ich will den Apfel nicht für mich", antwortete der Riese, "aber ich habe eine Braut, die verlangt danach; ich bin weit in der Welt umhergegangen und kann den Baum nicht finden." "Ich will ihn schon finden", sagte der Königssohn, "und ich weiß nicht, was mich abhalten soll, den Apfel herunterzuholen." Der Riese sprach: "Du meinst wohl, das wäre so leicht? Der Garten, worin der Baum steht, ist von einem eisernen Gitter umgeben, und vor dem Gitter liegen wilde Tiere, eins neben dem andern, die halten Wache und lassen keinen Menschen hinein." "Mich werden sie schon einlassen", sagte der Königssohn. "Ja, gelangst du auch in den Garten und siehst den Apfel am Baum hängen, so ist er doch noch nicht dein; es hängt ein Ring davor, durch den muß einer die Hand stecken, wenn er den Apfel erreichen und abbrechen will, und das ist noch keinem geglückt." "Mir soll's schon glücken", sprach der Königssohn.
Da nahm er Abschied von dem Riesen, ging fort über Berg und Tal, bis er endlich den Wundergarten fand. Die Tiere lagen ringsherum, aber sie hatten die Köpfe gesenkt und schliefen. Sie erwachten auch nicht, als er herankam, Er stieg über das Gitter und kam glücklich in den Garten. Da stand mittendrin der Baum des Lebens, und die roten Äpfel leuchteten an den Ästen. Er kletterte an dem Stamm in die Höhe, und wie er nach einem Apfel reichen wollte, sah er einen Ring davor hängen, aber er steckte seine Hand ohne Mühe hindurch und brach den Apfel. Der Ring schloß sich fest an seinen Arm, und er fühlte, wie auf einmal eine gewaltige Kraft durch seine Adern drang. Als er mit dem Apfel von dem Baum wieder herabgestiegen war, wollte er nicht über das Gitter klettern, sondern faßte das große Tor und brauchte nur einmal daran zu schütteln, so sprang es mit Krachen auf. Da ging er hinaus, und der Löwe, der davorgelegen hatte, war wach geworden und sprang ihm nach, aber nicht in Wut, sondern er folgte ihm demütig als seinem Herrn.
Der Königssohn brachte dem Riesen den versprochenen Apfel und sprach: "Siehst du, ich habe ihn ohne Mühe geholt." Der Riese war froh, daß sein Wunsch so bald erfüllt war, eilte zu seiner Braut und gab ihr den Apfel, den sie verlangt hatte. Es war eine schöne und kluge Jungfrau, und da sie den Ring nicht an seinem Arm sah, sprach sie: "Ich glaube nicht eher, daß du den Apfel geholt hast, als bis ich den Ring an deinem Arm erblicke." Der Riese sagte: "Ich brauche nur heimzugehen und ihn zu holen", und meinte, es wäre ein leichtes, dem schwachen Menschen mit Gewalt wegzunehmen, was er nicht gutwillig geben wollte. Er forderte also den Ring von ihm, aber der Königssohn weigerte sich. "Wo der Apfel ist, muß auch der Ring sein", sprach der Riese, "gibst du ihn nicht gutwillig, so mußt du mit mir darum kämpfen."
Sie rangen lange Zeit miteinander, aber der Riese konnte dem Königssohn, den die Zauberkraft des Ringes stärkte, nichts anhaben. Da sann der Riese auf eine List und sprach: "Mir ist warm geworden bei dem Kampf und dir auch, wir wollen im Flusse baden und uns abkühlen, eh' wir wieder anfangen." Der Königssohn, der von Falschheit nichts wußte, ging mit ihm zu dem Wasser, streifte mit seinen Kleidern auch den Ring vom Arm und sprang in den Fluß. Alsbald griff der Riese nach dem Ring und lief damit fort, aber der Löwe, der den Diebstahl bemerkt hatte, setzte dem Riesen nach, riß ihm den Ring aus der Hand und brachte ihn seinem Herrn zurück. Da stellte sich der Riese hinter einen Eichbaum, und als der Königssohn beschäftigt war, seine Kleider wieder anzuziehen, überfiel er ihn und stach ihm beide Augen aus.
Nun stand da der arme Königssohn, war blind und wußte sich nicht zu helfen. Da kam der Riese wieder herbei, faßte ihn bei der Hand wie jemand, der ihn leiten wollte, und führte ihn auf die Spitze eines hohen Felsens. Dann ließ er ihn stehen und dachte: ,Noch ein paar Schritte weiter, so stürzt er sich tot, und ich kann ihm den Ring abziehen.' Aber der treue Löwe hatte seinen Herrn nicht verlassen, hielt ihn am Kleide fest und zog ihn allmählich wieder zurück. Als der Riese kam und den Toten berauben wollte, sah er, daß seine List vergeblich gewesen war. "Ist denn ein so schwaches Menschenkind nicht zu verderben", sprach er zornig zu sich selbst, faßte den Königssohn und führte ihn auf einem andern Weg nochmals zu dem Abgrund; aber der Löwe, der die böse Absicht merkte, half seinem Herrn auch hier aus der Gefahr. Als sie nahe zum Rand gekommen waren, ließ der Riese die Hand des Blinden fahren und wollte ihn allein zurücklassen, aber der Löwe stieß den Riesen, daß er hinabstürzte und zerschmettert auf den Boden fiel.
Das treue Tier zog seinen Herrn wieder von dem Abgrund zurück und leitete ihn zu einem Baum, an dem ein klarer Bach floß. Der Königssohn setzte sich da nieder, der Löwe aber legte sich und spritzte mit seiner Tatze ihm das Wasser ins Antlitz. Kaum hatten ein paar Tröpfchen die Augenhöhlen benetzt, so konnte er wieder etwas sehen und bemerkte ein Vöglein, das flog ganz nah vorbei, stieß sich aber an einen Baumstamm; hierauf ließ es sich in das Wasser herab und badete sich darin, dann flog es auf, strich, ohne anzustoßen, zwischen den Bäumen hin, als hätte es sein Gesicht wieder bekommen. Da erkannte der Königssohn den Wink Gottes, neigte sich herab zu dem Wasser und wusch und badete sich darin das Gesicht. Und als er sich aufrichtete, hatte er seine Augen wieder so hell und rein, wie sie nie gewesen waren.
Der Königssohn dankte Gott für die große Gnade und zog mit seinem Löwen weiter in der Welt herum. Nun trug es sich zu, daß er vor ein Schloß kam, welches verwünscht war. In dem Tor stand eine Jungfrau von schöner Gestalt und feinem Antlitz, aber sie war ganz schwarz. Sie redete ihn an und sprach: "Ach, könntest du mich erlösen aus dem bösen Zauber, der über mich geworfen ist!" "Was soll ich tun?" sprach der Königssohn. Die Jungfrau antwortete: "Drei Nächte mußt du in dem großen Saal des verwünschten Schlosses zubringen, aber es darf keine Furcht in dein Herz kommen. Wenn sie dich auf das ärgste quälen, und du hältst es aus, ohne einen Laut von dir zu geben, so bin ich erlöst; das Leben dürfen sie dir nicht nehmen." Da sprach der Königssohn: "Ich fürchte mich nicht." Also ging er fröhlich in das Schloß, und als es dunkel ward, setzte er sich in den großen Saal und wartete. Es war aber still bis Mitternacht, da fing plötzlich ein großer Lärm an, und aus allen Ecken und Winkeln kamen kleine Teufel herbei. Sie taten, als ob sie ihn nicht sähen, machten ein Feuer und fingen an zu spielen. Wenn einer verlor, sprach er: "Es ist nicht richtig, es ist einer da, der nicht zu uns gehört, der ist schuld, daß ich verliere." "Wart, ich komme, du hinter dem Ofen", sagte ein anderer. Das Schreien ward immer größer, so daß es niemand ohne Schrecken hätte anhören können. Der Königssohn blieb ganz ruhig sitzen und hatte keine Furcht; doch endlich sprangen die Teufel von der Erde auf und fielen über ihn her, und es waren so viele, daß er sich ihrer nicht erwehren konnte. Sie zerrten ihn auf dem Boden herum, zwickten, stachen, schlugen und quälten ihn, aber er gab keinen Laut von sich. Gegen Morgen verschwanden sie, und er war so abgemattet, daß er kaum seine Glieder regen konnte; als aber der Tag anbrach, da trat die schwarze Jungfrau zu ihm herein. Sie trug in ihrer Hand eine kleine Flasche, worin Wasser des Lebens war, damit wusch sie ihn, und alsbald fühlte er, wie alle Schmerzen verschwanden und frische Kraft in seine Adern drang. Sie sprach: "Eine Nacht hast du glücklich ausgehalten, aber noch zwei stehen dir bevor." Da ging sie wieder weg, und im Weggehen bemerkte er, daß ihre Füße weiß geworden waren. In der folgenden Nacht kamen die Teufel und fingen ihr Spiel aufs neue an; sie fielen über den Königssohn her und schlugen ihn viel härter als in der vorigen Nacht, daß sein Leib voll Wunden war. Doch da er alles still ertrug, mußten sie von ihm lassen, und als die Morgenröte anbrach, erschien die Jungfrau und heilte ihn mit dem Lebenswasser. Und als sie wegging, sah er mit Freuden, daß sie schon weiß geworden war bis zu den Fingerspitzen. Nun hatte er nur noch eine Nacht auszuhalten, aber die war die schlimmste. Der Teufelsspuk kam wieder: "Bist du noch da?" schrien sie, "du sollst gepeinigt werden, daß dir der Atem stehenbleibt." Sie stachen und schlugen ihn, warfen ihn hin und her und zogen ihn an Armen und Beinen, als wollten sie ihn zerreißen; er gab keinen Laut von sich. Endlich verschwanden die Teufel, aber er lag da ohnmächtig und regte sich nicht. Er konnte auch nicht die Augen aufheben, um die Jungfrau zu sehen, die hereinkam und ihn mit dem Wasser des Lebens benetzte und begoß. Aber auf einmal war er von allen Schmerzen befreit und fühlte sich frisch und gesund, und wie er die Augen aufschlug, so sah er die Jungfrau neben sich stehen, die war schneeweiß und schön wie der helle Tag. "Steh auf", sprach sie, "und schwing dein Schwert dreimal über die Treppe, so ist alles erlöst." Und als er das getan hatte, da war das ganze Schloß vom Zauber befreit, und die Jungfrau war eine reiche Königstochter. Die Diener kamen und sagten, im großen Saale wäre die Tafel schon zubereitet und die Speisen aufgetragen. Da setzten sie sich nieder, aßen und tranken zusammen, und abends ward in großen Freuden die Hochzeit gefeiert.

 

Der Krautesel

Es war einmal ein junger Jäger, der ging in den Wald auf Anstand. Er batte ein frisches und fröhliches Herz, und als er daherging und auf dem Blatt pfiff, kam ein altes, häßliches Mütterchen, das redete ihn an und sprach: "Guten Tag, lieber Jäger, du bist wohl lustig und vergnügt, aber ich leide Hunger und Durst, gib mir doch ein Almosen." Da dauerte den Jäger das arme Mütterchen, daß er in seine Tasche griff und ihr nach seinem Vermögen etwas reichte. Nun wollte er weitergehen, aber die alte Frau hielt ihn an und sprach: "Höre, lieber Jäger, was ich dir sage, für dein gutes Herz will ich dir ein Geschenk machen. Geh nur immer deiner Wege, über ein Weilchen wirst du an einen Baum kommen, darauf sitzen neun Vögel, die haben einen Mantel in den Krallen und raufen sich darum. Da lege du deine Büchse an und schieß mittendrunter; den Mantel werden sie dir wohl fallen lassen, aber auch einer von den Vögeln wird getroffen sein und tot herabstürzen. Den Mantel nimm mit dir, es ist ein Wunschmantel, wenn du ihn um die Schultern wirfst, brauchst du dich nur an einen Ort zu wünschen, und im Augenblick bist du dort. Aus dem toten Vogel nimm das Herz heraus und verschluck es ganz, dann wirst du allen und jeden Morgen früh beim Aufstehen ein Goldstück unter deinem Kopfkissen finden."
Der Jäger dankte der weisen Frau und dachte hei sich: ,Schöne Dinge, die sie mir versprochen hat, wenns' nur auch all so einträfe.' Doch wie er weiter gegangen war, hörte er über sich in den Ästen ein Geschrei und Gezwitscher, daß er aufschaute. Da sah er einen Haufen Vögel, die rissen mit den SchnäbeIn und Füßen ein Tuch herum, zerrten und balgten sich, als wollt's ein jeder allein haben. "Nun", sprach der Jäger, "das ist wunderlich; es kommt ja geradeso, wie das Mütterchen gesagt hat", nahm die Büchse von der Schulter, legte an und tat seinen Schuß mitten hinein. Alsbald nahm das Getier mit großem Schreien die Flucht, aber einer fiel tot herab, und der Mantel sank ebenfalls herunter. Da tat der Jäger, wie ihm die Alte geheißen hatte, schnitt den Vogel auf, suchte das Herz, schluckte es hinunter und nahm den Mantel mit nach Haus.
Am andern Morgen, als er aufwachte, fiel ihm die Verheißung ein, und er wollte sehen, ob sie auch eingetroffen wäre. Wie er aber sein Kopfkissen in die Höhe hob, da schimmerte ihm das Goldstück entgegen, und am andern Morgen fand er wieder eins und so weiter jedesmal, wenn er aufstand. Er sammelte sich einen Haufen Gold, endlich aber dachte er: ,Was hilft mir all mein Gold, wenn ich daheim bleibe? Ich will mich in der Welt umsehen.'
Da nahm er von seinen Eltern Abschied, hing seinen Jägerranzen und seine Flinte um und zog in die Welt. Es trug sich zu, daß er eines Tages durch einen dicken Wald kam, und wie der zu Ende war, lag in der Ebene vor ihm ein ansehnliches Schloß. In einem Fenster desselben stand eine Alte mit einer wunderschönen Jungfrau und schaute herab. Die Alte aber war eine Hexe und sprach zu dem Mädchen: "Dort kommt einer aus dem Wald; der hat einen wunderbaren Schatz im Leib, den müssen wir darum berücken, mein Herzenstöchterchen, uns steht das besser an als ihm. Er hat ein Vogelherz bei sich, deshalb liegt jeden Morgen ein Goldstück unter seinem Kopfkissen." Sie erzählte ihr, wie es damit beschaffen wäre und wie sie darum zu spielen hätte, und zuletzt drohte sie und sprach mit zornigen Augen: "Und wenn du mir nicht gehorchst, so bist du unglücklich. " Als nun der Jäger näher kam, erblickte er das Mädchen und sprach zu sich: "Ich bin nun so lang herumgezogen, ich will einmal ausruhen und in das schöne Schloß einkehren, Geld hab' ich ja vollauf." Eigentlich aber war die Ursache, daß er ein Auge auf das schöne Bild geworfen hatte.
Er trat in das Haus ein und ward freundlich empfangen und bewirtet. Bald war er so in das Hexenmädchen verliebt, daß er an nichts anderes mehr dachte und nur nach ihren Augen sah, und was sie verlangte, das tat er gerne. Da sprach die Alte: "Nun müssen wir das Vogelherz haben, er wird nicht spüren, wenn es ihm fehlt. " Sie richteten einen Trank zu, und wie der gekocht war, tat sie ihn in einen Becher und gab ihn dem Mädchen, das mußte ihn dem Jäger reichen. Sprach es: "Nun, mein Liebster, trink mir zu." Da nahm er den Becher, und wie er den Trank geschluckt hatte, brach er das Herz des Vogels aus dem Leibe. Das Mädchen mußte es heimlich fortschaffen und dann selbst verschlucken; denn die Alte wollte es haben. Von nun an fand er kein Gold mehr unter seinem Kopfkissen, sondern es lag unter dem Kissen des Mädchens, wo es die Alte jeden Morgen holte; aber er war so verliebt und vernarrt, daß er an nichts anderes dachte, als sich mit dem Mädchen die Zeit zu vertreiben.
Da sprach die alte Hexe: "Das Vogelherz haben wir, aber den Wunschmantel müssen wir ihm auch abnehmen." Antwortete das Mädchen: "Den wollen wir ihm lassen, er hat ja doch seinen Reichtum verloren. " Da ward die Alte bös und sprach: "So ein Mantel ist ein wunderbares Ding, das selten auf der Welt gefunden wird, den soll und muß ich haben. " Sie machte dem Mädchen Vorschläge und sagte, wenn es ihr nicht gehorchte, sollte es ihm schlimm ergehen. Da tat es nach dem Geheiß der Alten, stellte sich einmal ans Fenster und schaute in die weite Gegend, als wäre es ganz traurig. Fragte der Jäger: "Was stehst du so traurig da?" "Ach, mein Schatz", gab es zur Antwort, "da gegenüber liegt der Granatenberg, wo die köstlichen Edelsteine wachsen. Ich trage so groß Verlangen danach, daß, wenn ich daran denke, ich ganz traurig bin; aber wer kann sie holen? Nur die Vögel, die fliegen, kommen hin, ein Mensch nimmermehr." "Hast du weiter nichts zu klagen?" sagte der Jäger, "den Kummer will ich dir bald vom Herzen nehmen." Damit faßte er sie unter seinen Mantel und wünschte sich hinüber auf den Granatenberg' und im Augenblich saßen sie auch beide drauf. Da schimmerte das edle Gestein von allen Seiten, daß es eine Freude war anzusehen, und sie lasen die schönsten und kostbarsten Stücke zusammen. Nun hatte es aber die Alte durch ihre Hexenkunst bewirkt, daß dem Jäger die Augen schwer wurden. Er sprach zu dem Mädchen: "Wir wollen ein wenig niedersitzen und ruhen, ich bin so müde." Da setzten sie sich, und er legte sein Haupt in ihren Schoß und schlief ein. Wie er entschlafen war, da band es ihm den Mantel von den Schultern und hing ihn sich selbst um, las die Granaten und Steine auf und wünschte sich damit nach Haus.
Als aber der Jäger seinen Schlaf ausgetan hatte und aufwachte, sah er, daß seine Liebste ihn betrogen und auf dem wilden Gebirg allein gelassen hatte. "Oh", sprach er, "wie ist die Untreue so groß auf der Welt!" Saß da in Sorge und Herzeleid und wußte nicht, was er anfangen sollte. Der Berg aber gehörte wilden und ungeheuern Riesen, die drauf wohnten und ihr Wesen trieben, und er saß nicht lange, so sah er ihrer drei daherschreiten. Da legte er sich lang nieder, als wäre er in tiefen Schlaf versunken. Nun kamen die Riesen herbei, und der erste stieß ihn mit dem Fuß an und sprach: "Was liegt da für ein Erdwurm und beschaut sich inwendig?" Der zweite sprach: "Tritt ihn tot." Der dritte aber sprach verächtlich: "Das wäre der Mühe wert! Laßt ihn nur leben, hier kann er nicht bleiben, und wenn er höher steigt bis auf die Bergspitze, so packen ihn die Wolken und tragen ihn fort" Unter diesem Gespräch gingen sie vorüber, der Jäger aber hatte auf ihre Worte gemerkt, und sobald sie fort waren, stand er auf und klomm den Berggipfel hinauf. Als er ein Weilchen dagesessen hatte, so schwebte eine Wolke heran, ergriff ihn, trug ihn fort und zog eine Zeitlang am Himmel her, dann senkte sie sich und ließ sich über einen mit Mauern umgebenen Krautgarten nieder, also daß er zwischen Kohl und Gemüsen sanft auf den Boden kam.
Da sah der Jäger sich um und sprach: "Wenn ich nur etwas zu essen hätte, ich bin so hungrig, und mit dem Weiterkommen wird's schwerfallen; aber hier seh' ich keinen Apfel und keine Birne und keinerlei Obst, überall nichts als Krautwerk." Endlich dachte er: ,Zur Not kann ich von dem Salat essen.' Also suchte er sich ein schönes Haupt aus und aß davon, aber kaum hatte er ein paar Bissen hinabgeschluckt, so war ihm so wunderlich zumute, und er fühlte sich ganz verändert. Es wuchsen ihm vier Beine, ein dicker Kopf und zwei lange Ohren, und er sah mit Schrecken, daß er in einen Esel verwandelt war. Doch weil er dabei immer noch großen Hunger spürte und ihm der saftige Salat nach seiner jetzigen Natur gut schmeckte, so aß er mit großer Gier immerzu. Endlich gelangte er an eine andere Art Salat, aber kaum hatte er etwas davon verschluckt, so fühlte er aufs neue eine Veränderung und kehrte in seine menschliche Gestalt zurück.
Nun legte sich der Jäger nieder und schlief seine Müdigkeit aus. Als er am andern Morgen erwachte, brach er ein Haupt von dem bösen und eins von dem guten Salat ab und dachte: ,Das soll mir zu dem Meinigen wieder helfen und die Treulosigkeit bestrafen.' Dann steckte er die Häupter zu sich,kletterte über die Mauer und ging fort, das Schloß seiner Liebsten zu suchen. Als er ein paar Tage herumgestrichen war, fand er es glücklicherweise wieder. Da bräunte er sich schnell sein Gesicht, daß ihn seine eigene Mutter nicht erkannt hätte, ging in das Schloß und bat um Herberge. "Ich bin so müde", sprach er, "und kann nicht weiter." Fragte die Hexe: "Landsmann, wer seid Ihr, und was ist Euer Geschäft?" Er antwortete: "Ich bin ein Bote des Königs und war ausgeschickt, den köstlichsten Salat zu suchen, der unter der Sonne wächst. Ich bin auch so glücklich gewesen, ihn zu finden, und trage ihn bei mir, aber die Sonnenhitze brennt gar zu stark, daß mir das zarte Kraut zu welken droht, und ich weiß nicht, ob ich es weiterbringen werde."
Als die Alte von dem köstlichen Salat hörte, ward sie lüstern und sprach: "Lieber Landsmann, laßt mich doch den wunderbaren Salat versuchen." "Warum nicht?" antwortete er, "ich habe zwei Häupter mitgebracht und will Euch eins geben", machte seinen Sack auf und reichte ihr das böse hin. Die Hexe dachte an nichts Arges, und der Mund wässerte ihr so sehr nach dem neuen Gericht, daß sie selbst in die Küche ging und es zubereitete. Als es fertig war, konnte sie nicht warten, bis es auf dem Tisch stand, sondern sie nahm gleich ein paar Blätter und steckte sie in den Mund; kaum aber waren sie verschluckt, so war auch die menschliche Gestalt verloren, und sie lief als eine Eselin hinab in den Hof. Nun kam die Magd in die Küche, sah den fertigen Salat dastehen und wollte ihn auftragen, unterwegs aber überfiel sie nach alter Gewohnheit die Lust, zu versuchen, und sie aß ein paar Blätter. Alsbald zeigte sich die Wunderkraft, und sie ward ebenfalls zu einer Eselin und lief hinaus zu der Alten, und die Schüssel mit Salat fiel auf die Erde. Der Bote saß in der Zeit bei dem schönen Mädchen, und als niemand mit dem Salat kam und es doch auch lüstern danach war, sprach es: Ich weiß nicht, wo der Salat bleibt." Da dachte der Jäger: ,Das Kraut wird schon gewirkt haben', und sprach: "Ich will nach der Küche gehen und mich erkundigen." Wie er hinabkam, sah er die zwei Eselinnen im Hof herumlaufen, der Salat aber lag auf der Erde. "Schon recht", sprach er, "die zwei haben ihr Teil weg", und hob die übrigen Blätter auf, legte sie auf die Schüissel und brachte sie dem Mädchen. "Ich bring' Euch selbst das köstliche Essen", sprach er, "damit Ihr nicht länger zu warten braucht." Da aß sie davon und war alsbald wie die übrigen ihrer menschlichen Gestalt beraubt und lief als eine Eselin in den Hof.
Nachdem sich der Jäger sein Angesicht gewaschen hatte, also daß ihn die Verwandelten erkennen konnten, ging er hinab in den Hof und sprach: "Jetzt sollt ihr den Lohn für eure Untreue empfangen." Er band sie alle drei an ein Seil und trieb sie fort, bis er zu einer Mühle kam. Er klopfte an das Fenster, der Müller steckte den Kopf heraus und fragte, was sein Begehren wäre. "Ich habe drei böse Tiere", antwortete er, "die ich nicht länger behalten mag. Wollt Ihr sie bei Euch nehmen, Futter und Lager geben und sie halten, wie ich Euch sage, so zahl' ich dafür, was Ihr verlangt." Sprach der Müller: "Warum das nicht? Wie soll ich sie aber halten?" Da sagte der Jäger, der alten Eselin, und das war die Hexe, sollte er täglich dreimal Schläge und einmal zu fressen geben; der jüngern, welche die Magd war, einmal Schläge und dreimal Futter; und der jüngsten, welche das Mädchen war, keinmal Schläge und dreimal zu fressen; denn er konnte es doch nicht über das Herz bringen, daß das Mädchen sollte geschlagen werden. Darauf ging er zurück in das Schloß, und was er nötig hatte, das fand er alles darin.
Nach ein paar Tagen kam der Müller und sprach, er müßte melden, daß die alte Eselin, die nur Schläge bekommen hätte und nur einmal zu fressen, gestorben wäre. "Die zwei andern", sagte er weiter, "sind zwar nicht gestorben und kriegen auch dreimal zu fressen, aber sie sind so traurig, daß es nicht lange mit ihnen dauern kann." Da erbarmte sich der Jäger, ließ den Zorn fahren und sprach zum Müller, er sollte sie wieder hertreiben. Und wie sie kamen, gab er ihnen von dem guten Salat zu fressen, daß sie wieder zu Menschen wurden. Da fiel das schöne Mädchen vor ihm auf die Knie und sprach: "Ach, mein Liebster, verzeiht mir, was ich Böses an Euch getan, meine Mutter hatte mich dazu gezwungen, ich aber habe Euch von Herzen lieb. Euer Wunschmantel hängt in einem Schrank, und für das Vogelherz will ich einen Brechtrunk einnehmen." Da ward er anderen Sinnes und sprach: "Behalt es nur, es ist doch einerlei; denn ich will dich zu meiner treuen Ehegemahlin annehmen." Und da ward Hochzeit gehalten, und sie lebten vergnügt miteinander bis an ihren Tod.

 

Die Kristallkugel

Es war einmal eine Zauberin, die hatte drei Söhne, die sich brüderlich liebten: aber die Alte traute ihnen nicht und dachte, sie wollten ihr ihre Macht rauben. Da verwandelte sie den ältesten in einen Adler, der mußte auf einem Felsengebirge hausen, und man sah ihn manchmal am Himmel in großen Kreisen auf- und niederschweben. Den zweiten verwandelte sie in einen Walfisch, der lebte im tiefen Meer, und man sah nur, wie er zuweilen einen mächtigen Wasserstrahl in die Höhe warf. Beide hatten nur zwei Stunden jeden Tag ihre menschliche Gestalt. Der dritte Sohn, da er fürchtete, sie möchte ihn auch in ein reißendes Tier verwandeln, in einen Bären oder einen Wolf, so ging er heimlich fort. Er hatte aber gehört, daß auf dem Schloß der goldenen Sonne eine verwünschte Königstochter säße, die auf Erlösung harrte: es müßte aber jeder sein Leben daran wagen, schon dreiundzwanzig Jünglinge wären eines jämmerlichen Todes gestorben und nur noch einer übrig, dann dürfte keiner mehr kommen. Und da sein Herz ohne Furcht war, so faßte er den Entschluß, das Schloß von der goldenen Sonne aufzusuchen.

Er war schon lange Zeit herumgezogen und hatte es nicht finden können, da geriet er in einen großen Wald und wußte nicht, wo der Ausgang war. Auf einmal erblickte er in der Ferne zwei Riesen, die winkten ihm mit der Hand, und als er zu ihnen kam, sprachen sie 'wir streiten um einen Hut, wem er zugehören soll, und da wir beide gleich stark sind, so kann keiner den andern überwältigen: die kleinen Menschen sind klüger als wir, daher wollen wir dir die Entscheidung überlassen.' 'Wie könnt ihr euch um einen alten Hut streiten?, sagte der Jüngling. 'Du weißt nicht, was er für Eigenschaften hat, es ist ein Wünschhut, wer den aufsetzt, der kann sich hinwünschen, wohin er will, und im Augenblick ist er dort.' 'Gebt mir den Hut,' sagte der Jüngling, 'ich will ein Stück Wegs gehen, und wenn ich euch dann rufe, so lauft um die Wette, und wer am ersten bei mir ist, dem soll er gehören.' Er setzte den Hut auf und ging fort, dachte aber an die Königstochter, vergaß die Riesen und ging immer weiter.

Einmal seufzte er aus Herzensgrund und rief 'ach, wäre ich doch auf dem Schloß der goldenen Sonne!' Und kaum waren die Worte über seine Lippen, so stand er auf einem hohen Berg vor dem Tor des Schlosses.

Er trat hinein und ging durch alle Zimmer, bis er in dem letzten die
Königstochter fand. Aber wie erschrak er, als er sie anblickte: sie hatte
ein aschgraues Gesicht voll Runzeln, trübe Augen und rote Haare. 'Seid Ihr die Königstochter, deren Schönheit alle Welt rühmt?' rief er aus. 'Ach,' erwiderte sie, 'das ist meine Gestalt nicht, die Augen der Menschen können mich nur in dieser Häßlichkeit erblicken, aber damit du weißt, wie ich aussehe, so schau in den Spiegel, der läßt sich nicht irre machen, der zeigt dir mein Bild, wie es in Wahrheit ist.' Sie gab ihm den Spiegel in die Hand, und er sah darin das Abbild der schönsten Jungfrau, die auf der Welt war, und sah, wie ihr vor Traurigkeit die Tränen über die Wangen rollten. Da sprach er 'wie kannst du erlöst werden? ich scheue keine Gefahr.' Sie sprach 'wer die kristallne Kugel erlangt und hält sie dem Zauberer vor, der bricht damit seine Macht, und ich kehre in meine wahre Gestalt zurück. Ach,' setzte sie hinzu, 'schon so mancher ist darum in seinen Tod gegangen, und du junges Blut, du jammerst mich, wenn du dich in die großen Gefährlichkeiten begibst.' 'Mich kann nichts abhalten,' sprach er, 'aber sage mir, was ich tun muß.' 'Du sollst alles wissen,' sprach die Königstochter, 'wenn du den Berg, auf dem das Schloß steht, hinabgehst, so wird unten an einer Quelle ein wilder Auerochs stehen, mit dem mußt du kämpfen. Und wenn es dir glückt, ihn zu töten, so wird sich aus ihm ein feuriger Vogel erheben, der trägt in seinem Leib ein glühendes Ei, und in dem Ei steckt als Dotter die Kristallkugel. Er läßt aber das Ei nicht fallen, bis er dazu gedrängt wird, fällt es aber auf die Erde, so zündet es und verbrennt alles in seiner Nähe, und das Ei selbst zerschmilzt und mit ihm die kristallne Kugel, und all deine Mühe ist vergeblich gewesen.'

Der Jüngling stieg hinab zu der Quelle, wo der Auerochse schnaubte und ihn anbrüllte. Nach langem Kampf stieß er ihm sein Schwert in den Leib, und er sank nieder. Augenblicklich erhob sich aus ihm der Feuervogel und wollte fortfliegen, aber der Adler, der Bruder des Jünglings, der zwischen den Wolken daherzog' stürzte auf ihn herab, jagte ihn nach dem Meer hin und stieß ihn mit seinem Schnabel an, so daß er in der Bedrängnis das Ei fallen ließ. Es fiel aber nicht in das Meer, sondern auf eine Fischerhütte, die am Ufer stand, und die fing gleich an zu rauchen und wollte in Flammen aufgehen. Da erhoben sich im Meer haushohe Wellen, strömten über die Hütte und bezwangen das Feuer. Der andere Bruder, der Walfisch, war herangeschwommen und hatte das Wasser in die Höhe getrieben. Als der Brand gelöscht war, suchte der Jüngling nach dem Ei und fand es glücklicherweise: es war noch nicht geschmolzen, aber die Schale war von der pIötzlichen Abkühlung durch das kalte Wasser zerbröckelt, und er konnte die Kristallkugel unversehrt herausnehmen.

Als der Jüngling zu dem Zauberer ging und sie ihm vorhielt, so sagte dieser 'meine Macht ist zerstört, und du bist von nun an der König vom Schloß der goldenen Sonne. Auch deinen Brüdern kannst du die menschliche Gestalt damit zurückgeben.' Da eilte der Jüngling zu der Königstochter, und als er in ihr Zimmer trat, so stand sie da in vollem Glanz ihrer Schönheit, und beide wechselten voll Freude ihre Ringe miteinander.

 

Die Lebenszeit

Als Gott die Welt geschaffen hatte und allen Kreaturen ihre Lebenszeit bestimmen wollte, kam der Esel und fragte 'Herr, wie lange soll ich leben?' 'Dreißig Jahre,' antwortete Gott, 'ist dir das recht?' 'Ach Herr,' erwiderte der Esel, 'das ist eine lange Zeit. Bedenke mein mühseliges Dasein: von Morgen bis in die Nacht schwere Lasten tragen, Kornsäcke in die Mühle schleppen, damit andere das Brot essen, mit nichts als mit Schlägen und Fußtritten ermuntert und aufgefrischt zu werden! erlaß mir einen Teil der langen Zeit.' Da erbarmte sich Gott und schenkte ihm achtzehn Jahre. Der Esel ging getröstet weg, und der Hund erschien. 'Wie lange willst du leben?' sprach Gott zu ihm, 'dem Esel sind dreißig Jahre zu viel, du aber wirst damit zufrieden sein.' 'Herr,' antwortete der Hund, 'ist das dein Wille? bedenke, was ich laufen muß, das halten meine Füße so lange nicht aus; und habe ich erst die Stimme zum Bellen verloren und die Zähne zum Beißen, was bleibt mir übrig, als aus einer Ecke in die andere zu laufen und zu knurren?' Gott sah, daß er recht hatte, und erließ ihm zwölf Jahre. Darauf kam der Affe. 'Du willst wohl gerne dreißig Jahre leben?' sprach der Herr zu ihm, 'du brauchst nicht zu arbeiten wie der Esel und der Hund, und bist immer guter Dinge.' 'Ach Herr,' antwortete er, 'das sieht so aus, ist aber anders. Wenns Hirsenbrei regnet, habe ich keinen Löffel. Ich soll immer lustige Streiche machen, Gesichter schneiden, damit die Leute lachen, und wenn sie mir einen Apfel reichen und ich beiße hinein, so ist er sauer. Wie oft steckt die Traurigkeit hinter dem Spaß! Dreißig Jahre halte ich das nicht aus.' Gott war gnädig und schenkte ihm zehn Jahre.

Endlich erschien der Mensch, war freudig, gesund und frisch und bat Gott, ihm seine Zeit zu bestimmen. 'Dreißig Jahre sollst du leben,' sprach der Herr, 'ist dir das genug?' 'Welch eine kurze Zeit!' rief der Mensch, 'wenn ich mein Haus gebaut habe, und das Feuer auf meinem eigenen Herde brennt: wenn ich Bäume gepflanzt habe, die blühen und Früchte tragen, und ich meines Lebens froh zu werden gedenke, so soll ich sterben! o Herr, verlängere meine Zeit.' 'Ich will dir die achtzehn Jahre des Esels zulegen,' sagte Gott. 'Das ist nicht genug,' erwiderte der Mensch. 'Du sollst auch die zwölf Jahre des Hundes haben.' 'Immer noch zu wenig.' 'Wohlan,' sagte Gott, 'ich will dir noch die zehn Jahre des Affen geben, aber mehr erhältst du nicht.' Der Mensch ging fort, war aber nicht zufriedengestellt.

Also lebt der Mensch Siebeinzig Jahr. Die ersten dreißig sind seine menschlichen Jahre, die gehen schnell dahin; da ist er gesund, heiter, arbeitet mit Lust und freut sich seines Daseins. Hierauf folgen die achtzehn Jahre des Esels, da wird ihm eine Last nach der andern aufgelegt: er muß das Korn tragen, das andere nährt, und SchIäge und Tritte sind der Lohn seiner treuen Dienste. Dann kommen die zwölf Jahre des Hundes, da liegt er in den Ecken, knurrt und hat keine Zähne mehr zum Beißen. Und wenn diese Zeit vorüber ist, so machen die zehn Jahre des Affen den Beschluß. Da ist der Mensch schwachköpfig und närrisch, treibt alberne Dinge und wird ein Spott der Kinder.

 

Von dem Mäuschen, Vögelchen und der Bratwurst

Es waren einmal ein Mäuschen, ein Vögelchen und eine Bratwurst in Gesellschaft geraten, hatten einen Haushalt geführt, lange wohl und köstlich im Frieden gelebt, und trefflich an Gütern zugenommen. Des Vögelchens Arbeit war, daß es täglich im Wald fliegen und Holz beibringen müßte. Die Maus sollte Wasser tragen, Feuer anmachen und den Tisch decken, die Bratwurst aber sollte kochen.

Wem zu wohl ist, den gelüstet immer nach neuen Dingen! Also eines Tages stieß dem Vöglein unterwegs ein anderer Vogel auf, dem es seine treffliche Gelegenheit erzählte und rühmte. Derselbe andere Vogel schalt es aber einen armen Tropf, der große Arbeit, die beiden zu Haus aber gute Tage hätten. Denn, wenn die Maus ihr Feuer angemacht und Wasser getragen hatte, so begab sie sich in ihr Kämmerlein zur Ruhe, bis man sie hieß den Tisch decken. Das Würstlein blieb beim Hafen, sah zu, daß die Speise wohl kochte, und wenn es bald Essenszeit war, schlingte es sich ein mal viere durch den Brei oder das Gemüs, so war es geschmalzen, gesalzen und bereitet.

Kam dann das Vöglein heim und legte seine Bürde ab, so saßen sie zu Tisch, und nach gehabtem Mahl schliefen sie sich die Haut voll bis an den andern Morgen; und das war ein herrlich Leben.

Das Vöglein anderes Tages wollte aus Anstiftung nicht mehr ins Holz, sprechend, es wäre lang genug Knecht gewesen, und hätte gleichsam ihr Narr sein müssen, sie sollten einmal umwechseln und es auf eine andere Weise auch versuchen. Und wiewohl die Maus und auch die Bratwurst heftig dafür bat, so war der Vogel doch Meister: es mußte gewagt sein, spieleten derowegen, und kam das Los auf die Bratwurst, die mußte Holz tragen, die Maus ward Koch, und der Vogel sollte Wasser holen.

Was geschieht? das Bratwürstchen zog fort gen Holz, das Vöglein machte Feuer an, die Maus stellte den Topf zu, und erwarteten allein, bis Bratwürstchen heim käme und Holz für den andern Tag brächte. Es blieb aber das Würstlein so lang unterwegs, daß ihnen beiden nichts Gutes vorkam, und das Vöglein ein Stück Luft hinaus entgegenflog. Unfern aber findet es einen Hund am Weg, der das arme Bratwürstlein als freie Beut angetroffen, angepackt und niedergemacht. Das Vöglein beschwerte sich auch dessen als eines offenbaren Raubes sehr gegen den Hund, aber es half kein Wort, denn, sprach der Hund, er hätte falsche Briefe bei der Bratwurst gefunden, deswegen wäre sie ihm des Lebens verfallen gewesen.

Das Vöglein, traurig, nahm das Holz auf sich, flog heim und erzählte, was es gesehn und gehöret. Sie waren sehr betrübt, verglichen sich aber, das Beste zu tun und beisammen zu bleiben. Derowegen so deckte das Vöglein den Tisch und die Maus rüstete das Essen und wollte anrichten, und in den Hafen, wie zuvor das Würstlein, durch das Gemüs schlingen und schlupfen, dasselbe zu schmälzen: aber ehe sie in die Mitte kam, ward sie angehalten und mußte Haut und Haar und dabei das Leben lassen.

Als das Vöglein kam und wollte das Essen auftragen, da war kein Koch vorhanden. Das Vöglein warf bestürzt das Holz hin und her, rufte und suchte, konnte aber seinen Koch nicht mehr finden. Aus Unachtsamkeit kam das Feuer in das Holz, also daß eine Brunst entstand; das Vöglein eilte, Wasser zu langen, da entfiel ihm der Eimer in den Brunnen, und es mit hinab, daß es sich nicht mehr erholen konnte und da ersaufen mußte.

 

Das Mittagessen im Hof

Man klagt häufig darüber, wie schwer und unmöglich es sei, mit manchen
Menschen auszukommen. Das mag denn freilich auch wahr sein. Indessen sind viele von solchen Menschen nicht schlimm, sondern nur wunderlich, und wenn man sie nur immer recht kennete, inwendig und auswendig, und recht mit ihnen umzugehen wüßte, nie zu eigensinnig und nie zu nachgiebig, so wäre mancher wohl und leicht zur Besinnung zu bringen. Das ist doch einem Bedienten mit seinem Herrn gelungen. Dem konnte er manchmal gar nichts recht machen und mußte vieles entgelten, woran er unschuldig war, wie es oft geht.

