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Wie Rübezahl zu seinem Namen kam

In Schlesien, im Sudetengebirge, haust der Berggeist Rübezahl. Dieser Fürst der Gnomen besitzt auf der Oberfläche der Erde zwar nur ein kleines Reich, wenige Meilen, wenige Meilen im Umfang groß, aber unter der Erde dehnt sich sein Gebiet unermeßlich in die Breite und reicht in die Tiefe fast bis zum Mittelpunkt der Erde.

Zuweilen gefällt es dem unterirdischen Gebieter, seine weiten Provinzen im Schoß der Erde zu durchkreuzen, die unerschöpflichen Schatzkammern edler Erze zu beschauen und die Knappschaft der Gnomen zu mustern und in Arbeit zu setzen. Sie müssen gewaltige Dämme im Innern der Erde errichten, um die Feuerströme aufzuhalten, die da fessellos hinschießen, oder sie müssen mineralische Dämpfe auffangen und mit ihnen taubes Gestein beräuchern, damit es sich veredle und in Erz verwandle.


Zuweilen aber erhebt sich der Geist auch aus der Tiefe, läßt alle Geschäfte ruhen und ergeht sich in seinem kleinen Oberweltreich, um da seinen Spaß mit den Menschenkindern zu treiben und sich wie ein toller Junge mit Sturm und Wetter herumzuschlagen.

Rübezahl ist ein wunderlicher Geist. Bald treibt ihn Ungestüm und Wildheit zu rohen, schadenfrohen Streichen, bald überkommt ihn Sehnsucht nach Freundschaft und Liebe. Dann ist er sanft, schwermütig und großherzig. Aber nicht lange. Die Stimmungen wechseln bei ihm wie Sonne und Regen im April.

Einst stieg er unmutvoll aus der Tiefe, als auf der Oberwelt gerade ein lieblicher Sommertag lachte. Der Geist strich zornig durch Busch und Hecken, köpfte hier eine goldgelbe Butterblume mit der Gerte, zertrat dort ein Käferchen und blies jeden Blütenstrauch mit bösem Atem an, daß er verdorrte.

Plötzlich hörte er von ferne hinter Büschen ein helles Lachen und Plätschern von Wasser. Er schlicht heran und freute sich in seiner bösen Lust schon des Gedankens, wie er dieses ahnungslose Lachen sogleich in tödliches Entsetzen verwandeln würde.

Aber wie wurde ihm, als er die lieblichste Frauengestalt erblickte, die zart und silberweiß wie eine Blume im Wasser stand, umring von jauchzenden Gespielinnen, die ihr Tropfen ins Gesicht sprengten und ihre mädchenhaften Scherze mit ihr trieben! Ein kleiner See breitete sich lieblich zwischen Felsen aus, und dichtes Gebüsch schirmte die Badenden vor neugierigen Blicken.

Der Fürst der Gnomen stand geblendet von solcher Lieblichkeit starr und stumm in seinem Versteck. Wie gerne hätte er seine zottige Gestalt abgeworfen und sich in einen edlen Jüngling verwandelt, um der Holdseligen entgegenzutreten, aber plötzliche Schüchternheit hinderte ihn und machte ihn so blöde wie einen Schäferknaben. Bewegungslos stand er wohl eine Stunde und sah zu, wie die fröhliche Mädchengesellschaft zum Schluß ihre Schleier und Blumenkörbe zusammenraffte und singend ins Tal hinabstieg.

Nie hatte der Geist so viel Anmut gesehen, nie so viel wahre Hoheit und liebliche Würde. Feuer rann durch seine Adern, und eine innere Stimme rief: Sie muß die deine werden, die Fürstin an deiner Seite, oder du bleibst auf ewig einsam und liebeleer!

Er säumte nicht, sich nach Herkunft und Stand der geheimnisvollen Schönen zu erkundigen und erfuhr zu seiner Genugtuung, daß sie die Tochter des Herzogs sei, dessen Reich an den Fuß des Gebirges grenzte. Sie pflegte oft mit den Jungfrauen ihres Hofes hier zu lustwandeln, Beeren und Blumen zu pflücken oder an heißem Tage im Felsenweiher zu baden.

Von Stund an war der Berggeist an den Weiher gebannt. Er lag Tag für Tag im Dickicht und wartete mit Sehnsucht auf die Schöne.

Die Prinzessin säumte lange zu kommen. Doch in der Mittagsstunde eines schwülen Tages erschien sie wieder mit ihrem Gefolge in dem kühlen Schatten am Ufer.

Aber wie erstaunte sie, als sie den Platz erblickte! Ein Märchenreich schien sich vor ihren Blicken aufzutun. Die rohen Felsen waren mit Marmor und Alabaster bekleidet. Das Wasser stürzte nicht mehr tosend zum See hinab. Durch viele zierliche Stufen gebrochen, rauschte es mit sanftem Gemurmel in ein weites Marmorbecken herunter, aus dessen Mitte ein rascher Wasserstrahl emporstrebte und bei jedem Lüftchen gleichsam einen zarten Silbervorhang von Tröpfchen bald hierhin, bald dorthin wehte. Maßliebchen, Veilchen und Vergißmeinnicht blühten am Rande des Beckens; Rosenhecken, Jasminbüsche und hängende Silberblütenbäume bildeten in der Ferne einen Zauberhaften Hintergrund, und rechts und links öffneten sich Grotten, aus denen ein magisches Licht entströmte, und in deren Nischen Erfrischungen in goldenen Körbchen auf die Besucher warteten.

Die Prinzessin stand lange in stummer Bewunderung da. Sie wußte nicht, ob sie ihren Augen trauen und diesen verzauberten Ort betreten, oder ob sie fliehen sollte. Aber alles schien so lieblich und so fürsorglich zubereitet, daß sie der Neugier nicht widerstand. Sie durcheilte mit den froh erstaunten Mädchen den kleinen Blumenhain, sie drang ein in die Grotten und bewunderte Malerei und Farbenpracht, und sie kostete von den Früchten und Leckerbissen und wurde nicht müde, ihr Entzücken über den Geschmack des unbekannten Erbauers auszudrücken. Schließlich empfand sie das Verlangen, in dem marmornen Weiher zu baden, und sie befahl ihren Dienerinnen, ringsum fleißig Wache zu halten, daß kein unbefugter Lauscher in der Nähe sie überrasche.

Kaum war die Liebliche über den Rand des Beckens gestiegen, so sank sie in eine bodenlose Tiefe, obwohl der durchscheinende Silberkies den Glauben erweckt hatte, das Becken sei flach. Ehe die herbeistürzenden Mädchen auch nur das goldhelle Haar ihrer Gebieterin erhaschen konnten, hatte die gefräßige Tiefe sie verschlungen. Entsetzensvolles Geschrei brach aus allen Kehlen; Brinhild, die lieblichste Gespielin der Ertrunkenen, stürzte sich ins Wasser, um der geliebten Herrin zu folgen, aber das Wasser nahm sie nicht auf. Sie schwamm auf der Oberfläche wie ein leichter Kork.

So sehr auch die erschrockene Schar die Hände rang, es blieb nichts übrig, als dem Herzog die Trauerkunde zu überbringen. Der arme Vater zerriß seinen Purpurmantel vor Entsetzen und brach sogleich mit dem ganzen Troß seines Hofstaats zur Unglücksstätte auf. Aber als er den Weiher erreichte, war der Zauber verschwunden. Die frühere Wildnis starrte ihm entgegen, und er wußte nicht, ob ein Spuk die Mädchen genarrte hatte oder ob ihr Verstand durch das Unglück getrübt war.

Es blieb ihm nichts übrig, als in seinen Palast zurückzukehren und das Schicksal der reizenden Emma zu beweinen.

Unterdessen erwies sich dieses Schicksal für die Prinzessin als gar nicht so übel. Sobald ihr die Besinnung zurückkehrte, fand sie sich in einem Palast von solcher Pracht, daß das väterliche Schloß dagegen fast ärmlich erschien. Sie lag, gehüllt in ein Gewand von Silberstoffen, besät mit Juwelen, auf einer Ruhebank, und ihr zu Füßen kniete der schönste Ritter, der ihr errötend sein Schloß und Reich als geringe Gabe bot, wenn sie sich erbitten ließe, ihm ihre Hand zu reichen.

Die schöne Emma, die am Hofe ihres Vaters für eine Prinzessin recht bescheiden gehalten worden war, und die außer von ihren Gespielinnen wenig Schmeicheleien zu hören bekommen hatte, lächelte vor Vergnügen über die ehrerbietigen und zärtlichen Worte dieses prachtvollen Kavaliers, roch entzückt die tausend Wohlgerüche, die auf sie einströmten und sah neugierig um sich, den sie vermutete mit Recht, daß hier noch mancherlei Wunderdinge darauf warteten, bestaunt und probiert zu werden.