So kam einmal der Herr sehr verdrießlich nach Hause und setzte sich zum Mittagessen. Da war die Suppe zu heiß oder zu kalt oder keines von beiden; aber genug, der Herr war verdrießlich. Er faßte daher die Schüssel mit dem, was darinnen war, und warf sie durch das offene Fenster in den Hof hinab. Was tat hierauf der Diener? Kurz besonnen warf er das Fleisch, welches er eben auf den Tisch stellen wollte, mir nichts, dir nichts, der Suppe nach auch in den Hof hinab, dann das Brot, dann den Wein und endlich das Tischtuch mit allem, was noch darauf war. "Verwegener, was soll das sein?" fragte der Herr und fuhr mit drohendem Zorn von dem Sessel auf. Aber der Bediente erwiderte ganz kalt und ruhig: "Verzeihen Sie mir, wenn ich Ihre Meinung nicht erraten habe. Ich glaubte nicht anders, als Sie wollten heute in dem Hofe speisen. Die Luft ist so heiter, der Himmel so blau, und sehen Sie nur, wie lieblich der Apfelbaum blüht, und wie fröhlich die Bienen ihren Mittag halten!" - Diesmal die Suppe hinabgeworfen und nimmer!

Der Herr erkannte seinen Fehler, heiterte sich im Anblick des schönen
Frühlingshimmels auf, lächelte heimlich über den schnellen Einfall seines
Aufwärters und dankte ihm im Herzen für die gute Lehre.

 

Der Mond

Vorzeiten gab es ein Land, wo die Nacht immer dunkel und der Himmel wie ein schwarzes Tuch darüber gebreitet war; denn es ging dort niemals der Mond auf, und kein Stern blinkte in der Finsternis. Bei Erschaffung der Welt hatte das nächtliche Licht ausgereicht. Aus diesem Land gingen einmal vier Burschen auf die Wanderschaft und gelangten in ein anderes Reich, wo abends, wenn die Sonne hinter den Bergen verschwunden war, auf einem Eichbaum eine leuchtende Kugel stand, die weit und breit ein sanftes Licht ausgoß. Man konnte dabei alles wohl sehen und unterscheiden. Die Wanderer standen still und fragten einen Bauer, der da mit seinem Wagen vorbeifuhr, was das für ein Licht sei. "Das ist der Mond", antwortete dieser, "unser Schultheiß hat ihn für drei Taler gekauft und an den Eichbaum befestigt. Er muß täglich Öl aufgießen und ihn rein erhalten, damit er immer hell brennt. Dafür erhält er von uns wöchentlich einen Taler."
Als der Bauer weggefahren war, sagte der eine von ihnen: "Diese Lampe könnten wir brauchen, wir haben daheim einen Eichbaum, der ebenso groß ist, daran können wir sie hängen. Was für eine Freude, wenn wir nachts nicht in der Finsternis herumtappen!" "Wißt ihr was?" sprach der zweite, "wir wollen Wagen und Pferde holen und den Mond wegführen. Sie können sich hier einen andern kaufen." "Ich kann gut klettern", sprach der dritte, "ich will ihn schon herunterholen." Der vierte brachte einen Wagen mit Pferden herbei, und der dritte stieg den Berg hinauf, bohrte ein Loch in den Mond, zog ein Seil hindurch und ließ ihn herab. Als die glänzende Kugel auf dem Wagen lag, deckten sie ein Tuch darüber, damit niemand den Raub bemerken sollte. Sie brachten ihn glücklich in ihr Land und stellten ihn auf eine hohe Eiche. Alte und Junge freuten sich, als die neue Lampe ihr Licht über alle Felder leuchten ließ und Stuben und Kammern damit erfüllte. Die Zwerge kamen aus den Felsenhöhlen hervor, und die kleinen Wichtelmänner tanzten in ihren roten Röckchen auf den Wiesen den Ringeltanz.
Die vier versorgten den Mond mit Öl, putzten den Docht und erhielten wöchentlich ihren Taler. Aber sie wurden alte Greise, und als der eine erkrankte und seinen Tod voraussah, verordnete er, daß der vierte Teil des Mondes als sein Eigentum ihm mit in das Grab sollte gegeben. werden. Als er gestorben war, stieg der Schultheiß auf den Baum und schnitt mit der Heckenschere ein Viertel ab, das in den Sarg gelegt ward. Das Licht des Mondes nahm ab, aber noch nicht merklich. Als der zweite starb, ward ihm das zweite Viertel mitgegeben, und das Licht minderte sich. Noch schwächer ward es nach dem Tod des dritten, der gleichfalls seinen Teil mitnahm, und als der vierte ins Grab kam, trat die alte Finsternis wieder ein. Wenn die Leute abends ohne Laterne ausgingen, stießen sie mit den Köpfen zusammen.
Äber als die Teile des Monds in der Unterwelt sich wieder vereinigten, so wurden dort, wo immer Dunkelheit geherrscht hatte, die Toten unruhig und erwachten aus ihrem Schlaf. Sie erstaunten, als sie wieder sehen konnten; das Mondlicht war ihnen genug; denn ihre Augen waren so schwach geworden, daß sie den Glanz der Sonne nicht ertragen hätten. Sie erhoben sich, wurden wieder lustig und nahmen ihre alte Lebensweise wieder an. Ein Teil ging zum Spiel und Tanz; andere liefen in die Wirtshäuser, wo sie Wein forderten, sich betranken, tobten und zankten und endlich ihre Knüttel aufhoben und sich prügelten. Der Lärm ward immer ärger und drang endlich bis in den Himmel hinauf.
Der heilige Petrus, der das Himmelstor bewacht, glaubte, die Unterwelt wäre in Aufruhr geraten, und rief die himmlischen Heerscharen zusammen, die den bösen Feind zurückjagen sollten. Da sie aber nicht kamen, so setzte er sich auf sein Pferd und ritt durch das Himmelstor hinab in die Unterwelt. Da brachte er die Toten zur Ruhe, hieß sie sich wieder in ihre Gräber legen und nahm den Mond mit fort, den er oben am Himmel aufhing.

 

Die Nelke

Es war eine Königin, die hatte unser Herrgott verschlossen, daß sie keine Kinder gebar. Da ging sie alle Morgen in den Garten und bat zu Gott im Himmel, er möchte ihr einen Sohn oder eine Tochter bescheren. Da kam ein Engel vom Himmel und sprach 'gib dich zufrieden, du sollst einen Sohn haben mit wünschlichen Gedanken, denn was er sich wünscht auf der Welt, das wird er erhalten.' Sie ging zum König und sagte ihm die fröhliche Botschaft, und als die Zeit herum war, gebar sie einen Sohn, und der König war in großer Freude.

Nun ging sie alle Morgen mit dem Kind in den Tiergarten, und wusch sich da bei einem klaren Brunnen. Es geschah einstmals, als das Kind schon ein wenig älter war, daß es ihr auf dem Schoß lag und sie entschlief. Da kam der alte Koch, der wußte, daß das Kind wünschliche Gedanken hatte, und raubte es, und nahm ein Huhn und zerriß es, und tropfte ihr das Blut auf die Schürze und das Kleid. Da trug er das Kind fort an einen verborgenen Ort, wo es eine Amme tränken mußte, und lief zum König und klagte die Königin an, sie habe ihr Kind von den wilden Tieren rauben lassen. Und als der König das Blut an der Schürze sah, glaubte er es und geriet in einen solchen Zorn, daß er einen tiefen Turm bauen ließ, in den weder Sonne noch Mond schien, und ließ seine Gemahlin hineinsetzen und vermauern; da sollte sie sieben Jahre sitzen, ohne Essen und Trinken, und sollte verschmachten. Aber Gott schickte zwei Engel vom Himmel in Gestalt von weißen Tauben, die mußten täglich zweimal zu ihr fliegen und ihr das Essen bringen, bis die sieben Jahre herum waren.

Der Koch aber dachte bei sich 'hat das Kind wünschliche Gedanken und ich bin hier, so könnte es mich leicht ins Unglück stürzen.' Da machte er sich vom Schloß weg und ging zu dem Knaben, der war schon so groß, daß er sprechen konnte, und sagte zu ihm 'wünsche dir ein schönes Schloß mit einem Garten, und was dazu gehört.' Und kaum waren die Worte aus dem Munde des Knaben, so stand alles da, was er gewünscht hatte. Über eine Zeit sprach der Koch zu ihm es ist nicht gut, daß du so allein bist, wonsche dir eine schöne Jungfrau zur Gesellschaft.' Da wünschte sie der Königssohn herbei, und sie stand gleich vor ihm, und war so schön, wie sie kein Maler malen konnte. Nun spielten die beiden zusammen und hatten sich von Herzen lieb, und der alte Koch ging auf die Jagd wie ein vornehmer Mann. Es kam ihm aber der Gedanke, der Königssohn könnte einmal wünschen, bei seinem Vater zu sein, und ihn damit in große Not bringen.

Da ging er hinaus, nahm das Mädchen beiseit und sprach 'diese Nacht, wenn der Knabe schläft, so geh an sein Bett und stoß ihm das Messer ins Herz, und bring mir Herz und Zunge von ihm; und wenn du das nicht tust, so sollst du dein Leben verlieren.' Darauf ging er fort, und als er am andern Tag wiederkam, so hatte sie es nicht getan und sprach 'was soll ich ein unschuldiges Blut ums Leben bringen, das noch niemand beleidigt hat?' Sprach der Koch wieder 'wo du es nicht tust, so kostet dichs selbst dein Leben.' Als er weggegangen war, ließ sie sich eine kleine Hirschkuh herbeiholen und ließ sie schlachten, und nahm Herz und Zunge, und legte sie auf einen Teller, und als sie den Alten kommen sah, sprach sie zu dem Knaben 'leg dich ins Bett und zieh die Decke über dich.'

Da trat der Bösewicht herein und sprach 'wo ist Herz und Zunge von dem Knaben?, Das Mädchen reichte ihm den Teller, aber der Königssohn warf die Decke ab und sprach 'du alter Sünder, warum hast du mich töten wollen? nun will ich dir dein Urteil sprechen. Du sollst ein schwarzer Pudelhund werden und eine goldene Kette um den Hals haben, und sollst glühende Kohlen fressen, daß dir die Lohe zum Hals herausschlägt.' Und wie er die Worte ausgesprochen hatte, so war der Alte in einen Pudelhund verwandelt, und hatte eine goldene Kette um den Hals, und die Köche mußten lebendige Kohlen heraufbringen, die fraß er, daß ihm die Lohe aus dem Hals herausschlug. Nun blieb der Königssohn noch eine kleine Zeit da und dachte an seine Mutter, und ob sie noch am Leben wäre.

Endlich sprach er zu dem Mädchen 'ich will heim in mein Vaterland, willst du mit mir gehen, so will ich dich ernähren.' 'Ach,' antwortete sie, 'der Weg ist so weit, und was soll ich in einem fremden Lande machen, wo ich unbekannt bin.' Weil es also ihr Wille nicht recht war, und sie doch voneinander nicht lassen wollten, wünschte er sie zu einer schönen Nelke und steckte sie bei sich.

Da zog er fort, und der Pudelhund mußte mitlaufen, und zog in sein Vaterland. Nun ging er zu dem Turm, wo seine Mutter darinsaß, und weil der Turm so hoch war, wünschte er eine Leiter herbei, die bis obenhin reichte. Da stieg er hinauf und sah hinein und rief 'herzliebste Mutter, Frau Königin, seid Ihr noch am Leben, oder seid Ihr tot?' Sie antwortete 'ich habe ja eben gegessen und bin noch satt,' und meinte, die Engel wären da. Sprach er 'ich bin Euer lieber Sohn, den die wilden Tiere Euch sollen vom Schoß geraubt haben: aber ich bin noch am Leben und will Euch bald erretten.' Nun stieg er herab und ging zu seinem Herrn Vater, und ließ sich anmelden als ein fremder Jäger, ob er könnte Dienste bei ihm haben. Antwortete der König ja, wenn er gelernt wäre und ihm Wildbret schaffen könnte, sollte er herkommen; es hatte sich aber auf der ganzen Grenze und Gegend niemals Wild aufgehalten. Da sprach der Jäger, er wollte ihm so viel Wild schaffen, als er nur auf der königlichen Tafel brauchen könnte. Dann hieß er die Jägerei zusammenkommen, sie sollten alle mit ihm hinaus in den Wald gehen. Da gingen sie mit, und draußen hieß er sie einen großen Kreis schließen, der an einem Ende offen blieb, und dann stellte er sich hinein und fing an zu wünschen. Alsbald kamen zweihundert und etliche Stück Wildbret in den Kreis gelaufen, und die Jäger mußten es schießen. Da ward alles auf sechzig Bauernwagen geladen und dem König heim gefahren; da konnte er einmal seine Tafel mit Wildbret zieren, nachdem er lange Jahre keins gehabt hatte.

Nun empfand der König große Freude darober und bestellte, es sollte des andern Tags seine ganze Hofhaltung bei ihm speisen, und machte ein großes Gastmahl. Wie sie alle beisammen waren, sprach er zu dem Jäger 'weil du so geschickt bist, so sollst du neben mir sitzen.' Er antwortete 'Herr König, Ew. Majestät halte zu Gnaden, ich bin ein schlechter Jägerbursch.' Der König aber bestand darauf und sagte 'du sollst dich neben mich setzen,' bis er es tat. Wie er da saß, dachte er an seine liebste Frau Mutter, und wünschte, daß nur einer von des Königs ersten Dienern von ihr anfinge und fragte, wie es wohl der Frau Königin im Turm ginge, ob sie wohl noch am Leben wäre oder verschmachtet. Kaum hatte er es gewünscht, so fing auch schon der Marschall an und sprach 'königliche Majestät, wir leben hier in Freuden, wie geht es wohl der Frau Königin im Turm, ob sie wohl noch am Leben oder verschmachtet ist?' Aber der König antwortete 'sie hat mir meinen lieben Sohn von den wilden Tieren zerreißen lassen, davon will ich nichts hören.' Da stand der Jäger auf und sprach, 'gnädigster Herr Vater, sie ist noch am Leben, und ich bin ihr Sohn, und die wilden Tiere haben ihn nicht geraubt, sondern der Bösewicht, der alte Koch, hat es getan, der hat mich, als sie eingeschlafen war, von ihrem Schoß weggenommen und ihre Schürze mit dem Blut eines Huhns betropft.' Darauf nahm er den Hund mit dem goldenen Halsband und sprach 'das ist der Bösewicht,' und ließ glühende Kohlen bringen, die mußte er angesichts aller fressen, daß ihm die Lohe aus dem Hals schlug. Darauf fragte er den König, ob er ihn in seiner wahren Gestalt sehen wollte, und wünschte ihn wieder zum Koch, da stand er alsbald mit der weißen Schürze und dem Messer an der Seite.

Der König, wie er ihn sah, ward zornig und befahl, daß er in den tiefsten Kerker sollte geworfen werden. Darauf sprach der Jäger weiter 'Herr Vater, wollt Ihr auch das Mädchen sehen, das mich so zärtlich aufgezogen hat und mich hernach ums Leben bringen sollte, es aber nicht getan hat, obgleich sein eigenes Leben auf dem Spiel stand?' Antwortete der König 'ja, ich will sie gerne sehen.' Sprach der Sohn 'gnädigster Herr Vater, ich will sie Euch zeigen in Gestalt einer schönen Blume.' Und griff in die Tasche und holte die Nelke, und stellte sie auf die königliche Tafel und sie war so schön, wie der König nie eine gesehen hatte. Darauf sprach der Sohn 'nun will ich sie auch in ihrer wahren Gestalt zeigen,' und wünschte sie zu einer Jungfrau; da stand sie da und war so schön, daß kein Maler sie hätte schöner malen können.

Der König aber schickte zwei Kammerfrauen und zwei Diener hinab in den Turm, die sollten die Frau Königin holen und an die königliche Tafel bringen. Als sie aber dahin geführt ward, aß sie nichts mehr und sagte 'der gnädige barmherzige Gott, der mich im Turm erhalten hat, wird mich bald erlösen.' Da lebte sie noch drei Tage und starb dann selig; und als sie begraben ward, da folgten ihr die zwei weißen Tauben nach, die ihr das Essen in den Turm gebracht hatten und Engel vom Himmel waren, und setzten sich auf ihr Grab. Der alte König ließ den Koch in vier Stücke zerreißen, aber der Gram zehrte an seinem Herzen, und er starb bald. Der Sohn heiratete die schöne Jungfrau, die er als Blume in der Tasche mitgebracht hatte, und ob sie noch leben, das steht bei Gott.

 

Die Nixe im Teich

Es war einmal ein Müller, der führte mit seiner Frau ein vergnügtes Leben. Sie hatten Geld und Gut, und ihr Wohlstand nahm von Jahr zu Jahr noch zu. Aber Unglück kommt über Nacht; wie ihr Reichtum gewachsen war, so schwand er von Jahr zu Jahr wieder hin, und zuletzt konnte der Müller kaum noch die Mühle, in der er saß, sein Eigentum nennen. Er war voll Kummer, und wenn er sich nach der Arbeit des Tages niederlegte, so fand er keine Ruhe, sondern wälzte sich voll Sorgen in seinem Bett. Eines Morgens stand er schon vor Tagesanbruch auf, ging hinaus ins Freie und dachte, es sollte ihm leichter ums Herz werden. Als er über den Mühldamm dahinschritt, brach eben der erste Sonnenstrahl hervor, und er hörte in dem Weiher etwas rauschen. Er wendete sich um und erblickte ein schönes Weib, das sich langsam aus dem Wasser erhob. Ihre langen Haare, die sie über den Schultern mit ihren zarten Händen gefaßt hatte, flossen an beiden Seiten herab und bedeckten ihren weißen Leib. Er sah wohl, daß es die Nixe des Teiches war und wußte vor Furcht nicht, ob er davongehen oder stehen bleiben sollte. Aber die Nixe ließ ihre sanfte Stimme hören, nannte ihn bei Namen und fragte, warum er so traurig wäre.
Der Müller war anfangs verstummt; als er sie aber so freundlich sprechen hörte, faßte er sich ein Herz und erzählte ihr, daß er sonst in Glück und Reichtum gelebt hätte, aber jetzt so arm wäre, daß er sich nicht zu raten wüßte. "Sei ruhig", antwortete die Nixe, "ich will dich reicher und glücklicher machen, als du je gewesen bist; nur mußt du mir versprechen, daß du mir geben willst, was eben in deinem Hause jung geworden ist." - Was kann das anders sein, dachte der Müller, als ein junger Hund oder ein junges Kätzchen, und sagte ihr zu, was sie verlangte. Die Nixe stieg wieder in das Wasser hinab, und er eilte getröstet und guten Mutes nach seiner Mühle. Noch hatte er sie nicht erreicht, da trat die Magd aus der Haustür und rief ihm zu er sollte sich freuen, seine Frau hätte ihm einen kleinen Knaben geboren. Der Müller stand wie vom Blitz gerührt; er sah wohl, daß die tückische Nixe das gewußt und ihn betrogen hatte. Mit gesenktem Haupt trat er zu dem Bett seiner Frau, und als sie ihn fragte: "Warum freust du dich nicht über den schönen Knaben?" so erzählte er ihr, was ihm begegnet war und was für ein Versprechen er der Nixe gegeben hatte. "Was hilft mir Glück und Reichtum", fügte er hinzu, "wenn ich mein Kind verlieren soll? Aber was kann ich tun?" Auch die Verwandten, die herbeigekommen waren, Glück zu wünschen, wußten keinen Rat.
Indessen kehrte das Glück in das Haus des Müllers wieder ein. Was er unternahm, gelang; es war, als ob Kisten und Kasten sich von selbst füllten und das Geld im Schrank in der Nacht sich mehrte. Es dauerte nicht lange, so war sein Reichtum größer als je zuvor. Aber er konnte sich nicht ungestört darüber freuen: die Zusage, die er der Nixe getan hatte, quälte sein Herz. So oft er an dem Teich vorbeikam, fürchtete er, sie möchte auftauchen und ihn an seine Schuld mahnen. Den Knaben selbst ließ er nicht in die Nähe des Wassers. "Hüte dich", sagte er zu ihm, "wenn du das Wasser berührst, so kommt eine Hand heraus, hascht dich und zieht dich hinab!" Doch als Jahr auf Jahr verging, und die Nixe sich nicht wieder zeigte, so fing der Müller an, sich zu beruhigen.
Der Knabe wuchs zum Jüngling heran und kam bei einem Jäger in die Lehre. Als er ausgelernt hatte und ein tüchtiger Jäger geworden war, nahm ihn der Herr des Dorfes in seine Dienste. In dem Dorf war ein schönes und treues Mädchen, das gefiel dem Jäger, und als sein Herr das bemerkte, schenkte er ihm ein kleines Haus. Die beiden hielten Hochzeit, lebten ruhig und glücklich und liebten sich von Herzen. Einstmals verfolgte der Jäger ein Reh. Als das Tier aus dem Wald in das freie Feld ausbog, setzte er ihm nach und streckte es endlich mit einem Schuß nieder. Er bemerkte nicht, daß er sich in der Nähe des gefährlichen Weihers befand, und ging, nachdem er das Tier ausgeweidet hatte, zu dem Wasser, um seine blutbefleckten Hände zu waschen. Kaum hatte er sie hineingetaucht, als die Nixe emporstieg, lachend mit ihren nassen Armen ihn umschlang und so schnell hinabzog, daß die Wellen über ihnen zusammenschlugen.
Als es Abend war und der Jäger nicht nach Haus kam, so geriet seine Frau in Angst. Sie ging aus ihn zu suchen, und da er ihr oft erzählt hatte, daß er sich vor den Nachstellungen der Nixe in acht nehmen müßte und sich nicht in die Nähe des Weihers wagen dürfte, so ahnte sie schon, was geschehen war. Sie eilte zu dem Wasser, und als sie am Ufer seine Jägertasche liegen fand, da konnte sie nicht länger an dem Unglück zweifeln. Wehklagend und händeringend rief sie ihren Liebsten mit Namen, aber vergeblich; sie eilte hinüber auf die andere Seite des Weihers und rief ihn auf neue; sie schalt die Nixe mit harten Worten, aber keine Antwort erfolgte. Der Spiegel des Wassers blieb ruhig, nur das Halbgesicht des Mondes blickte unbewegt zu ihr herauf.
Die arme Frau verließ den Teich nicht. Mit schnellen Schritten, ohne Rast und Ruhe, umkreiste sie ihn immer von neuem, manchmal still, manchmal einen heftigen Schrei ausstoßend, manchmal in leisem Wimmern. Endlich waren ihren Kräfte zu Ende; sie sank zur Erde nieder und fiel in einen tiefen Schlaf. Bald überkam sie ein Traum.
Sie stieg zwischen großen Felsblöcken angstvoll aufwärts; Dornen und Ranken hakten sich an ihren Füßen, der Regen schlug ihr ins Gesicht, und der Wind zauste ihr langes Haar. Als sie die Anhöhe erreicht hatte, bot sich ein ganz anderer Anblick dar. Der Himmel war blau, die Luft mild, der Boden senkte sich sanft hinab, und auf einer grünen, buntbeblümten Wiese stand eine reinliche Hütte. Sie ging darauf zu und öffnete die Tür, da saß eine Alte mit weißen Haaren, die ihr freundlich winkte. In dem Augenblick erwachte die arme Frau. Der Tag war schon angebrochen, und sie entschloß sich gleich, dem Traum Folge zu leisten. Sie stieg mühsam den Berg hinauf, und es war alles so, wie sie es in der Nacht gesehen hatte. Die Alte empfing sie freundlich und zeigte ihr einen Stuhl, auf den sie sich setzen sollte. "Du mußt ein Unglück erlebt haben", sagte sie, "weil du meine einsame Hütte aufsuchst." Die Frau erzählte ihr unter Tränen, was ihr begegnet war. "Tröste dich", sagte die Alte, "ich will dir helfen; da hast du einen goldenen Kamm. Harr, bis der Vollmond aufgestiegen ist, dann gehe zu dem Weiher, setze dich am Rand nieder und strähle dein langes, schwarzes Haar mit diesem Kamm! Wenn du aber fertig bist, so lege ihn am Ufer nieder, und du wirst sehen, was geschieht!"
Die Frau kehrte zurück, aber die Zeit bis zum Vollmond verstrich ihr langsam. Endlich erschien die leuchtende Scheibe am Himmel; da ging sie hinaus an den Weiher und kämmte ihre langen, schwarzen Haare mit dem goldenen Kamm, und als sie fertig war, legte sie ihn an den Rand des Wassers nieder. Nicht lange, so brauste es aus der Tiefe, eine Welle erhob sich, rollte an das Ufer und führte den Kamm mit sich fort. Es dauerte nicht länger, als der Kamm nötig hatte, auf den Grund zu sinken, so teilte sich der Wasserspiegel und der Kopf des Jägers stieg in die Höhe. Er sprach nicht, schaute aber seine Frau mit traurigen Blicken an. In demselben Augenblick kam eine zweite Welle herangerauscht und bedeckte das Haupt des Mannes. Alles war verschwunden, der Weiher lag so ruhig wie zuvor, und nur das Gesicht des Vollmondes glänzte darauf.
Trostlos kehrte die Frau zurück, doch der Traum zeigte ihr die Hütte der Alten. Abermals machte sie sich am nächsten Morgen auf den Weg und klagte der weisen Frau ihr Leid. Die Alte gab ihr eine goldene Flöte und sprach: "Harre, bis der Vollmond wieder kommt; dann nimm diese Flöte, setze dich an das Ufer, blas ein schönes Lied darauf, und wenn du damit fertig bist, so lege sie auf den Sand; du wirst sehen, was geschieht!"
Die Frau tat, wie die Alte gesagt hatte. Kaum lag die Flöte auf dem Sand, so brauste es aus der Tiefe; eine Welle, erhob sich, zog heran und führte die Flöte mit sich fort. Bald darauf teilte sich das Wasser, und nicht bloß der Kopf, auch der Mann bis zur Hälfte des Leibes stieg hervor. Er breitete voll Verlangen seine Arme nach ihr aus; aber eine zweite Welle rauschte heran, bedeckte ihn und zog ihn wieder hinab.
"Ach, was hilft es mir", sagte die Unglückliche, "daß ich meinen Liebsten nur erblicke, um ihn wieder zu verlieren!" Der Gram erfüllte aufs neue ihr Herz, aber der Traum führte sie zum drittenmal in das Haus de r Alten. Sie machte sich auf den Weg, und die weise Frau gab ihr ein goldenes Spinnrad, tröstete sie und sprach: "Es ist noch nicht alles vollbracht, harre, bis der Vollmond kommt, dann nimm das Spinnrad, setze dich an das Ufer und spinn die Spule voll; und wenn du fertig bist, so stelle das Spinnrad nahe an das Wasser, und du wirst sehen, was geschieht!"
Die Frau befolgte alles genau. Sobald der Vollmond sich zeigte, trug sie das goldene Spinnrad an das Ufer und spann emsig, bis der Flachs zu Ende und die Spule mit dem Faden ganz angefüllt war. Kaum aber stand das Rad am Ufer, so brauste es noch heftiger als sonst in der Tiefe des Wassers, eine mächtige Welle eilte herbei und trug das Rad mit sich fort. Alsbald stieg mit einem Wasserstrahl der Kopf und der ganze Leib des Mannes in die Höhe. Schnell sprang er ans Ufer, faßte seine Frau an der Hand und entfloh. Aber kaum hatten sie sich eine kleine Strecke entfernt, so erhob sich mit entsetzlichem Brausen der ganze Weiher und strömte mit reißender Gewalt in das weite Feld hinein. Schon sahen die Fliehenden ihren Tod vor Augen; da rief die Frau in ihrer Angst die Hilfe der Alten an, und in dem Augenblick waren sie verwandelt, sie in eine Kröte, er in einen Frosch. Die Flut, die sie erreicht hatte, konnte sie nicht töten, aber sie riß sie beide voneinander und führte sie weit weg.
Als das Wasser sich verlaufen hatte und beide wieder den trockenen Boden berührten, so kam ihre menschliche Gestalt zurück. Aber keines wußte, wo das andere geblieben war; sie befanden sich unter fremden Menschen, die ihre Heimat nicht kannten. Hohe Berge und tiefe Täler lagen zwischen ihnen. Um sich das Leben zu erhalten, mußten beide die Schafe hüten. Sie trieben lange Jahre ihre Herden durch Feld und Wald und waren voll Trauer und Sehnsucht.
Als wieder einmal der Frühling aus der Erde hervorgebrochen war, zogen beide an einem Tag mit ihren Herden aus, und der Zufall wollte, daß sie einander entgegenzogen. Er erblickte an einem fernen Bergesabhang eine Herde und trieb seine Schafe nach der Gegend hin. Sie kamen in einem Tal zusammen, aber sie erkannten sich nicht; doch freuten sie sich, daß sie nicht mehr so einsam waren. Von nun an trieben sie jeden Tag ihre Herde nebeneinander; sie sprachen nicht viel, aber sie fühlten sich getröstet. Eines Abends, als der Vollmond am Himmel schien und die Schafe schon ruhten, holte der Schäfer die Flöte aus seiner Tasche und blies ein schönes, aber trauriges Lied. Als er fertig war, bemerkte er, daß die Schäferin bitterlich weinte. "Warum weinst du?" fragte er. "Ach", antwortete sie, "so schien auch der Vollmond, als ich zum letztenmal dieses Lied auf der Flöte blies und das Haupt meines Liebsten aus dem Wasser hervorkam." Er sah sie an, und es war ihm, als fiele eine Decke von den Augen, er erkannte seine liebste Frau; und als sie ihn anschaute und der Mond auf sein Gesicht schien, erkannte sie ihn auch. Sie umarmten und küßten sich, und ob sie glückselig waren, braucht keiner zu fragen.

 

Das Rätsel

Es war einmal ein Königssohn, der bekam Lust, in der Welt umherzuziehen, und nahm niemand mit als einen treuen Diener. Eines Tags geriet er in einen großen Wald, und als der Abend kam, konnte er keine Herberge finden und wußte nicht, wo er die Nacht zubringen sollte. Da sah er ein Mädchen, das nach einem kleinen Häuschen zuging, und als er näher kam, sah er, daß das Mädchen jung und schön war. Er redete es an und sprach 'liebes Kind, kann ich und mein Diener in dem Häuschen für die Nacht ein Unterkommen finden?' 'Ach ja,' sagte das Mädchen mit trauriger Stimme, 'das könnt ihr wohl, aber ich rate euch nicht dazu; geht nicht hinein.' 'Warum soll ich nicht?' fragte der Königssohn. Das Mädchen seufzte und sprach 'meine Stiefmutter treibt böse Künste, sie meints nicht gut mit den Fremden.' Da merkte er wohl, daß er zu dem Hause einer Hexe gekommen war, doch weil es finster ward und er nicht weiter konnte, sich auch nicht fürchtete, so trat er ein.

Die Alte saß auf einem Lehnstuhl beim Feuer und sah mit ihren roten Augen die Fremden an. 'Guten Abend,' schnarrte sie und tat ganz freundlich, 'laßt euch nieder und ruht euch aus.' Sie blies die Kohlen an, bei welchen sie in einem kleinen Topf etwas kochte. Die Tochter warnte die beiden, vorsichtig zu sein, nichts zu essen und nichts zu trinken, denn die Alte braue böse Getränke. Sie schliefen ruhig bis zum frühen Morgen. Als sie sich zur Abreise fertig machten und der Königssohn schon zu Pferde saß, sprach die Alte 'warte einen Augenblick, ich will euch erst einen Abschiedstrank reichen.' Während sie ihn holte, ritt der Königssohn fort, und der Diener, der seinen Sattel festschnallen mußte, war allein noch zugegen, als die böse Hexe mit dem Trank kam. 'Das bring deinem Herrn,' sagte sie, aber in dem Augenblick sprang das Glas, und das Gift spritzte auf das Pferd, und war so heftig, daß das Tier gleich tot hinstürzte. Der Diener lief seinem Herrn nach und erzählte ihm, was geschehen war, wollte aber den Sattel nicht im Stich lassen und lief zurück, um ihn zu holen. Wie er aber zu dem toten Pferde kam, saß schon ein Rabe darauf und fraß davon. 'Wer weiß, ob wir heute noch etwas Besseres finden,' sagte der Diener, tötete den Raben und nahm ihn mit.

Nun zogen sie in dem Walde den ganzen Tag weiter, konnten aber nicht herauskommen. Bei Anbruch der Nacht fanden sie ein Wirtshaus und gingen hinein. Der Diener gab dem Wirt den Raben, den er zum Abendessen bereiten sollte. Sie waren aber in eine Mördergrube geraten, und in der Dunkelheit kamen zwölf Mörder und wollten die Fremden umbringen und berauben. Ehe sie sich aber ans Werk machten, setzten sie sich zu Tisch, und der Wirt und die Hexe setzten sich zu ihnen, und sie aßen zusammen eine Schüssel mit Suppe, in die das Fleisch des Raben gehackt war. Kaum aber hatten sie ein paar Bissen hinuntergeschluckt, so fielen sie alle tot nieder, denn dem Raben hatte sich das Gift von dem Pferdefleisch mitgeteilt. Es war nun niemand mehr im Hause übrig als die Tochter des Wirts, die es redlich meinte und an den gottlosen Dingen keinen Teil genommen hatte. Sie öffnete dem Fremden alle Türen und zeigte ihm die angehäuften Schätze. Der Königssohn aber sagte, sie möchte alles behalten, er wollte nichts davon, und ritt mit seinem Diener weiter.

Nachdem sie lange herumgezogen waren, kamen sie in eine Stadt, worin eine schöne, aber übermütige Königstochter war, die hatte bekanntmachen lassen, wer ihr ein Rätsel vorlegte, das sie nicht erraten könnte, der sollte ihr Gemahl werden: erriete sie es aber, so müßte er sich das Haupt abschlagen lassen. Drei Tage hatte sie Zeit, sich zu besinnen, sie war aber so klug, daß sie immer die vorgelegten Rätsel vor der bestimmten Zeit erriet. Schon waren neune auf diese Weise umgekommen, als der Königssohn anlangte und, von ihrer großen Schönheit geblendet, sein Leben daransetzen wollte. Da trat er vor sie hin und gab ihr sein Rätsel auf, 'was ist das,' sagte er, 'einer schlug keinen und schlug doch zwölfe.' Sie wußte nicht, was das war, sie sann und sann, aber sie brachte es nicht heraus: sie schlug ihre Rätselbücher auf, aber es stand nicht darin: kurz, ihre Weisheit war zu Ende.

Da sie sich nicht zu helfen wußte, befahl sie ihrer Magd, in das Schlafgemach des Herrn zu schleichen, da sollte sie seine Träume behorchen, und dachte, er rede vielleicht im Schlaf und verrate das Rätsel. Aber der kluge Diener hatte sich statt des Herrn ins Bett gelegt, und als die Magd herankam, riß er ihr den Mantel ab, in den sie sich verhüllt hatte, und jagte sie mit Ruten hinaus. In der zweiten Nacht schickte die Königstochter ihre Kammerjungfer, die sollte sehen, ob es ihr mit Horchen besser glückte, aber der Diener nahm auch ihr den Mantel weg und jagte sie mit Ruten hinaus. Nun glaubte der Herr für die dritte Nacht sicher zu sein und legte sich in sein Bett, da kam die Königstochter selbst, hatte einen nebelgrauen Mantel umgetan und setzte sich neben ihn. Und als sie dachte, er schliefe und träumte, so redete sie ihn an und hoffte, er werde im Traume antworten, wie viele tun: aber er war wach und verstand und hörte alles sehr wohl. Da fragte sie 'einer schlug keinen, was ist das?' Er antwortete 'ein Rabe, der von einem toten und vergifteten Pferde fraß und davon starb.' Weiter fragte sie 'und schlug doch zwölfe, was ist das?' 'Das sind zwölf Mörder, die den Raben verzehrten und daran starben.' Als sie das Rätsel wußte, wollte sie sich fortschleichen, aber er hielt ihren Mantel fest, daß sie ihn zurücklassen mußte.

Am andern Morgen verkündigte die Königstochter, sie habe das Rätsel erraten, und ließ die zwölf Richter kommen und löste es vor ihnen. Aber der Jüngling bat sich Gehör aus und sagte 'sie ist in der Nacht zu mir geschlichen und hat mich ausgefragt, denn sonst hätte sie es nicht erraten.' Die Richter sprachen 'bringt uns ein Wahrzeichen.' Da wurden die drei Mäntel von dem Diener herbeigebracht, und als die Richter den nebelgrauen erblickten, den die Königstochter zu tragen pflegte, so sagten sie 'laßt den Mantel sticken mit Gold und Silber, so wirds Euer Hochzeitsmantel sein.'

 

Der Ranzen, das Hütlein und das Hömlein

Es waren einmal drei Brüder, die waren immer tiefer in Armut geraten, und endlich war die Not so groß, daß sie nichts mehr zu beißen und zu brechen hatten. Da sprachen sie: "Es kann so nicht bleiben, es ist besser, wir gehen in die Welt und suchen unser Glück." Sie machten sich also auf und waren schon weite Wege und über viele Grashälmerchen gegangen, aber das Glück war ihnen noch nicht begegnet. Da gelangten sie eines Tages in einen großen Wald, und mitten darin war ein Berg, und als sie näher kamen, so sahen sie, daß der Berg ganz von Silber war. Da sprach der älteste: "Nun habe ich das gewünschte Glück gefunden und verlange kein größeres." Er nahm von dem Silber, soviel er nur tragen konnte, kehrte dann um und ging wieder nach Haus. Die beiden andern aber sprachen: "Wir verlangen vom Glück noch etwas mehr als bloßes Silber", rührten es nicht an und gingen weiter. Nachdem sie abermals ein paar Tage gegangen waren, so kamen sie zu einem Berg, der ganz von Gold war. Der zweite Bruder stand, besann sich und war ungewiß. "Was soll ich tun?" sprach er, "soll ich mir von dem Golde soviel nehmen, daß ich mein Lebtag genug habe, oder soll ich weitergehen?" Endlich faßte er einen Entschluß, füllte seine Taschen, sagte seinem Bruder Lebewohl und ging heim. Der dritte aber sprach: "Silber und Gold, das rührt mich nicht, ich will meinem Glück nicht absagen, vielleicht ist mir etwas Besseres beschert." Er zog weiter, und als er drei Tage gegangen war, so kam er in einen Wald, der noch größer war als die vorigen und gar kein End nehmen wollte; und da er nichts zu essen und zu trinken fand, so war er nahe daran, zu verschmachten. Da stieg er auf einen hohen Baum, ob er da oben des Waldes Ende sehen möchte, aber, soweit sein Auge reichte, sah er nichts als die Gipfel der Bäume. Da entschloß er sich, von dem Baume wieder hinunterzusteigen, aber der Hunger quälte ihn, und er dachte: ,Wenn ich nur noch einmal meinen Leib sättigen könnte.' Als er herabkarn, sah er mit Erstaunen unter dem Baum einen Tisch, der mit Speisen reichlich besetzt war. "Diesmal", sprach er, "ist mein Wunsch zu rechter Zeit erfüllt worden", und ohne zu fragen, wer das Essen gebracht und wer es gekocht hätte, nahte er sich dem Tisch und aß, bis er seinen Hunger gestillt hatte. Als er fertig war, dachte er, es wäre doch schade, wenn das feine Tischtüchlein hier in dem Walde verderben sollte, legte es säuberlich zusammen und steckte es ein. Darauf ging er weiter, und abends, als der Hunger sich wieder regte, wollte er sein Tüchlein auf die Probe stellen, breitete es aus und sagte: "So wünsche ich, daß du abermals mit guten Speisen besetzt wärest", und kaum war der Wunsch über seine Lippen gekommen, da standen so viel Schüsseln mit dem schönsten Essen darauf, als nur Platz hatten. "Jetzt merke ich", sagte er, "in welcher Küche für mich gekocht wird; du sollst mir lieber sein als der Berg von Silber und Gold"; denn er sah wohl, daß es ein Tüchleindeckdich war. Das Tüchlein war ihm aber doch nicht genug, um sich daheim zur Ruhe zu setzen, sondern er wollte noch in der Welt herumwandern und weiter sein Glück versuchen. Eines Abends traf er in einem einsamen Walde einen schwarz bestaubten Köhler, der brannte da Kohlen und hatte Kartoffeln am Feuer stehen, damit wollte er seine Mahlzeit halten. "Guten Abend, du Schwarzamsel", sagte er, "wie geht dir's in deiner Einsamkeit?" - "Einen Tag wie den andern", erwiderte der Köhler, "und jeden Abend Kartoffeln; hast du Lust dazu und willst mein Gast sein?" - "Schönen Dank", antwortete der Reisende, "ich will dir die Mahlzeit nicht wegnehmen, du hast auf einen Gast nicht gerechnet, aber wenn du mit mir vorliebnehmen willst, so sollst du eingeladen sein." - "Wer soll dir anrichten?" sprach der Köhler, "ich sehe, daß du nichts bei dir hast, und ein paar Stunden im Umkreis ist niemand, der dir etwas geben könnte." - "Und doch soll's ein Essen sein", antwortete er, "so gut, wie du noch keins gekostet hast." Darauf holte er sein Tüchlein aus dem Ranzen, breitete es auf die Erde und sprach: "Tüchlein, deck dich", und alsbald stand da Gesottenes und Gebratenes, so warm, als wenn es eben aus der Küche käme. Der Köhler machte große Augen, ließ sich aber nicht lange bitten, sondern schob immer größere Bissen in sein schwarzes Maul. Als sie abgegessen hatten, schmunzelte der Köhler und sagte: "Hör, dein Tüchlein hat meinen Beifall, das wäre so etwas für mich in dem Walde, wo mir niemand etwas Gutes kocht. Ich will dir einen Tausch vorschlagen: Da in der Ecke hängt ein Soldatenranzen, der zwar alt und unscheinbar ist, in dem aber wunderbare Kräfte stecken; da ich ihn doch nicht mehr brauche, so will ich ihn für das Tüchlein geben." - "Erst muß ich wissen, was das für Kräfte sind", erwiderte er. "Das will ich dir sagen", antwortete der Köhler, "wenn du mit der Hand darauf klopfst, so kommt jedesmal ein Gefreiter mit sechs Mann, die haben Ober- und Untergewehr, und was du befiehlst, das vollbringen sie." - "Meinetwegen", sagte er, "wenn's nicht anders sein kann, so wollen wir tauschen", gab dem Köhler das Tüchlein, hob den Ranzen von dem Haken, hing ihn um und nahm Abschied. Als er ein Stück Wegs gegangen war, wollte er die Wunderkräfte seines Ranzens versuchen und klopfte darauf. Alsbald traten die sieben Kriegshelden vor ihn, und der Gefreite sprach: "Was verlangt mein Herr und Gebieter?" - "Marschiert im Eilschritt zu dem Köhler und fordert mein Wunschtüchlein zurück." Sie machten links um, und gar nicht lange, so brachten sie das Verlangte, und hatten es dem Köhler, ohne viel zu fragen, abgenommen. Er hieß sie wieder abziehen, ging weiter und hoffte, das Glück würde ihm noch heller scheinen. Bei Sonnenuntergang kam er zu einem andern Köhler, der bei dem Feuer seine Abendmahlzeit bereitete. "Willst du mit mir essen", sagte der Köhler, "Kartoffeln mit Salz, aber ohne Schmalz, so setz dich zu mir nieder." -"Nein", antwortete er, "für diesmal sollst du mein Gast sein", deckte sein Tüchlein auf, das gleich mit den schönsten Gerichten besetzt war. Sie aßen und tranken und waren guter Dinge. Nach dem Essen sprach der Kohlenbrenner: "Da oben auf der Kammbank liegt ein altes abgegriffenes Hütlein, das hat seltsame Eigenschaften: Wenn das einer aufsetzt und dreht es auf dem Kopf herum, so gehen die Feldschlangen, als wären zwölfe nebeneinander aufgeführt, und schießen alles darnieder, daß niemand dagegen bestehen kann. Mir nützt das Hütlein nichts, und für dein Tischtuch will ich's wohl hingeben." - "Das läßt sich hören", antwortete er, nahm das Hütlein, setzte es auf und ließ sein Tüchlein zurück. Kaum aber war er ein Stück Wegs gegangen, so klopfte er auf seinen Ranzen, und seine Soldaten mußten ihm das Tüchlein wieder holen. ,Es kommt eins zum andern', dachte er, ,und es ist mir, als wäre mein Glück noch nicht zu Ende.' Seine Gedanken hatten ihn auch nicht betrogen. Nachdem er abermals einen Tag gegangen war, kam er zu einem dritten Köhler, der ihn nicht anders als die vorigen zu ungeschmälzten Kartoffeln einlud. Er ließ ihn aber von seinem Wunschtüchlein mitessen, und das schmeckte dem Köhler so gut, daß er ihm zuletzt ein Hörnlein dafür bot, das noch ganz andere Eigenschaften hatte als das Hütlein. Wenn man darauf blies, so fielen alle Mauern und Festungswerke, alle Städte und Dörfer übern Haufen. Er gab dem Köhler zwar das Tüchlein dafür, ließ sich's aber hernach von seiner Mannschaft wieder abfordern, so daß er endlich Ranzen, Hütlein und Hörnlein beisammen hatte. "Jetzt", sprach er, "bin ich ein gemachter Mann, und es ist Zeit, daß ich heimkehre und sehe, wie es meinen Brüdern ergeht."
Als er daheim anlangte, hatten sich seine Brüder von ihrem Silber und Gold ein schönes Haus gebaut und lebten in Saus und Braus. Er trat bei ihnen ein, weil er aber in einem halb zerrissenen Rock kam, das schäbige Hütlein auf dem Kopf und den alten Ranzen auf dem Rücken, so wollten sie ihn nicht für ihren Bruder anerkennen. Sie spotteten und sagten: "Du gibst dich für unsern Bruder aus, der Silber und Gold verschmähte und für sich ein besseres Glück verlangte. Der kommt gewiß in voller Pracht als ein mächtiger König angefahren, nicht als ein Bettelmann", und jagten ihn zur Tür hinaus. Da geriet er in Zorn, klopfte auf seinen Ranzen so lange, bis hundertundfünfzig Mann vor ihm standen. Er befahl ihnen, das Haus seiner Brüder zu umzingeln, und zwei sollten Haselgerten mitnehmen und den beiden die Haut auf dem Leib so lange weich gerben, bis sie wüßten, wer er wäre. Es entstand ein gewaltiger Lärm, die Leute liefen zusammen und wollten den beiden helfen, aber sie konnten gegen die Soldaten nichts ausrichten. Es ward endlich dem Könige Meldung davon; der ward unwillig und ließ einen Hauptmann mit seiner Schar ausrücken, der sollte den Ruhestörer aus der Stadt jagen. Aber der Mann mit dem Ranzen hatte bald eine größere Mannschaft zusammen, die schlug den Hauptmann mit seinen Leuten zurück, daß sie mit blutigen Nasen abziehen mußten. Der König sprach: "Der hergelaufene Kerl ist noch zu bändigen", und schickte am andern Tage eine größere Schar gegen ihn aus, aber sie konnte noch weniger ausrichten. Er stellte noch mehr Volk entgegen, und um noch schneller fertig zu werden, drehte er ein paarmal sein Hütlein auf dem Kopf herum. Da fing das schwere Geschütz an zu spielen, und des Königs Leute wurden geschlagen und in die Flucht gejagt. "Jetzt mache ich nicht eher Frieden", sprach er, "als bis mir der König seine Tochter zur Frau gibt und ich in seinem Namen das ganze Reich beherrsche." Das ließ er dem König verkündigen, und dieser sprach zu seiner Tochter: "Muß ist eine harte Nuß, was bleibt mir anders übrig, als daß ich tue, was er verlangt? Will ich Frieden haben und die Krone auf meinem Haupte behalten, so muß ich dich hingeben."
Die Hochzeit ward also gefeiert, aber die Königstochter war verdrießlich, daß ihr Gemahl ein gemeiner Mann war, der einen schäbigen Hut trug und einen alten Ranzen umhängen hatte. Sie wäre ihn gerne wieder los gewesen und sann Tag und Nacht, wie sie das bewerkstelligen könnte. Da dachte sie: ,Sollten seine Wunderkräfte wohl in dem Ranzen stecken?' verstellte sich und liebkoste ihn, und als sein Herz weich geworden war, sprach sie: "Wenn du nur den schlechten Ranzen ablegen wolltest, er verunziert dich so sehr, daß ich mich deiner schämen muß." - "Liebes Kind", antwortete er, "dieser Ranzen ist mein größter Schatz, solange ich den habe, fürchte ich keine Macht der Welt!" und verriet ihr, mit welchen Wunderkräften er begabt war. Da fiel sie ihm um den Hals, als wenn sie ihn küssen wollte, nahm ihm aber den Ranzen von der Schulter und lief damit fort. Sobald sie allein war, klopfte sie darauf und befahl den Kriegsleuten, sie sollten ihren vorigen Herrn festnehmen und aus dem königlichen Palast fortführen. Sie gehorchten, und die falsche Frau ließ noch mehr Leute hinter ihm herziehen, die ihn zum Lande hinausjagen sollten. Da wäre er verloren gewesen, wenn er nicht das Hütlein gehabt hätte. Kaum aber waren seine Hände frei, so schwenkte er es ein paarmal. Alsbald fing das Geschütz an zu donnern und schlug alles nieder, und die Königstochter mußte selbst kommen und um Gnade bitten. Weil sie so beweglich bat und sich zu bessern versprach, bewilligte er ihr Frieden. Sie tat freundlich mit ihm, stellte sich an, als hätte sie ihn sehr lieb, und wußte ihn nach einiger Zeit so zu betören, daß er ihr vertraute, wenn auch einer den Ranzen in seine Gewalt bekäme, so könnte er doch nichts gegen ihn ausrichten, solange das alte Hütlein noch sein wäre. Als sie das Geheimnis wußte, wartete sie, bis er eingeschlafen war; dann nahm sie ihm das Hütlein weg und ließ ihn hinaus auf die Straße werfen. Aber noch war ihm das Hörnlein übrig, und in großem Zorne blies er aus allen Kräften hinein. Alsbald fiel alles zusammen, Mauern, Festungswerk, Städte und Dörfer, und sie schlugen den König und die Königstochter tot. Und wenn er das Hörnlein nicht abgesetzt und nur noch ein wenig länger geblasen hätte, so wäre alles über den Haufen gestürzt und kein Stein auf dem andern geblieben. Da widerstand ihm niemand mehr, und er setzte sich zum König über das ganze Reich.

 

Die Rübe

Es waren einmal zwei Brüder, die dienten beide als Soldaten, und war der eine reich, der andere arm. Da wollte der Arme sich aus seiner Not helfen, zog den Soldatenrock aus und ward ein Bauer. Also grub und hackte er sein Stückchen Acker und säte Rübsamen. Der Same ging auf, und es wuchs da eine Rübe, die ward groß und stark und zusehends dicker und wollte gar nicht aufhören zu wachsen, so daß sie eine Fürstin aller Rüben heißen konnte, denn nimmer war so eine gesehen, und wird auch nimmer wieder gesehen werden. Zuletzt war sie so groß, daß sie allein einen ganzen Wagen anfüllte, und zwei Ochsen daran ziehen mußten, und der Bauer wußte nicht, was er damit anfangen sollte, und obs sein Glück oder sein Unglück wäre.

Endlich dachte er 'verkaufst du sie, was wirst du Großes dafür bekommen, und willst du sie selber essen, so tun die kleinen Rüben denselben Dienst: am besten ist, du bringst sie dem König und machst ihm eine Verehrung damit.' Also lud er sie auf den Wagen, spannte zwei Ochsen vor, brachte sie an den Hof und schenkte sie dem König. 'Was ist das für ein seltsam Ding?' sagte der König, 'mir ist viel Wunderliches vor die Augen gekommen, aber so ein Ungetüm noch nicht; aus was für Samen mag die gewachsen sein? oder dir geräts allein und du bist ein Glückskind.'

'Ach nein,' sagte der Bauer, 'ein Glückskind bin ich nicht, ich bin ein armer Soldat, der, weil er sich nicht mehr ernähren konnte, den Soldatenrock an den Nagel hing und das Land baute. Ich habe noch einen Bruder, der ist reich, und Euch, Herr König, auch wohl bekannt, ich aber, weil ich nichts habe, bin von aller Welt vergessen.' Da empfand der König Mitleid mit ihm und sprach 'deiner Armut sollst du überhoben und so von mir beschenkt werden, daß du wohl deinem reichen Bruder gleich kommst.' Da schenkte er ihm eine Menge Gold, Äcker, Wiesen und Herden und machte ihn steinreich, so daß des andern Bruders Reichtum gar nicht konnte damit verglichen werden.

Als dieser hörte, was sein Bruder mit einer einzigen Rübe erworben hatte, beneidete er ihn und sann hin und her, wie er sich auch ein solches Glück zuwenden könnte. Er wollts aber noch viel gescheiter anfangen, nahm Gold und Pferde und brachte sie dem König und meinte nicht anders, der würde ihm ein viel größeres Gegengeschenk machen, denn hätte sein Bruder so viel für eine Rübe bekommen, was würde es ihm für so schöne Dinge nicht alles tragen. Der König nahm das Geschenk und sagte, er wüßte ihm nichts wiederzugeben, das seltener und besser wäre als die große Rübe. Also mußte der Reiche seines Bruders Rübe auf einen Wagen legen und nach Haus fahren lassen. Daheim wußte er nicht, an wem er seinen Zorn und Ärger auslassen sollte, bis ihm böse Gedanken kamen und er beschloß, seinen Bruder zu töten.

Er gewann Mörder, die mußten sich in einen Hinterhalt stellen, und darauf ging er zu seinem Bruder und sprach 'lieber Bruder, ich weiß einen heimlichen Schatz, den wollen wir miteinander heben und teilen.' Der andere ließ sichs auch gefallen und ging ohne Arg mit. Als sie aber hinauskamen, stürzten die Mörder über ihn her, banden ihn und wollten ihn an einen Baum hängen. Indem sie eben darüber waren, erscholl aus der Ferne lauter Gesang und Hufschlag, daß ihnen der Schrecken in den Leib fuhr und sie über Hals und Kopf ihren Gefangenen in den Sack steckten, am Ast hinaufwanden und die Flucht ergriffen. Er aber arbeitete oben, bis er ein Loch im Sack hatte, wodurch er den Kopf stecken konnte.

Wer aber des Wegs kam, war nichts als ein fahrender Schüler, ein junger Geselle, der fröhlich sein Lied singend durch den Wald auf der Straße daherritt. Wie der oben nun merkte, daß einer unter ihm vorbeiging, rief er 'sei mir gegrüßt zu guter Stunde.' Der Schüler guckte sich überall um, wußte nicht, wo die Stimme herschallte, endlich sprach er 'wer ruft mir?' Da antwortete er aus dem Wipfel 'erhebe deine Augen, ich sitze hier oben im Sack; der Weisheit: in kurzer Zeit habe ich große Dinge gelernt, dagegen sind alle Schulen ein Wind: um ein weniges, so werde ich ausgelernt haben, herabsteigen und weiser sein als alle Menschen. Ich verstehe die Gestirne und Himmelszeichen, das Wehen aller Winde, den Sand im Meer, Heilung der Krankheit, die Kräfte der Kräuter, Vögel und Steine. Wärst du einmal darin, du würdest fühlen, was für Herrlichkeit aus dem Sack der Weisheit fließt.' Der Schüler, wie er das alles hörte, erstaunte und sprach 'gesegnet sei die Stunde, wo ich dich gefunden habe, könnt ich nicht auch ein wenig in den Sack kommen?' Oben der antwortete, als tät ers nicht gerne, 'eine kleine Weile will ich dich wohl hineinlassen für Lohn und gute Worte, aber du mußt doch noch eine Stunde warten, es ist ein Stück übrig, das ich erst lernen muß.'

Als der Schüler ein wenig gewartet hatte, war ihm die Zeit zu lang und er bat, daß er doch möchte hineingelassen werden, sein Durst nach Weisheit wäre gar zu groß. Da stellte sich der oben, als gäbe er endlich nach, und sprach 'damit ich aus dem Haus der Weisheit heraus kann, mußt du den Sack am Strick herunterlassen, so sollst du eingehen.'

Also ließ der Schüler ihn herunter, band den Sack auf und befreite ihn, dann rief er selber 'nun zieh mich recht geschwind hinauf,' und wollt geradstehend in den Sack einschreiten. 'Halt!, sagte der andere, 'so gehts nicht an,' packte ihn beim Kopf, steckte ihn umgekehrt in den Sack, schnürte zu und zog den Jünger der Weisheit am Strick baumwärts, dann schwengelte er ihn in der Luft und sprach 'wie stehts, mein lieber Geselle? siehe, schon fühlst du, daß dir die Weisheit kommt, und machst gute Erfahrung, sitze also fein ruhig, bis du klüger wirst.' Damit stieg er auf des Schülers Pferd, ritt fort, schickte aber nach einer Stunde jemand, der ihn wieder herablassen mußte.

 

Das Märchen vom Schlaraffenland

In der Schlauraffenzeit, da ging ich und sah, an einem kleinen Seidenfaden hing Rom und der Lateran, und ein fußloser Mann, der überlief ein schnelles Pferd, und ein bitterscharfes Schwert, das durchhieb eine Brücke. Da sah ich einen jungen Esel mit einer silbernen Nase, der jagte hinter zwei schnellen Hasen her, und eine Linde, die war breit, auf der wuchsen heiße Fladen. Da sah ich eine alte dürre Geiß, trug wohl hundert Fuder Schmalzes an ihrem Leibe und sechzig Fuder Salzes. Ist das nicht gelogen genug? Da sah ich zackern einen Pflug ohne Roß und Rinder, und ein jähriges Kind warf vier Mühlensteine von Regensburg bis nach Trier und von Trier hinein in Straßburg, und ein Habicht schwamm über den Rhein: das tat er mit vollem Recht. Da hört ich Fische miteinander Lärm anfangen, daß es in den Himmel hinaufscholl, und ein süßer Honig floß wie Wasser voll einem tiefen Tal auf einen hohen Berg; das waren seltsame Geschichten. Da waren zwei Krähen, mähten eine Wiese, und ich sah zwei Mücken an einer Brücke bauen, und zwei Tauben zerrupften einen Wolf, zwei Kinder, die wurfen zwei Zicklein, aber zwei Frösche droschen miteinander Getreid aus. Da sah ich zwei Mäuse einen Bischof weihen, zwei Katzen, die einem Bären die Zunge auskratzten. Da kam eine Schnecke gerannt und erschlug zwei wilde Löwen. Da stand ein Bartscherer, schor einer Frauen ihren Bart ab, und zwei säugende Kinder hießen ihre Mutter stillschweigen. Da sah ich zwei Windhunde, brachten eine Mühle aus dem Wasser getragen, und eine alte Schindmähre stand dabei, die sprach, es wäre recht. Und im Hof standen vier Rosse, die droschen Korn aus allen Kräften, und zwei Ziegen, die den Ofen heizten, und eine rote Kuh schoß das Brot in den Ofen. Da krähte ein Huhn 'kikeriki, das Märchen ist auserzählt, kikeriki.'

 

Schneewittchen

Es war einmal mitten im Winter, und die Schneeflocken fielen wie Federn vom Himmel herab. Da saß eine Königin an einem Fenster, das einen Rahmen von schwarzem Ebenholz hatte, und nähte. Und wie sie so nähte und nach dem Schnee aufblickte, stach sie sich mit der Nadel in den Finger, und es fielen drei Tropfen Blut in den Schnee. Und weil das Rote im weißen Schnee so schön aussah, dachte sie bei sich: Hätt' ich ein Kind, so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarz wie das Holz an dem Rahmen ! Bald darauf bekam sie ein Töchterlein, das war so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarzhaarig wie Ebenholz und ward darum Schneewittchen (Schneeweißchen) genannt. Und wie das Kind geboren war, starb die Königin.
Über ein Jahr nahm sich der König eine andere Gemahlin. Es war eine schöne Frau, aber sie war stolz und übermütig und konnte nicht leiden, daß sie an Schönheit von jemand sollte übertroffen werden. Sie hatte einen wunderbaren Spiegel wenn sie vor den trat und sich darin beschaute, sprach sie:
"Spieglein, Spieglein an der Wand,
Wer ist die Schönste im ganzen Land ?
so antwortete der Spiegel:
"Frau Königin, Ihr seid die Schönste im Land."
Da war sie zufrieden, denn sie wußte, daß der Spiegel die Wahrheit sagte. Schneewittchen aber wuchs heran und wurde immer schöner, und als es sieben Jahre alt war, war es so schön, wie der klare Tag und schöner als die Königin selbst. Als diese einmal ihren Spiegel fragte:
"Spieglein, Spieglein an der Wand,
Wer ist die Schönste im ganzen Land ?"
so antwortete er:
"Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier,
Aber Schneewittchen ist tausendmal schöner als Ihr."
Da erschrak die Königin und ward gelb und grün vor Neid. Von Stund an, wenn sie Schneewittchen erblickte, kehrte sich ihr das Herz im Leibe herum. so haßte sie das Mädchen. Und der Neid und Hochmut wuchsen wie ein Unkraut in ihrem Herzen immer höher, daß sie Tag und Nacht keine Ruhe mehr hatte. Da rief sie einen Jäger und sprach:
"Bring das Kind hinaus in den Wald, ich will's nicht mehr vor meinen Augen sehen. Du sollst es töten und mir Lunge und Leber zum Wahrzeichen mitbringen." Der Jäger gehorchte und führte es hinaus, und als er den Hirschfänger gezogen hatte und Schneewittchens unschuldiges Herz durchbohren wollte, fing es an zu weinen und sprach: "Ach, lieber Jäger, laß mir mein Leben ! Ich will in den wilden Wald laufen und nimmermehr wieder heimkommen." Und weil es gar so schön war, hatte der Jäger Mitleiden und sprach: "So lauf hin, du armes Kind !" Die wilden Tiere werden dich bald gefressen haben, dachte er, und doch war's ihm, als wäre ein Stein von seinem Herzen gewälzt, weil er es nicht zu töten brauchte. Und als gerade ein junger Frischling dahergesprungen kam, stach er ihn ab, nahm Lunge und Leber heraus und brachte sie als Wahrzeichen der Königin mit. Der Koch mußte sie in Salz kochen, und das boshafte Weib aß sie auf und meinte, sie hätte Schneewittchens Lunge und Leber gegessen.
Nun war das arme Kind in dem großen Wald mutterseelenallein, und ward ihm so angst, daß es alle Blätter an den Bäumen ansah und nicht wußte, wie es sich helfen sollte. Da fing es an zu laufen und lief über die spitzen Steine und durch die Dornen, und die wilden Tiere sprangen an ihm vorbei, aber sie taten ihm nichts. Es lief, so lange nur die Füße noch fortkonnten, bis es bald Abend werden wollte. Da sah es ein kleines Häuschen und ging hinein, sich zu ruhen. In dem Häuschen war alles klein, aber so zierlich und reinlich, daß es nicht zu sagen ist. Da stand ein weißgedecktes Tischlein mit sieben kleinen Tellern, jedes Tellerlein mit seinem Löffelein, ferner sieben Messerlein und Gäblelein und sieben Becherlein. An der Wand waren sieben Bettlein nebeneinander aufgestellt und schneeweiße Laken darüber gedeckt. Schneewittchen, weil es so hungrig und durstig war, aß von jedem Tellerlein ein wenig Gemüs' und Brot und trank aus jedem Becherlein einen Tropfen Wein; denn es wollte nicht einem alles wegnehmen. Hernach, weil es so müde war, legte es sich in ein Bettchen, aber keins paßte; das eine war zu lang, das andere zu kurz, bis endlich das siebente recht war; und darin blieb es liegen, befahl sich Gott und schlief ein.
Als es ganz dunkel geworden war, kamen die Herren von dem Häuslein, das waren die sieben Zwerge, die in den Bergen nach Erz hackten und gruben. Sie zündeten ihre sieben Lichtlein an, und wie es nun hell im Häuslein ward, sahen sie, daß jemand darin gesessen war, denn es stand nicht alles so in der Ordnung, wie sie es verlassen hatten. Der erste sprach: "Wer hat auf meinem Stühlchen gesessen?' Der zweite: "Wer hat von meinem Tellerchen gegessen ?" Der dritte: "Wer hat von meinem Brötchen genommen ?" Der vierte: "Wer hat von meinem Gemüschen gegessen ?" Der fünfte: "Wer hat mit meinem Gäbelchen gestochen ?" Der sechste: "Wer hat mit meinem Messerchen geschnitten ?" Der siebente: "Wer hat aus meinem Becherlein Getrunken ?" Dann sah sich der erste um und sah, daß auf seinem Bett eine kleine Delle war, da sprach er: "Wer hat in mein Bettchen getreten ?" Die anderen kamen gelaufen und riefen: "In meinem hat auch jemand Gelegen !" Der siebente aber, als er in sein Bett sah, erblickte Schneewittchen, das lag darin und schlief. Nun rief er die andern, die kamen herbeigelaufen und schrien vor Verwunderung, holten ihre sieben Lichtlein und beleuchteten Schneewittchen. "Ei, du mein Gott! Ei, du mein Gott!" riefen sie, "was ist das Kind so schön !" Und hatten so große Freude, daß sie es nicht aufweckten, sondern im Bettlein fortschlafen ließen. Der siebente Zwerg aber schlief bei seinen Gesellen, bei jedem eine Stunde, da war die Nacht herum. Als es Morgen war, erwachte Schneewittchen, und wie es die sieben Zwerge sah, erschrak es. Sie waren aber freundlich und fragten: "Wie heißt du ?" "Ich heiße Schneewittchen", antwortete es. "Wie bist du in unser Haus gekommen ?" sprachen weiter die Zwerge. Da erzählte es ihnen, daß seine Stiefmutter es hätte wollen umbringen lassen, der Jäger hätte ihm aber das Leben geschenkt, und da wär' es gelaufen den ganzen Tag, bis es endlich ihr Häuslein gefunden hätte. Die Zwerge sprachen: "Willst du unsern Haushalt versehen, kochen, betten, waschen, nähen und stricken, und willst du alles ordentlich und reinlich halten, so kannst du bei uns bleiben, und es soll dir an nichts fehlen." "Jaa, sagte Schneewittchen, "von Herzen gern !" und blieb bei ihnen. Es hielt ihnen das Haus in Ordnung. Morgens gingen sie in die Berge und suchten Erz und Gold, abends kamen sie wieder, und da mußte ihr Essen bereit sein. Den ganzen Tag über war das Mädchen allein; da warnten es die guten Zwerglein und sprachen: "Hüte dich vor deiner Stiefmutter, die wird bald wissen, daß du hier bist; laß ja niemand herein !
Die Königin aber, nachdem sie Schneewittchens Lunge und Leber glaubte gegessen zu haben, dachte nicht anders, als sie wäre wieder die Erste und Allerschönste, trat vor ihren Spiegel und sprach:
"Spieglein, Spieglein. an der Wand,
Wer ist die Schönste im ganzen Land ?"
Da antwortete der Spiegel:
"Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier,
Aber Schneewittchen über den Bergen
Bei den sieben Zwergen
Ist noch tausendmal schöner als Ihr."
Da erschrak sie, denn sie wußte, daß der Spiegel keine Unwahrheit sprach, und merkte, daß der Jäger sie betrogen hatte und Schneewittchen noch am Leben war. Und da sann und sann sie aufs neue, wie sie es umbringen wollte; denn so lange sie nicht die Schönste war im ganzen Land, ließ ihr der Neid keine Ruhe. Und als sie sich endlich etwas ausgedacht hatte, färbte sie sich das Gesicht und kleidete sich wie eine alte Krämerin und war ganz unkenntlich. In dieser Gestalt ging sie über die sieben Berge zu den sieben Zwergen, klopfte an die Türe und rief: "Schöne Ware feil ! feil!" Schneewittchen guckte zum Fenster hinaus und rief: "Guten Tag, liebe Frau ! Was habt Ihr zu verkaufen ?" "Gute Ware", antwortete sie, "Schnürriemen von allen Farben", und holte einen hervor, der aus bunter Seide geflochten war. Die ehrliche Frau kann ich hereinlassen, dachte Schneewittchen, riegelte die Türe auf und kaufte sich den hübschen Schnürriemen. "Kind", sprach die Alte, "wie du aussiehst ! Komm, ich will dich einmal ordentlich schnüren." Schneewittchen hatte kein Arg, stellte sich vor sie und ließ sich mit dem neuen Schnürriemen schnüren. Aber die Alte schnürte geschwind und schnürte so fest, daß dem Schneewittchen der Atem verging und es für tot hinfiel. "Nun bist du die Schönste gewesen", sprach sie und eilte hinaus.
Nicht lange darauf, zur Abendzeit, kamen die sieben Zwerge nach Haus; aber wie erschraken sie, als sie ihr liebes Schneewittchen auf der Erde liegen sahen, und es regte und bewegte sich nicht, als wäre es tot. Sie hoben es in die Höhe, und weil sie sahen, daß es zu fest geschnürt war, schnitten sie den Schnürriemen entzwei; da fing es an ein wenig zu atmen und ward nach und nach wieder lebendig. Als die Zwerge hörten, was geschehen war, sprachen sie: "Die alte Krämerfrau war niemand als die gottlose Königin. Hüte dich und laß keinen Menschen herein, wenn wir nicht bei dir sind !" Das böse Weib aber, als es nach Haus gekommen war, ging vor den Spiegel und fragte:
"Spieglein, Spieglein an der Wand,
Wer ist die Schönste im ganzen Land ?"
Da antwortete er wie sonst:
"Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier,
Aber Schneewittchen über den Bergen
Bei den sieben Zwergen
Ist noch tausendmal schöner als Ihr."
Als sie das hörte, lief ihr alles Blut zum Herzen, so erschrak sie, 'denn sie sah wohl, daß Schneewittchen wieder lebendig geworden war. "Nun aber", sprach sie", will ich etwas aussinnen, das dich- zugrunde richten soll", und mit Hexenkünsten, die sie verstand, machte sie einen giftigen Kamm. Dann verkleidete sie sich und nahm die Gestalt eines anderen alten Weibes an. So ging sie hin über die sieben Berge zu den sieben Zwergen, klopfte an die Türe und rief: "Gute Ware feil ! feil !" Schneewittchen schaute heraus und sprach: "Geht nur weiter, ich darf niemand hereinlassen !" "Das Ansehen wird dir doch erlaubt sein", sprach die Alte, zog den giftigen Kamm heraus und hielt ihn in die Höhe. Da gefiel er dem Kinde so gut, daß es sich betören ließ und die Türe öffnete. Als sie des Kaufs einig waren, sprach die Alte: "Nun will ich dich einmal ordentlich kämmen." Das arme Schneewittchen dachte an nichts, ließ die Alte gewähren, aber kaum hatte sie den Kamm in die Haare gesteckt, als das Gift darin wirkte und das Mädchen ohne Besinnung niederfiel. "Du Ausbund von Schönheit", sprach das boshafte Weib, "jetzt ist's um dich geschehen", und ging fort. Zum Glück aber war es bald Abend, wo die sieben Zwerglein nach Haus kamen. Als sie Schneewittchen wie tot auf der Erde liegen sahen, hatten sie gleich die Stiefmutter in Verdacht, suchten nach und fanden den giftigen Kamm. Und kaum hatten sie ihn herausgezogen, so kam Schneewittchen wieder zu sich und erzählte, was vorgegangen war. Da warnten sie es noch einmal, auf seiner Hut zu sein und niemand die Türe zu öffnen. Die Königin stellte sich daheim vor den Spiegel und sprach:
"Spieglein, Spieglein an der Wand,
Wer ist die Schönste im ganzen Land ?"
Da antwortete er wie vorher:
"Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier,
Aber Schneewittchen über den Bergen
Bei den sieben Zwergen
Ist noch tausendmal schöner als Ihr."
Als sie den Spiegel so reden hörte, zitterte und bebte sie vor Zorn. ,Schneewittchen soll sterben", rief sie, "und wenn es mein eigenes Leben kostet !" Darauf ging sie in eine ganz verborgene, einsame Kammer, wo niemand hinkam, und machte da einen giftigen, giftigen Apfel. äußerlich sah er schön aus, weiß mit roten Backen, daß jeder, der ihn erblickte, Lust danach bekam, aber wer ein Stückchen davon aß, der mußte sterben. Als der Apfel fertig war, färbte sie sich das Gesicht und verkleidete sich in eine Bauersfrau, und so ging sie über die sieben Berge zu den sieben Zwergen. Sie klopfte an. Schneewittchen streckte den Kopf zum Fenster heraus und sprach: " Ich darf keinen Menschen einlassen, die sieben Zwerge haben mir's verboten !" "Mir auch recht", antwortete die Bäuerin, "meine Äpfel will ich schon loswerden. Da, e i n e n will ich dir schenken." "Nein", sprach Schneewittchen, "ich darf nichts annehmen !" "Fürchtest du dich vor Gift ?" sprach die Alte, "siehst du, da schneide ich den Apfel in zwei Teile; den roten Backen iß, den weißen will ich essen " Der Apfel war aber so künstlich gemacht, daß der rote Backen allein vergiftet war. Schneewittchen lusterte den schönen Apfel an, und als es sah, daß die Bäuerin davon aß, so konnte es nicht länger widerstehen, streckte die Hand hinaus und nahm die giftige Hälfte. Kaum aber hatte es einen Bissen davon im Mund, so fiel es tot zur Erde nieder. Da betrachtete es die Königin mit grausigen Blicken und lachte überlaut und sprach: "Weiß wie Schnee, rot wie Blut, schwarz wie Ebenholz ! Diesmal können dich die Zwerge nicht wieder erwecken." Und als sie daheim den Spiegel befragte:
"Spieglein, Spieglein an der Wand,
Wer ist die Schönste im ganzen Land ?"
so antwortete er endlich:
"Frau Königin, Ihr seid de Schönste im Land."
Da hatte ihr neidisches Herz Ruhe, so gut ein neidisches Herz Ruhe haben kann.
Die Zwerglein, wie sie abends nach Haus kamen, fanden Schneewittchen auf der Erde liegen, und es ging kein Atem mehr aus seinem Mund, und es war tot. Sie hoben es auf suchten, ob sie was Giftiges fänden, schnürten es auf, kämmten ihm die Haare, wuschen es mit Wasser und Wein, aber es half alles nichts; das liebe Kind war tot und blieb tot. Sie legten es auf eine Bahre und setzten sich alle siebene daran und beweinten es und weinten drei Tage lang. Da wollten sie es begraben, aber es sah noch so frisch aus wie ein lebender Mensch und hatte noch seine schönen, roten Backen. Sie sprachen: "Das können wir nicht in die schwarze Erde versenken", und ließen einen durchsichtigen Sarg von Glas machen, daß man es von allen Seiten sehen konnte, legten es hinein und schrieben mit goldenen Buchstaben seinen Namen darauf und daß es eine Königstochter wäre. Dann setzten sie den Sarg hinaus auf den Berg, und einer von ihnen blieb immer dabei und bewachte ihn. Und die Tiere kamen auch und beweinten Schneewittchen, erst eine Eule dann ein Rabe. zuletzt ein Täubchen.
Nun lag Schneewittchen lange, lange Zeit in dem Sarg und verweste nicht, sondern sah aus, als wenn es schliefe, denn es war noch so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarzhaarig wie Ebenholz. Es geschah aber, daß ein Königssohn in den Wald geriet und zu dem Zwergenhaus kam, da zu übernachten. Er sah auf dem Berg den Sarg und das schöne Schneewittchen darin und las, was mit goldenen Buchstaben darauf geschrieben war. Da sprach er zu den Zwergen: "Laßt mir den Sarg, ich will euch geben, was ihr dafür haben wollt " Aber die Zwerge antworteten: "Wir geben ihn nicht für alles Gold in der Welt." Da sprach er: "So schenkt mir ihn, denn ich kann nicht leben, ohne Schneewittchen zu sehen, ich will es ehren und hochachten wie mein Liebstes." Wie er so sprach, empfanden die guten Zwerglein Mitleid mit ihm und gaben ihm den Sarg. Der Königssohn ließ ihn nun von seinen Dienern auf den Schultern forttragen. Da geschah es, daß sie über einen Strauch stolperten, und von dem Schüttern fuhr der giftige Apfelgrütz, den Schneewittchen abgebissen hatte, aus dem Hals. Und nicht lange, so öffnete es die Augen, hob den Deckel vom Sarg in die Höhe und richtete sich auf und war wieder lebendig. "Ach Gott, wo bin ich ?" rief es. Der Königssohn sagte voll Freude: "Du bist bei mir", und erzählte, was sich zugetragen hatte, und sprach: "Ich habe dich lieber als alles auf der Welt; komm mit mir in meines Vaters Schloß, du sollst meine Gemahlin werden." Da war ihm Schneewittchen gut und ging mit ihm, und ihre Hochzeit ward mit großer Pracht und Herrlichkeit angeordnet. Zu dem Feste wurde aber auch Schneewittchens gottlose Stiefmutter eingeladen. Wie sie sich nun mit schönen Kleidern angetan hatte, trat sie vor den Spiegel und sprach:
"Spieglein, Spieglein an der Wand,
Wer ist die Schönste im ganzen Land ?"
Der Spiegel antwortete:
"Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier,
Aber die junge Königin ist noch tausendmal schöner als ihr."
Da stieß das böse Weib einen Fluch aus, und ward ihr so angst, so angst, daß sie sich nicht zu lassen wußte. Sie wollte zuerst gar nicht auf die Hochzeit kommen, doch ließ es ihr keine Ruhe, sie mußte fort und die junge Königin sehen. Und wie sie hineintrat, erkannte sie Schneewittchen, und vor Angst und Schrecken stand sie da und konnte sich nicht regen. Aber es waren schon eiserne Pantoffel über Kohlenfeuer gestellt und wurden mit Zangen hereingetragen und vor sie hingestellt. Da mußte sie in die rotglühenden Schuhe treten und so lange tanzen, bis sie tot zur Erde fiel.

 

Die Scholle

Die Fische waren schon lange unzufrieden, daß keine Ordnung in ihrem Reich herrschte. Keiner kehrte sich an den andern, schwamm rechts und links, wie es ihm einfiel, fuhr zwischen denen durch, die zusammenbleiben wollten, oder sperrte ihnen den Weg, und der Stärkere gab dem Schwächeren einen Schlag mit dem Schwanz, daß er weit wegfuhr, oder er verschlang ihn ohne weiteres. 'Wie schön wäre es, wenn wir einen König hätten, der Recht und Gerechtigkeit bei uns übte,' sagten sie und vereinigten sich, den zu ihrem Herrn zu wählen, der am schnellsten die Fluten durchstreichen und dem Schwachen Hilfe bringen könnte.

Sie stellten sich also am Ufer in Reihe und Glied auf, und der Hecht gab mit dem Schwanz ein Zeichen, worauf sie alle zusammen aufbrachen. Wie ein Pfeil schoß der Hecht dahin und mit ihm der Hering, der Gründling, der Barsch, die Karpfe, und wie sie alle heißen. Auch die Scholle schwamm mit und hoffte das Ziel zu erreichen.

Auf einmal ertönte der Ruf 'der Hering ist vor! der Hering ist vor.' 'Wen is vör?' schrie verdrießlich die platte mißgünstige Scholle, die weit zurückgeblieben war, 'wen is vör?' 'Der Hering, der Hering,' war die Antwort. 'De nackte Hiering?' rief die Neidische, 'de nackte Hiering?' Seit der Zeit steht der Scholle zur Strafe das Maul schief.