Der entzückte Gnomenfürst, der Tränen und Zornesausbrüche erwartet hatte, küßte ihre Hand und führte sie strahlend durch die Säle. Unerhörte Pracht blendete die Augen der Prinzessin. Gold und Diamanten funkelten von den Wänden, schwellende Polster luden zur Ruhe, und durch die offenen Fenster sah ein prangender Lustgarten herein, der vor allem anderen das Entzücken des Fräuleins erregte. üppige Früchte glühten an jedem Baum, ein tausendstimmiger Chor von Singvögeln erfüllte die Luft mit lieblichen Wohllauten, und über marmorne Treppen plätscherten silberne Quellen in leuchtende Becken, die schimmerten, als wären sie aus Glas.

An der Seite der Prinzessin durchwanderte der Geist den weiten Park und hielt sich für den glücklichsten aller Sterblichen.

Aber die reizende Emma empfand schon nach wenigen Tagen, sobald die erste Neugier erfüllt war, eine leichte Schwermut, und der erschreckte Fürst sah plötzlich eine Träne in ihrem Auge. Er grübelte, was der Grund dieser Trauer sein könnte und kam auf den Gedanken, die Einsamkeit möchte schuld an dem Kummer des schönen Fräuleins sein.

Der Mensch, dachte er, ist ein geselliges Wesen wie die Biene und die Ameise. Wem soll die Holde ihr Herz ausschütten? Von wem sich für alle diese Geschenke der Liebe beneiden lassen?

Flugs ging der Gnomenfürst aufs Feld, zog aus einem Acker ein Dutzend Rüben, legte sie zierlich in ein Körbchen und brachte die Gabe der schönen Trauernden, die in einer Rosenlaube saß und einsam eine Rose entblätterte.

"Schönste der Erdentöchter," redete er sie an, "verbanne allen Trübsinn aus deiner Seele! Du sollst nicht mehr allein in leeren Hallen wandeln. In dem Korb hier ist alles, was du brauchst. Nimm diesen kleinen Stab und berühre damit die Erdgewächse. Sogleich wird jedes die Gestalt annehmen, die dir erwünscht ist."

Kaum hatte er die Prinzessin verlassen, als diese den Deckel abriß und eine Rübe berührte.

"Brinhild," rief sie, "liebste Brinhild, erscheine!"

Und Brinhild lag zu ihren Füßen und weinte vor Freude und lächelte zwischen den Tränen, genau wie Brinhild zu lächeln pflegte. Die Täuschung war so vollkommen, daß Fräulein Emma selbst nicht wußte, war dies ein Blendwerk oder Wirklichkeit? Aber zu langem Grübeln war sie nicht gestimmt. Hand in Hand lustwandelte sie mit der Gespielin, ließ sie jeden Baum, jede Blume bewundern, die Fische im Marmorbecken füttern und die Vögel mit dem Goldgefieder sich auf die Schultern setzen. Dann zog sie sie ins innere Gemach, wo der köstliche Schrein ihrer Gewänder stand, und nun ging es an ein Bewundern und Probieren, daß jeder Begriff von Zeit und Ort der frohgemuten Fürstin verlorenging.

Der lauschende Gnom war glücklich über seine List und erfreute sich ein paar Tage lang der strahlenden Gunst seiner holden Gebieterin. Die schöne Emma hatte nicht geruht, bis der ganze Rübenvorrat in Gespielinnen, Zelter, Angorakatzen und possierliche Mohrenknaben umgewandelt war, und glänzte inmitten dieses Hofstaats von ihrer Erfindung wie die Sonne inmitten der Planeten. Einige Wochen vergingen so mit Tänzen, nächtlichen Mondscheinpartien im Kahn und allerlei Kurzweil. Nur merkte die Prinzessin nach einiger Zeit, daß die frische Gesichtsfarbe ihrer Genossinnen ein wenig abbleichte. Der Spiegel im Marmorsaal zeigte ihr, daß sie allein in der Schar der Fröhlichen wie eine Rose blühte, und daß die geliebte Brinhild und die übrigen Jungfrauen mehr und mehr welkenden Blumen glichen. Von Tag zu Tag schwand das Jugendfeuer, obwohl aller versicherten, sie befänden sich wohl und auch an der Tafel des Gnomenfürsten keinen Mangel litten.

Als die Prinzessin an einem heiteren Morgen frisch und ausgeschlafen in Gesellschaftszimmer trat, schauderte sie zurück. Ein Haufen von eingeschrumpften Matronen zitterte ihr an Krücken und Stöcken entgegen und vermochte nur hüstelnd und keuchend den üblichen Guten Morgen wünschen.