 

Die sechs Diener

Vorzeiten lebte eine alte Königin, die war eine Zauberin, und ihre Tochter war das schönste Mädchen unter der Sonne. Die Alte dachte aber an nichts, als wie sie die Menschen ins Verderben locken könnte, und wenn ein Freier kam, so sprach sie, wer ihre Tochter haben wollte, müßte zuvor einen Bund - eine Aufgabe - lösen, oder er müßte sterben. Viele waren von der Schönheit der Jungfrau verblendet und wagten es wohl, aber sie konnten es nicht vollbringen, und dann war keine Gnade, sie mußten niederknien, und das Haupt ward ihnen abgeschlagen. Ein Königssohn hatte auch von der großen Schönheit der Jungfrau gehört und sprach zu seinem Vater: "Laßt mich hinziehen, ich will um sie werben." "Nimmermehr", antwortete der König, "gehst du fort, so gehst du in deinen Tod." Da legte der Sohn sich nieder und ward sterbenskrank und lag sieben Jahre lang, und kein Arzt konnte ihm helfen. Als der Vater sah, daß keine Hoffnung mehr war, sprach er voll Herzenstraurigkeit zu ihm: "Zieh hin und versuche dein Glück." Wie der Sohn das hörte, stand er auf von seinem Lager, ward gesund und machte sich fröhlich auf den Weg.
Es trug sich zu, als er über eine Heide zu reiten kam, daß er von weitem etwas liegen sah wie einen großen Heuhaufen, und wie er sich näherte, konnte er unterscheiden, daß es der Bauch eines Menschen war, der sich hingestreckt hatte; der Bauch aber sah aus wie ein kleiner Berg. Der Dicke, wie er den Reisenden erblickte, richtete sich in die Höhe und sprach: Wenn ihr jemanden braucht, so nehmt mich in Eure Dienste." Der Königssohn antwortete: "Was soll ich mit einem so ungefügen Mann anfangen?" "Oh", sprach der Dicke, "das will nichts sagen, wenn ich mich recht auseinandertue, bin ich noch dreitausendmal so dick." "Wenn das ist", sagte der Königssohn, "so kann ich dich brauchen, komm mit mir. Da ging der Dicke hinter dem Königssohn her, und über eine Weile fanden sie einen andern, der lag da auf der Erde und hatte das Ohr auf den Rasen gelegt. Fragte der Königssohn: "Was machst du da?" "Ich horche", antwortete der Mann. "Wonach horchst du so aufmerksam?" "Ich horche nach dem, was eben in der Welt sich zuträgt; denn meinen Ohren entgeht nichts, das Gras sogar hör' ich wachsen." Fragte der Königssohn: "Sage mir, was hörst du am Hofe der alten Königin, welche die schöne Tochter hat?" Da antwortete er: "Ich höre das Schwert sausen, das einem Freier den Kopf abschlägt." Der Königssohn sprach: "Ich kann dich brauchen, komm mit mir." Da zogen sie weiter und sahen einmal ein paar Füße daliegen und auch etwas von den Beinen, aber das Ende konnten sie nicht sehen. Als sie eine gute Strecke fortgegangen waren, kamen sie zu dem Leib und endlich auch zu dem Kopf. "Ei", sprach der Königssohn, "was bist du für ein langer Strick?" "Oh', antwortete der Lange, "das ist noch gar veim ich meine Gliedmaßen erst recht ausstrecke, bin ich noch dreitausenmal so lang und bin größer als der höchste Berg auf Erden. Ich will Euch gerne dienen." "Komm mit," sprach der Königssohn, "ich kann dich brauchen." Sie zogen weiter und fanden einen am Weg sitzen, der hatte die Augen zugebunden. Sprach der Königssohn zu ihm: "Hast du blöde Augen, daß du nicht in das Licht sehen kannst?" "Nein", antwortete der Mann, "ich darf die Binde nicht abnehmen; denn was ich mit meinen Augen ansehe, das springt auseinander, so gewaltig ist mein Blick. Kann Euch das nützen, so will ich Euch gern dienen." "Komm mit", antwortete der Königssohn, "ich kann dich brauchen." Sie zogen weiter und fanden einen Mann, der lag mitten im heißen Sonnenschein und zitterte und fror am ganzen Leibe, so daß ihm kein Glied stillstand. "Wie kannst du frieren?" sprach der Königsohn, "und die Sonne scheint so warm." "Ach", antwortete der Mann, "meine Natur ist ganz anderer Art, je heißer es ist, desto mehr frier' ich, und der Frost dringt mir durch alle Knochen; und je kälter es ist, desto heißer wird mir. Mitten im Eis kann ich's vor Hitze und mitten im Feuer vor Kälte nicht aushalten." "Du bist ein wunderlicher Kerl", sprach der Königssohn, "aber wenn du mir dienen willst, so komm mit. Nun zogen sie weiter und sahen einen Mann stehen, der machte einen langen Hals, schaute sich um und schaute über alle Berge hinaus. Sprach der Königssohn: "Wonach siehst du so eifrig?" Der Mann antwortete: "Ich habe so helle Augen, daß ich über alle Wälder und Felder, Täler und Berge hinaus und durch die ganze Welt sehen kann." Der Königssohn sprach: "Willst du, so komm mit mir; so einer fehlte mir noch."
Nun zog der Königssohn mit seinen sechs Dienern in die Stadt ein, wo die alte Königin lebte. Er sagte nicht, wer er wäre, aber er sprach: "Wollt Ihr mir Eure schöne Tochter geben, so will ich vollbringen, was Ihr mir auferlegt." Die Zauberin freute sich, daß ein so schöner Jüngling wieder in ihre Netze fiel, und sprach: "Dreimal will ich dir einen Bund aufgeben, lösest du ihn jedesmal, so sollst du der Herr und Gemahl meiner Tochter werden." "Was soll das erste sein?" fragte er. "Daß du mir meinen Ring herbeibringst, den ich ins Rote Meer habe fallen lassen." Da ging der Königssohn heim zu seinen Dienern und sprach: "Der erste Bund ist nicht leicht, ein Ring soll aus dem Roten Meer geholt werden, nun schafft Rat." Da sprach der mit hellen Augen: "Ich will sehen, wo er liegt", schaute in das Meer hinab und sagte: "Dort hängt er an einem spitzen Stein." Der Lange trug sie hin und sprach: "Ich wollte ihn wohl herausholen, wenn ich ihn nur sehen könnte." "Wenn's weiter nichts ist", rief der Dicke, legte sich nieder und hielt seinen Mund ans Wasser; da fielen die Wellen hinein wie in einen Abgrund, und er trank das ganze Meer aus, daß es trocken ward wie eine Wiese. Der Lange bückte sich ein wenig und holte den Ring mit der Hand heraus. Da ward der Königssohn froh, als er den Ring hatte, und brachte ihn der Alten. Sie erstaunte und sprach: "Ja, es ist der rechte Ring; den ersten Bund hast du glücklich gelöst, aber nun kommt der zweite. Siehst du, dort auf der Wiese vor meinem Schlosse, da weiden dreihundert fette Ochsen, die mußt du mit Haut und Haar, Knochen und Hörnern verzehren; und unten im Keller liegen dreihundert Fässer Wein, die mußt du dazu austrinken; und bleibt von den Ochsen ein Haar und von dem Wein ein Tröpfchen übrig, so ist mir dein Leben verfallen." Sprach der Königssohn: "Darf ich mir keine Gäste dazu laden? Ohne Gesellschaft schmeckt keine Mahlzeit." Die Alte lachte und antwortete: "Einen darfst du dir dazu laden, damit du Gesellschaft hast, aber weiter keinen".
Da ging der Königssohn zu seinen Dienern und sprach zu dem Dicken: "Du sollst heute mein Gast sein und dich einmal satt essen." Da tat sich der Dicke voneinander und aß die dreihundert Ochsen, daß kein Haar übrigblieb, und fragte, ob weiter nichts als das Frühstück da wäre. Den Wein trank er gleich aus den Fässern, ohne daß er ein Glas nötig hatte, und trank den letzten Tropfen vom Nagel herunter. Als die Mahlzeit zu Ende war, ging der Königssohn zur Alten und sagte ihr, der zweite Bund wäre gelöst. Sie verwunderte sich und sprach: "So weit hat's noch keiner gebracht, aber es ist noch ein Bund übrig", und dachte: ,Du sollst mir nicht entgehen und wirst deinen Kopf nicht oben behalten.' "Heut abend", sprach sie, "bring' ich meine Tochter zu dir in deine Kammer, und du sollst sie mit deinem Arm umschlingen; wenn ihr da beisammensitzt, so hüte dich, daß du nicht einschläfst. Ich warte bis Schlag zwölf Uhr, und ist sie dann nicht mehr in deinen Armen, so hast du verloren. " Der Königssohn dachte: Der Bund ist leicht, ich will wohl meine Augen offen behalten, doch rief er seine Diener, erzählte ihnen, was die Alte gesagt hatte, und sprach: "Wer weiß, was für eine List dahintersteckt. Vorsicht ist gut, haltet Wache." Als die Nacht einbrach, kam die Alte mit ihrer Tochter und führte sie in die Arme des Königssohns, und dann schlang sich der Lange um sie beide in einen Kreis, und der Dicke stellte sich vor die Tür, daß also keine lebendige Seele herein konnte. Da saßen sie beide, und die Jungfrau sprach kein Wort, aber der Mond schien durchs Fenster auf ihr Angesicht, daß er ihre wunderbare Schönheit sehen konnte. Er tat nichts als sie anschauen, war voll Freude und Liebe, und es kam keine Müdigkeit in seine Augen. Das dauerte bis elf Uhr, da warf die Alte einen Zauber über alle, daß sie einschliefen, und in dem Augenblick war auch die Jungfrau entrückt.
Nun schliefen sie hart bis ein Viertel vor zwölf, da war der Zauber kraftlos, und sie erwachten alle wieder. "O Jammer und Unglück", rief der Königssohn, "nun bin ich verloren!" Die treuen Diener fingen auch an zu klagen, aber der Horcher sprach: "Seid still, ich will horchen", da horchte er einen Augenblick, und dann sprach er: "Sie sitzt in einem Felsen dreihundert Stunden von hier und bejammert ihr Schicksal. Du allein kannst helfen, Langer, wenn du dich aufrichtest, so bist du mit ein paar Schritten dort." "Ja", antwortete der Lange, "aber der mit den scharfen Augen muß mitgehen, damit wir den Felsen wegschaffen." Da huckte der Lange den mit verbundenen Augen auf, und im Augenblick waren sie vor dem verwünschten Felsen. Alsbald nahm der Lange dem andern die Binde von den Augen, der sich nur umschaute, so zersprang der Felsen in tausend Stücke. Da nahm der Lange die Jungfrau auf den Arm, trug sie in einem Nu zurück, holte noch seinen Kameraden, und eh' es zwölfe schlug, saßen sie alle wieder wie vorher und waren munter und guter Dinge. Als es zwölfe schlug, kam die alte Zauberin herbeigeschlichen, machte ein höhnisches Gesicht, als wollte sie sagen: ,Nun ist er mein', und glaubte, ihre Tochter säße dreihundert Stunden weit im Felsen. Als sie aber ihre Tochter in den Armen des Königssohnes erblickte, erschrak sie und sprach: "Da ist einer, der kann mehr als ich." Aber sie durfte nichts einwenden und mußte ihm die Jungfrau zusagen. Da sprach sie ihr ins Ohr: "Schande für dich, daß du gemeinem Volk gehorchen sollst und dir einen Gemahl nicht nach deinem Gefallen wählen darfst."
Da ward das stolze Herz der Jungfrau mit Zorn erfüllt und sann au£ Rache. Sie ließ am andern Morgen dreihundert Malter Holz zusammenfahren und sprach zu dem Königssohn, die drei Bünde wären gelöst, sie würde aber nicht eher seine Gemahlin werden, bis einer bereit wäre, sich mitten in das Holz zu setzen und das Feuer auszuhalten. Sie dachte. keiner seiner Diener würde sich für ihn verbrennen, und aus Liebe zu ihr würde er selber sich hineinsetzen, und dann wäre sie frei. Die Diener aber sprachen: "Wir haben alle etwas getan, nur der Frostige noch nicht, der muß auch daran", setzten ihn mitten auf den Holzstoß und steckten ihn an. Da begann das Feuer zu brennen und brannte drei Tage, bis alles Holz verzehrt war, und als die Flammen sich legten, stand der Frostige mitten in der Asche, zitterte wie ein Espenlaub und sprach: "Einen solchen Frost hab' ich mein Lebtage nicht ausgehalten, und wenn er länger gedauert hätte, so wäre ich erstarrt."
Nun war keine Aussicht mehr zu finden, die schöne Jungfrau mußte den unbekannten Jüngling zum Gemahl nehmen. Als sie aber nach der Kirche fuhren, sprach die Alte: "Ich kann die Schande nicht ertragen", und schickte ihr KriegsvoIk nach, das sollte alles niedermachen, was ihm vorkäme, und ihr die Tochter zurückbringen. Der Horcher aber hatte die Ohren gespitzt und die heimlichen Reden der Alten vernommen. "Was fangen wir an?" sprach er zu dem Dicken, aber der wußte Rat, spie einmal oder zweimal hinter dem Wagen einen Teil von dem Meereswasser aus, das er getrunken hatte, da entstand ein großer See, worin die Kriegsvölker steckenblieben und ertranken. Als die Zauberin das vernahm, schickte sie ihre geharnischten Reiter, aber der Horcher hörte das Rasseln ihrer Rüstung und band dem einen die Augen auf, der guckte die Feinde ein bißchen scharf an, da sprangen sie auseinander wie Glas. Nun fuhren sie ungestört weiter, und als die beiden in der Kirche eingesegnet waren, nahmen die sechs Diener ihren Abschied und sprachen: "Eure Wünsche sind erfüllt, wir wollen weiterziehen und unser Glück versuchen."
Eine halbe Stunde vor dem Schloß war ein Dorf, vor dem hütete ein Schweinehirt seine Herde; wie sie dahin kamen, sprach er zu seiner Frau: "Weißt du auch recht, wer ich bin? Ich bin kein Königssohn, sondern ein Schweinehirt, und der mit der Herde dort, das ist mein Vater. Wir zwei müssen auch daran und ihm helfen hüten." Dann stieg er mit ihr in dem Wirthaus ab und sagte heimlich zu den Wirtsleuten, in der Nacht sollten sie ihr die königlichen Kleider wegnehmen. Wie sie nun am Morgen aufwachte, hatte sie nichts anzutun, und die Wirtin gab ihr einen alten Rock und ein Paar alte wollene Strümpfe, dabei tat sie noch, als wär's ein großes Geschenk, und sprach: "Wenn ich nicht Euer Mann wäre, hätt' ich's Euch gar nicht gegeben." Da glaubte sie, er wäre wirklich ein Schweinehirt, und hütete mit ihm die Herde und dachte: ,Ich habe es verdient mit meinem Übermut und Stolz.' Das dauerte acht Tage, da konnte sie es nicht mehr aushalten. Da kamen ein paar Leute und fragten, ob sie wüßte, wer ihr Mann wäre. "Ja", antwortete sie, "er ist ein Schweinehirt und ist eben ausgegangen, mit Bändern und Schnüren einen kleinen Handel zu treiben." Sie sprachen aber: "Kommt einmal mit, wir wollen Euch zu ihm hinführen", und brachten sie ins Schloß hinauf; und wie sie in den Saal kam, stand da ihr Mann in königlichen Kleidern. Sie erkannte ihn aber nicht, bis er ihr um den Hals fiel, sie küßte und sprach: "Ich habe soviel für dich gelitten, da hast du auch für mich leiden sollen." Nun ward erst die Hochzeit gefeiert, und der's erzählt hat, wollte, er wäre auch dabei gewesen.

 

Sechse kommen durch die ganze Welt

Es war einmal ein Mann, der verstand allerlei Künste: er diente im Krieg, und hielt sich brav und tapfer, aber als der Krieg zu Ende war, bekam er den Abschied und drei Heller Zehrgeld auf den Weg. 'Wart,' sprach er, 'das laß ich mir nicht gefallen, finde ich die rechten Leute, so soll mir der König noch die Schätze des ganzen Landes herausgeben.' Da ging er voll Zorn in den Wald, und sah einen darin stehen, der hatte sechs Bäume ausgerupft, als wärens Kornhalme. Sprach er zu ihm 'willst du mein Diener sein und mit mir ziehen?' 'Ja,' antwortete er, 'aber erst will ich meiner Mutter das Wellchen Holz heimbringen,' und nahm einen von den Bäumen und wickelte ihn um die fünf andern, hob die Welle auf die Schulter und trug sie fort. Dann kam er wieder und ging mit seinem Herrn, der sprach 'wir zwei sollten wohl durch die ganze Welt kommen.'
Und als sie ein Weilchen gegangen waren, fanden sie einen Jäger, der lag auf den Knien, hatte die Büchse angelegt und zielte. Sprach der Herr zu ihm 'Jäger, was willst du schießen?' Er antwortete 'zwei Meilen von hier sitzt eine Fliege auf dem Ast eines Eichbaums, der will ich das linke Auge herausschießen.' 'O' geh mit mir,' sprach der Mann, 'wenn wir drei zusammen sind, sollten wir wohl durch die ganze Welt kommen.' Der Jäger war bereit und ging mit ihm, und sie kamen zu sieben Windmühlen, deren Flügel trieben ganz hastig herum, und ging doch links und rechts kein Wind, und bewegte sich kein Blättchen. Da sprach der Mann 'ich weiß nicht, was die Windmühle treibt, es regt sich ja kein Lüftchen,' und ging mit seinen Dienern weiter, und als sie zwei Meilen fortgegangen waren, sahen sie einen auf einem Baum sitzen, der hielt das eine Nasenloch zu und blies aus dem andern. 'Mein, was treibst du da oben?' fragte der Mann. Er antwortete 'zwei Meilen von hier stehen sieben Windmühlen, seht, die blase ich an, daß sie laufen.' 'O, geh mit mir,' sprach der Mann, 'wenn wir vier zusammen sind, sollten wir wohl durch die ganze Welt kommen.'
Da stieg der Bläser herab und ging mit, und über eine Zeit sahen sie einen, der stand da auf einem Bein, und hatte das andere abgeschnallt und neben sich gelegt. Da sprach der Herr 'du hast dirs ja bequem gemacht zum Ausruhen.' 'Ich bin ein Laufer,' antwortete er, 'und damit ich nicht gar zu schnell springe, habe ich mir das eine Bein abgeschnallt; wenn ich mit zwei Beinen laufe, so gehts geschwinder, als ein Vogel fliegt.' 'O, geh mit mir, wenn wir fünf zusammen sind, sollten wir wohl durch die ganze Welt kommen.' Da ging er mit, und gar nicht lang, so begegneten sie einem, der hatte ein Hütchen auf, hatte es aber ganz auf dem einen Ohr sitzen. Da sprach der Herr zu ihm 'manierlich! manierlich! häng deinen Hut doch nicht auf ein Ohr, du siehst ja aus wie ein Hans Narr.' 'Ich darfs nicht tun,' sprach der andere, 'denn setz ich meinen Hut gerad, so kommt ein gewaltiger Frost, und die Vögel unter dem Himmel erfrieren und fallen tot zur Erde.' 'O, geh mit mir,' sprach der Herr, 'wenn wir sechs zusammen sind, sollten wir wohl durch die ganze Welt kommen.'
Nun gingen die sechse in eine Stadt, wo der König hatte bekanntmachen lassen, wer mit seiner Tochter in die Wette laufen wollte und den Sieg davontrüge, der sollte ihr Gemahl werden; wer aber verlöre, müßte auch seinen Kopf hergeben. Da meldete sich der Mann und sprach 'ich will aber meinen Diener für mich laufen lassen.' Der König antwortete 'dann mußt du auch noch dessen Leben zum Pfand setzen, also daß sein und dein Kopf für den Sieg haften.' Als das verabredet und festgemacht war, schnallte der Mann dem Laufer das andere Bein an und sprach zu ihm 'nun sei hurtig und hilf, daß wir siegen.' Es war aber bestimmt, daß, wer am ersten Wasser aus einem weit abgelegenen Brunnen brächte, der sollte Sieger sein. Nun bekam der Laufer einen Krug und die Königstochter auch einen, und sie fingen zu gleicher Zeit zu laufen an: aber in einem Augenblick, als die Königstochter erst eine kleine Strecke fort war, konnte den Laufer schon kein Zuschauer mehr sehen, und es war nicht anders, als wäre der Wind vorbeigesaust. In kurzer Zeit langte er bei dem Brunnen an, schöpfte den Krug voll Wasser und kehrte wieder um. Mitten aber auf dem Heimweg überkam ihn eine Müdigkeit, da setzte er den Krug hin, legte sich nieder und schlief ein. Er hatte aber einen Pferdeschädel, der da auf der Erde lag, zum Kopfkissen gemacht, damit er hart läge und bald wieder erwachte. Indessen war die Königstochter, die auch gut laufen konnte, so gut es ein gewöhnlicher Mensch vermag, bei dem Brunnen angelangt, und eilte mit ihrem Krug voll Wasser zurück; und als sie den Laufer da liegen und schlafen sah, war sie froh und sprach 'der Feind ist in meine Hände gegeben,' leerte seinen Krug aus und sprang weiter. Nun wäre alles verloren gewesen, wenn nicht zu gutem Glück der Jäger mit seinen scharfen Augen oben auf dem Schloß gestanden und alles mit angesehen hätte. Da sprach er 'die Königstochter soll doch gegen uns nicht aufkommen,' lud seine Büchse und schoß so geschickt, daß er dem Laufer den Pferdeschädel unter dem Kopf wegschoß, ohne ihm weh zu tun. Da erwachte der Laufer, sprang in die Höhe und sah, daß sein Krug leer und die Königstochter schon weit voraus war. Aber er verlor den Mut nicht, lief mit dem Krug wieder zum Brunnen zurück, schöpfte aufs neue Wasser und war noch zehn Minuten eher als die Königstochter daheim. 'Seht ihr,' sprach er, 'jetzt hab ich erst die Beine aufgehoben, vorher wars gar kein Laufen zu nennen.'
Den König aber kränkte es, und seine Tochter noch mehr, daß sie so ein gemeiner abgedankter Soldat davontragen sollte; sie ratschlagten miteinander, wie sie ihn samt seinen Gesellen los würden. Da sprach der König zu ihr 'ich habe ein Mittel gefunden, laß dir nicht bang sein, sie sollen nicht wieder heimkommen.' Und sprach zu ihnen 'ihr sollt euch nun zusammen lustig machen, essen und trinken,' und führte sie zu einer Stube, die hatte einen Boden von Eisen, und die Türen waren auch von Eisen, und die Fenster waren mit eisernen Stäben verwahrt. In der Stube war eine Tafel mit köstlichen Speisen besetzt, da sprach der König zu ihnen 'geht hinein und laßts euch wohl sein.' Und wie sie darinnen waren, ließ er die Türe verschließen und verriegeln. Dann ließ er den Koch kommen und befahl ihm, ein Feuer so lang unter die Stube zu machen, bis das Eisen glühend würde. Das tat der Koch, und es fing an und ward den sechsen in der Stube, während sie an der Tafel saßen, ganz warm, und sie meinten, das käme vom Essen; als aber die Hitze immer größer ward und sie hinaus wollten, Türe und Fenster aber verschlossen fanden, da merkten sie, daß der König Böses im Sinne gehabt hatte und sie ersticken wollte. 'Es soll ihm aber nicht gelingen,' sprach der mit dem Hütchen, 'ich will einen Frost kommen lassen, vor dem sich das Feuer schämen und verkriechen soll.' Da setzte er sein Hütchen gerade, und alsobald fiel ein Frost, daß alle Hitze verschwand und die Speisen auf den Schüsseln anfingen zu frieren. Als nun ein paar Stunden herum waren, und der König glaubte, sie wären in der Hitze verschmachtet, ließ er die Türe öffnen und wollte selbst nach ihnen sehen. Aber wie die Türe aufging, standen sie alle sechs da, frisch und gesund, und sagten, es wäre ihnen lieb, daß sie heraus könnten, sich zu wärmen, denn bei der großen Kälte in der Stube frören die Speisen in den Schüsseln fest. Da ging der König voll Zorn hinab zu dem Koch, schalt ihn und fragte, warum er nicht getan hätte, was ihm wäre befohlen worden. Der Koch aber antwortete 'es ist Glut genug da, seht nur selbst.' Da sah der König, daß ein gewaltiges Feuer unter der Eisenstube brannte, und merkte, daß er den sechsen auf diese Weise nichts anhaben könnte.
Nun sann der König aufs neue, wie er der bösen Gäste los würde, ließ den Meister kommen und sprach 'willst du Gold nehmen, und dein Recht auf meine Tochter aufgeben, so sollst du haben, soviel du willst.' 'O ja, Herr König,' antwortete er, 'gebt mir soviel, als mein Diener tragen kann, so verlange ich Eure Tochter nicht.' Das war der König zufrieden, und jener sprach weiter 'so will ich in vierzehn Tagen kommen und es holen.' Darauf rief er alle Schneider aus dem ganzen Reich herbei, die mußten vierzehn Tage lang sitzen und einen Sack nähen. Und als er fertig war, mußte der Starke, welcher Bäume ausrupfen konnte, den Sack auf die Schulter nehmen und mit ihm zu dem König gehen. Da sprach der König 'was ist das für ein gewaltiger Kerl, der den hausgroßen Ballen Leinwand auf der Schulter trägt?' erschrak und dachte 'was wird der für Gold wegschleppen!' Da hieß er eine Tonne Gold herbringen, die mußten sechzehn der stärksten Männer tragen, aber der Starke packte sie mit einer Hand, steckte sie in den Sack und sprach 'warum bringt ihr nicht gleich mehr, das deckt ja kaum den Boden.' Da ließ der König nach und nach seinen ganzen Schatz herbeitragen, den schob der Starke in den Sack hinein, und der Sack ward davon noch nicht zur Hälfte voll. 'Schafft mehr herbei,' rief er, 'die paar Brocken füllen nicht.' Da mußten noch siebentausend Wagen mit Gold in dem ganzen Reich zusammengefahren werden: die schob der Starke samt den vorgespannten Ochsen in seinen Sack. 'Ich wills nicht lange besehen,' sprach er, 'und nehmen, was kommt, damit der Sack nur voll wird.' Wie alles darin stak, ging doch noch viel hinein, da sprach er 'ich will dem Ding nur ein Ende machen, man bindet wohl einmal einen Sack zu, wenn er auch noch nicht voll ist.' Dann huckte er ihn auf den Rücken und ging mit seinen Gesellen fort.
Als der König nun sah, wie der einzige Mann des ganzen Landes Reichtum forttrug, ward er zornig und ließ seine Reiterei aufsitzen, die sollten den sechsen nachjagen, und hatten Befehl, dem Starken den Sack wieder abzunehmen. Zwei Regimenter holten sie bald ein und riefen ihnen zu 'ihr seid Gefangene, legt den Sack mit dem Gold nieder, oder ihr werdet zusammengehauen.' 'Was sagt ihr?' sprach der Bläser, 'wir wären Gefangene? eher sollt ihr sämtlich in der Luft herumtanzen,' hielt das eine Nasenloch zu und blies mit dem andern die beiden Regimenter an, da fuhren sie auseinander und in die blaue Luft über alle Berge weg, der eine hierhin, der andere dorthin. Ein Feldwebel rief um Gnade, er hätte neun Wunden und wäre ein braver Kerl, der den Schimpf nicht verdiente. Da ließ der Bläser ein wenig nach, so daß er ohne Schaden wieder herabkam, dann sprach er zu ihm 'nun geh heim zum König und sag, er sollte nur noch mehr Reiterei schicken, ich wollte sie alle in die Luft blasen.' Der König, als er den Bescheid vernahm, sprach 'laßt die Kerle gehen, die haben etwas an sich.' Da brachten die sechs den Reichtum heim, teilten ihn unter sich und lebten vergnügt bis an ihr Ende.

 

Die sechs Schwäne

Es jagte einmal ein König in einem großen Wald und jagte einem Wild so eifrig nach, daß ihm niemand von seinen Leuten folgen konnte. Als der Abend herankam, hielt er still und blickte um sich, da sah er, daß er sich verirrt hatte. Er suchte einen Ausgang, konnte aber keinen finden. Da sah er eine alte Frau mit wackelndem Kopfe, die auf ihn zukam; das war aber eine Hexe. 'Liebe Frau,' sprach er zu ihr, 'könnt Ihr mir nicht den Weg durch den Wald zeigen?' 'O ja, Herr König,' antwortete sie, 'das kann ich wohl, aber es ist eine Bedingung dabei, wenn Ihr die nicht erfüllt, so kommt Ihr nimmermehr aus dem Wald und müßt darin Hungers sterben.' 'Was ist das für eine Bedingung?' fragte der König. 'Ich habe eine Tochter,' sagte die Alte, 'die so schön ist, wie Ihr eine auf der Welt finden könnt, und wohl verdient, Eure Gemahlin zu werden, wollt Ihr die zur Frau Königin machen, so zeige ich Euch den Weg aus dem Walde.' Der König in der Angst seines Herzens willigte ein, und die Alte führte ihn zu ihrem Häuschen, wo ihre Tochter beim Feuer saß. Sie empfing den König, als wenn sie ihn erwartet hätte, und er sah wohl, daß sie sehr schön war, aber sie gefiel ihm doch nicht, und er konnte sie ohne heimliches Grausen nicht ansehen. Nachdem er das Mädchen zu sich aufs Pferd gehoben hatte, zeigte ihm die Alte den Weg, und der König gelangte wieder in sein königliches Schloß, wo die Hochzeit gefeiert wurde.

Der König war schon einmal verheiratet gewesen, und hatte von seiner ersten Gemahlin sieben Kinder, sechs Knaben und ein Mädchen, die er über alles auf der Welt liebte. Weil er nun fürchtete, die Stiefmutter möchte sie nicht gut behandeln und ihnen gar ein Leid antun, so brachte er sie in ein einsames Schloß, das mitten in einem Walde stand. Es lag so verborgen, und der Weg war so schwer zu finden, daß er ihn selbst nicht gefunden hätte, wenn ihm nicht eine weise Frau ein Knäuel Garn von wunderbarer Eigenschaft geschenkt hätte; wenn er das vor sich hinwarf, so wickelte es sich von selbst los und zeigte ihm den Weg.

Der König ging aber so oft hinaus zu seinen lieben Kindern, daß der Königin seine Abwesenheit auffiel; sie war neugierig und wollte wissen, was er draußen ganz allein in dem Walde zu schaffen habe. Sie gab seinen Dienern viel Geld, und die verrieten ihr das Geheimnis und sagten ihr auch von dem Knäuel, das allein den Weg zeigen könnte. Nun hatte sie keine Ruhe, bis sie herausgebracht hatte, wo der König das Knäuel aufbewahrte, und dann machte sie kleine weißseidene Hemdchen, und da sie von ihrer Mutter die Hexenkünste gelernt hatte, so nähete sie einen Zauber hinein. Und als der König einmal auf die Jagd geritten war, nahm sie die Hemdchen und ging in den Wald, und das Knäuel zeigte ihr den Weg. Die Kinder, die aus der Ferne jemand kommen sahen, meinten, ihr lieber Vater käme zu ihnen, und sprangen ihm voll Freude entgegen. Da warf sie über ein jedes eins von den Hemdchen, und wie das ihren Leib berührt hatte, verwandelten sie sich in Schwäne und flogen über den Wald hinweg. Die Königin ging ganz vergnügt nach Haus und glaubte ihre Stiefkinder los zu sein, aber das Mädchen war ihr mit den Brüdern nicht entgegen gelaufen, und sie wußte nichts von ihm. Andern Tags kam der König und wollte seine Kinder besuchen, er fand aber niemand als das Mädchen. 'Wo sind deine Brüder?' fragte der König. 'Ach, lieber Vater,' antwortete es, 'die sind fort und haben mich allein zurückgelassen,' und erzählte ihm, daß es aus seinem Fensterlein mit angesehen habe, wie seine Brüder als Schwäne über den Wald weggeflogen wären, und zeigte ihm die Federn, die sie in dem Hof hatten fallen lassen, und die es aufgelesen hatte. Der König trauerte, aber er dachte nicht, daß die Königin die böse Tat vollbracht hätte, und weil er fürchtete, das Mädchen würde ihm auch geraubt, so wollte er es mit fortnehmen. Aber es hatte Angst vor der Stiefmutter, und bat den König, daß es nur noch diese Nacht im Waldschloß bleiben dürfte.

Das arme Mädchen dachte 'meines Bleibens ist nicht länger hier, ich will gehen und meine Brüder suchen.' Und als die Nacht kam, entfloh es, und ging gerade in den Wald hinein. Es ging die ganze Nacht durch und auch den andern Tag in einem fort, bis es vor Müdigkeit nicht weiter konnte. Da sah es eine Wildhütte, stieg hinauf und fand eine Stube mit sechs kleinen Betten, aber es getraute nicht sich in eins zu legen, sondern kroch unter eins, legte sich auf den harten Boden und wollte die Nacht da zubringen. Als aber die Sonne bald untergehen wollte, hörte es ein Rauschen und sah, daß sechs Schwäne zum Fenster hereingeflogen kamen. Sie setzten sich auf den Boden, und bliesen einander an und bliesen sich alle Federn ab, und ihre Schwanenhaut streifte sich ab wie ein Hemd. Da sah sie das Mädchen an und erkannte ihre Brüder, freute sich und kroch unter dem Bett hervor. Die Brüder waren nicht weniger erfreut, als sie ihr Schwesterchen erblickten, aber ihre Freude war von kurzer Dauer. 'Hier kann deines Bleibens nicht sein,' sprachen sie zu ihm, 'das ist eine Herberge für Räuber, wenn die heim kommen und finden dich, so ermorden sie dich.' 'Könnt ihr mich denn nicht beschützen?' fragte das Schwesterchen. 'Nein' antworteten sie, 'denn wir können nur eine Viertelstunde lang jeden Abend unsere Schwanenhaut ablegen, und haben in dieser Zeit unsere menschliche Gestalt, aber dann werden wir wieder in Schwäne verwandelt.' Das Schwesterchen weinte und sagte 'könnt ihr denn nicht erlöst werden?' 'Ach nein,' antworteten sie, 'die Bedingungen sind zu schwer. Du darfst sechs Jahre lang nicht sprechen und nicht lachen, und mußt in der Zeit sechs Hemdchen für uns aus Sternblumen zusammennähen. Kommt ein einziges Wort aus deinem Munde, so ist alle Arbeit verloren.' Und als die Brüder das gesprochen hatten, war die Viertelstunde herum, und sie flogen als Schwäne wieder zum Fenster hinaus.

Das Mädchen aber faßte den festen Entschluß, seine Brüder zu erlösen, und wenn es auch sein Leben kostete. Es verließ die Wildhütte, ging mitten in den Wald und setzte sich auf einen Baum und brachte da die Nacht zu. Am andern Morgen ging es aus, sammelte Sternblumen und fing an zu nähen. Reden konnte es mit niemand, und zum Lachen harte es keine Lust: es saß da und sah nur auf seine Arbeit. Als es schon lange Zeit da zugebracht hatte, geschah es, daß der König des Landes in dem Wald jagte und seine Jäger zu dem Baum kamen, auf welchem das Mädchen saß. Sie riefen es an und sagten 'wer bist du?' Es gab aber keine Antwort. 'Komm herab zu uns,' sagten sie, 'wir wollen dir nichts zuleid tun.' Es schüttelte bloß mit dem Kopf. Als sie es weiter mit Fragen bedrängten, so warf es ihnen seine goldene Halskette herab und dachte sie damit zufrieden zu stellen. Sie ließen aber nicht ab, da warf es ihnen seinen Gürtel herab, und als auch das nichts half, seine Strumpfbänder, und nach und nach alles, was es anhatte und entbehren konnte, so daß es nichts mehr als sein Hemdlein behielt.

Die Jäger ließen sich aber damit nicht abweisen, stiegen auf den Baum, hoben das Mädchen herab und führten es vor den König. Der König fragte 'wer bist du? was machst du auf dem Baum?' Aber es antwortete nicht. Er fragte es in allen Sprachen, die er wußte, aber es blieb stumm wie ein Fisch. Weil es aber so schön war, so ward des Königs Herz gerührt, und er faßte eine große Liebe zu ihm. Er tat ihm seinen Mantel um, nahm es vor sich aufs Pferd und brachte es in sein Schloß. Da ließ er ihm reiche Kleider antun, und es strahlte in seiner Schönheit wie der helle Tag, aber es war kein Wort aus ihm herauszubringen. Er setzte es bei Tisch an seine Seite, und seine bescheidenen Mienen und seine Sittsamkeit gefielen ihm so sehr, daß er sprach 'diese begehre ich zu heiraten und keine andere auf der Welt,' und nach einigen Tagen vermählte er sich mit ihr.

Der König aber hatte eine böse Mutter, die war unzufrieden mit dieser Heirat und sprach schlecht von der jungen Königin. 'Wer weiß, wo die Dirne her ist,' sagte sie, 'die nicht reden kann: sie ist eines Königs nicht würdig.' über ein Jahr, als die Königin das erste Kind zur Welt brachte, nahm es ihr die Alte weg und bestrich ihr im Schlafe den Mund mit Blut. Da ging sie zum König und klagte sie an, sie wäre eine Menschenfresserin. Der König wollte es nicht glauben und litt nicht, daß man ihr ein Leid antat. Sie saß aber beständig und nähete an den Hemdchen, und achtete auf nichts anderes. Das nächstemal, als sie wieder einen schönen Knaben gebar, übte die falsche Schwiegermutter denselben Betrug aus, aber der König konnte sich nicht entschließen, ihren Reden Glauben beizumessen. Er sprach 'sie ist zu fromm und gut, als daß sie so etwas tun könnte, wäre sie nicht stumm und könnte sie sich verteidigen, so würde ihre Unschuld an den Tag kommen.' Als aber das drittemal die Alte das neugeborne Kind raubte und die Königin anklagte, die kein Wort zu ihrer Verteidigung vorbrachte, so konnte der König nicht anders, er mußte sie dem Gericht übergeben, und das verurteilte sie, den Tod durchs Feuer zu erleiden.

Als der Tag herankam, wo das Urteil sollte vollzogen werden, da war zugleich der letzte Tag von den sechs Jahren herum, in welchem sie nicht sprechen und nicht lachen durfte, und sie hatte ihre lieben Brüder aus der Macht des Zaubers befreit. Die sechs Hemden waren fertig geworden, nur daß an dem letzten der linke Ärmel noch fehlte. Als sie nun zum Scheiterhaufen geführt wurde, legte sie die Hemden auf ihren Arm, und als sie oben stand und das Feuer eben sollte angezündet werden, so schaute sie sich um, da kamen sechs Schwäne durch die Luft dahergezogen. Da sah sie, daß ihre Erlösung nahte, und ihr Herz regte sich in Freude. Die Schwäne rauschten zu ihr her und senkten sich herab, so daß sie ihnen die Hemden überwerfen konnte: und wie sie davon berührt wurden, fielen die Schwanenhäute ab, und ihre Brüder standen leibhaftig vor ihr und waren frisch und schön; nur dem jüngsten fehlte der linke Arm, und er hatte dafür einen Schwanenflügel am Rücken. Sie herzten und küßten sich, und die Königin ging zu dem Könige, der ganz bestürzt war, und fing an zu reden und sagte 'liebster Gemahl' nun darf ich sprechen und dir offenbaren, daß ich unschuldig bin und fälschlich angeklagt,' und erzählte ihm von dem Betrug der Alten, die ihre drei Kinder weggenommen und verborgen hätte. Da wurden sie zu großer Freude des Königs herbeigeholt, und die böse Schwiegermutter wurde zur Strafe auf den Scheiterhaufen gebunden und zu Asche verbrannt. Der König aber und die Königin mit ihren sechs Brüdern lebten lange Jahre in Glück und Frieden.

 

Die sieben Raben

Ein Mann hatte sieben Söhne und immer noch kein Töchterchen, so sehr er sichs auch wünschte; endlich gab ihm seine Frau wieder gute Hoffnung zu einem Kinde, und wies zur Welt kam, war es auch ein Mädchen. Die Freude war groß, aber das Kind war schmächtig und klein, und sollte wegen seiner Schwachheit die Nottaufe haben. Der Vater schickte einen der Knaben eilends zur Quelle, Taufwasser zu holen: die andern sechs liefen mit, und weil jeder der erste beim Schöpfen sein wollte, so fiel ihnen der Krug in den Brunnen. Da standen sie und wußten nicht, was sie tun sollten, und keiner getraute sich heim. Als sie immer nicht zurückkamen, ward der Vater ungeduldig und sprach 'gewiß haben sies wieder über ein Spiel vergessen, die gottlosen Jungen.' Es ward ihm angst, das Mädchen müßte ungetauft verscheiden, und im ärger rief er 'ich wollte, daß die Jungen alle zu Raben würden.' Kaum war das Wort ausgeredet, so hörte er ein Geschwirr über seinem Haupt in der Luft, blickte in die Höhe und sah sieben kohlschwarze Raben auf- und davonfliegen.
Die Eltern konnten die Verwünschung nicht mehr zurücknehmen, und so traurig sie über den Verlust ihrer sieben Söhne waren, trösteten sie sich doch einigermaßen durch ihr liebes Töchterchen, das bald zu Kräften kam, und mit jedem Tage schöner ward. Es wußte lange Zeit nicht einmal, daß es Geschwister gehabt hatte, denn die Eltern hüteten sich, ihrer zu erwähnen, bis es eines Tags von ungefähr die Leute von sich sprechen hörte, das Mädchen wäre wohl schön, aber doch eigentlich schuld an dem Unglück seiner sieben Brüder. Da ward es ganz betrübt, ging zu Vater und Mutter und fragte, ob es denn Brüder gehabt hätte, und wo sie hingeraten wären. Nun durften die Eltern das Geheimnis nicht länger verschweigen, sagten jedoch, es sei so des Himmels Verhängnis und seine Geburt nur der unschuldige Anlaß gewesen. Allein das Mädchen machte sich täglich ein Gewissen daraus und glaubte, es müßte seine Geschwister wieder erlösen. Es hatte nicht Ruhe und Rast, bis es sich heimlich aufmachte und in die weite Welt ging, seine Brüder irgendwo aufzuspüren und zu befreien, es möchte kosten, was es wollte. Es nahm nichts mit sich als ein Ringlein von seinen Eltern zum Andenken, einen Laib Brot für den Hunger, ein Krüglein Wasser für den Durst und ein Stühlchen für die Müdigkeit.
Nun ging es immerzu, weit weit, bis an der Welt Ende. Da kam es zur Sonne, aber die war zu heiß und fürchterlich, und fraß die kleinen Kinder. Eilig lief es weg und lief hin zu dem Mond, aber der war gar zu kalt und auch grausig und bös, und als er das Kind merkte, sprach er 'ich rieche rieche Menschenfleisch.' Da machte es sich geschwind fort und kam zu den Sternen, die waren ihm freundlich und gut, und jeder saß auf seinem besondern Stühlchen. Der Morgenstern aber stand auf, gab ihm ein Hinkelbeinchen und sprach 'wenn du das Beinchen nicht hast, kannst du den Glasberg nicht aufschließen, und in dem Glasberg, da sind deine Brüder.'
Das Mädchen nahm das Beinchen, wickelte es wohl in ein Tüchlein, und ging wieder fort, so lange, bis es an den Glasberg kam. Das Tor war verschlossen und es wollte das Beinchen hervorholen, aber wie es das Tüchlein aufmachte, so war es leer, und es hatte das Geschenk der guten Sterne verloren. Was sollte es nun anfangen? seine Brüder wollte es erretten und hatte keinen SchIüssel zum Glasberg. Das gute Schwesterchen nahm ein Messer, schnitt sich ein kleines Fingerchen ab, steckte es in das Tor und schloß glücklich auf. Als es eingegangen war, kam ihm ein Zwerglein entgegen, das sprach 'mein Kind, was suchst du?' 'Ich suche meine Brüder, die sieben Raben,' antwortete es. Der Zwerg sprach 'die Herren Raben sind nicht zu Haus, aber willst du hier so lang warten, bis sie kommen, so tritt ein.' Darauf trug das Zwerglein die Speise der Raben herein auf sieben Tellerchen und in sieben Becherchen, und von jedem Tellerchen aß das Schwesterchen ein Bröckchen, und aus jedem Becherchen trank es ein SchIückchen; in das letzte Becherchen aber ließ es das Ringlein fallen, das es mitgenommen hatte.
Auf einmal hörte es in der Luft ein Geschwirr und ein Geweh, da sprach das Zwerglein 'jetzt kommen die Herren Raben heim geflogen.' Da kamen sie, wollten essen und trinken, und suchten ihre Tellerchen und Becherchen. Da sprach einer nach dem andern 'wer hat von meinem Tellerchen gegessen? wer hat aus meinem Becherchen getrunken? das ist eines Menschen Mund gewesen.' Und wie der siebente auf den Grund des Bechers kam, rollte ihm das Ringlein entgegen. Da sah er es an und erkannte, daß es ein Ring von Vater und Mutter war, und sprach 'Gott gebe, unser Schwesterlein wäre da, so wären wir erlöst.' Wie das Mädchen, das hinter der Türe stand und lauschte, den Wunsch hörte, so trat es hervor, und da bekamen alle die Raben ihre menschliche Gestalt wieder. Und sie herzten und küßten einander, und zogen fröhlich heim.

 

Simeliberg

Es waren zwei Brüder, einer war reich, der andere arm. Der Reiche aber gab dem Armen nichts, und er mußte sich vom Kornhandel kümmerlich ernähren; da ging es ihm oft so schlecht, daß er für seine Frau und Kinder kein Brot hatte. Einmal fuhr er mit seinem Karren durch den Wald, da erblickte er zur Seite einen großen, kahlen Berg, und weil er den noch nie gesehen hatte, hielt er still und betrachtete ihn mit Verwunderung. Wie er so stand, sah er zwölf wilde, große Männer daherkommen. Weil er nun glaubte, das wären Räuber, schob er seinen Karren ins Gebüsch und stieg auf einen Baum und wartete, was da geschehen würde. Die zwölf Männer gingen aber vor den Berg und riefen: "Berg Semsi, Berg Semsi, tu dich auf." Alsbald tat sich der Berg in der Mitte auf, und die zwölfe gingen hinein, und wie sie drin waren, schloß er sich zu. Über eine kleine Weile aber tat er sich wieder auf, und die Männer kamen heraus und trugen schwere Säcke auf den Rücken, und wie sie alle wieder am Tageslicht waren, sprachen sie: "Berg Semsi, Berg Semsi, tu dich zu." Da fuhr der Berg zusammen, und es war kein Eingang mehr an ihm zu sehen, und die zwölfe gingen fort. Als sie ihm nun ganz aus den Augen waren, stieg der Arme vom Baum herunter und war neugierig, was wohl im Berge Heimliches verborgen wäre. Also ging er davor und sprach:
"Berg Semsi, Berg Semsi, tu dich auf", und der Berg tat sich auch vor ihm auf. Da trat er hinein, und der ganze Berg war eine Höhle voll Silber und Gold, und hinten lagen große Haufen,Perlen und blitzende Edelsteine wie Korn aufgeschüttet. Der Arme wußte gar nicht, was er anfangen sollte und ob er sich etwas von den Schätzen nehmen dürfe; endlich füllte er sich die Taschen mit Gold, die Perlen und Edelsteine aber ließ er liegen. Als er wieder herauskam, sprach er gleichfalls: "Berg Semsi, Berg Semsi, tu dich zu", da schloß sich der Berg, und er fuhr mit seinem Karren nach Haus. Nun konnte er mit seinem Golde für Frau und Kind Brot und auch Wein dazu kaufen, lebte fröhlich und redlich, gab den Armen und tat jedermann Gutes. Als aber das Gold zu Ende war, ging er zu seinem Bruder, lieh einen Scheffel und holte sich von neuem; doch rührte er von den großen Schätzen nichts an. Wie er sich zum drittenmal etwas holen wollte, borgte er sich bei seinem Bruder abermals den Scheffel. Der Reiche aber war schon lange neidisch auf sein Vermögen und den schönen Haushalt, den er sich eingerichtet hatte, und konnte nicht begreifen, woher der Reichtum käme und was sein Bruder mit dem Scheffel anfinge. Da dachte er eine List aus und bestrich den Boden mit Pech, und wie er das Maß zurückbekam, so war ein Goldstück darin hängengeblieben. Alsbald ging er zu seinem Bruder und fragte ihn: "Was hast du mit dem Scheffel gemessen?" "Korn und Gerste", sagte der andere. Da zeigte er ihm das Goldstück und drohte ihm, wenn er nicht die Wahrheit sagte, so wollt' er ihn beim Gericht verklagen. Er erzählte ihm nun alles, wie es zugegangen war. Der Reiche aber ließ gleich einen Wagen anspannen, fuhr hinaus, wollte die Gelegenheit besser benutzen und ganz andere Schätze mitbringen. Wie er vor den Berg kam, rief er: "Berg Semsi, Berg Semsi, tu dich auf." Der Berg tat sich auf, und er ging hinein. Da lagen die Reichtümer alle vor ihm, und er wußte lange nicht, wozu er am ersten greifen sollte, endlich lud er Edelsteine auf, soviel er tragen konnte. Er wollte seine Last hinausbringen, weil aber Herz und Sinn ganz voll von den Schätzen waren, hatte er darüber den Namen des Berges vergessen und rief: "Berg Simeli, Berg Simeli, tu dich auf." Aber das war der rechte Name nicht, und der Berg blieb verschlossen. Da ward ihm angst, aber je länger er nachsann, desto mehr verwirrten sich seine Gedanken und alle Schätze halfen ihm nichts mehr. Am Abend tat sich der Berg auf, und die zwölf Räuber kamen herein, und als sie ihn sahen, lachten sie und riefen: "Vogel, haben wir dich endlich, meinst du, wir hätten's nicht gemerkt, daß du zweimal hereingekommen bist? Aber wir konnten dich nicht fangen, zum drittenmal sollst du nicht wieder heraus." Da rief er: "Ich war's nicht, mein Bruder war's", aber er mochte sagen, was er wollte, sie schlugen ihm das Haupt ab.

 

Der starke Hans

Es war einmal ein Mann und eine Frau, die hatten nur ein einziges Kind, und lebten in einem abseits gelegenen Tale ganz allein. Es trug sich zu, daß die Mutter einmal ins Holz ging, Tannenreiser zu lesen, und den kleinen Hans, der erst zwei Jahre alt war, mitnahm. Da es gerade in der Frühlingszeit war und das Kind seine Freude an den bunten Blumen hatte, so ging sie immer weiter mit ihm in den Wald hinein. Plötzlich sprangen aus dem Gebüsch zwei Räuber hervor, packten die Mutter und das Kind und führten sie tief in den schwarzen Wald, wo Jahr aus Jahr ein kein Mensch hinkam. Die arme Frau bat die Räuber inständig, sie mit ihrem Kinde freizulassen, aber das Herz der Räuber war von Stein: sie hörten nicht auf ihr Bitten und Flehen und trieben sie mit Gewalt an weiterzugehen.
Nachdem sie etwa zwei Stunden durch Stauden und Dörner sich hatten durcharbeiten müssen, kamen sie zu einem Felsen, wo eine Türe war, an welche die Räuber klopften, und die sich alsbald öffnete. Sie mußten durch einen langen dunkelen Gang und kamen endlich in eine große Höhle, die von einem Feuer, das auf dem Herd brannte, erleuchtet war. An der Wand hingen Schwerter, Säbel und andere Mordgewehre, die in dem Lichte blinkten, und in der Mitte stand ein schwarzer Tisch, an dem vier andere Räuber saßen und spielten, und obenan saß der Hauptmann. Dieser kam, als er die Frau sah, herbei, redete sie an und sagte, sie sollte nur ruhig und ohne Angst sein, sie täten ihr nichts zuleid, aber sie müßte das Hauswesen besorgen, und wenn sie alles in Ordnung hielte, so sollte sie es nicht schlimm bei ihnen haben. Darauf gaben sie ihr etwas zu essen und zeigten ihr ein Bett, wo sie mit ihrem Kinde schlafen könnte.
Die Frau blieb viele Jahre bei den Räubern, und Hans ward groß und stark. Die Mutter erzählte ihm Geschichten und lehrte ihn in einem alten Ritterbuch, das sie in der Höhle fand, lesen. Als Hans neun Jahr alt war, machte er sich aus einem Tannenast einen starken Knüttel und versteckte ihn hinter das Bett: dann ging er zu seiner Mutter und sprach 'liebe Mutter, sage mir jetzt einmal, wer mein Vater ist, ich will und muß es wissen.' Die Mutter schwieg still und wollte es ihm nicht sagen, damit er nicht das Heimweh bekäme; sie wußte auch, daß die gottlosen Räuber den Hans doch nicht fortlassen würden; aber es hätte ihr fast das Herz zersprengt, daß Hans nicht sollte zu seinem Vater kommen. In der Nacht, als die Räuber von ihrem Raubzug heimkehrten, holte Hans seinen Knüttel hervor, stellte sich vor den Hauptmann und sagte 'jetzt will ich wissen, wer mein Vater ist, und wenn du mirs nicht gleich sagst, so schlag ich dich nieder.' Da lachte der Hauptmann und gab dem Hans eine Ohrfeige, daß er unter den Tisch kugelte.
Hans machte sich wieder auf, schwieg und dachte 'ich will noch ein Jahr warten und es dann noch einmal versuchen, vielleicht gehts besser.' Als das Jahr herum war, holte er seinen Knüttel wieder hervor, wischte den Staub ab, betrachtete ihn und sprach 'es ist ein tüchtiger wackerer Knüttel.' Nachts kamen die Räuber heim, tranken Wein, einen Krug nach dem anderen, und fingen an die Köpfe zu hängen. Da holte der Hans seinen Knüttel herbei, stellte sich wieder vor den Hauptmann und fragte ihn, wer sein Vater wäre. Der Hauptmann gab ihm abermals eine so kräftige Ohrfeige, daß Hans unter den Tisch rollte, aber es dauerte nicht lange, so war er wieder oben und schlug mit seinem Knüttel auf den Hauptmann und die Räuber, daß sie Arme und Beine nicht mehr regen konnten. Die Mutter stand in einer Ecke und war voll Verwunderung über seine Tapferkeit und Stärke. Als Hans mit seiner Arbeit fertig war, ging er zu seiner Mutter und sagte 'jetzt ist mirs Ernst gewesen, aber jetzt muß ich auch wissen, wer mein Vater ist.' 'Lieber Hans,' antwortete die Mutter, 'komm, wir wollen gehen und ihn suchen, bis wir ihn finden.' Sie nahm dem Hauptmann den Schlüssel zu der Eingangstüre ab, und Hans holte einen großen Mehlsack, packte Gold, Silber, und was er sonst noch für schöne Sachen fand, zusammen, bis er voll war, und nahm ihn dann auf den Rücken. Sie verließen die Höhle, aber was tat Hans die Augen auf, als er aus der Finsternis heraus in das Tageslicht kam, und den grünen Wald, Blumen und Vögel und die Morgensonne am Himmel erblickte. Er stand da und staunte alles an, als wenn er nicht recht gescheit wäre.
Die Mutter suchte den Weg nach Haus, und als sie ein paar Stunden gegangen waren, so kamen sie glücklich in ihr einsames Tal und zu ihrem Häuschen. Der Vater saß unter der Türe, er weinte vor Freude, als er seine Frau erkannte, und hörte, daß Hans sein Sohn war, die er beide längst für tot gehalten hatte. Aber Hans, obgleich erst zwölf Jahr alt, war doch einen Kopf größer als sein Vater. Sie gingen zusammen in das Stübchen, aber kaum hatte Hans seinen Sack auf die Ofenbank gesetzt, so fing das ganze Haus an zu krachen, die Bank brach ein und dann auch der Fußboden, und der schwere Sack sank in den Keller hinab. 'Gott behüte uns,' rief der Vater, 'was ist das? jetzt hast du unser Häuschen zerbrochen.' 'Laßt Euch keine grauen Haare darüber wachsen, lieber Vater,' antwortete Hans, 'da in dem Sack steckt mehr, als für ein neues Haus nötig ist.' Der Vater und Hans fingen auch gleich an, ein neues Haus zu bauen, Vieh zu erhandeln und Land zu kaufen und zu wirtschaften. Hans ackerte die Felder, und wenn er hinter dem Pflug ging und ihn in die Erde hineinschob, so hatten die Stiere fast nicht nötig zu ziehen. Den nächsten Frühling sagte Hans 'Vater, behaltet alles Geld und laßt mir einen zentnerschweren Spazierstab machen, damit ich in die Fremde gehen kann.' Als der verlangte Stab fertig war, verließ er seines Vaters Haus, zog fort und kam in einen tiefen und finstern Wald. Da hörte er etwas knistern und knastern, schaute um sich und sah eine Tanne, die von unten bis oben wie ein Seil gewunden war: und wie er die Augen in die Höhe richtete, so erblickte er einen großen Kerl, der den Baum gepackt hatte und ihn wie eine Weidenrute umdrehte. 'He!, rief Hans, 'was machst du da droben?' Der Kerl antwortete 'ich habe gestern Reiswellen zusammengetragen und will mir ein Seil dazu drehen.' 'Das laß ich mir gefallen,' dachte Hans, 'der hat Kräfte,' und rief ihm zu, 'laß du das gut sein und komm mit mir.' Der Kerl kletterte von oben herab und war einen ganzen Kopf größer als Hans, und der war doch auch nicht klein. 'Du heißest jetzt Tannendreher,' sagte Hans zu ihm. Sie gingen darauf weiter und hörten etwas klopfen und hämmern, so stark, daß bei jedem Schlag der Erdboden zitterte.
Bald darauf kamen sie zu einem mächtigen Felsen, vor dem stand ein Riese und schlug mit der Faust große Stücke davon ab. Als Hans fragte, was er da vorhätte, antwortete er 'wenn ich nachts schlafen will, so kommen Bären, Wölfe und anderes Ungeziefer der Art, die schnuppern und schnuffeln an mir herum und lassen mich nicht schlafen, da will ich mir ein Haus bauen und mich hineinlegen, damit ich Ruhe habe.' 'Ei ja wohl,' dachte Hans, 'den kannst du auch noch brauchen,' und sprach zu ihm 'laß das Hausbauen gut sein und geh mit mir, du sollst der Felsenklipperer heißen!' Er willigte ein, und sie strichen alle drei durch den Wald hin, und wo sie hinkamen, da wurden die wilden Tiere aufgeschreckt und liefen vor ihnen weg. Abends kamen sie in ein altes verlassenes Schloß, stiegen hinauf und legten sich in den Saal schlafen.
Am andern Morgen ging Hans hinab in den Garten, der war ganz verwildert und stand voll Dörner und Gebüsch. Und wie er so herumging, sprang ein Wildschwein auf ihn los: er gab ihm aber mit seinem Stab einen Schlag, daß es gleich niederfiel. Dann nahm er es auf die Schulter und brachte es hinauf; da steckten sie es an einen Spieß, machten sich einen Braten zurecht und waren guter Dinge. Nun verabredeten sie, daß jeden Tag, der Reihe nach, zwei auf die Jagd gehen sollten und einer daheim bleiben und kochen, für jeden neun Pfund Fleisch. Den ersten Tag blieb der Tannendreher daheim, und Hans und der Felsenklipperer gingen auf die Jagd. Als der Tannendreher beim Kochen beschäftigt war, kam ein kleines altes zusammengeschrumpeltes Männchen zu ihm auf das Schloß und forderte Fleisch. 'Pack dich, Duckmäuser,' antwortete er, 'du brauchst kein Fleisch.' Aber wie verwunderte sich der Tannendreher, als das kleine unscheinbare Männlein an ihm hinaufsprang und mit Fäusten so auf ihn losschlug, daß er sich nicht wehren konnte, zur Erde fiel und nach Atem schnappte. Das Männlein ging nicht eher fort, als bis es seinen Zorn völlig an ihm ausgelassen hatte. Als die zwei andern von der Jagd heimkamen, sagte ihnen der Tannendreher nichts von dem alten Männchen und den SchIägen, die er bekommen hatte, und dachte 'wenn sie daheim bleiben, so können sies auch einmal mit der kleinen Kratzbürste versuchen,' und der bloße Gedanke machte ihm schon Vergnügen.
Den folgenden Tag blieb der Steinklipperer daheim, und dem ging es gerade so wie dem Tannendreher, er ward von dem Männlein übel zugerichtet, weil er ihm kein Fleisch hatte geben wollen. Als die andern abends nach Haus kamen, sah es ihm der Tannendreher wohl an, was er erfahren hatte, aber beide schwiegen still und dachten 'der Hans muß auch von der Suppe kosten.' Der Hans, der den nächsten Tag daheim bleiben mußte, tat seine Arbeit in der Küche, wie sichs gebührte, und als er oben stand und den Kessel abschaumte, kam das Männchen und forderte ohne weiteres ein Stück Fleisch. Da dachte Hans 'es ist ein armer Wicht, ich will ihm von meinem Anteil geben, damit die andern nicht zu kurz kommen,' und reichte ihm ein Stück Fleisch. Als es der Zwerg verzehrt hatte, verlangte er nochmals Fleisch, und der gutmütige Hans gab es ihm und sagte, da wäre noch ein schönes Stück, damit sollte er zufrieden sein. Der Zwerg forderte aber zum drittenmal. 'Du wirst unverschämt,' sagte Hans und gab ihm nichts. Da wollte der boshafte Zwerg an ihm hinaufspringen und ihn wie den Tannendreher und Felsenklipperer behandeln, aber er kam an den unrechten. Hans gab ihm, ohne sich anzustrengen, ein paar Hiebe, daß er die Schloßtreppe hinabsprang. Hans wollte ihm nachlaufen, fiel aber, so lang er war, über ihn hin. Als er sich wieder aufgerichtet hatte, war ihm der Zwerg voraus. Hans eilte ihm bis in den Wald nach und sah, wie er in eine Felsenhöhle schlüpfte. Hans kehrte nun heim, hatte sich aber die Stelle gemerkt.
Die beiden andern, als sie nach Haus kamen, wunderten sich, daß Hans so wohlauf war. Er erzählte ihnen, was sich zugetragen hatte, und da verschwiegen sie nicht Iänger, wie es ihnen ergangen war. Hans lachte und sagte 'es ist euch ganz recht, warum seid ihr so geizig mit eurem Fleisch gewesen, aber es ist eine Schande, ihr seid so groß und habt euch von dem Zwerge SchIäge geben lassen.' Sie nahmen darauf Korb und Seil und gingen alle drei zu der Felsenhöhle, in welche der Zwerg geschlüpft war, und ließen den Hans mit seinem Stab im Korb hinab. Als Hans auf dem Grund angelangt war, fand er eine Türe, und als er sie öffnete, saß da eine bildschöne Jungfrau, nein so schön, daß es nicht zu sagen ist, und neben ihr saß der Zwerg und grinste den Hans an wie eine Meerkatze. Sie aber war mit Ketten gebunden und blickte ihn so traurig an, daß Hans großes Mitleid empfand und dachte 'du mußt sie aus der Gewalt des bösen Zwerges erlösen,' und gab ihm einen Streich mit seinem Stab, daß er tot niedersank. Alsbald fielen die Ketten von der Jungfrau ab, und Hans war wie verzückt über ihre Schönheit. Sie erzählte ihm, sie wäre eine Königstochter, die ein wilder Graf aus ihrer Heimat geraubt und hier in den Felsen eingesperrt hätte, weil sie nichts von ihm hätte wissen wollen: den Zwerg aber hätte der Graf zum Wächter gesetzt, und er hätte ihr Leid und Drangsal genug angetan.
Darauf setzte Hans die Jungfrau in den Korb und ließ sie hinaufziehen. Der Korb kam wieder herab, aber Hans traute den beiden Gesellen nicht und dachte 'sie haben sich schon falsch gezeigt und dir nichts von dem Zwerg gesagt, wer weiß, was sie gegen dich im Schild führen.' Da legte er seinen Stab in den Korb, und das war sein Glück, denn als der Korb halb in der Höhe war, ließen sie ihn fallen, und hätte Hans wirklich darin gesessen, so wäre es sein Tod gewesen. Aber nun wußte er nicht, wie er sich aus der Tiefe herausarbeiten sollte, und wie er hin und her dachte, er fand keinen Rat. 'Es ist doch traurig,' sagte er, 'daß du da unten verschmachten sollst.' Und als er so auf- und abging, kam er wieder zu dem Kämmerchen, wo die Jungfrau gesessen hatte, und sah, daß der Zwerg einen Ring am Finger hatte, der glänzte und schimmerte. Da zog er ihn ab und steckte ihn an, und als er ihn am Finger umdrehte, so hörte er plötzlich etwas über seinem Kopf rauschen. Er blickte in die Höhe und sah da Luftgeister schweben, die sagten, er wäre ihr Herr, und fragten, was sein Begehren wäre. Hans war anfangs ganz verstummt, dann aber sagte er, sie sollten ihn hinauftragen. Augenblicklich gehorchten sie, und es war nicht anders, als flöge er hinauf.
Als er aber oben war, so war kein Mensch mehr zu sehen, und als er in das Schloß ging, so fand er auch dort niemand. Der Tannendreher und der Felsenklipperer waren fortgeeilt und hatten die schöne Jungfrau mitgeführt. Aber Hans drehte den Ring, da kamen die Luftgeister und sagten ihm, die zwei wären auf dem Meer. Hans lief und lief in einem fort, bis er zu dem Meeresstrand kam, da erblickte er weit weit auf dem Wasser ein Schiffchen, in welchem seine treulosen Gefährten saßen. Und im heftigen Zorn sprang er, ohne sich zu besinnen, mitsamt seinem Stab ins Wasser und fing an zu schwimmen, aber der zentnerschwere Stab zog ihn tief hinab, daß er fast ertrunken wäre. Da drehte er noch zu rechter Zeit den Ring, alsbald kamen die Luftgeister und trugen ihn so schnell wie der Blitz in das Schiffchen. Da schwang er seinen Stab und gab den bösen Gesellen den verdienten Lohn und warf sie hinab ins Wasser; dann aber ruderte er mit der schönen Jungfrau, die in den größten ängsten gewesen war, und die er zum zweiten Male befreit hatte, heim zu ihrem Vater und ihrer Mutter und ward mit ihr verheiratet, und haben sich alle gewaltig gefreut.

 

Der Stiefel von Büffelleder

Ein Soldat, der sich vor nichts fürchtet, kümmert sich auch um nichts. So einer hatte seinen Abschied erhalten, und da er nichts gelernt hatte und nichts verdienen konnte, so zog er umher und bat gute Leute um ein Almosen. Auf seinen Schultern hing ein alter Wettermantel, und ein paar Reiterstiefel von Büffelleder waren ihm auch noch geblieben. Eines Tages ging er, ohne auf Weg und Steg zu achten, immer ins Feld hinein und gelangte endlich in einen Wald. Er wußte nicht, wo er war, sah aber auf einem abgehauenen Baumstamm einen Mann sitzen, der gut gekleidet war und einen grünen Jägerrock trug. Der Soldat reichte ihm die Hand, ließ sich neben ihm auf das Gras nieder und streckte seine Beine aus. "Ich seh', du hast feine Stiefel an, die glänzend gewichst sind", sagte er zu dem Jäger, "wenn du aber herumziehen müßtest wie ich, so würden sie nicht lange halten. Schau die meinigen an, die sind von Büffelleder und haben schon lange gedient, gehen aber durch dick und dünn." Nach einer Weile stand der Soldat auf und sprach: "Ich kann nicht länger bleiben, der Hunger treibt mich fort. Aber, Bruder Wichsstiefel, wo hinaus geht der Weg?" "Ich weiß es selber nicht", antwortete der Jäger, "ich habe mich in dem Wald verirrt." "So geht dir's ja wie mir", sprach der Soldat, "gleich und gleich gesellt sich gern, wir wollen beieinander bleiben und den Weg suchen." Der Jäger lächelte ein wenig, und sie gingen fort, immer weiter, bis die Nacht einbrach. "Wir kommen aus dem Wald nicht heraus", sprach der Soldat, "aber ich sehe dort in der Ferne ein Licht schimmern, da wird's etwas zu essen geben." Sie fanden ein Steinhaus, klopften an die Tür, und ein altes Weib öffnete. "Wir suchen ein Nachtquartier", sprach der Soldat, "und etwas Unterfutter für den Magen; der meinige ist so leer wie ein alter Tornister." "Hier könnt ihr nicht bleiben", antwortete die Alte, "das ist ein Räuberhaus, und ihr tut am klügsten, daß ihr euch fortmacht, bevor sie heimkommen; denn finden sie euch, so seid ihr verloren." "Es wird so schlimm nicht sein", antwortete der Soldat, "ich habe seit zwei Tagen nichts genossen, und es ist mir einerlei, ob ich hier umkomme oder im Wald vor Hunger sterbe. Ich gehe herein." Der Jäger wollte nicht folgen, aber der Soldat zog ihn mit sich: "Komm, Bruderherz, es wird nicht gleich an den Kragen gehen." Die Alte hatte Mitleiden und sagte: "Kriecht hinter den Ofen, wenn sie etwas übriglassen und eingeschlafen sind, so will ich's euch zustecken." Kaum saßen sie in der Ecke, so kamen zwölf Räuber hereingestürmt, setzten sich an den Tisch und forderten mit Ungestüm das Essen. Die Alte trug einen großen Braten herein, und die Räuber ließen sich's wohl schmecken. Als der Geruch von der Speise dem Soldaten in die Nase stieg, sagte er zum Jäger: "Ich halt's nicht länger aus, ich setze mich an den Tisch und esse mit." "Du bringst uns ums Leben", sprach der Jäger und hielt ihn am Arm. Aber der Soldat fing an, laut zu husten. Als die Räuber das hörten, warfen sie Messer und Gabel hin, sprangen auf und entdeckten die beiden hinter dem Ofen. "Aha, ihr Herrn", riefen sie, "sitzt ihr in der Ecke? Was wollt ihr hier? Seid ihr als Kundschafter ausgeschickt? Wartet, ihr sollt an einem dürren Ast das Fliegen lernen!" "Nur manierlich", sprach der Soldat, "mich hungert, gebt mir zu essen, hernach könnt ihr mit mir machen, was ihr wollt." Die Räuber stutzten, und der Anführer sprach: "Ich sehe, du fürchtest dich nicht, gut, Essen sollst du haben, aber hernach mußt du sterben." "Das wird sich finden", sagte der Soldat, setzte sich an den Tisch und fing an, in den Braten einzuhauen. "Bruder Wichsstiefel, komm und iß", rief er dem Jäger zu, "du wirst auch hungrig sein, und einen bessern Braten kannst du zu Haus nicht haben", aber der Jäger wollte nicht essen. Die Räuber sahen dem Soldaten mit Erstaunen zu und sagten: "Der Kerl macht keine Umstände." Hernach sprach er: "Das Essen wäre schon gut, nun schafft auch einen guten Trunk herbei." Der Anführer war in der Laune, sich das auch noch gefallen zu lassen, und rief der Alten zu: "Hol die beste Flasche aus dem Keller." Der Soldat zog den Pfropfen heraus, daß es knallte, ging mit der Flasche zu dem Jäger und sprach: "Gib acht, Bruder, du sollst dein blaues Wunder sehen: Jetzt will ich eine Gesundheit auf die ganze Sippschaft ausbringen." Dann schwenkte er die Flasche über den Köpfen der Räuber, rief: "Ihr sollt alle leben, aber das Maul auf und die rechte Hand in die Höhe!" und tat einen herzhaften Zug. Kaum waren die Worte heraus, so saßen sie alle bewegungslos, als wären sie von Stein, hatten das Maul offen und streckten den rechten Arm in die Höhe. Der Jäger sprach zu dem Soldaten: "Ich sehe, du kannst noch andere Kunststücke, aber nun komm und laß uns heimgehen." "Oho, Bruderherz, das wäre zu früh abmarschiert, wir haben den Feind geschlagen und wollen erst Beute machen. Die sitzen da fest und sperren das Maul vor Verwunderung auf, sie dürfen sich aber nicht rühren, bis ich es erlaube. Komm, iß und trink!" Die Alte mußte noch eine Flasche von dem besten holen, und der Soldat stand nicht eher auf, als bis er wieder für drei Tage gegessen hatte. Endlich, als der Tag kam, sagte er: "Nun ist es Zeit, daß wir das Zelt abbrechen, und damit wir einen kurzen Marsch haben, so soll die Alte uns den nächsten Weg nach der Stadt zeigen." Als sie dort angelangt waren, ging er zu seinen alten Kameraden und sprach: "Ich habe draußen im Wald ein Nest voll Galgenvögel aufgefunden, kommt mit, wir wollen es ausheben." Der Soldat führte sie an und sprach zu dem Jäger: "Du mußt wieder mit und zusehen, wie sie flattern, wenn wir sie an den Füßen packen." Er stellte die Mannschaft rings um die Räuber herum, dann nahm er die Flasche, trank einen Schluck, schwenkte sie über ihnen her und rief: "Ihr sollt alle leben!" Augenblicklich hatten sie ihre Bewegung wieder, wurden aber an Händen und Füßen mit Stricken gebunden. Dann hieß sie der Soldat wie Säcke auf einen Wagen werfen und sagte: "Fahrt sie nur gleich vor das Gefängnis." Der Jäger aber nahm einen von der Mannschaft beiseite und gab ihm noch eine Bestellung mit.
"Bruder Wichsstiefel", sprach der Soldat, "wir haben den Feind glücklich überrumpelt und uns wohl genährt, jetzt wollen wir in aller Ruhe hinterher marschieren." Als sie sich der Stadt näherten, sah der Soldat, wie sich eine Menge Menschen aus dem Stadttor drängten, lautes Freudengeschrei erhuben und grüne Zweige in der Luft schwangen. Dann sah er, daß die ganze Leibwache herangezogen kam. "Was soll das heißen?" sprach er ganz verwundert zu dem Jäger. "Weißt du nicht", antwortete er, "daß der König lange Zeit aus seinem Reich entfernt war? Heute kehrt er zurück, und da gehen ihm alle entgegen." "Aber wo ist der König?" sprach der Soldat, "ich sehe ihn nicht." "Hier ist er", antwortete der Jäger, "ich bin der König und habe meine Ankunft melden lassen." Dann öffnete er seinen Jägerrock, daß man die königlichen Kleider sehen konnte. Der Soldat erschrak, fiel auf die Knie und bat ihn um Vergebung, daß er ihn in Unwissenheit wie seinesgleichen behandelt habe. Der König aber reichte ihm die Hand und sprach: "Du bist ein braver Soldat und hast mir das Leben gerettet. Du sollst keine Not mehr leiden, ich will schon für dich sorgen. Und wenn du einmal ein Stück guten Braten essen willst, so komm nur in die königliche Küche. Willst du aber eine Gesundheit ausbringen, so sollst du erst bei mir Erlaubnis dazu holen."

 

Strohhalm, Kohle und Bohne

In einem Dorfe wohnte eine arme alte Frau, die hatte ein Gericht Bohnen zusammengebracht und wollte sie kochen. Sie machte also auf ihrem Herd ein Feuer zurecht, und damit es desto schneller brennen sollte, zündete sie es mit einer Handvoll Stroh an. Als sie die Bohnen in den Topf schüttete, entfiel ihr unbemerkt eine, die auf dem Boden neben einen Strohhalm zu liegen kam; bald danach sprang auch eine glühende Kohle vom Herd zu den beiden herab. Da fing der Strohhalm an und sprach: "Liebe Freunde, von wannen kommt ihr her?" Die Kohle antwortete: "Ich bin zu gutem Glück dem Feuer entsprungen, und hätte ich das nicht mit Gewalt durchgesetzt, so war mir der Tod gewiß; ich wäre zu Asche verbrannt." Die Bohne sagte: "Ich bin auch noch mit heiler Haut davongekommen, aber hätte mich die Alte in den Topf gebracht, ich wäre ohne Barmherzigkeit zu Brei gekocht worden wie meine Kameraden." "Wäre mir denn ein besser Schicksal zuteil geworden?" sprach das Stroh. "Alle meine Brüder hat die Alte in Feuer und Rauch aufgehen lassen, sechzig hat sie auf einmal gepackt und ums Leben gebracht. Glücklicherweise bin ich ihr zwischen den Fingern durchgeschlüpft." "Was sollen wir aber nun anfangen?" sprach die Kohle. "Ich meine", antwortete die Bohne, "weil wir so glücklich dem Tode entronnen sind, so wollen wir als gute Gesellen zusammenhalten und, damit uns hier nicht wieder ein neues Unglück ereilt, gemeinschaftlich auswandern und in ein fremdes Land ziehen."
Der Vorschlag gefiel den beiden andern. Bald aber kamen sie an einen kleinen Bach, und da keine Brücke oder kein Steg da war, so wußten sie nicht, wie sie hinüberkommen sollten. Der Strohhalm fand guten Rat und sprach: "Ich will mich querüber legen, so könnt ihr auf mir wie auf einer Brücke hinübergehen." Der Strohhalm streckte sich also von einem Ufer zum andern, und die Kohle, die von hitziger Natur war, trippelte auch ganz keck auf die neugebaute Brücke. Als sie aber in die Mitte gekommen war und unter sich das Wasser rauschen hörte, war ihr doch angst. Sie blieb stehen und getraute sich nicht weiter. Der Strohhalm aber fing an zu brennen, zerbrach in zwei Stücke und fiel in den Bach. Die Kohle rutschte nach, zischte, als sie ins Wasser kam, und gab den Geist auf. Die Bohne, die vorsichtigerweise noch auf dem Ufer zurückgeblieben war, mußte über die Geschichte lachen, konnte nicht aufhören und lachte so gewaltig, daß sie zerplatzte. Nun war es ebenfalls um sie geschehen, wenn nicht zu gutem Glück ein Schneider, der auf der Wanderschaft war, sich an dem Bach ausgeruht hätte. Weil er ein mitleidiges Herz hatte, so holte er Nadel und Zwirn heraus und nähte sie zusammen. Die Bohne bedankte sich bei ihm aufs schönste, aber da er schwarzen Zwirn gebraucht hatte, so haben seit der Zeit alle Bohnen eine schwarze Naht.

 

Der süße Brei

Es war einmal ein armes frommes Mädchen, das lebte mit seiner Mutter allein, und sie hatten nichts mehr zu essen. Da ging das Kind hinaus in den Wald, und begegnete ihm da eine alte Frau, die wußte seinen Jammer schon und schenkte ihm ein Töpfchen, zu dem sollt es sagen 'Töpfchen, koche,' so kochte es guten süßen Hirsenbrei, und wenn es sagte 'Töpfchen, steh,' so hörte es wieder auf zu kochen. Das Mädchen brachte den Topf seiner Mutter heim, und nun waren sie ihrer Armut und ihres Hungers ledig und aßen süßen Brei, sooft sie wollten. Auf eine Zeit war das Mädchen ausgegangen, da sprach die Mutter 'Töpfchen, koche,' da kocht es, und sie ißt sich satt; nun will sie, daß das Töpfchen wieder aufhören soll, aber sie weiß das Wort nicht. Also kocht es fort, und der Brei steigt über den Rand hinaus und kocht immerzu, die Küche und das ganze Haus voll, und das zweite Haus und dann die Straße, als wollts die ganze Welt satt machen, und ist die größte Not, und kein Mensch weiß sich da zu helfen. Endlich, wie nur noch ein einziges Haus übrig ist, da kommt das Kind heim, und spricht nur 'Töpfchen, steh,' da steht es und hört auf zu kochen; und wer wieder in die Stadt wollte, der mußte sich durchessen.

 

Des Teufels rußiger Bruder

Ein abgedankter Soldat hatte nichts zu leben und wußte sich nicht mehr zu helfen. Da ging er hinaus in den Wald, und als er ein Weilchen gegangen war, begegnete ihm ein kleines Männchen, das war aber der Teufel. Das Männchen sagte zu ihm: "Was fehlt dir? Du siehst ja so trübselig aus." Da sprach der Soldat: "Ich habe Hunger, aber kein Geld." Der Teufel sagte: "Willst du dich bei mir vermieten und mein Knecht sein, so sollst du für dein Lebtag genug haben; sieben Jahre sollst du mir dienen, hernach bist du wieder frei. Aber eins sag' ich dir, du darfst dich nicht waschen, nicht kämmen, nicht schnippen, keine Nägel und Haare abschneiden und kein Wasser aus den Augen wischen." Der Soldat sprach: "Frisch dran, wenn's nicht anders sein kann", und ging mit dem Männchen fort, das führte ihn geradeswegs in die Hölle. Dann sagte es ihm, was er zu tun hätte: Er müßte das Feuer schüren unter den Kesseln, wo die Höllenbraten drin säßen, das Haus rein halten, den Kehrdreck hinter die Tür tragen und überall auf Ordnung sehen; aber guckte er ein einziges Mal in die Kessel hinein, so würde es ihm schlimm ergehen. Der Soldat sprach: "Es ist gut, ich will's schon besorgen." Da ging nun der alte Teufel wieder auf seine Wanderung, und der Soldat trat seinen Dienst an und tat alles, wie es befohlen war. Wie der alte Teufel wiederkam, sah er nach, ob alles geschehen war, zeigte sich zufrieden und ging zum zweitenmal fort. Der Soldat schaute sich nun einmal recht um, da standen die Kessel rings herum in der Hölle, und es war ein gewaltiges Feuer darunter, und es kochte und brutzelte darin. Er hätte für sein Leben gerne hineingeschaut, wenn es ihm der Teufel nicht so streng verboten hätte. Endlich konnte er sich nicht mehr anhalten, hob vom ersten Kessel ein klein bißchen den Deckel auf und guckte hinein. Da sah er seinen ehemaligen Unteroffizier darin sitzen: "Aha, Vogel", sprach er, "treff' ich dich hier? Du hast mich gehabt, jetzt hab' ich dich", ließ geschwind den Deckel fallen, schürte das Feuer und legte noch frisch zu.
Danach ging er zum zweiten Kessel, hob ihn auch ein wenig auf und guckte, da saß sein Fähnrich darin: "Aha, Vogel, treff' ich dich hier? Du hast mich gehabt, jetzt hab' ich dich", machte den Deckel wieder zu und trug noch einen Klotz herbei, der sollte ihm erst recht heiß machen.
Nun wollte er auch sehen, wer im dritten Kessel säße, da war's gar ein General: "Aha, Vogel, treff' ich dich hier? Du hast mich gehabt, jetzt hab' ich dich", holte den Blasbalg und ließ das Höllenfeuer recht unter ihm flackern.
Also tat er sieben Jahre seinen Dienst in der Hölle, wusch sich nicht, kämmte sich nicht, schnippte sich nicht, schnitt sich die Nägel und Haare nicht und wischte sich kein Wasser aus den Augen; und die sieben Jahre waren ihm so kurz, daß er meinte, es wäre nur ein halbes Jahr gewesen. Als nun die Zeit vollends herum war, kam der Teufel und sagte: "Nun, Hans, was hast du gemacht?" "Ich habe das Feuer unter den Kesseln geschürt, ich habe gekehrt und den Kehrdreck hinter die Tür getragen. " "Aber du hast auch in die Kessel geguckt; dein Glück ist, daß du noch Holz zugelegt hast, sonst war dein Leben verloren; jetzt ist deine Zeit herum, willst du wieder heim?" "Ja", sagte der Soldat, "ich wollt' auch gerne sehen, was mein Vater daheim macht." Sprach der Teufel: "Damit du deinen verdienten Lohn kriegst, geh und raffe dir deinen Ranzen voll Kehrdreck und nimm's mit nach Haus. Du sollst auch ungewaschen und ungekämmt gehen, mit langen Haaren am Kopf und am Bart, mit ungeschnittenen Nägeln und mit trüben Augen, und wenn du gefragt wirst, woher du kämst, sollst du sagen: ,Aus der Hölle', und wenn du gefragt wirst, wer du wärst, sollst du sagen: ,Des Teufels rußiger Bruder und mein König auch'." Der Soldat schwieg still und tat, was der Teufel sagte, aber er war mit seinem Lohn gar nicht zufrieden.Sobald er nun wieder oben im Wald war, hob er seinen Ranzen vom Rücken und wollt' ihn ausschütten. Wie er ihn aber öffnete, so war der Kehrdreck pures Gold geworden. Das hätte ich mir nicht gedacht", sprach er, war vergnügt und ging in die Stadt hinein. Vor dem Wirthaus stand der Wirt, und wie ihn der herankommen sah, erschrak er; weil Hans so entsetzlich aussah. Er rief ihn an und fragte: "Woher kommst du?" "Aus der Hölle." "Wer bist du?" "Dem Teufel sein rußiger Bruder und mein König auch." Nun wollte der Wirt ihn nicht einlassen, wie er ihm aber das Gold zeigte, klinkte er selber die Türe auf. Da ließ sich Hans die beste Stube geben und köstlich aufwarten, aß und trank sich satt, wusch sich aber nicht und kämmte sich nicht, wie ihm der Teufel geheißen hatte, und legte sich endlich schlafen. Dem Wirt aber stand der Ranzen voll Gold vor den Augen und ließ ihm keine Ruhe, bis er in der Nacht hinschlich und ihn wegstahl.
Wie nun Hans am andern Morgen aufstand, den Wirt bezahlen und weitergehen wollte, da war sein Ranzen weg. Er faßte sich aber kurz, dachte: ,Du bist ohne Schuld unglücklich gewesen', und kehrte wieder um, geradezu in die Hölle. Da klagte er dem Teufel seine Not und bat ihn um Hilfe. Der Teufel sagte: "Setze dich, ich will dich waschen, kämmen, schnippen, die Haare und die Nägel schneiden und die Augen auswischen", und als er fertig war, gab er ihm den Ranzen wieder voll Kehrdreck und sprach: "Geh hin und sage dem Wirt, er sollte dir dein Gold herausgeben, sonst wollt' ich kommen und ihn abholen, und er sollte an deinem Platz das Feuer schüren. "
Hans ging hinauf und sprach zum Wirt: "du hast mein Gold gestohlen, gibst du's nicht wieder, so kommst du in die Hölle an meinen Platz und sollst aussehen so greulich wie ich." Da gab ihm der Wirt das Gold und noch mehr dazu und bat ihn, nur still davon zu sein; und Hans war nun ein reicher Mann.
Hans machte sich auf den Weg heim zu seinem Vater, kaufte sich einen schlechten Linnenkittel auf den Leib, ging herum und machte Musik; denn das hatte er beim Teufel in der Hölle gelernt. Es war aber ein alter König im Land, vor dem mußt' er spielen, und der geriet darüber in solche Freude, daß er dem Hans seine älteste Tochter zur Ehe versprach. Als die aber hörte, daß sie so einen gemeinen Kerl im weißen Kittel heiraten sollte, sprach sie: "Eh' ich das tät', wollt' ich lieber ins tiefste Wasser gehen." Da gab ihm der König die jüngste, die wollt's ihrem Vater zuliebe gerne tun; und also bekam des Teufels rußiger Bruder die Königstochter und, als der alte König gestorben war, auch das ganze Reich.

 

Tischchen deck dich, Goldesel und Knüppel aus dem Sack

Vor Zeiten war ein Schneider, der drei Söhne hatte und nur eine einzige Ziege. Aber die Ziege, weil sie alle zusammen mit ihrer Milch ernährte, mußte ihr gutes Futter haben und täglich hinaus auf die Weide geführt werden. Die Söhne taten das auch nach der Reihe. Einmal brachte sie der äIteste auf den Kirchhof, wo die schönsten Kräuter standen, ließ sie da fressen und herumspringen. Abends, als es Zeit war heimzugehen, fragte er 'Ziege, bist du satt?' Die Ziege antwortete
ich bin so satt,
ich mag kein Blatt: meh! meh!'
'So komm nach Haus,' sprach der Junge, faßte sie am Strickchen, führte sie in den Stall und band sie fest. 'Nun,' sagte der alte Schneider, 'hat die Ziege ihr gehöriges Futter?' 'O,' antwortete der Sohn, 'die ist so satt, sie mag kein Blatt.' Der Vater aber wollte sich selbst überzeugen, ging hinab in den Stall, streichelte das liebe Tier und fragte 'Ziege, bist du auch satt?' Die Ziege antwortete
'wovon sollt ich satt sein?
ich sprang nur über Gräbelein,
und fand kein einzig Blättelein: meh! meh!,
'Was muß ich hören!, rief der Schneider, lief hinauf und sprach zu dem Jungen 'ei, du Lügner, sagst, die Ziege wäre satt, und hast sie hungern lassen?' und in seinem Zorne nahm er die Elle von der Wand und jagte ihn mit Schlägen hinaus.
Am andern Tag war die Reihe am zweiten Sohn, der suchte an der Gartenhecke einen Platz aus, wo lauter gute Kräuter standen, und die Ziege fraß sie rein ab. Abends, als er heim wollte, fragte er 'Ziege, bist du satt?' Die Ziege antwortete
'ich bin so satt'
ich mag kein Blatt: meh! meh!'
'So komm nach Haus,' sprach der Junge, zog sie heim und band sie im Stall fest. 'Nun,' sagte der alte Schneider, 'hat die Ziege ihr gehöriges Futter?' 'O,' antwortete der Sohn, 'die ist so satt, sie mag kein Blatt.' Der Schneider wollte sich darauf nicht verlassen, ging hinab in den Stall und fragte 'Ziege, bist du auch satt?' Die Ziege antwortete
'wovon sollt ich satt sein?
ich sprang nur über Gräbelein,
und fand kein einzig Blättelein: meh!'
'Der gottlose Bösewicht!' schrie der Schneider, 'so ein frommes Tier hungern zu lassen!' lief hinauf und schlug mit der Elle den Jungen zur Haustüre hinaus.
Die Reihe kam jetzt an den dritten Sohn, der wollte seine Sache gut machen, suchte Buschwerk mit dem schönsten Laube aus, und ließ die Ziege daran fressen. Abends, als er heim wollte, fragte er 'Ziege, bist du auch satt?' Die Ziege antwortete
'ich bin so satt ich
mag kein Blatt: meh! meh!'
'So komm nach Haus,' sagte der Junge, führte sie in den Stall und band sie fest. 'Nun,' sagte der alte Schneider, 'hat die Ziege ihr gehöriges Futter?' 'O,' antwortete der Sohn, 'die ist so satt, sie mag kein Blatt.' Der Schneider traute nicht, ging hinab und fragte 'Ziege, bist du auch satt?' Das boshafte Tier antwortete
'wovon sollt ich satt sein?
ich sprang nur über Gräbelein,
und fand kein einzig Blättelein: meh! meh!'
'O die Lügenbrut!, rief der Schneider, 'einer so gottlos und pflichtvergessen wie der andere! ihr sollt mich nicht länger zum Narren haben!' und vor Zorn ganz außer sich sprang er hinauf und gerbte dem armen Jungen mit der Elle den Rücken so gewaltig, daß er zum Haus hinaussprang.
Der alte Schneider war nun mit seiner Ziege allein. Am andern Morgen ging er hinab in den Stall, liebkoste die Ziege und sprach 'komm, mein liebes Tierlein, ich will dich selbst zur Weide führen.' Er nahm sie am Strick und brachte sie zu grünen Hecken und unter Schafrippe, und was sonst die Ziegen gerne fressen. 'Da kannst du dich einmal nach Herzenslust sättigen,' sprach er zu ihr, und ließ sie weiden bis zum Abend. Da fragte er 'Ziege, bist du satt?' Sie antwortete
'ich bin so satt,
ich mag kein Blatt: meh! meh!'
'So komm nach Haus,' sagte der Schneider, führte sie in den Stall und band sie fest. Als er wegging, kehrte er sich noch einmal um und sagte 'nun bist du doch einmal satt!' Aber die Ziege machte es ihm nicht besser und rief
'wie sollt ich satt sein?
ich sprang nur über Gräbelein
und fand kein einzig Blättelein: meh! meh!'
Als der Schneider das hörte' stutzte er und sah wohl, daß er seine drei Söhne ohne Ursache verstoßen hatte. 'Wart,' rief er, 'du undankbares Geschöpf, dich fortzujagen ist noch zu wenig, ich will dich zeichnen, daß du dich unter ehrbaren Schneidern nicht mehr darfst sehen lassen.' In einer Hast sprang er hinauf, holte sein Bartmesser, seifte der Ziege den Kopf ein, und schor sie so glatt wie seine flache Hand. Und weil die Elle zu ehrenvoll gewesen wäre, holte er die Peitsche und versetzte ihr solche Hiebe, daß sie in gewaltigen Sprüngen davonlief.
Der Schneider, als er so ganz einsam in seinem Hause saß, verfiel in große Traurigkeit und hätte seine Söhne gerne wiedergehabt, aber niemand wußte, wo sie hingeraten waren. Der älteste war zu einem Schreiner in die Lehre gegangen, da lernte er fleißig und unverdrossen, und als seine Zeit herum war, daß er wandern sollte, schenkte ihm der Meister ein Tischchen, das gar kein besonderes Ansehen hatte und von gewöhnlichem Holz war: aber es hatte eine gute Eigenschaft. Wenn man es hinstellte und sprach 'Tischchen, deck dich,' so war das gute Tischchen auf einmal mit einem saubern Tüchlein bedeckt, und stand da ein Teller, und Messer und Gabel daneben, und Schüsseln mit Gesottenem und Gebratenem, so viel Platz hatten, und ein großes Glas mit rotem Wein leuchtete, daß einem das Herz lachte. Der junge Gesell dachte 'damit hast du genug für dein Lebtag,' zog guter Dinge in der Welt umher und bekümmerte sich gar nicht darum, ob ein Wirtshaus gut oder schlecht und ob etwas darin zu finden war oder nicht. Wenn es ihm gefiel, so kehrte er gar nicht ein, sondern im Felde, im Wald, auf einer Wiese, wo er Lust hatte, nahm er sein Tischchen vom Rücken, stellte es vor sich und sprach 'deck dich,' so war alles da, was sein Herz begehrte.
Endlich kam es ihm in den Sinn, er wollte zu seinem Vater zurückkehren, sein Zorn würde sich gelegt haben, und mit dem Tischchen deck dich würde er ihn gerne wieder aufnehmen. Es trug sich zu, daß er auf dem Heimweg abends in ein Wirtshaus kam, das mit Gästen angefüllt war: sie hießen ihn willkommen und luden ihn ein, sich zu ihnen zu setzen und mit ihnen zu essen, sonst würde er schwerlich noch etwas bekommen. 'Nein,' antwortete der Schreiner, 'die paar Bissen will ich euch nicht vor dem Munde nehmen, lieber sollt ihr meine Gäste sein.' Sie lachten und meinten, er triebe seinen Spaß mit ihnen. Er aber stellte sein hölzernes Tischchen mitten in die Stube und sprach 'Tischchen, deck dich.' Augenblicklich war es mit Speisen besetzt, so gut, wie sie der Wirt nicht hätte herbeischaffen können, und wovon der Geruch den Gästen lieblich in die Nase stieg. 'Zugegriffen, liebe Freunde,' sprach der Schreiner, und die Gäste, als sie sahen, wie es gemeint war, ließen sich nicht zweimal bitten, rückten heran, zogen ihre Messer und griffen tapfer zu. Und was sie am meisten verwunderte, wenn eine Schüssel leer geworden war, so stellte sich gleich von selbst eine volle an ihren Platz.
Der Wirt stand in einer Ecke und sah dem Dinge zu; er wußte gar nicht, was er sagen sollte, dachte aber 'einen solchen Koch könntest du in deiner Wirtschaft wohl brauchen.' Der Schreiner und seine Gesellschaft waren lustig bis in die späte Nacht, endlich legten sie sich schlafen, und der junge Geselle ging auch zu Bett und stellte sein Wünschtischchen an die Wand. Dem Wirte aber ließen seine Gedanken keine Ruhe, es fiel ihm ein, daß in seiner Rumpelkammer ein altes Tischchen stände, das gerade so aussähe: das holte er ganz sachte herbei und vertauschte es mit dem Wünschtischchen.
Am andern Morgen zahlte der Schreiner sein Schlafgeld, packte sein Tischchen auf, dachte gar nicht daran, daß er ein falsches hätte, und ging seiner Wege. Zu Mittag kam er bei seinem Vater an, der ihn mit großer Freude empfing. 'Nun, mein lieber Sohn, was hast du gelernt?' sagte er zu ihm. 'Vater, ich bin ein Schreiner geworden.' 'Ein gutes Handwerk,' erwiderte der Alte, 'aber was hast du von deiner Wanderschaft mitgebracht?' 'Vater, das Beste, was ich mitgebracht habe, ist das Tischchen.' Der Schneider betrachtete es von allen Seiten und sagte 'daran hast du kein Meisterstück gemacht, das ist ein altes und schlechtes Tischchen.' 'Aber es ist ein Tischchen deck dich,' antwortete der Sohn, 'wenn ich es hinstelle, und sage ihm, es solle sich decken, so stehen gleich die schönsten Gerichte darauf und ein Wein dabei, der das Herz erfreut. Ladet nur alle Verwandte und Freunde ein, die sollen sich einmal laben und erquicken, denn das Tischchen macht sie alle satt.' Als die Gesellschaft beisammen war, stellte er sein Tischchen mitten in die Stube und sprach 'Tischchen, deck dich.' Aber das Tischchen regte sich nicht und blieb so leer wie ein anderer Tisch, der die Sprache nicht versteht. Da merkte der arme Geselle, daß ihm das Tischchen vertauscht war, und schämte sich, daß er wie ein Lügner dastand. Die Verwandten aber lachten ihn aus und mußten ungetrunken und ungegessen wieder heim wandern. Der Vater holte seine Lappen wieder herbei und schneiderte fort, der Sohn aber ging bei einem Meister in die Arbeit.
Der zweite Sohn war zu einem Müller gekommen und bei ihm in die Lehre gegangen. Als er seine Jahre herum hatte, sprach der Meister 'weil du dich so wohl gehalten hast, so schenke ich dir einen Esel von einer besondern Art, er zieht nicht am Wagen und trägt auch keine Säcke.' 'Wozu ist er denn nütze?' fragte der junge Geselle. 'Er speit Gold,' antwortete der Müller, 'wenn du ihn auf ein Tuch stellst und sprichst 'Bricklebrit,' so speit dir das gute Tier Goldstücke aus, hinten und vorn.' 'Das ist eine schöne Sache,' sprach der Geselle, dankte dem Meister und zog in die Welt. Wenn er Gold nötig hatte, brauchte er nur zu seinem Esel 'Bricklebrit, zu sagen, so regnete es Goldstücke, und er hatte weiter keine Mühe, als sie von der Erde aufzuheben. Wo er hinkam, war ihm das Beste gut genug, und je teurer je lieber, denn er hatte immer einen vollen Beutel. Als er sich eine Zeitlang in der Welt umgesehen hatte, dachte er 'du mußt deinen Vater aufsuchen, wenn du mit dem Goldesel kommst, so wird er seinen Zorn vergessen und dich gut aufnehmen.'
Es trug sich zu, daß er in dasselbe Wirtshaus geriet, in welchem seinem Bruder das Tischchen vertauscht war. Er führte seinen Esel an der Hand, und der Wirt wollte ihm das Tier abnehmen und anbinden, der junge Geselle aber sprach 'gebt Euch keine Mühe, meinen Grauschimmel führe ich selbst in den Stall und binde ihn auch selbst an, denn ich muß wissen, wo er steht.' Dem Wirt kam es wunderlich vor und er meinte, einer, der seinen Esel selbst besorgen müßte, hätte nicht viel zu verzehren: als aber der Fremde in die Tasche griff, zwei Goldstücke herausholte und sagte, er sollte nur etwas Gutes für ihn einkaufen, so machte er große Augen, lief und suchte das Beste, das er auftreiben konnte. Nach der Mahlzeit fragte der Gast, was er schuldig wäre, der Wirt wollte die doppelte Kreide nicht sparen und sagte, noch ein paar Goldstücke müßte er zulegen. Der Geselle griff in die Tasche, aber sein Gold war eben zu Ende. 'Wartet einen Augenblick, Herr Wirt,' sprach er, 'ich will nur gehen und Gold holen;' nahm aber das Tischtuch mit. Der Wirt wußte nicht, was das heißen sollte, war neugierig, schlich ihm nach, und da der Gast die Stalltüre zuriegelte, so guckte er durch ein Astloch. Der Fremde breitete unter dem Esel das Tuch aus, rief 'Bricklebrit,' und augenblicklich fing das Tier an, Gold zu speien von hinten und vorn, daß es ordentlich auf die Erde herabregnete. 'Ei der tausend,' sagte der Wirt, 'da sind die Dukaten bald geprägt! so ein Geldbeutel ist nicht übel!' Der Gast bezahlte seine Zeche und legte sich schlafen, der Wirt aber schlich in der Nacht herab in den Stall, führte den Münzmeister weg und band einen andern Esel an seine Stelle.
Den folgenden Morgen in der Frühe zog der Geselle mit seinem Esel ab und meinte, er hätte seinen Goldesel. Mittags kam er bei seinem Vater an, der sich freute, als er ihn wiedersah, und ihn gerne aufnahm. 'Was ist aus dir geworden, mein Sohn?' fragte der Alte. 'Ein Müller, lieber Vater,' antwortete er. 'Was hast du von deiner Wanderschaft mitgebracht?' 'Weiter nichts als einen Esel.' 'Esel gibts hier genug,' sagte der Vater, 'da wäre mir doch eine gute Ziege lieber gewesen.' 'Ja,' antwortete der Sohn, 'aber es ist kein gemeiner Esel, sondern ein Goldesel: wenn ich sage 'Bricklebrit,' so speit Euch das gute Tier ein ganzes Tuch voll Goldstücke. Laßt nur alle Verwandte herbeirufen, ich mache sie alle zu reichen Leuten.' 'Das laß ich mir gefallen,' sagte der Schneider, 'dann brauch ich mich mit der Nadel nicht weiter zu quälen,' sprang selbst fort und rief die Verwandten herbei. Sobald sie beisammen waren, hieß sie der Müller Platz machen, breitete sein Tuch aus, und brachte den Esel in die Stube. 'Jetzt gebt acht,' sagte er und rief 'Bricklebrit,' aber es waren keine Goldstücke, was herabfiel, und es zeigte sich, daß das Tier nichts von der Kunst verstand, denn es bringts nicht jeder Esel so weit. Da machte der arme Müller ein langes Gesicht, sah, daß er betrogen war, und bat die Verwandten um Verzeihung, die so arm heimgingen, als sie gekommen waren. Es blieb nichts übrig, der Alte mußte wieder nach der Nadel greifen, und der Junge sich bei einem Müller verdingen.
Der dritte Bruder war zu einem Drechsler in die Lehre gegangen, und weil es ein kunstreiches Handwerk ist, mußte er am längsten lernen. Seine Brüder aber meldeten ihm in einem Briefe, wie schlimm es ihnen ergangen wäre, und wie sie der Wirt noch am letzten Abende um ihre schönen Wünschdinge gebracht hätte. Als der Drechsler nun ausgelernt hatte und wandern sollte, so schenkte ihm sein Meister, weil er sich so wohl gehalten, einen Sack und sagte 'es liegt ein Knüppel darin.' 'Den Sack kann ich umhängen, und er kann mir gute Dienste leisten, aber was soll der Knüppel darin? der macht ihn nur schwer.' 'Das will ich dir sagen,' antwortete der Meister, 'hat dir jemand etwas zuleid getan, so sprich nur 'Knüppel, aus dem Sack,' so springt dir der Knüppel heraus unter die Leute und tanzt ihnen so lustig auf dem Rücken herum, daß sie sich acht Tage lang nicht regen und bewegen können; und eher läßt er nicht ab, als bis du sagst 'Knüppel, in den Sack.' Der Gesell dankte ihm, hing den Sack um, und wenn ihm jemand zu nahe kam und auf den Leib wollte, so sprach er 'Knüppel, aus dem Sack,' alsbald sprang der Knüppel heraus und klopfte einem nach dem andern den Rock oder Wams gleich auf dem Rücken aus, und wartete nicht erst, bis er ihn ausgezogen hatte; und das ging so geschwind, daß, eh sichs einer versah, die Reihe schon an ihm war.
Der junge Drechsler langte zur Abendzeit in dem Wirtshaus an, wo seine Brüder waren betrogen worden. Er legte seinen Ranzen vor sich auf den Tisch und fing an zu erzählen, was er alles Merkwürdiges in der Welt gesehen habe. 'Ja,' sagte er, 'man findet wohl ein Tischchen deck dich, einen Goldesel und dergleichen: lauter gute Dinge, die ich nicht verachte, aber das ist alles nichts gegen den Schatz, den ich mir erworben habe und mit mir da in meinem Sack führe.' Der Wirt spitzte die Ohren: 'was in aller Welt mag das sein?' dachte er, 'der Sack ist wohl mit lauter Edelsteinen angefüllt; den sollte ich billig auch noch haben, denn aller guten Dinge sind drei.' Als Schlafenszeit war, streckte sich der Gast auf die Bank und legte seinen Sack als Kopfkissen unter. Der Wirt, als er meinte, der Gast läge in tiefem Schlaf, ging herbei, rückte und zog ganz sachte und vorsichtig an dem Sack, ob er ihn vielleicht wegziehen und einen andern unterlegen könnte. Der Drechsler aber hatte schon lange darauf gewartet, wie nun der Wirt eben einen herzhaften Ruck tun wollte, rief er 'Knüppel, aus dem Sack.' Alsbald fuhr das Knüppelchen heraus, dem Wirt auf den Leib, und rieb ihm die Nähte, daß es eine Art hatte. Der Wirt schrie zum Erbarmen, aber je lauter er schrie. desto kräftiger schlug der Knüppel ihm den Takt dazu auf dem Rücken, bis er endlich erschöpft zur Erde fiel. Da sprach der Drechsler 'wo du das Tischchen deck dich und den Goldesel nicht wieder herausgibst, so soll der Tanz von neuem angehen.' 'Ach nein,' rief der Wirt ganz kleinlaut, 'ich gebe alles gerne wieder heraus, laßt nur den verwünschten Kobold wieder in den Sack kriechen.' Da sprach der Geselle 'ich will Gnade für Recht ergehen lassen, aber hüte dich vor Schaden!' dann rief er 'Knüppel, in den Sack!' und ließ ihn ruhen.
Der Drechsler zog am andern Morgen mit dem Tischchen deck dich und dem Goldesel heim zu seinem Vater. Der Schneider freute sich, als er ihn wiedersah, und fragte auch ihn, was er in der Fremde gelernt hätte. 'Lieber Vater,' antwortete er, 'ich bin ein Drechsler geworden.' 'Ein kunstreiches Handwerk,' sagte der Vater, 'was hast du von der Wanderschaft mitgebracht?' 'Ein kostbares Stück, lieber Vater,' antwortete der Sohn, 'einen Knüppel in dem Sack.' 'Was!, rief der Vater, 'einen Knüppel! das ist der Mühe wert! den kannst du dir von jedem Baume abhauen.' 'Aber einen solchen nicht, lieber Vater: sage ich 'Knüppel, aus dem Sack,' so springt der Knüppel heraus und macht mit dem, der es nicht gut mit mir meint, einen schlimmen Tanz, und läßt nicht eher nach, als bis er auf der Erde liegt und um gut Wetter bittet. Seht Ihr, mit diesem Knüppel habe ich das Tischchen deck dich und den Goldesel wieder herbeigeschafft, die der diebische Wirt meinen Brüdern abgenommen hatte. Jetzt laßt sie beide rufen und ladet alle Verwandten ein, ich will sie speisen und tränken und will ihnen die Taschen noch mit Gold füllen.'
Der alte Schneider wollte nicht recht trauen, brachte aber doch die Verwandten zusammen. Da deckte der Drechsler ein Tuch in die Stube, führte den Goldesel herein und sagte zu seinem Bruder 'nun, lieber Bruder, sprich mit ihm.' Der Müller sagte 'Bricklebrit,' und augenblicklich sprangen die Goldstücke auf das Tuch herab, als käme ein Platzregen, und der Esel hörte nicht eher auf, als bis alle so viel hatten, daß sie nicht mehr tragen konnten. (Ich sehe dirs an, du wärst auch gerne dabei gewesen.) Dann holte der Drechsler das Tischchen und sagte 'lieber Bruder, nun sprich mit ihm.' Und kaum hatte der Schreiner 'Tischchen, deck dich, gesagt, so war es gedeckt und mit den schönsten Schüsseln reichlich besetzt. Da ward eine Mahlzeit gehalten, wie der gute Schneider noch keine in seinem Hause erlebt hatte, und die ganze Verwandtschaft blieb beisammen bis in die Nacht, und waren alle lustig und vergnügt. Der Schneider verschloß Nadel und Zwirn, Elle und Bügeleisen in einen Schrank, und lebte mit seinen drei Söhnen in Freude und Herrlichkeit.
Wo ist aber die Ziege hingekommen, die schuld war, daß der Schneider seine drei Söhne fortjagte? Das will ich dir sagen. Sie schämte sich, daß sie einen kahlen Kopf hatte, lief in eine Fuchshöhle und verkroch sich hinein. Als der Fuchs nach Haus kam, funkelten ihm ein paar große Augen aus der Dunkelheit entgegen, daß er erschrak und wieder zurücklief. Der Bär begegnete ihm, und da der Fuchs ganz verstört aussah, so sprach er 'was ist dir, Bruder Fuchs, was machst du für ein Gesicht?' 'Ach,' antwortete der Rote, 'ein grimmig Tier sitzt in meiner Höhle und hat mich mit feurigen Augen angeglotzt.' 'Das wollen wir bald austreiben,' sprach der Bär, ging mit zu der Höhle und schaute hinein; als er aber die feurigen Augen erblickte, wandelte ihn ebenfalls Furcht an: er wollte mit dem grimmigen Tiere nichts zu tun haben und nahm Reißaus. Die Biene begegnete ihm, und da sie merkte, daß es ihm in seiner Haut nicht wohl zumute war, sprach sie 'Bär, du machst ja ein gewaltig verdrießlich Gesicht, wo ist deine Lustigkeit geblieben?' 'Du hast gut reden,' antwortete der Bär, 'es sitzt ein grimmiges Tier mit Glotzaugen in dem Hause des Roten, und wir können es nicht herausjagen.' Die Biene sprach 'du dauerst mich, Bär, ich bin ein armes schwaches Geschöpf, das ihr im Wege nicht anguckt, aber ich glaube doch, daß ich euch helfen kann.' Sie flog in die Fuchshöhle, setzte sich der Ziege auf den glatten geschorenen Kopf und stach sie so gewaltig, daß sie aufsprang, 'meh! meh!' schrie, und wie toll in die Welt hineinlief; und weiß niemand auf diese Stunde, wo sie hingelaufen ist.

 

Von dem Tode des Hühnchens

Auf eine Zeit ging das Hühnchen mit dem Hähnchen in den Nußberg, und sie machten miteinander aus, wer einen Nußkern fände, sollte ihn mit dem andern teilen. Nun fand das Hühnchen eine große, große Nuß, sagte aber nichts davon und wollte den Kern allein essen. Der Kern aber war so dick, daß es ihn nicht hinunterschlucken konnte und er ihm im Hals steckenblieb, daß ihm angst wurde, es müßte ersticken. Da schrie das Hühnchen: "Hähnchen, ich bitte dich, lauf, was du kannst, und hol mir Wasser, sonst erstick' ich." Das Hähnchen lief, was es konnte, zum Brunnen und sprach: "Born, du sollst mir Wasser geben; das Hühnchen liegt auf dem Nußberg, hat einen großen Nußkern geschluckt und will ersticken." Der Brunnen antwortete: "Lauf erst hin zur Braut und laß dir rote Seide geben." Das Hähnchen lief zur Braut: "Braut, du sollst mir rote Seide geben, rote Seide will ich dem Brunnen geben, der Brunnen soll mir Wasser geben, das Wasser will ich dem Hühnchen bringen, das liegt auf dem Nußberg, hat einen großen Nußkern geschluckt und will daran ersticken." Die Braut antwortete: "Lauf erst und hol mir mein Kränzlein, das blieb an einer Weide hängen." Da lief das Hähnchen zur Weide und zog das Kränzlein von dem Ast und brachte es der Braut, und die Braut gab ihm rote Seide dafür, die brachte es dem Brunnen, der gab ihm Wasser dafür. Da brachte das Hähnchen das Wasser zum Hühnchen, wie es aber hinkam, war dieweil das Hühnchen erstickt und lag da tot und regte sich nicht. Da war das Hähnchen so traurig, daß es laut schrie, und kamen alle Tiere und beklagten das Hühnchen; und sechs Mäuse bauten einen kleinen Wagen, das Hühnchen darin zum Grabe zu fahren; und als der Wagen fertig war, spannten sie sich davor, und das Hähnchen fuhr. Auf dem Wege aber kam der Fuchs: "Wo willst du hin, Hähnchen?" - "Ich will mein Hühnchen begraben." - "Darf ich mitfahren?" "Ja, aber setz dich hinten auf den Wagen, vorn können's meine Pferdchen nicht vertragen." Da setzte sich der Fuchs hinten auf, dann der Wolf, der Bär, der Hirsch, der Löwe und alle Tiere in dem Wald. So ging die Fahrt fort, da kamen sie an einen Bach. "Wie sollen wir nun hinüber?" sagte das Hähnchen. Da lag ein Strohhalm am Bach, der sagte: "Ich will mich quer drüber legen, so könnt ihr über mich fahren." Wie aber die sechs Mäuse auf die Brücke kamen, rutschte der Strohhalm und fiel ins Wasser, und die sechs Mäuse fielen alle hinein und ertranken. Da ging die Not von neuem an, und kam eine Kohle und sagte: "Ich bin groß genug, ich will mich darüber legen, und ihr sollt über mich fahren." Die Kohle legte sich auch an das Wasser, aber sie berührte es unglücklicherweise ein wenig, da zischte sie, verlöschte und war tot. Wie das ein Stein sah, erbarmte er sich und wollte dem Hähnchen helfen und legte sich über das Wasser. Da zog nun das Hähnchen den Wagen selber, wie es ihn aber bald drüben hatte und mit dem toten Hühnchen auf dem Land war und die andern, die hinten aufsaßen, auch heranziehen wollte, da waren ihrer zuviel geworden, und der Wagen fiel zurück, und alles fiel miteinander das Wasser und ertrank. Da war das Hähnchen noch allein mit dem toten Hühnchen und grub ihm ein Grab und legte es hinein; dann setzte es sich dazu, bis es auch starb; und da war alles tot.

 

Der Trommler

Eines Abends ging ein junger Trommler ganz allein über das Feld und kam an einen See, da sah er an dem Ufer drei Stückchen weiße Leinewand liegen. "Was für feines Leinen", sprach er und steckte eins davon in die Tasche. Er ging heim, dachte nicht weiter an seinen Fund und legte sich zu Bett. Als er eben einschlafen wollte, war es ihm, als nenne jemand seinen Namen. Er horchte und vernahm eine leise Stimme, die ihm zurief: "Trommeler, Trommeler, wach auf!" Er konnte, da es finstere Nacht war, niemand sehen, aber es kam ihm vor, als schwebte eine Gestalt vor seinem Bett auf und ab. "Was willst du?" fragte er. "Gib mir mein Hemdchen zurück", antwortete die Stimme, "das du mir gestern abend am See weggenommen hast." "Du sollst es wiederhaben", sprach der Trommler, "wenn du mir sagst, wer du bist." "Ach", erwiderte die Stimme, "ich bin die Tochter eines mächtigen Königs, aber ich bin in die Gewalt einer Hexe geraten und bin auf den Glasbcrg gebannt. Jeden Tag muß ich mich mit meinen zwei Schwestern im See baden, aber ohne mein Hemdchen kann ich nicht wieder fortfliegen. Meine Schwestern haben sich fortgemacht, ich aber habe zurückbleiben müssen. Ich bitte dich, gib mir mein Hemdchen wieder." "Sei ruhig. armes Kind", sprach der Trommler, "ich will dir's gerne zurückgeben." Er holte es aus seiner Tasche und reichte es ihr in der Dunkelheit hin. Sie erfaßte es hastig und wollte damit fort. "Weile einen Augenblick", sagte er, "vielleicht kann ich dir helfen." "Helfen kannst du mir nur, wenn du auf den Glasberg steigst und mich aus der Gewalt der Hexe befreist. Aber zu dem Glasberg kommst du nicht, und wenn du auch ganz nahe daran wärst." "Was ich will, das kann ich", sagte der Trommler, "ich habe Mitleid mit dir, und ich fürchte mich vor nichts. Aber ich weiß den Weg nicht, der nach dem Glasberge führt." "Der Weg geht durch den großen Wald, in dem die Menschenfresser hausen", antwortete sie, "mehr darf ich dir nicht sagen." Darauf hörte er, wie sie fortschwirrte.
Bei Anbruch des Tags machte sich der Trommler auf, hing seine Trommel um und ging ohne Furcht geradezu in den Wald hinein. Als er ein Weilchen gegangen war und keinen Riesen erblickte, so dachte er: ,Ich muß die Langschläfer aufwecken', hing die Trommel vor und schlug einen Wirbel, daß die Vögel aus den Bäumen mit Geschrei aufflogen. Nicht lange, so erhob sich auch ein Riese in die Höhe, der im Gras gelegen und geschlafen hatte, und war so groß wie eine Tanne. "Du Wicht", rief er ihm zu, "was trommelst du hier und weckst mich aus dem besten Schlaf?" "Ich trommle", antwortete er, "weil viele Tausende hinter mir herkommen, damit sie den Weg wissen." "Was wollen die hier in meinem Wald?" fragte der Riese. "Sie wollen dir den Garaus machen und den Wald von einem Ungetüm, wie du bist, säubern." "Oho", sagte der Riese, "ich trete euch wie Ameisen tot." "Meinst du, du könntest gegen sie etwas ausrichten?" sprach der Trommler, "wenn du dich bückst, um einen zu packen, so springt er fort und versteckt sich; wie du dich aber niederlegst und schläfst, so kommen sie aus allen Gebüschen herbei und kriechen an dir hinauf. Jeder hat einen Hammer von Stahl am Gürtel stecken, damit schlagen sie dir den Schädel ein." Der Riese ward verdrießlich und dachte: ,Wenn ich mich mit dem listigen Volk befasse, so könnte es doch zu meinem Schaden ausschlagen. Wölfen und Bären drücke ich die Gurgel zusammen, aber vor den Erdwürmern kann ich mich nicht schützen.' "Hör, kleiner Kerl", sprach er, "zieh wieder ab, ich verspreche dir, daß ich dich und deine Gesellen in Zukunft in Ruhe lassen will, und hast du noch einen Wunsch, so sag's mir, ich will dir wohl etwas zu Gefallen tun." "Du hast lange Beine und kannst schneller laufen als ich, trag mich zum Glasberge, so will ich den Meinigen ein Zeichen zum Rückzug geben, und sie sollen dich diesmal in Ruhe lassen." "Komm her, Wurm", sprach der Riese, "setz dich auf meine Schulter, ich will dich tragen, wohin du verlangst." Der Riese hob ihn hinauf, und der Trommler fing oben an, nach Herzenslust auf der Trommel zu wirbeln. Der Riese dachte: ,Das wird das Zeichen sein, daß das andere Volk zurückgehen soll.' Nach einer Weile stand ein zweiter Riese am Weg, der nahm den Trommler dem ersten ab und steckte ihn in sein Knopfloch. Der Trommler faßte den Knopf, der groß wie eine Schüssel war, hielt sich daran und schaute ganz lustig umher. Dann kamen sie zu einem dritten, der nahm ihn aus dem Knopfloch und setzte ihn auf den Rand seines Hutes; da ging der Trommler oben auf und ab und sah über die Bäume hinaus, und als er in blauer Ferne einen Berg erblickte, so dachte er: ,Das ist gewiß der Glasberg', und er war es auch. Der Riese tat nur noch ein paar Schritte, so waren sie an dem Fuß des Bergs angelangt, wo ihn der Riese absetzte. Der Trommler verlangte, er sollte ihn auch auf die Spitze des Glasberges tragen, aber der Riese schüttelte mit dem Kopf und ging in den Wald zurück.
Nun stand der arme Trommler vor dem Berg, der so hoch war, als wenn drei Berge aufeinandergesetzt wären, und dabei so glatt wie ein Spiegel, und wußte keinen Rat, um hinaufzukommen. Er fing an zu klettern, aber vergeblich, er rutschte immer wieder herab. ,Wer jetzt ein Vogel wäre', dachte er, aber was half das Wünschen, es wuchsen ihm keine Flügel. Auf einmal erblickte er nicht weit von sich zwei Männer, die heftig miteinander stritten. Er ging auf sie zu und sah, daß sie wegen eines Sattels uneins waren, der vor ihnen auf der Erde lag und den jeder von ihnen haben wollte. "Was seid ihr für Narren", sprach er, "zankt euch um einen Sattel und habt kein Pferd dazu." "Der Sattel ist wert, daß man darum streitet", antwortete der eine von den Männern, "wer darauf sitzt und wünscht sich irgendwohin, und wär es ans Ende der Welt, der ist im Augenblick angelangt, wie er den Wunsch ausgesprochen hat. Der Sattel gehört uns gemeinschaftlich, die Reihe darauf zu reiten, ist an mir, aber der andere will es nicht zulassen." "Den Streit will ich bald austragen", sagte der Trommler, ging eine Strecke weit und steckte einen weißen Stab in die Erde. Dann kam er zurück und sprach: "Jetzt lauft nach dem Ziel, wer zuerst dort ist, der reitet zuerst." Beide setzten sich in Trab, aber kaum waren sie ein paar Schritte weg, so schwang sich der Trommler auf den Sattel, wünschte sich auf den Glasberg, und ehe man die Hand umdrehte, war er dort. Auf dem Berg oben war eine Ebene, da stand ein altes steinernes Haus, und vor dem Haus lag ein großer Fischteich, dahinter aber ein finsterer Wald. Menschen und Tiere sah er nicht, es war alles still, nur der Wind raschelte in den Bäumen, und die Wolken zogen ganz nah über seinem Haupt weg. Er trat an die Tür und klopfte an. Als er zum drittenmal geklopft hatte, öffnete eine Alte mit braunem Gesicht und roten Augen die Tür; sie hatte eine Brille auf ihrer langen Nase und sah ihn scharf an; dann fragte sie, was sein Begehren wäre. "Einlaß, Kost und Nachtlager", antwortete der Trommler. "Das sollst du haben", sagte die Alte, "wenn du dafür drei Arbeiten verrichten willst." "Warum nicht?" antwortete er, "ich scheue keine Arbeit, und wenn sie noch so schwer ist." Die Alte ließ ihn ein, gab ihm Essen und abends ein gutes Bett. Am Morgen, als er ausgeschlafen hatte, nahm die Alte einen Fingerhut von ihrem dürren Finger, reichte ihn dem Trommler hin und sagte: "Jetzt geh an die Arbeit und schöpfe den Teich draußen mit diesem Fingerhut aus, aber ehe es Nacht wird, mußt du fertig sein, und alle Fische, die in dem Wasser sind, müssen nach ihrer Art und Größe ausgesucht und nebeneinandergelegt sein." "Das ist eine seltsame Arbeit", sagte der Trommler, ging aber zu dem Teich und fing an zu schöpfen. Er schöpfte den ganzen Morgen, aber was kann man mit einem Fingerhut bei einem großen Wasser ausrichten, und wenn man tausend Jahre schöpft? Als es Mittag war, dachte er: ,Es ist alles umsonst', hielt ein und setzte sich nieder. Da kam ein Mädchen aus dem Haus gegangen, stellte ihm ein Körbchen mit Essen hin und sprach: "Du sitzest da so traurig, was fehlt dir?" Er blickte es an und sah, daß es wunderschön war. "Ach", sagte er, "ich kann die erste Arbeit nicht vollbringen, wie wird es mit den andern werden? Ich bin ausgegangen, eine Königstochter zu suchen, die hier wohnen soll, aber ich habe sie nicht gefunden; ich will weitergehen." "Bleib hier", sagte das Mädchen, "ich will dir aus deincr Not helfen. Du bist müde, lege deinen Kopf in meinen Schoß und schlaf! Wenn du wieder aufwachst, so ist die Arbeit getan." Der Trommler ließ sich das nicht zweimal sagen. Sobald ihm die Augen zufielen, drehte sie einen Wunschring und sprach: "Wasser herauf, Fische heraus!" Alsbald stieg das Wasser wie ein weißer Nebel in die Höhe und zog mit den andern Wolken fort, und die Fische schnalzten, sprangen ans Ufer und legten sich nebeneinander, jeder nach seiner Größe und Art. Als der Trommler erwachte, sah er mit Erstaunen, daß alles vollbracht war. Aber das Mädchen sprach: "Einer von den Fischen liegt nicht bei seinesgleichen, sondern ganz allein. Wenn die Alte heute abend kommt und sieht, daß alles geschehen ist, was sie verlangt hat, so wird sie fragen: ,Was soll dieser Fisch allein?' Dann wirf ihr den Fisch ins Angesicht und sprich: ,Der soll für dich sein, alte Hexe."' Abends kam die Alte, und als sie die Frage getan hatte, so warf er ihr den Fisch ins Gesicht. Sie stellte sich, als merkte sie es nicht, und schwieg still, aber sie blickte ihn mit boshaften Augen an. Am andern Morgen sprach sie: "Gestern hast du es zu leicht gehabt, ich muß dir schwerere Arbeit geben. Heute mußt du den ganzen Wald umhauen, das Holz in Scheite spalten und in Klafter legen, und am Abend muß alles fertig sein." Sie gab ihm eine Axt, einen Schläger und zwei Keile. Aber die Axt war von Blei, der Schläger und die Keile waren von Blech. Als er anfing zu hauen, so legte sich die Axt um, und Schläger und Keile drückten sich zusammen. Er wußte sich nicht zu helfen, aber mittags kam das Mädchen wieder mit dem Essen und tröstete ihn: "Lege deinen Kopf in meinen Schoß", sagte sie, "und schlaf! Wenn du aufwachst, so ist die Arbeit getan." Sie drehte ihren Wunschring, in dem Augenblick sank der ganze Wald mit Krachen zusammen, das Holz spaltete sich von selbst und legte sich in Klafter zusammen; es war, als ob unsichtbare Riesen die Arbeit vollbrächten. Als er aufwachte, sagte das Mädchen: "Siehst du, das Holz ist geklaftert und gelegt; nur ein einziger Ast ist übrig, aber wenn die Alte heute abend kommt und fragt, was der Ast solle, so gib ihr damit einen Schlag und sprich: ,Der soll für dich sein, du Hexe."' Die Alte kam: "Siehst du", sprach sie, "wie leicht die Arbeit war. Aber für wen liegt der Ast noch da?" "Für dich, du Hexe", antwortete er, und gab ihr einen Schlag damit. Aber sie tat, als fühlte sie es nicht, lachte höhnisch und sprach: "Morgen früh sollst du alles Holz auf einen Haufen legen, es anzünden und verbrennen." Er stand mit Anbruch des Tages auf und fing an, das Holz herbeizuholen, aber wie kann ein einziger Mensch einen ganzen Wald zusammentragen? Die Arbeit rückte nicht fort. Doch das Mädchen verließ ihn nicht in der Not; es brachte ihm mittags seine Speise, und als er gegessen hatte, legte er seinen Kopf in ihren Schoß und schlief ein. Bei seinem Erwachen brannte der ganze Holzstoß in einer ungeheuern Flamme. "Hör mich an", sprach das Mädchen, "wenn die Hexe kommt, wird sie dir allerlei auftragen. Tust du ohne Furcht, was sie verlangt, so kann sie dir nichts anhaben, fürchtest du dich aber, so packt dich das Feuer und verzehrt dich. Zuletzt, wenn du alles getan hast, so packe sie mit beiden Händen und wirf sie mitten in die Glut." Das Mädchen ging fort, und die Alte kam herangeschlichen: "Hu! Mich friert", sagte sie, "aber das ist ein Feuer, das brennt, das wärmt mir die alten Knochen. Aber dort liegt ein Klotz, der will nicht brennen, den hoi mir heraus. Hast du das noch getan, so bist du frei und kannst ziehen, wohin du willst. Nur munter hinein!" Der Trommler besann sich nicht lange, sprang mitten in die Flammen, aber sie taten ihm nichts, nicht einmal die Haare konnten sie ihm versengen. Er trug den Klotz heraus und legte ihn hin. Kaum aber hatte das Holz die Erde berührt, so verwandelte es sich, und das schöne Mädchen stand vor ihm, das ihm in der Not geholfen hatte; und an den seidenen goldglänzenden Kleidern, die es anhatte, merkte er wohl, daß es die Königstochter war. Aber die Alte lachte giftig und sprach: "Du meinst, du hättest sie, aber du hast sie noch nicht." Eben wollte sie auf das Mädchen losgehen und es fortziehen, da packte er die Alte mit beiden Händen, hob sie in die Höhe und warf sie den Flammen in den Rachen, die über ihr zusammenschlugen, als freuten sie sich, daß sie eine Hexe verzehren sollten.
Die Königstochter blickte darauf den Trommler an, und als sie sah, daß es ein schöner Jüngling war, und bedachte, daß er sein Leben daran gesetzt hatte, um sie zu erlösen, so reichte sie ihm die Hand und sprach: "Du hast alles für mich gewagt, aber ich will auch für dich alles tun. Versprichst du mir deine Treue, so sollst du mein Gemahl werden. An Reichtümern fehlt es uns nicht, wir haben genug an dem, was die Hexe hier zusammengetragen hat." Sie führte ihn in das Haus, da standen Kisten und Kasten, die mit ihren Schätzen angefüllt waren. Sie ließen Gold und Silber liegen und nahmen nur die Edelsteine. Sie wollten nicht länger auf dem Glasberg bleiben, da sprach er zu ihr: "Setze dich zu mir auf meinen Sattel, so fliegen wir hinab wie Vögel." "Der alte Sattel gefällt mir nicht", sagte sie, "ich brauche nur an meinem Wunschring zu drehen, so sind wir zu Haus." "Wohlan", antwortete der Trommler, "so wünsch uns vor das Stadttor." Im Nu waren sie dort, der Trommler aber sprach: "Ich will erst zu meinen Eltern gehen und ihnen Nachricht geben, harre mein hier auf dem Feld, ich will bald zurück sein." "Ach", sagte die Königstochter, "ich bitte dich, nimm dich in acht, küsse deine Eltern bei deiner Ankunft nicht auf die rechte Wange; denn sonst wirst du alles vergessen." "Wie kann ich dich vergessen?" sagte er und versprach ihr in die rechte Hand, recht bald wiederzukommen. Als er in sein väterliches Haus trat, wußte niemand, wer er war, so hatte er sich verändert; denn die drei Tage, die er auf dem Glasberg zugebracht hatte, waren drei lange Jahre gewesen. Da gab er sich zu erkennen, und seine Eltern fielen ihm vor Freude um den Hals, und er war so bewegt in seinem Herzen, daß er sie auf beide Wangen küßte und an die Worte des Mädchens nicht dachte. Wie er ihnen aber den Kuß auf die rechte Wange gegeben hatte, verschwand ihm jeder Gedanke an die Königstochter. Er leerte seine Taschen aus und legte Hände voll der größten Edelsteine auf den Tisch. Die Eltern wußten gar nicht, was sie mit dem Reichtum anfangen sollten. Da baute der Vater ein prächtiges Schloß, von Gärten, Wäldern und Wiesen umgeben, als wenn ein Fürst darin wohnen sollte. Und als es fertig war, sagte die Mutter: "Ich habe ein Mädchen für dich ausgesucht, in drei Tagen soll die Hochzeit sein." Der Sohn war mit allem zufrieden, was die Eltern wollten.
Die arme Königstochter hatte lange vor der Stadt gestanden und auf die Rückkehr des Jünglings gewartet. Als es Abend ward, sprach sie: "Gewiß hat er seine Eltern auf die rechte Wange geküßt und hat mich vergessen." Ihr Herz war voll Trauer, sie wünschte sich in ein einsames Waldhäuschen und wollte nicht wieder an den Hof ihres Vaters zurück. Jeden Abend ging sie in die Stadt und ging an seinem Haus vorüber; er sah sie manchmal, aber er kannte sie nicht mehr. Endlich hörte sie, wie die Leute sagten: "Morgen wird seine Hochzeit gefeiert." Da sprach sie: "Ich will versuchen, ob ich sein Herz wiedergewinne." Als der erste Hochzeitstag gefeiert ward, da drehte sie ihren Wunschring und sprach: "Ein Kleid so glänzend wie die Sonne." Alsbald lag das Kleid vor ihr und war so glänzend, als wenn es aus lauter Sonnenstrahlen gewebt wäre. Als alle Gäste sich versammelt hatten, so trat sie in den Saal. Jedermann wunderte sich über das schöne Kleid, am meisten die Braut, und da schöne Kleider ihre größte Lust waren, so ging sie zu der Fremden und fragte, ob sie es ihr verkaufen wollte. "Für Geld nicht", antwortete sie, "aber wenn ich die erste Nacht vor der Tür verweilen darf, wo der Bräutigam schläft, so will ich es hingeben." Die Braut konnte ihr Verlangen nicht bezwingen und willigte ein, aber sie mischte dem Bräutigam einen Schlaftrunk in seinen Nachtwein, wovon er in tiefen Schlaf verfiel. Als nun alles still geworden war, so kauerte sich die Königstochter vor die Tür der Schlafkammer, öffnete sie ein wenig und rief hinein:
"Trommler, Trommler, hör mich an, hast du mich denn ganz vergessen?
Hast du auf dem Glasberg nicht bei mir gesessen?
Habe ich vor der Hexe nicht bewahrt dein Leben?
Hast du mir auf Treue nicht die Hand gegeben?
Trommler, Trommler, hör mich an."
Aber es war alles vergeblich, der Trommler wachte nicht auf, und als der Morgen anbrach, mußte sie wieder fortgehen. Am zweiten Abend drehte sie ihren Wunsehring und sprach: "Ein Kleid, so silbern wie der Mond." Als sie mit dem Kleid, das so zart war wie der Mondschein, bei dem Fest erschien, erregte sie wieder das Verlangen der Braut und gab es ihr für die Erlaubnis, auch die zweite Nacht vor der Tür der Schlafkammer zubringen zu dürfen. Da rief sie in nächtlicher Stille:
"Trommler, Trommler, hör mich an,
hast du mich denn ganz vergessen?
Hast du auf dem Glasberg nicht bei mir gesessen?
Habe ich vor der Hexe nicht bewahrt dein Leben?
Hast du mir auf Treue nicht die Hand gegeben?
Trommler, Trommler, hör mich an."
Aber der Trommler, von dem Schlaftrunk betäubt, war nicht zu erwecken. Traurig ging sie den Morgen wieder zurück in ihr Waldhaus. Aber die Leute im Haus hatten die Klage des fremden Mädchens gehört und erzählten dem Bräutigam davon. Sie sagten ihm auch, daß es ihm nicht möglich gewesen wäre, etwas davon zu vernehmen, weil sie ihm einen Schlaftrunk in den Wein geschüttet hätten. Am dritten Abend drehte die Königstochter den Wunschring und sprach: "Ein Kleid flimmernd wie Sterne." Als sie sich darin auf dem Fest zeigte, war die Braut über die Pracht des Kleides, das die andern weit übertraf, ganz außer sich und sprach: "Ich soll und muß es haben." Das Mädchen gab es, wie die andern, für die Erlaubnis, die Nacht vor der Tür des Bräutigams zuzubringen. Der Bräutigam aber trank den Wein nicht, der ihm vor dem Schlafengehen gereicht wurde. Und als alles im Haus still geworden war, so hörte er eine sanfte Stimme, die ihn anrief:
"Trommler, Trommler, hör mich an,
hast du mich denn ganz vergessen?
Hast du auf dem Glasberg nicht bei mir gesessen?
Habe ich vor der Hexe nicht bewahrt dein Leben?
Hast du mir auf Treue nicht die Hand gegeben?
Trommler, Trommler, hör mich an."
Plötzlich kam ihm das Gedächtnis wieder. "Ach", rief er, "wie habe ich so treulos handeln können, aber der Kuß, den ich meinen Eltern in der Freude meines Herzens auf die rechte Wange gegeben habe, der ist schuld daran, der hat mich betäubt." Er sprang auf, nahm die Königstochter bei der Hand und führte sie zu dem Bett seiner Eltern. "Das ist meine rechte Braut", sprach er, "wenn ich die andere heirate, so tue ich großes Unrecht." Die Eltern, als sie hörten, wie alles sich zugetragen hatte, willigten ein. Da wurden die Lichter im Saal wieder angezündet, Pauken und Trompeten herbeigeholt, die Freunde und Verwandten eingeladen, wiederzukommen, und die wahre Hochzeit ward mit großer Freude gefeiert. Die erste Braut behielt die schönen Kleider zur Entschädigung und gab sich zufrieden.

 

Die vier kunstreichen Brüder

Es war ein armer Mann, der hatte vier Söhne, wie die herangewachsen waren, sprach er zu ihnen: "Liebe Kinder, ihr müßt jetzt hinaus in die Welt, ich habe nichts, das ich euch geben könnte; macht euch auf und geht in die Fremde, lernt ein Handwerk und seht, wie ihr euch durchschlagt." Da ergriffen die vier Brüder den Wanderstab, nahmen Abschied von ihrem Vater und zogen zusammen zum Tor hinaus. Als sie eine Zeitlang gewandert waren, kamen sie an einen Kreuzweg, der nach verschiedenen Gegenden führte. Da sprach der älteste: "Hier müssen wir uns trennen, aber heut über vier Jahre wollen wir an dieser Stelle wieder zusammentreffen und in der Zeit unser Glück versuchen."
Nun ging jeder seinen Weg, und dem ältesten begegnete ein Mann, der fragte ihn, wo er hinauswollte, und was er vorhätte. "Ich will ein Handwerk erlernen", antwortete er. Da sprach der Mann: "Geh mit mir und werde ein Dieb." "Nein", antwortete er, "das gilt für kein ehrliches Handwerk mehr, und das Ende vom Lied ist, daß einer als Schwengel in der Feldglocke gebraucht wird." "Oh", sprach der Mann, "vor dem Galgen brauchst du dich nicht zu fürchten; ich will dich bloß lehren, wie du holst, was sonst kein Mensch kriegen kann und wo dir niemand auf die Spur kommt." Da ließ er sich überreden, ward bei dem Manne ein gelernter Dieb und ward so geschickt, daß vor ihm nichts sicher war, was er einmal haben wollte. Der zweite Bruder begegnete einem Mann, der dieselbe Frage an ihn tat, was er in der Welt lernen wollte. "Ich weiß es noch nicht", antwortete er. "So geh mit mir und werde ein Sterngucker; nichts besser als das, es bleibt einem nichts verborgen." Er ließ sich das gefallen und ward ein so geschickter Sterngucker, daß sein Meister, als er ausgelernt hatte und weiterziehen wollte, ihm ein Fernrohr gab und zu ihm sprach: "Damit kannst du sehen, was auf Erden und am Himmel vorgeht, und es kann dir nichts verborgen bleiben."
Den dritten Bruder nahm ein Jäger in die Lehre und gab ihm in allem, was zur Jägerei gehört, so guten Unterricht, daß er ein ausgelernter Jäger ward. Der Meister schenkte ihm beim Abschiede eine Büchse und sprach: "Die fehlt nicht, was du damit aufs Korn nimmst, das triffst du sicher." Der jüngste Bruder begegnete gleichfalls einem Manne, der ihn anredete und nach seinem Vorhaben fragte. "Hast du nicht Lust, ein Schneider zu werden?" "Daß ich nicht wüßte", sprach der Junge, "das Krummsitzen von morgens bis abends, das Hin- und Herfegen mit der Nadel und das Bügeleisen wollen mir nicht in den Sinn." "Ei, was", antwortete der Mann, "du sprichst, wie du's verstehst, bei mir lernst du eine ganz andere Schneiderkunst, die ist anständig und. ziemlich, zum Teil sehr ehrenvoll." Da ließ er sich überreden, ging mit und lernte die Kunst des Mannes aus dem Fundament. Beim Abschied gab ihm dieser eine Nadel und sprach: "Damit kannst du zusammennähen, was dir vorkommt, es sei so weich wie ein Ei oder so hart wie Stahl; und es wird ganz zu einem Stück, daß keine Naht mehr zu sehen ist."
Als die bestimmten vier Jahre herum waren, kamen die vier Brüder zu gleicher Zeit an dem Kreuzwege zusammen, herzten und küßten sich und kehrten heim zu ihrem Vater. "Nun", sprach dieser ganz vergnügt, "hat euch der Wind wieder zu mir geweht?" Sie erzählten, wie es ihnen ergangen war. Nun saßen sie gerade vor dem Haus unter einem großen Baum, da sprach der Vater: "Jetzt will ich euch auf die Probe stellen und sehen, was ihr könnt." Danach schaute er auf und sagte zu dem zweiten Sohne: "Oben im Gipfel dieses Baums sitzt zwischen zwei Ästen ein Buchfinknnest, sag mir, wieviel Eier darin liegen." Der Sterngucker nahm sein Glas, schaute hinauf und sagte: "Fünfe sind's." Sprach der Vater zum ältesten: "HoI du die Eier herunter, ohne daß der Vogel, der daraufsitzt und brütet, gestört wird." Der kunstreiche Dieb stieg hinauf und nahm dem Vöglein, das gar nichts davon merkte und ruhig sitzenblieb, die fünf Eier unter dem Leib weg. Der Vater nahm sie, legte an jede Ecke des Tisches eins und das fünfte in die Mitte und sprach zum Jäger: "Du schießest mir mit einem Schuß die fünf Eier in der Mitte entzwei." Der Jäger legte seine Büchse an und schoß die Eier, wie es der Vater verlangt hatte, alle fünfe, und zwar in einem Schuß. Der hatte gewiß von dem Pulver, das um die Ecke schießt. "Nun kommt die Reihe an dich", sprach der Vater zu dem vierten Sohn, "du nähst die Eier wieder zusammen und auch die jungen Vöglein, die darin sind, und zwar so, daß ihnen der Schuß nichts schadet." Der Schneider holte seine Nadel und nähte, wie's der Vater verlangt hatte. Als er fertig war, mußte der Dieb die Eier wieder auf den Baum ins Nest tragen und dem Vogel, ohne daß er etwas merkte, wieder unterlegen. Das Tierchen brütete sie vollends aus, und nach ein paar Tagen krochen die Jungen hervor und hatten da, wo sie vom Schneider zusammengenäht waren, ein rotes Streifchen um den Hals.
"Ja", sprach der Alte zu seinen Sohnen, "ich muß euch über den grünen Klee loben, ihr habt eure Zeit wohl benutzt und was Rechtschaffenes gelernt; ich kann nicht sagen, wem von euch der Vorzug gebührt. Wenn ihr nur bald Gelegenheit habt, eure Kunst anzuwenden, da wird sich's ausweisen. " Nicht lange danach kam großer Lärm ins Land, die Königstochter wäre von einem Drachen entführt worden. Der König war Tag und Nacht darüber in Sorgen und ließ bekanntmachen, wer sie zurückbrächte, sollte sie zur Gemahlin haben. Die vier Brüder sprachen untereinander: "Das wäre eine Gelegenheit, wo wir uns sehen lassen könnten", wollten zusammen ausziehen und die Königstochter befreien. "Wo sie ist, will ich bald wissen", sprach der Sterngucker, schaute durch sein Fernrohr und sprach: "Ich sehe sie schon, sie sitzt weit von hier auf einem Felsen im Meer und neben ihr der Drache, der sie bewacht. " Da ging er zu dem König und bat um ein Schiff für sich und seine Brüder und fuhr mit ihnen über das Meer, bis sie zu dem Felsen hinkamen. Die Königstochter saß da, aber der Drache lag in ihrem Schoß und schlief. Der Jäger sprach: "Ich darf nicht schießen, ich würde die schöne Jungfrau zugleich töten." "So will ich mein Heil versuchen", sagte der Dieb, schlich sich heran und stahl sie unter dem Drachen weg, so, daß das Untier nichts merkte, sondern fortschnarchte. Sie eilten voll Freude mit ihr aufs Schiff und steuerten in die offene See; aber der Drache, der bei seinem Erwachen die Königstochter nicht mehr gefunden hatte, flog hinter ihnen her und schnaubte wütend durch die Luft. Als er gerade über dem Schiff schwebte und sich herablassen wollte, legte der Jäger seine Büchse an und schoß ihn mitten ins Herz. Das Untier fiel tot herab, war aber so groß und gewaltig, daß es im Herabfallen das ganze Schiff zertrümmerte. Sie erhaschten glücklich noch ein paar Bretter und schwammen auf dem weiten Meer umher. Da war wieder große Not, aber der Schneider, nicht faul, nahm seine wunderbare Nadel, nähte die Bretter mit ein paar großen Stichen in der Eile zusammen, setzte sich darauf und sammelte alle Stücke des Schiffs. Dann nähte er auch diese so geschickt zusammen, daß in kurzer Zeit das Schiff wieder segelfertig war und sie glücklich heimfahren konnten.
Als der König seine Tochter wieder erblickte, war große Freude. Er sprach zu den vier Brüdern: "Einer von euch soll sie zur Gemahlin haben, aber welcher das ist, macht unter euch aus." Da entstand ein heftiger Streit unter ihnen. Der Sterngucker sprach: "Hätt' ich nicht die' Königstochter gesehen, so wären alle eure Künste umsonst gewesen, darum ist sie mein." Der Dieb sprach: "Was hätte das Sehen geholfen, wenn ich sie nicht unter dem Drachen weggeholt hätte, darum ist sie mein. Der Jäger sprach: "Ihr wärt doch samt der Königstochter von dem Untier zerrissen worden, hätte es meine Kugel nicht getroffen, darum ist sie mein. Der Schneider sprach: "Und hätte ich euch mit meiner Kunst nicht das Schiff wieder zusammengeflickt, ihr wäret alle jämmerlich ertrunken, darum ist sie mein." Da tat der König den Ausspruch: "Jeder von euch hat ein gleiches Recht, und weil ein jeder die Jungfrau nicht haben kann, so soll sie keiner von euch haben, aber ich will jedem zur Belohnung ein halbes Königreich geben." Den Brüdern gefiel diese Entscheidung, und sie sprachen: "Es ist besser so, als daß wir uneins werden." Da erhielt jeder ein halbes Königreich, und sie lebten mit ihrem Vater in aller Glückseligkeit, solange es Gott gefiel.

 

Die wahre Braut

Es war einmal ein Mädchen, das war jung und schön, aber seine Mutter war ihm früh gestorben, und die Stiefmutter tat ihm alles gebrannte Herzeleid an. Wenn sie ihm eine Arbeit auftrug, sie mochte noch so schwer sein, so ging es unverdrossen daran und tat, was in seinen Kräften stand. Aber es konnte damit das Herz der bösen Frau nicht rühren, immer war sie unzufrieden, immer war es nicht genug. Je fleißiger es arbeitete, je mehr ward ihm aufgelegt, und sie hatte keinen andern Gedanken, als wie sie ihm eine immer größere Last aufbürden und das Leben recht sauer machen wollte.
Eines Tages sagte sie zu ihm 'da hast du zwölf Pfund Federn, die sollst du abschleißen, und wenn du nicht heute abend damit fertig bist, so wartet eine Tracht Schläge auf dich. Meinst du, du könntest den ganzen Tag faulenzen?' Das arme Mädchen setzte sich zu der Arbeit nieder, aber die Tränen flossen ihm dabei über die Wangen herab, denn es sah wohl, daß es unmöglich war, mit der Arbeit in einem Tage zu Ende zu kommen. Wenn es ein Häufchen Federn vor sich liegen hatte und es seufzte oder schlug in seiner Angst die Hände zusammen, so stoben sie auseinander, und es mußte sie wieder auflesen und von neuem anfangen. Da stützte es einmal die Ellbogen auf den Tisch, legte sein Gesicht in beide Hände und rief 'ist denn niemand auf Gottes Erdboden, der sich meiner erbarmt?' Indem hörte es eine sanfte Stimme, die sprach 'tröste dich, mein Kind, ich bin gekommen, dir zu helfen.' Das Mädchen blickte auf und eine alte Frau stand neben ihm. Sie faßte das Mädchen freundlich an der Hand und sprach 'vertraue mir nur an, was dich drückt.' Da sie so herzlich sprach, so erzählte ihr das Mädchen von seinem traurigen Leben, daß ihm eine Last auf die andere gelegt würde und es mit den aufgegebenen Arbeiten nicht mehr zu Ende kommen könnte. 'Wenn ich mit diesen Federn heute abend nicht fertig bin, so schlägt mich die Stiefmutter; sie hat mirs angedroht, und ich weiß, sie hält Wort.' Ihre Tränen fingen wieder an zu fließen, aber die gute Alte sprach 'sei unbesorge, mein Kind, ruhe dich aus, ich will derweil deine Arbeit verrichten.' Das Mädchen legte sich auf sein Bett und schlief bald ein. Die Alte setzte sich an den Tisch bei die Federn, hu! wie flogen sie von den Kielen ab, die sie mit ihren dürren Händen kaum berührte. Bald war sie mit den zwölf Pfund fertig.
Als das Mädchen erwachte, lagen große schneeweiße Haufen aufgetürmt, und alles war im Zimmer reinlich aufgeräumt, aber die Alte war verschwunden. Das Mädchen dankte Gott und saß still, bis der Abend kam. Da trat die Stiefmutter herein und staunte über die vollbrachte Arbeit. 'Siehst du, Trulle,' sprach sie, 'was man ausrichtet, wenn man fleißig ist? hättest du nicht noch etwas anderes vornehmen können? aber da sitzest du und legst die Hände in den Schoß.' Als sie hinausging, sprach sie, 'die Kreatur kann mehr als Brot essen, ich muß ihr schwerere Arbeit auflegen.'
Am andern Morgen rief sie das Mädchen und sprach 'da hast du einen Löffel, damit schöpfe mir den großen Teich aus, der bei dem Garten liegt. Und wenn du damit abends nicht zu Rand gekommen bist, so weißt du, was erfolgt.' Das Mädchen nahm den Löffel und sah' daß er durchlöchert war, und wenn er es auch nicht gewesen wäre, es hätte nimmermehr damit den Teich ausgeschöpft. Es machte sich gleich an die Arbeit, kniete am Wasser, in das seine Tränen fielen, und schöpfte. Aber die gute Alte erschien wieder, und als sie die Ursache von seinem Kummer erfuhr, sprach sie 'sei getrost, mein Kind, geh in das Gebüsch und lege dich schlafen, ich will deine Arbeit schon tun.' Als die Alte allein war, berührte sie nur den Teich: wie ein Dunst stieg das Wasser in die Höhe und vermischte sich mit den Wolken. Allmählich ward der Teich leer, und als das Mädchen vor Sonnenuntergang erwachte und herbeikam, so sah es nur noch die Fische, die in dem Schlamm zappelten. Es ging zu der Stiefmutter und zeigte ihr an, daß die Arbeit vollbracht wäre. 'Du hättest längst fertig sein sollen,' sagte sie und ward blaß vor Ärger, aber sie sann etwas Neues aus.
Am dritten Morgen sprach sie zu dem Mädchen 'dort in der Ebene mußt du mir ein schönes Schloß bauen, und zum Abend muß es fertig sein.' Das Mädchen erschrak und sagte 'wie kann ich ein so großes Werk vollbringen?' 'Ich dulde keinen Widerspruch,' schrie die Stiefmutter, 'kannst du mit einem durchlöcherten Löffel einen Teich ausschöpfen, so kannst du auch ein Schloß bauen. Noch heute will ich es beziehen, und wenn etwas fehlt, sei es das Geringste in Küche oder Keller, so weißt du, was dir bevorsteht.' Sie trieb das Mädchen fort, und als es in das Tal kam, so lagen da die Felsen übereinander aufgetürmt; mit aller seiner Kraft konnte es den kleinsten nicht einmal bewegen. Es setzte sich nieder und weinte, doch hoffte es auf den Beistand der guten Alten. Sie ließ auch nicht lange auf sich warten, kam und sprach ihm Trost ein 'lege dich nur dort in den Schatten und schlaf, ich will dir das Schloß schon bauen. Wenn es dir Freude macht, so kannst du selbst darin wohnen.'
Als das Mädchen weggegangen war, rührte die Alte die grauen Felsen an. Alsbald regten sie sich, rückten zusammen und standen da, als hätten Riesen die Mauer gebaut: darauf erhob sich das Gebäude, und es war, als ob unzählige Hände unsichtbar arbeiteten und Stein auf Stein legten. Der Boden dröhnte, große Säulen stiegen von selbst in die Höhe und stellten sich nebeneinander in Ordnung. Auf dem Dach legten sich die Ziegeln zurecht, und als es Mittag war, drehte sich schon die große Wetterfahne wie eine goldene Jungfrau mit fliegendem Gewand auf der Spitze des Turms. Das Innere des Schlosses war bis zum Abend vollendet. Wie es die Alte anfing, weiß ich nicht, aber die Wände der Zimmer waren mit Seide und Sammet bezogen, buntgestickte Stühle standen da und reichverzierte Armsessel an Tischen von Marmor, kristallne Kronleuchter hingen von der Bühne herab und spiegelten sich in dem glatten Boden: grüne Papageien saßen in goldenen Käfigen und fremde Vögel, die lieblich sangen: überall war eine Pracht, als wenn ein König da einziehen sollte. Die Sonne wollte eben untergehen, als das Mädchen erwachte und ihm der Glanz von tausend Lichtern entgegenleuchtete. Mit schnellen Schritten kam es heran und trat durch das geöffnete Tor in das Schloß. Die Treppe war mit rotem Tuch belegt und das goldene Geländer mit blühenden Bäumen besetzt. Als es die Pracht der Zimmer erblickte, blieb es wie erstarrt stehen. Wer weiß, wie lang es so gestanden hätte, wenn ihm nicht der Gedanke an die Stiefmutter gekommen wäre. 'Ach,' sprach es zu sich selbst, 'wenn sie doch endlich zufriedengestellt wäre und mir das Leben nicht länger zur Qual machen wollte.' Das Mädchen ging und zeigte ihr an, daß das Schloß fertig wäre. 'Gleich will ich einziehen,' sagte sie und erhob sich von ihrem Sitz. Als sie in das Schloß eintrat, mußte sie die Hand vor die Augen halten' so blendete sie der Glanz. 'Siehst du,' sagte sie zu dem Mädchen, 'wie leicht dirs geworden ist, ich hätte dir etwas Schwereres aufgeben sollen.' Sie ging durch alle Zimmer und spürte in allen Ecken, ob etwas fehlte oder mangelhaft wäre, aber sie konnte nichts auffinden. 'Jetzt wollen wir hinabsteigen,' sprach sie und sah das Mädchen mit boshaften Blicken an, 'Küche und Keller muß noch untersucht werden, und hast du etwas vergessen, so sollst du deiner Strafe nicht entgehen.' Aber das Feuer brannte auf dem Herd, in den Töpfen kochten die Speisen, Kluft und Schippe waren angelehnt, und an den Wänden das blanke Geschirr von Messing aufgestellt. Nichts fehlte, selbst nicht der Kohlenkasten und die Wassereimer. 'Wo ist der Eingang zum Keller?' rief sie, 'wo der nicht mit Weinfässern reichlich angefüllt ist, so wird dirs schlimm ergehen.' Sie hob selbst die Falltüre auf und stieg die Treppe hinab, aber kaum hatte sie zwei Schritte getan, so stürzte die schwere Falltüre, die nur angelehnt war, nieder. Das Mädchen hörte einen Schrei, hob die Türe schnell auf, um ihr zu Hilfe zu kommen, aber sie war hinabgestürzt, und es fand sie entseelt auf dem Boden liegen.
Nun gehörte das prächtige Schloß dem Mädchen ganz allein. Es wußte sich in der ersten Zeit gar nicht in seinem Glück zu finden, schöne Kleider hingen in den Schränken, die Truhen waren mit Gold und Silber oder mit Perlen und Edelsteinen angefüllt, und es hatte keinen Wunsch, den es nicht erfüllen konnte. Bald ging der Ruf von der Schönheit und dem Reichtum des Mädchens durch die ganze Welt. Alle Tage meldeten sich Freier, aber keiner gefiel ihr. Endlich kam auch der Sohn eines Königs, der ihr Herz zu rühren wußte, und sie verlobte sich mit ihm. In dem Schloßgarten stand eine grüne Linde, darunter saßen sie eines Tages vertraulich zusammen, da sagte er zu ihr 'ich will heimziehen und die Einwilligung meines Vaters zu unserer Vermählung holen; ich bitte dich, harre mein hier unter dieser Linde, in wenigen Stunden bin ich wieder zurück.' Das Mädchen küßte ihn auf den linken Backen und sprach 'bleib mir treu, und laß dich von keiner andern auf diesen Backen küssen. Ich will hier unter der Linde warten, bis du wieder zurückkommst.'
Das Mädchen blieb unter der Linde sitzen, bis die Sonne unterging, aber er kam nicht wieder zurück. Sie saß drei Tage von Morgen bis Abend und erwartete ihn, aber vergeblich. Als er am vierten Tag noch nicht da war, so sagte sie 'gewiß ist ihm ein Unglück begegnet, ich will ausgehen und ihn suchen und nicht eher wiederkommen, als bis ich ihn gefunden habe.' Sie packte drei von ihren schönsten Kleidern zusammen, eins mit glänzenden Sternen gestickt, das zweite mit silbernen Monden, das dritte mit goldenen Sonnen, band eine Handvoll Edelsteine in ihr Tuch und machte sich auf. Sie fragte allerorten nach ihrem Bräutigam, aber niemand hatte ihn gesehen, niemand wußte von ihm. Weit und breit wanderte sie durch die Welt, aber sie fand ihn nicht. Endlich vermietete sie sich bei einem Bauer als Hirtin, und vergrub ihre Kleider und Edelsteine unter einem Stein.
Nun lebte sie als eine Hirtin, hütete ihre Herde, war traurig und voll Sehnsucht nach ihrem Geliebten. Sie hatte ein Kälbchen, das gewöhnte sie an sich, fütterte es aus der Hand, und wenn sie sprach
'Kälbchen, Kälbchen, knie nieder,
vergiß nicht deine Hirtin wieder,
wie der Königssohn die Braut vergaß,
die unter der grünen Linde saß,'
so kniete das Kälbchen nieder und ward von ihr gestreichelt.
Als sie ein paar Jahre einsam und kummervoll gelebt hatte, so verbreitete sich im Lande das Gerücht, daß die Tochter des Königs ihre Hochzeit feiern wollte. Der Weg nach der Stadt ging an dem Dorf vorbei, wo das Mädchen wohnte, und es trug sich zu, als sie einmal ihre Herde austrieb, daß der Bräutigam vorüberzog. Er saß stolz auf seinem Pferd und sah sie nicht an, aber als sie ihn ansah, so erkannte sie ihren Liebsten. Es war, als ob ihr ein scharfes Messer in das Herz schnitte.
'Ach,' sagte sie, 'ich glaubte, er wäre mir treu geblieben, aber er hat mich vergessen.'
Am andern Tag kam er wieder des Wegs. Als er in ihrer Nähe war, sprach sie zum Kälbchen
'Kälbchen, Kälbchen, knie nieder,
vergiß nicht deine Hirtin wieder,
wie der Königssohn die Braut vergaß,
die unter der grünen Linde saß.'
Als er die Stimme vernahm, blickte er herab und hielt sein Pferd an. Er schaute der Hirtin ins Gesicht, hielt dann die Hand vor die Augen, als wollte er sich auf etwas besinnen, aber schnell ritt er weiter und war bald verschwunden. 'Ach,' sagte sie, 'er kennt mich nicht mehr,' und ihre Trauer ward immer größer.
Bald darauf sollte an dem Hofe des Königs drei Tage lang ein großes Fest gefeiert werden, und das ganze Land ward dazu eingeladen. 'Nun will ich das letzte versuchen,' dachte das Mädchen, und als der Abend kam, ging es zu dem Stein, unter dem es seine Schätze vergraben hatte. Sie holte das Kleid mit den goldnen Sonnen hervor, legte es an und schmückte sich mit den Edelsteinen. Ihre Haare, die sie unter einem Tuch verborgen hatte, band sie auf, und sie fielen in langen Locken an ihr herab. So ging sie nach der Stadt und ward in der Dunkelheit von niemand bemerkt. Als sie in den hell erleuchteten Saal trat, wichen alle voll Verwunderung zurück, aber niemand wußte, wer sie war. Der Königssohn ging ihr entgegen, doch er erkannte sie nicht. Er führte sie zum Tanz und war so entzückt über ihre Schönheit, daß er an die andere Braut gar nicht mehr dachte. Als das Fest vorüber war, verschwand sie im Gedränge und eilte vor Tagesanbruch in das Dorf, wo sie ihr Hirtenkleid wieder anlegte.
Am andern Abend nahm sie das Kleid mit den silbernen Monden heraus und steckte einen Halbmond von Edelsteinen in ihre Haare. Als sie auf dem Fest sich zeigte, wendeten sich alle Augen nach ihr, aber der Königssohn eilte ihr entgegen, und ganz voll Liebe erfüllt tanzte er mit ihr allein und blickte keine andere mehr an. Ehe sie wegging, mußte sie ihm versprechen, den letzten Abend nochmals zum Fest zu kommen.
Als sie zum drittenmal erschien, hatte sie das Sternenkleid an, das bei jedem ihrer Schritte funkelte, und Haarband und Gürtel waren Sterne von Edelsteinen. Der Königssohn hatte schon lange auf sie gewartet und drängte sich zu ihr hin. 'Sage mir nur, wer du bist,' sprach er, 'mir ist, als wenn ich dich schon lange gekannt hätte.' 'Weißt du nicht,' antwortete sie, 'was ich tat, als du von mir schiedest?' Da trat sie zu ihm heran und küßte ihn auf den linken Backen: in dem Augenblick fiel es wie Schuppen von seinen Augen, und er erkannte die wahre Braut. 'Komm,' sagte er zu ihr, 'hier ist meines Bleibens nicht länger,' reichte ihr die Hand und führte sie hinab zu dem Wagen. Als wäre der Wind vorgespannt, so eilten die Pferde zu dem Wunderschloß. Schon von weitem glänzten die erleuchteten Fenster. Als sie bei der Linde vorbeifuhren, schwärmten unzählige Glühwürmer darin, sie schüttelte ihre Piste und sendete ihre Düfte herab. Auf der Treppe blühten die Blumen, aus dem Zimmer schallte der Gesang der fremden Vögel, aber in dem Saal stand der ganze Hof versammelt, und der Priester wartete, um den Bräutigam mit der wahren Braut zu vermählen.

 

Die Wassernixe

Ein Brüderchen und ein Schwesterchen spielten an einem Brunnen, und wie sie so spielten, plumpsten sie beide hinein. Da war unten eine Wassernixe, die sprach 'jezt habe ich euch, jetzt sollt ihr mir brav arbeiten,' und führte sie mit sich fort. Dem Mädchen gab sie verwirrten garstigen Flachs zu spinnen, und es mußte Wasser in ein hohles Faß schleppen, der Junge aber sollte einen Baum mit einer stumpfen Axt hauen, und nichts zu essen bekamen sie als steinharte Klöße. Da wurden zuletzt die Kinder so ungeduldig, daß sie warteten, bis eines Sonntags die Nixe in der Kirche war, da entflohen sie. Und als die Kirche vorbei war, sah die Nixe, daß die Vögel ausgeflogen waren, und setzte ihnen mit großen Sprüngen nach. Die Kinder erblickten sie aber von weitem, und das Mädchen warf eine Bürste hinter sich, das gab einen großen Bürstenberg mit tausend und tausend Stacheln, über den die Nixe mit großer Müh klettern mußte; endlich aber kam sie doch hinüber. Wie das die Kinder sahen, warf der Knabe einen Kamm hinter sich, das gab einen großen Kammberg mit tausendmal tausend Zinken, aber die Nixe wußte sich daran festzuhalten und kam zuletzt doch drüber. Da warf das Mädchen einen Spiegel hinterwärts, welches einen Spiegelberg gab, der war so glatt, so glatt, daß sie unmöglich darüber konnte. Da dachte sie 'ich will geschwind nach Haus gehen und meine Axt holen und den Spiegelberg entzweihauen.' Bis sie aber wiederkam und das Glas aufgehauen hatte, waren die Kinder längst weit entflohen, und die Wassernixe mußte sich wieder in ihren Brunnen trollen.

 

Die weiße und die schwarze Braut

Eine Frau ging mit ihrer Tochter und Stieftochter über Feld, Futter zu schneiden. Da kam der liebe Gott als ein armer Mann zu ihnen gegangen und fragte 'wo führt der Weg ins Dorf?' 'Wenn Ihr ihn wissen wollt,' sprach die Mutter, 'so sucht ihn selber,' und die Tochter setzte hinzu 'habt Ihr Sorge, daß Ihr ihn nicht findet, so nehmt Euch einen Wegweiser mit.' Die Stieftochter aber sprach 'armer Mann, ich will dich führen, komm mit mir.' Da zürnte der liebe Gott über die Mutter und Tochter, wendete ihnen den Rücken zu und verwünschte sie, daß sie sollten schwarz werden wie die Nacht und häßlich wie die Sünde. Der armen Stieftochter aber war Gott gnädig und ging mit ihr, und als sie nahe am Dorf waren, sprach er einen Segen über sie und sagte 'wähle dir drei Sachen aus, die will ich dir gewähren.' Da sprach das Mädchen 'ich möchte gern so schön und rein werden wie die Sonne;' alsbald war sie weiß und schön wie der Tag. 'Dann möchte ich einen Geldbeutel haben, der nie leer würde;' den gab ihr der liebe Gott auch, sprach aber 'vergiß das Beste nicht.' Sagte sie 'ich wünsche mir zum dritten das ewige Himmelreich nach meinem Tode.' Das ward ihr auch gewährt, und also schied der liebe Gott von ihr.
Als die Stiefmutter mit ihrer Tochter nach Hause kam und sah, daß sie beide kohlschwarz und häßlich waren, die Stieftochter aber weiß und schön, so stieg die Bosheit in ihrem Herzen noch höher, und sie hatte nichts anders im Sinn, als wie sie ihr ein Leid antun könnte. Die Stieftochter aber hatte einen Bruder namens Reginer, den liebte sie sehr und erzählte ihm alles, was geschehen war. Nun sprach Reginer einmal zu ihr 'liebe Schwester, ich will dich abmalen, damit ich dich beständig vor Augen sehe, denn meine Liebe zu dir ist so groß, daß ich dich immer anblicken möchte.' Da antwortete sie 'aber ich bitte dich, laß niemand das Bild sehen.' Er malte nun seine Schwester ab und hing das Bild in seiner Stube auf; er wohnte aber in des Königs Schloß, weil er bei ihm Kutscher war. Alle Tage ging er davor stehen und dankte Gott für das Glück seiner lieben Schwester. Nun war aber gerade dem König, bei dem er diente, seine Gemahlin verstorben, die so schön gewesen war, daß man keine finden konnte, die ihr gliche, und der König war darüber in tiefer Trauer. Die Hofdiener bemerkten aber, daß der Kutscher täglich vor dem schönen Bilde stand, mißgönntens ihm und meldeten es dem König. Da ließ dieser das Bild vor sich bringen, und als er sah, daß es in allem seiner verstorbenen Frau glich, nur noch schöner war, so verliebte er sich sterblich hinein. Er ließ den Kutscher vor sich kommen und fragte, wen das Bild vorstellte. Der Kutscher sagte, es wäre seine Schwester, so entschloß sich der König, keine andere als diese zur Gemahlin zu nehmen, gab ihm Wagen und Pferde und prächtige Goldkleider und schickte ihn fort, seine erwählte Braut abzuholen. Wie Reginer mit der Botschaft ankam, freute sich seine Schwester, allein die Schwarze war eifersüchtig über das Glück, ärgerte sich über alle Maßen und sprach zu ihrer Mutter 'was helfen nun all Eure Künste, da Ihr mir ein solches Glück doch nicht verschaffen könnt.' 'Sei still,' sagte die Alte, 'ich will dirs schon zuwenden.' Und durch ihre Hexenkünste trübte sie dem Kutscher die Augen, daß er halb blind war, und der Weißen verstopfte sie die Ohren, daß sie halb taub war. Darauf stiegen sie in den Wagen, erst die Braut in den herrlichen königlichen Kleidern, dann die Stiefmutter mit ihrer Tochter, und Reginer saß auf dem Bock, um zu fahren. Wie sie eine Weile unterwegs waren, rief der Kutscher
'deck dich zu, mein Schwesterlein,
daß Regen dich nicht näßt,
daß Wind dich nicht bestäubt,
daß du fein schön zum König kommst.'
Die Braut fragte 'was sagt mein lieber Bruder?' 'Ach,' sprach die Alte, 'er hat gesagt, du solltest dein gülden Kleid ausziehen und es deiner Schwester geben.' Da zog sies aus und tats der Schwarzen an, die gab ihr dafür einen schlechten grauen Kittel. So fuhren sie weiter: über ein Weilchen rief der Bruder abermals
'deck dich zu, mein Schwesterlein'
daß Regen dich nicht näßt,
daß Wind dich nicht bestäubt,
und du fein schön zum König kommst.'
Die Braut fragte 'was sagt mein lieber Bruder?' 'Ach,' sprach die Alte, 'er hat gesagt, du solltest deine güldene Haube abtun und deiner Schwester geben.' Da tat sie die Haube ab und tat sie der Schwarzen auf und saß im bloßen Haar. So fuhren sie weiter: wiederum über eine Weile rief der Bruder
'deck dich zu, mein Schwesterlein,
daß Regen dich nicht näßt
daß Wind dich nicht bestäubt,
und du fein schön zum König kommst.'
Die Braut fragte 'was sagt mein lieber Bruder?' 'Ach,' sprach die Alte, 'er hat gesagt, du möchtest einmal aus dem Wagen sehen.' Sie fuhren aber gerade auf einer Brücke über ein tiefes Wasser. Wie nun die Braut aufstand und aus dem Wagen sich herausbückte, da stießen sie die beiden hinaus, daß sie mitten ins Wasser stürzte. Als sie versunken war, in demselben Augenblick stieg eine schneeweiße Ente aus dem Wasserspiegel hervor und schwamm den Fluß hinab. Der Bruder hatte gar nichts davon gemerkt und fuhr den Wagen weiter, bis sie an den Hof kamen. Da brachte er dem König die Schwarze als seine Schwester und meinte, sie wärs wirklich, weil es ihm trübe vor den Augen war und doch die Goldkleider schimmern sah. Der König, wie er die grundlose Häßlichkeit an seiner vermeinten Braut erblickte, ward sehr bös und befahl, den Kutscher in eine Grube zu werfen, die voll Ottern und Schlangengezücht war. Die alte Hexe aber wußte den König doch so zu bestricken und durch ihre Künste ihm die Augen zu verblenden, daß er sie und ihre Tochter behielt, ja daß sie ihm ganz leidlich vorkam und er sich wirklich mit ihr verheiratete.
Einmal abends, während die schwarze Braut dem König auf dem Schoße saß, kam eine weiße Ente zum Gossenstein in die Küche geschwommen und sagte zum Küchenjungen
'Jüngelchen, mach Feuer an'
daß ich meine Federn wärmen kann.'
Das tat der Küchenjunge und machte ihr ein Feuer auf dem Herd: da kam die Ente und setzte sich daneben, schüttelte sich und strich sich die Federn mit dem Schnabel zurecht. Während sie so saß und sich wohltat, fragte sie
'was macht mein Bruder Reginer?'
Der Küchenjunge antwortete
'liegt in der Grube gefangen
bei Ottern und bei Schlangen.'
Fragte sie weiter
'was macht die schwarze Hexe im Haus?'
Der Küchenjunge antwortete
'die sitzt warm
ins Königs Arm.'
Sagte die Ente
'daß Gott erbarm!'
und schwamm den Gossenstein hinaus.
Den folgenden Abend kam sie wieder und tat dieselben Fragen und den dritten Abend noch einmal. Da konnte es der Küchenjunge nicht länger übers Herz bringen, ging zu dem König und entdeckte ihm alles. Der König aber wollte es salbst sehen, ging den andern Abend hin, und wie die Ente den Kopf durch den Gossenstein hereinstreckte, nahm er sein Schwert und hieb ihr den Hals durch, da ward sie auf einmal zum schönsten Mädchen, und glich genau dem Bild, das der Bruder von ihr gemacht hatte. Der König war voll Freuden; und weil sie ganz naß dastand, ließ er köstliche Kleider bringen und ließ sie damit bekleiden. Dann erzählte sie ihm, wie sie durch List und Falschheit wäre betrogen und zuletzt in den Fluß hinabgeworfen worden; und ihre erste Bitte war, daß ihr Bruder aus der Schlangenhöhle herausgeholt würde. Und als der König diese Bitte erfüllt hatte, ging er in die Kammer, wo die alte Hexe saß, und fragte 'was verdient die, welche das und das tut?' und erzählte, was geschehen war. Da war sie so verblendet, daß sie nichts merkte und sprach 'die verdient, daß man sie nackt auszieht und in ein Faß mit Nägeln legt, und daß man vor das Faß ein Pferd spannt und das Pferd in alle Welt schickt.' Das geschah alles an ihr und ihrer schwarzen Tochter. Der König aber heiratete die weiße und schöne Braut und belohnte den treuen Bruder, indem er ihn zu einem reichen und angesehenen Mann machte.

 

Die Wichtelmänner erstes Märchen

Es war ein Schuster ohne seine Schuld so arm geworden, daß ihm nichts mehr übrig blieb als Leder zu einem einzigen Paar Schuhe. Nun schnitt er am Abend die Schuhe zu, die wollte er den nächsten Morgen in Arbeit nehmen; und weil er ein gutes Gewissen hatte, legte er sich ruhig zu Bett, befahl sich dem lieben Gott und schlief ein. Morgens, nachdem er sein Gebet verrichtet hatte und sich zur Arbeit niedersetzen wollte, standen die Schuhe ganz fertig auf seinem Tisch. Er verwunderte sich und wußte nicht, was er dazu sagen sollte. Er nahm sie in die Hand, um sie näher zu betrachten. Sie waren so sauber gearbeitet, daß kein Stich daran falsch war, gerade als wenn es ein Meisterstück sein sollte. Bald darauf trat auch schon ein Käufer ein, und weil ihm die Schuhe so gefielen, so bezahlte er mehr als gewöhnlich dafür, und der Schuster konnte von dem Geld Leder zu zwei Paar Schuhen erhandeln. schnitt sie abends zu und wollte den nächsten Morgen mit frischem Mut an die Arbeit gehen, aber er brauchte es nicht; denn als er aufstand, waren sie schon fertig, und es blieben auch nicht die Käufer aus, die ihm so viel Geld gaben, daß er Leder zu vier Paar Schuhen einkaufen konnte. Er fand früh morgens auch die vier Paare fertig; und so ging's immer fort. Was er abends zuschnitt, das war am Morgen verarbeitet, also daß er bald wieder sein ehrliches Auskommen hatte und endlich ein wohlhabender Mann ward. Nu geschah es eines Abends, nicht lange vor Weihnachten, als der Mann wieder zugeschnitten hatte, daß er vor Schlafengehen zu seiner Frau sprach: "Wie wär's, wenn wir diese Nacht aufblieben, um zu sehen, wer uns solch hilfreich Hand leistet?" Die Frau war's zufrieden und steckte ein Licht an; darauf verbargen sie sich in den Stubenecken hinter den Kleidern, die da aufgehängt waren, und gaben acht. Als es Mitternacht war, da kamen zwei kleine niedliche nackte Männlein, setzten sich vor des Schusters Tisch, nahmen alle zugeschnittene Arbeit zu sich und fingen an, mit ihren Fingerlein so behend und schnell zu stechen, zu nähen, zu klopfen, daß der Schuster vor Verwunderung die Augen nicht abwenden konnte. Sie ließen nicht nach, bis alles fertig auf dem Tische stand; dann sprangen sie schnell fort.
Am andern Morgen sprach die Frau: "Die kleinen Männer haben uns reich gemacht, wir müßten uns doch dankbar dafür bezeigen. Sie laufen so herum, haben nichts am Leib und müssen frieren. Weißt du was? Ich will Hemdlein, Rock, Wams und Höslein für sie nähen, auch jedem ein Paar Strümpfe stricken; mach du jedem ein Paar Schühlein dazu." Der Mann sprach: "Das bin ich wohl zufrieden", und abends legten sie die Geschenke statt der zugeschnittenen Arbeit zusammen auf den Tisch und versteckten sich dann, um mit anzusehen, wie sich die Männlein dazu anstellen würden. Um Mitternacht kamen sie herangesprungen und wollten sich gleich an die Arbeit machen; als sie aber kein zugeschnittenes Leder, sondern die niedlichen Kleidungsstücke fanden, verwunderten sie sich erst, dann aber bezeigten sie eine gewaltige Freude. Mit der größten Geschwindigkeit zogen sie sich an, strichen die schönen Kleider am Leib glatt und sangen:
"Sind wir nicht Knaben glatt und fein?
Was sollen wir länger Schuster sein!"
Dann hüpften und tanzten sie und sprangen über Stühle und Bänke. Endlich tanzten sie zur Tür hinaus. Von nun an kamen sie nicht wieder, dem Schuster aber ging es wohl, solang er lebte, und es glückte ihm alles, was er unternahm.

 

Die Wichtelmänner zweites Märchen

Es war einmal ein armes Dienstmädchen, das war fleißig und reinlich, kehrte alle Tage das Haus und schüttete den Kehricht auf einen großen Haufen vor die Tür. Eines Morgens, als es eben wieder an die Arbeit gehen wollte, fand es einen Brief darauf, und weil es nicht lesen konnte, brachte es den Brief seiner Herrschaft, und da war es eine Einladung von den Wichtelmännern, die baten das Mädchen, ihnen ein Kind aus der Taufe zu heben. Das Mädchen wußte nicht, was es tun sollte, endlich auf vieles Zureden und weil sie ihm sagten, so etwas dürfte man nicht abschlagen, so willigte es ein. Da kamen drei Wichtelmänner und führten es in einen hohlen Berg, wo die Kleinen lebten. Es war da alles klein, aber so zierlich und prächtig, daß es nicht zu sagen ist. Die Kindbetterin lag in einem Bett von schwarzem Ebenholz mit Knöpfen von Perlen, die Decken waren mit Gold gestickt, die Wiege war von Elfenbein, die Badwanne von Gold. Das Mädchen stand nun Gevatter und wollte dann wieder nach Haus gehen, die Wichtelmännlein baten es aber inständig, drei Tage bei ihnen zu bleiben. Es blieb also und verlebte die Zeit in Lust und Freude, und die Kleinen taten ihm alles zuliebe. Endlich wollte es sich auf den Rückweg machen, da steckten sie ihm die Taschen erst ganz voll Gold und führten es wieder zum Berge hinaus. Als es nach Haus kam, wollte es seine Arbeit beginnen, nahm den Besen in die Hand, der noch in der Ecke stand, und fing an zu kehren. Da kamen fremde Leute aus dem Haus, die fragten, wer es wäre und was es da zu tun hätte. Da war es nicht drei Tage, wie es gemeint hatte, sondern sieben Jahre bei den kleinen Männern im Berge gewesen, und seine vorige Herrschaft war in der Zeit gestorben.

 

Die Wichtelmänner drittes Märchen

Einer Mutter ward ihr Kind von den Wichtelmännern aus der Wiege geholt und ein Wechselbalg mit dickem Kopf und starren Augen hineingelegt, der nichts als essen und trinken wollte. In ihrer Not ging sie zu ihrer Nachbarin und fragte sie um Rat. Die Nachbarin sagte, sie sollte den Wechselbalg in die Küche tragen, auf den Herd setzen, Feuer anmachen und in zwei Eierschalen Wasser kochen; das bringe den Wechselbalg zum Lachen, und wenn er lache, dann sei es aus mit ihm. Die Frau tat alles, wie die Nachbarin gesagt hatte. Wie sie die Eierschalen mit Wasser über das Feuer setzte, sprach der Klotzkopf:
"Nun bin ich so alt
wie der Westerwald
und hab' nicht gesehen, daß jemand in Schalen kocht",
und fing an, darüber zu lachen. Indem er lachte, kam auf einmal eine Menge von Wichtelmännerchen; die brachten das rechte Kind und nahmen den Wechselbalg wieder mit fort.

 

Der Wolf und der Fuchs

Der Wolf hatte den Fuchs bei sich, und was der Wolf wollte, das mußte der Fuchs tun, weil er der schwächere war, und der Fuchs wär' gern den Herrn los gewesen. Es trug sich zu, daß sie beide durch den Wald gingen, da sprach der Wolf: "Rotfuchs, schaff mir was zu fressen, oder ich fresse dich selber auf." Da antwortete der Fuchs: "Ich weiß einen Bauernhof, wo ein paar junge Lämmlem sind, hast du Lust, so wollen wir eins holen.". Dem Wolf war das recht, sie gingen hin, und der Fuchs stahl das Lämmlein, brachte es dem Wolf und machte sich fort. Da fraß es der Wolf auf, war aber damit noch nicht zufrieden, sondern wollte das andere dazu haben und ging, es zu holen. Weil er es aber so ungeschickt machte, ward es die Mutter vom Lämmlein gewahr und fing an, entsetzlich zu schreien und zu blähen, daß die Bauern herbeigelaufen kamen. Da fanden sie den Wolf und schlugen ihn so erbärmlich, daß er hinkend und heulend bei deni Fuchs ankam. "Du hast mich schön angeführt", sprach er, "ich wollte das andere Lamm holen, da haben mich die Bauern erwischt und haben mich weich geschlagen." Der Fuchs antwortete: "Warum bist du so ein Nimmersatt?"
Am andern Tag gingen sie wieder ins Feld, der gierige Wolf sprach abermals: "Rotfuchs, schaff mir was zu fressen, oder ich fresse dich selber auf." Da antwortete der Fuchs: "Ich weiß ein Bauernhaus, da backt die Frau heut abend Pfannkuchen, wir wollen uns davon holen." Sie gingen hin, und der Fuchs schlich ums Haus herum, guckte und schnupperte so lange, bis er ausfindig machte, wo die Schüssel stand, zog dann sechs Pfannkuchen herab und brachte sie dem Wolf. "Da hast du zu fressen", sprach er zu ihm und ging seiner Wege. Der Wolf hatte die Pfannkuchen in einem Augenblick hinunter geschluckt und sprach: "Sie schmecken nach mehr", ging hin und riß geradezu die ganze Schüssel herunter, daß sie in Stücke zersprang. Da gab's einen gewaltigen Lärm, daß die Frau herauskam, und als sie den Wolf sah, rief sie die Leute, die eilten herbei und schlugen ihn, was das Zeug halten wollte, daß er mit zwei lahmen Beinen laut heulend zum Fuchs in den Wald hinauskam. "Was hast du mich garstig angeführt", rief er, "die Bauern haben mich erwischt und mir die Haut gegerbt." Der Fuchs aber antwortete: "Warum bist du so ein Nimmersatt."
Am dritten Tag, als sie beisammen draußen waren und der Wolf mit Mühe nur forthinkte, sprach er doch wieder: "Rotfuchs, schaff mir was zu fressen, oder ich fresse dich selber auf." Der Fuchs antwortete: "Ich weiß einen Mann, der hat geschlachtet und das gesalzene Fleisch liegt in einem Faß im Keller, das wollen wir holen." Sprach der Wolf: "Aber ich will gleich mitgehen, damit du mir hilfst, wenn ich nicht fort kann." "Meinetwegen", sagte der Fuchs und zeigte ihm die Schliche und Wege, auf welchen sie endlich in den Keller gelangten. Da war nun Fleisch im Überfluß, und der Wolf dachte: ,Bis ich aufhöre, hat's Zeit'. Der Fuchs ließ sich's auch gut schmecken, blickte überall herum, lief aber oft zu dem Loch, durch welches sie gekommen waren, und versuchte, ob sein Leib noch schmal genug wäre, durchzuschlüpfen. Sprach der Wolf: "Lieber Fuchs, sag mir, warum rennst du so hin und her?" "Ich muß doch sehen, ob niemand kommt", antwortete der Listige, "friß nur nicht zuviel." Da sagte der Wolf: "Ich gehe nicht eher fort, bis das Faß leer ist." Indem kam der Bauer, der den Lärm von des Fuchses Sprüngen gehört hatte, in den Keller. Der Fuchs, wie er ihn sah, war mit einem Satz zum Loch draußen. Der Wolf wollte nach, aber er hatte sich so dick gefressen, daß er nicht mehr durchkonnte, sondern steckenblieb. Da kam der Bauer mit einem Knüppel und schlug ihn tot. Der Fuchs aber sprang in den Wald und war froh, daß er den alten Nimmersatt los war.

 

Die zertanzten Schuhe

Es war einmal ein König, der hatte zwölf Töchter, eine immer schöner als die andere. Sie schliefen zusammen in einem Saal, wo ihre Betten nebeneinander standen, und abends wenn sie darin lagen, schloß der König die Tür zu und verriegelte sie. Wenn er aber am Morgen die Türe aufschloß, so sah er, daß ihre Schuhe zertanzt waren, und niemand konnte herausbringen, wie das zugegangen war. Da ließ der König ausrufen, wers könnte ausfindig machen, wo sie in der Nacht tanzten, der sollte sich eine davon zur Frau wählen und nach seinem Tod König sein: wer sich aber meldete und es nach drei Tagen und Nächten nicht herausbrächte, der hätte sein Leben verwirkt.
Nicht lange, so meldete sich ein Königssohn und erbot sich, das Wagnis zu unternehmen. Er ward wohl aufgenommen und abends in ein Zimmer geführt, das an den Schlafsaal stieß. Sein Bett war da aufgeschlagen, und er sollte acht haben, wo sie hingingen und tanzten; und damit sie nichts heimlich treiben konnten oder zu einem andern Ort hinausgingen, war auch die Saaltüre offen gelassen. Dem Königssohn fiels aber wie Blei auf die Augen und er schlief ein, und als er am Morgen aufwachte, waren alle zwölfe zum Tanz gewesen, denn ihre Schuhe standen da und hatten Löcher in den Sohlen. Den zweiten und dritten Abend gings nicht anders, und da ward ihm sein Haupt ohne Barmherzigkeit abgeschlagen. Es kamen hernach noch viele und meldeten sich zu dem Wagestück, sie mußten aber alle ihr Leben lassen.
Nun trug sichs zu, daß ein armer Soldat, der eine Wunde hatte und nicht mehr dienen konnte, sich auf dem Weg nach der Stadt befand, wo der König wohnte. Da begegnete ihm eine alte Frau, die fragte ihn, wo er hin wollte. 'Ich weiß selber nicht recht,' sprach er, und setzte im Scherz hinzu 'ich hätte wohl Lust, ausfindig zu machen, wo die Königstöchter ihre Schuhe vertanzen, und danach König zu werden.' 'Das ist so schwer nicht,' sagte die Alte, 'du mußt den Wein nicht trinken, der dir abends gebracht wird, und mußt tun, als wärst du fest eingeschlafen.' Darauf gab sie ihm ein Mäntelchen und sprach 'wenn du das umhängst, so bist du unsichtbar und kannst den zwölfen dann nachschleichen.' Wie der Soldat den guten Rat bekommen hatte, wards Ernst bei ihm, so daß er ein Herz faßte, vor den König ging und sich als Freier meldete. Er ward so gut aufgenommen wie die andern auch, und wurden ihm königliche Kleider angetan. Abends zur Schlafenszeit ward er in das Vorzimmer geführt, und als er zu Bette gehen wollte, kam die älteste und brachte ihm einen Becher Wein: aber er hatte sich einen Schwamm unter das Kinn gebunden, ließ den Wein da hineinlaufen, und trank keinen Tropfen. Dann legte er sich nieder, und als er ein Weilchen gelegen hatte, fing er an zu schnarchen wie im tiefsten Schlaf. Das hörten die zwölf Königstöchter, lachten, und die älteste sprach 'der hätte auch sein Leben sparen können.' Danach standen sie auf, öffneten Schränke, Kisten und Kasten, und holten prächtige Kleider heraus: putzten sich vor den Spiegeln, sprangen herum und freuten sich auf den Tanz. Nur die jüngste sagte 'ich weiß nicht, ihr freut euch, aber mir ist so wunderlich zumut: gewiß widerfährt uns ein Unglück.' 'Du bist eine Schneegans,' sagte die älteste, 'die sich immer fürchtet. Hast du vergessen, wie viel Königssöhne schon umsonst dagewesen sind? dem Soldaten hätt ich nicht einmal brauchen einen Schlaftrunk zu geben, der Lümmel wäre doch nicht aufgewacht.' Wie sie alle fertig waren, sahen sie erst nach dem Soldaten, aber der hatte die Augen zugetan, rührte und regte sich nicht, und sie glaubten nun ganz sicher zu sein. Da ging die äIteste an ihr Bett und klopfte daran: alsbald sank es in die Erde, und sie stiegen durch die öffnung hinab, eine nach der andern' die älteste voran.
Der Soldat, der alles mit angesehen hatte, zauderte nicht lange, hing sein Mäntelchen um und stieg hinter der jüngsten mit hinab. Mitten auf der Treppe trat er ihr ein wenig aufs Kleid, da erschrak sie und rief 'was ist das? wer hält mich am Kleid?' 'Sei nicht so einfältig,' sagte die älteste, 'du bist an einem Haken hängen geblieben.' Da gingen sie vollends hinab, und wie sie unten waren, standen sie in einem wunderprächtigen Baumgang, da waren alle Blätter von Silber und schimmerten und glänzten. Der Soldat dachte 'du willst dir ein Wahrzeichen mitnehmen,' und brach einen Zweig davon ab: da fuhr ein gewaltiger Krach aus dem Baume. Die jüngste rief wieder 'es ist nicht richtig, habt ihr den Knall gehört?' Die älteste aber sprach 'das sind Freudenschüsse, weil wir unsere Prinzen bald erlöst haben.' Sie kamen darauf in einem Baumgang, wo alle Blätter von Gold, und endlich in einen dritten, wo sie klarer Demant waren: von beiden brach er einen Zweig ab, wobei es jedesmal krachte, daß die jüngste vor Schrecken zusammenfuhr: aber die älteste blieb dabei, es wären Freudenschüsse.
Sie gingen weiter und kamen zu einem großen Wasser, darauf standen zwölf Schifflein, und in jedem Schifflein saß ein schöner Prinz, die hatten auf die zwölfe gewartet, und jeder nahm eine zu sich, der Soldat aber setzte sich mit der jüngsten ein. Da sprach der Prinz 'ich weiß nicht. das Schiff ist heute viel schwerer, und ich muß aus allen Kräften rudern, wenn ich es fortbringen soll.' 'Wovon sollte das kommen,' sprach die jüngste, 'als vom warmen Wetter, es ist mir auch so heiß zumut.' Jenseits des Wassers aber stand ein schönes hellerleuchtetes Schloß, woraus eine lustige Musik erschallte von Pauken und Trompeten. Sie ruderten hinüber, traten ein, und jeder Prinz tanzte mit seiner Liebsten; der Soldat aber tanzte unsichtbar mit, und wenn eine einen Becher mit Wein hielt, so trank er ihn aus, daß er leer war, wenn sie ihn an den Mund brachte; und der jüngsten ward auch angst darüber, aber die älteste brachte sie immer zum Schweigen. Sie tanzten da bis drei Uhr am andern Morgen, wo alle Schuhe durchgetanzt waren und sie aufhören mußten.
Die Prinzen fuhren sie über das Wasser wieder zurück, und der Soldat setzte sich diesmal vornen hin zur ältesten. Am Ufer nahmen sie von ihren Prinzen Abschied und versprachen, in der folgenden Nacht wiederzukommen. Als sie an der Treppe waren, lief der Soldat voraus und legte sich in sein Bett, und als die zwölf langsam und müde heraufgetrippelt kamen, schnarchte er schon wieder so laut, daß sies alle hören konnten, und sie sprachen 'vor dem sind wir sicher.' Da taten sie ihre schönen Kleider aus, brachten sie weg, stellten die zertanzten Schuhe unter das Bett und legten sich nieder. Am andern Morgen wollte der Soldat nichts sagen, sondern das wunderliche Wesen noch mit ansehen, und ging die zweite und die dritte Nacht wieder mit. Da war alles wie das erstemal, und sie tanzten jedesmal, bis die Schuhe entzwei waren. Das drittemal aber nahm er zum Wahrzeichen einen Becher mit.
Als die Stunde gekommen war, wo er antworten sollte, steckte er die drei Zweige und den Becher zu sich und ging vor den König, die zwölfe aber standen hinter der Türe und horchten, was er sagen würde. Als der König die Frage tat 'wo haben meine zwölf Töchter ihre Schuhe in der Nacht vertanzt?' so antwortete er 'mit zwölf Prinzen in einem unterirdischen Schloß,' berichtete, wie es zugegangen war, und holte die Wahrzeichen hervor. Da ließ der König seine Töchter kommen und fragte sie, ob der Soldat die Wahrheit gesagt hätte, und da sie sahen, daß sie verraten waren und leugnen nichts half, so mußten sie alles eingestehen. Darauf fragte ihn der König, welche er zur Frau haben wollte. Er antwortete 'ich bin nicht mehr jung, so gebt mir die älteste.' Da ward noch am selbigen Tage die Hochzeit gehalten und ihm das Reich nach des Königs Tode versprochen. Aber die Prinzen wurden auf so viel Tage wieder verwünscht, als sie Nächte mit den zwölfen getanzt hatten.

 

Die zwölf Brüder

Es war einmal ein König und eine Königin, die lebten in Frieden miteinander und hatten zwölf Kinder, das waren aber lauter Buben. Nun sprach der König zu seiner Frau 'wenn das dreizehnte Kind, was du zur Welt bringst, ein Mädchen ist, so sollen die zwölf Buben sterben, damit sein Reichtum groß wird und das Königreich ihm allein zufällt.' Er ließ auch zwölf Särge machen, die waren schon mit Hobelspänen gefüllt, und in jedem lag das Totenkißchen, und ließ sie in eine verschlossene Stube bringen, dann gab er der Königin den Schlüssel und gebot ihr, niemand etwas davon zu sagen.
Die Mutter aber saß nun den ganzen Tag und trauerte, so daß der kleinste Sohn, der immer bei ihr war, und den sie nach der Bibel Benjamin nannte, zu ihr sprach 'liebe Mutter, warum bist du so traurig?' 'Liebstes Kind,' antwortete sie, 'ich darf dirs nicht sagen.' Er ließ ihr aber keine Ruhe, bis sie ging und die Stube aufschloß, und ihm die zwölf mit Hobelspänen schon gefüllten Totenladen zeigte. Darauf sprach sie 'mein liebster Benjamin, diese Särge hat dein Vater für dich und deine elf Brüder machen lassen, denn wenn ich ein Mädchen zur Welt bringe, so sollt ihr allesamt getötet und darin begraben werden.' Und als sie weinte, während sie das sprach, so tröstete sie der Sohn und sagte 'weine nicht, liebe Mutter, wir wollen uns schon helfen und wollen fortgehen.' Sie aber sprach 'geh mit deinen elf Brüdern hinaus in den Wald, und einer setze sich immer auf den höchsten Baum, der zu finden ist, und halte Wacht und schaue nach dem Turm hier im Schloß. Gebär ich ein Söhnlein, so will ich eine weiße Fahne aufstecken, und dann dürft ihr wiederkommen: gebär ich ein Töchterlein, so will ich eine rote Fahne aufstecken, und dann flieht fort, so schnell ihr könnt, und der liebe Gott behüte euch. Alle Nacht will ich aufstehen und für euch beten, im Winter, daß ihr an einem Feuer euch wärmen könnt, im Sommer, daß ihr nicht in der Hitze schmachtet.'
Nachdem sie also ihre Söhne gesegnet hatte, gingen sie hinaus in den Wald. Einer hielt um den andern Wache, saß auf der höchsten Eiche und schaute nach dem Turm. Als elf Tage herum waren und die Reihe an Benjamin kam, da sah er, wie eine Fahne aufgesteckt wurde: es war aber nicht die weiße, sondern die rote Blutfahne, die verkündete, daß sie alle sterben sollten. Wie die Brüder das hörten, wurden sie zornig und sprachen 'sollten wir um eines Mädchens willen den Tod leiden! wir schwören, daß wir uns rächen wollen: wo wir ein Mädchen finden, soll sein rotes Blut fließen.'
Darauf gingen sie tiefer in den Wald hinein, und mitten drein, wo er am dunkelsten war, fanden sie ein kleines verwünschtes Häuschen, das leer stand. Da sprachen sie 'hier wollen wir wohnen, und du, Benjamin, du bist der jüngste und schwächste, du sollst daheim bleiben und haushalten, wir andernwollen ausgehen und Essen holen.' Nun zogen sie in den Wald und schossen Hasen, wilde Rehe, Vögel und Täuberchen, und was zu essen stand: das brachten sie dem Benjamin, der mußte es ihnen zurecht machen, damit sie ihren Hunger stillen konnten. In dem Häuschen lebten sie zehn Jahre zusammen, und die Zeit ward ihnen nicht lang.
Das Töchterchen, das ihre Mutter, die Königin, geboren hatte, war nun herangewachsen, war gut von Herzen und schön von Angesicht und hatte einen goldenen Stern auf der Stirne. Einmal, als große Wäsche war, sah es darunter zwölf Mannshemden und fragte seine Mutter 'wem gehören diese zwölf Hemden, für den Vater sind sie doch viel zu klein?' Da antwortete sie mit schwerem Herzen 'liebes Kind, die gehören deinen zwölf Brüdern.' Sprach das Mädchen 'wo sind meine zwölf Brüder, ich habe noch niemals von ihnen gehört.' Sie antwortete 'das weiß Gott, wo sie sind: sie irren in der Welt herum.' Da nahm sie das Mädchen und schloß ihm das Zimmer auf, und zeigte ihm die zwölf Särge mit den Hobelspänen und den Totenkißchen. 'Diese Särge,' sprach sie, 'waren für deine Brüder bestimmt, aber sie sind heimlich fortgegangen, eh du geboren warst,' und erzählte ihm, wie sich alles zugetragen hatte. Da sagte das Mädchen 'liebe Mutter, weine nicht, ich will gehen und meine Brüder suchen.'
Nun nahm es die zwölf Hemden und ging fort und geradezu in den großen Wald hinein. Es ging den ganzen Tag, und am Abend kam es zu dem verwünschten Häuschen. Da trat es hinein und fand einen jungen Knaben, der fragte 'wo kommst du her und wo willst du hin?' und erstaunte, daß sie so schön war, königliche Kleider trug und einen Stern auf der Stirne hatte. Da antwortete sie 'ich bin eine Königstochter und suche meine zwölf Brüder und will gehen, so weit der Himmel blau ist, bis ich sie finde.' Sie zeigte ihm auch die zwölf Hemden, die ihnen gehörten. Da sah Benjamin, daß es seine Schwester war, und sprach 'ich bin Benjamin, dein jüngster Bruder.' Und sie fing an zu weinen vor Freude, und Benjamin auch, und sie küßten und herzten einander vor großer Liebe. Hernach sprach er 'liebe Schwester, es ist noch ein Vorbehalt da, wir hatten verabredet, daß ein jedes Mädchen, das uns begegnete, sterben sollte, weil wir um ein Mädchen unser Königreich verlassen mußten.' Da sagte sie 'ich will gerne sterben, wenn ich damit meine zwölf Brüder erlösen kann.' 'Nein,' antwortete er, 'du sollst nicht sterben, setze dich unter diese Bütte, bis die elf Brüder kommen, dann will ich schon einig mit ihnen werden.' Also tat sie; und wie es Nacht ward, kamen die andern von der Jagd, und die Mahlzeit war bereit. Und als sie am Tische saßen und aßen, fragten sie 'was gibts Neues?' Sprach Benjamin 'wißt ihr nichts?' 'Nein,' antworteten sie. Sprach er weiter 'ihr seid im Walde gewesen, und ich bin daheim geblieben, und weiß doch mehr als ihr.' 'So erzähle uns,' riefen sie. Antwortete er 'versprecht ihr mir auch, daß das erste Mädchen, das uns begegnet, nicht soll getötet werden?' 'Ja,' riefen alle, 'das soll Gnade haben, erzähl uns nur.' Da sprach er 'unsere Schwester ist da,' und hub die Bütte auf, und die Königstochter kam hervor in ihren königlichen Kleidern mit dem goldenen Stern auf der Stirne, und war so schön, zart und fein. Da freueten sie sich alle, fielen ihr um den Hals und küßten sie und hatten sie vom Herzen lieb.
Nun blieb sie bei Benjamin zu Haus und half ihm in der Arbeit. Die elfe zogen in den Wald, fingen Gewild, Rehe, Vögel und Täuberchen, damit sie zu essen hatten, und die Schwester und Benjamin sorgten, daß es zubereitet wurde. Sie suchte das Holz zum Kochen und die Kräuter zum Gemüs, und stellte die Töpfe ans Feuer, also daß die Mahlzeit immer fertig war, wenn die elfe kamen. Sie hielt auch sonst Ordnung im Häuschen, und deckte die Bettlein hübsch weiß und rein, und die Brüder waren immer zufrieden und lebten in großer Einigkeit mit ihr.
Auf eine Zeit hatten die beiden daheim eine schöne Kost zurechtgemacht, und wie sie nun alle beisammen waren, setzten sie sich, aßen und tranken und waren voller Freude. Es war aber ein kleines Gärtchen an dem verwünschten Häuschen, darin standen zwölf Lilienblumen, die man auch Studenten heißt: nun wollte sie ihren Brüdern ein Vergnügen machen, brach die zwölf Blumen ab und dachte jedem aufs Essen eine zu schenken. Wie sie aber die Blumen abgebrochen hatte, in demselben Augenblick waren die zwölf Brüder in zwölf Raben verwandelt und flogen über den Wald hin fort, und das Haus mit dem Garten war auch verschwunden. Da war nun das arme Mädchen allein in dem wilden Wald, und wie es sich umsah, so stand eine alte Frau neben ihm, die sprach 'mein Kind, was hast du angefangen? warum hast du die zwölf weißen Blumen nicht stehen lassen? das waren deine Brüder, die sind nun auf immer in Raben verwandelt.' Das Mädchen sprach weinend 'ist denn kein Mittel, sie zu erlösen?' 'Nein,' sagte die Alte 'es ist keins auf der ganzen Welt als eins, das ist aber so schwer, daß du sie damit nicht befreien wirst, denn du mußt sieben Jahre stumm sein, darfst nicht sprechen und nicht lachen, und sprichst du ein einziges Wort, und es fehlt nur eine Stunde an den sieben Jahren, so ist alles umsonst, und deine Brüder werden von dem einen Wort getötet.'
Da sprach das Mädchen in seinem Herzen 'ich weiß gewiß, daß ich meine Brüder erlöse,' und ging und suchte einen hohen Baum, setzte sich darauf und spann, und sprach nicht und lachte nicht. Nun trugs sich zu, daß ein König in dem Walde jagte, der hatte einen großen Windhund, der lief zu dem Baum, wo das Mädchen darauf saß, sprang herum, schrie und bellte hinauf. Da kam der König herbei und sah die schöne Königstochter mit dem goldenen Stern auf der Stirne, und war so entzückt über ihre Schönheit, daß er ihr zurief, ob sie seine Gemahlin werden wollet. Sie gab keine Antwort, nickte aber ein wenig mit dem Kopf. Da stieg er selbst auf den Baum, trug sie herab, setzte sie auf sein Pferd und führte sie heim. Da ward die Hochzeit mit großer Pracht und Freude gefeiert: aber die Braut sprach nicht und lachte nicht. Als sie ein paar Jahre miteinander vergnügt gelebt hatten, fing die Mutter des Königs, die eine böse Frau war, an, die junge Königin zu verleumden und sprach zum König 'es ist ein gemeines Bettelmädchen, das du dir mitgebracht hast, wer weiß, was für gottlose Streiche sie heimlich treibt. Wenn sie stumm ist und nicht sprechen kann, so könnte sie doch einmal lachen, aber wer nicht lacht, der hat ein böses Gewissen.' Der König wollte zuerst nicht daran glauben, aber die Alte trieb es so lange und beschuldigte sie so viel böser Dinge, daß der König sich endlich überreden ließ und sie zum Tod verurteilte.
Nun ward im Hof ein großes Feuer angezündet, darin sollte sie verbrannt werden: und der König stand oben am Fenster und sah mit weinenden Augen zu, weil er sie noch immer so lieb hatte. Und als sie schon an den Pfahl festgebunden war, und das Feuer an ihren Kleidern mit roten Zungen leckte, da war eben der letzte Augenblick von den sieben Jahren verflossen. Da ließ sich in der Luft ein Geschwirr hören, und zwölf Raben kamen hergezogen und senkten sich nieder: und wie sie die Erde berührten, waren es ihre zwölf Brüder, die sie erlöst hatte. Sie rissen das Feuer auseinander, löschten die Flammen, machten ihre liebe Schwester frei, und küßten und herzten sie. Nun aber, da sie ihren Mund auftun und reden durfte, erzählte sie dem Könige, warum sie stumm gewesen wäre und niemals gelacht hätte. Der König freute sich, als er hörte, daß sie unschuldig war, und sie lebten nun alle zusammen in Einigkeit bis an ihren Tod. Die böse Stiefmutter ward vor Gericht gestellt und in ein Faß gesteckt, das mit siedendem Öl und giftigen Schlangen angefüllt war, und starb eines bösen Todes.

Wofür brauchte Giotto Eigelb ???

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