Bestürzt floh die schöne Emma zurück und rief laut nach dem Gnomen, der sogleich ehrerbietig erschien.

"Boshafter Geist!" redete sie ihn an, "mußt du mir die einzige Freude mißgönnen? Ist diese Einöde nicht Strafe genug, daß du sie noch in ein Spital verwandelst? Gib augenblicklich meinen Mädchen ihre Wohlgestalt zurück, oder Haß und Rache sollen deinen Frevel rächen."

"Schönste Erdentochter," antwortete der Geist, "zürne nicht über Gebühr und verlange nichts Unmögliches. Gegen die Gesetze der Natur kann meine Macht nicht ankämpfen. Solange in den Rüben ihre natürliche Kraft lebte, konnten sie als Gespielinnen sich lustig um dich tummeln. Ihre Säfte sind nun vertrocknet, und sie unterliegen dem Zwang ihrer kurzlebigen Natur. Aber laß dich dies nicht kümmern, Schönste!" Ein frischgefüllter Korb ersetzt den Schaden. Sogleich hole ich dir neuen Vorrat, der dich besser unterhalten soll, als dieses verwelkte Kraut."

Er eilte fort; Fräulein Emma nahm ihren Stab und berührte damit die verrunzelten Weiblein und sonstigen Mitglieder ihres Hofstaats. Sogleich fiel ein Haufen welker Rüben vor ihr auf die Erde, und die Prinzessin tat damit, was alle Kinder mit dem Spielzeug tun, dessen sie müde sind: sie warf den Plunder auf den Kehrichthaufen und eilte froh hinaus, den frischen Korb in Empfang zu nehmen.

Aber schon am Gartengitter kam ihr der Gnom in voller Bestürzung entgegen.

"Holde Gebieterin," sprach er demütig, "ich versprach mehr, als ich dir geben kann. In den Wochen, da du mit diesen Geburten deines Willens scherztest, sind alle Rüben abgeerntet und welken nun in dumpfen Kellern; denn im Land der Menschen ist es Herbst geworden. Nur hier, wo du weilst, sproßt ewiger Frühling. Warte nur einige Monde in Geduld, dann soll es dir niemals mehr an Puppen fehlen, deine Einsamkeit zu kürzen."

Ehe der Gnom noch ausgeredet hatte, drehte im die Schöne den Rücken und begab sich unwillig in ihr Gemach, ohne ihn einer Antwort zu würdigen.

Er aber hob sich von dannen, versetzte sich in eine Marktstatt und nahm die Gestalt eines Pächters an, der, auf seinem Esel sitzend, Einkäufe macht. In Eile erhandelte er schwere Säcke voll Rübensamen und beförderte sie auf sein Gebiet. Nun ging ein Ackern und Säen an, daß dem gefälligen Gnom der Schweiß von der Stirn troff. Einem der dienstbaren Geister aus der Unterwelt ward anbefohlen, durch ein unterirdisches Feuer die Saat gelinde emporzutreiben, damit sie hochschösse wie die Ananas im Treibhauskasten.

Die Rübensaat sproß lustig auf, und täglich ging die schöne Emma auf ihr Feld, den Stand des Wachstums zu prüfen. Nichts anderes erfreute sie noch; Trübsinn und Mißmut bewölkten ihre Stirn, und sie verbrachte ihre Stunden trauervoll am Quell, in dessen raschen Flut sie eine Blume nach der anderen mitleidlos ertränkte.

Der Gnomenfürst ließ sich dies nicht allzusehr anfechten. Er hielt es für ein kleines Launengewitter, das vorüberziehen werde, denn das Herz der schönen Emma gehörte ja, wie er meinte, einzig ihm.

Darin irrte er sich gewaltig. Ein junger Grenznachbar an den Gestaden der Oder, Fürst Ratibor, hatte bereits, ehe der Gnom die schöne Emma zu Gesicht bekam, die Liebe in ihr angefacht, und obwohl das junge Paar sich in dem strengen Bereich der Hofhaltung nicht allzuoft gesehen hatte, so war doch die Neigung schon tief im Herzen der Prinzessin angewurzelt und die Hochzeit schon festgesetzt, als die schöne Braut plötzlich verschwand.

Der liebende Ratibor zog seitdem wie ein rasender Roland durch die Wälder, auf der vergebenen Suche nach der Entschwundenen, während die schöne Emma ihren geheimen Gram klüglich vor dem spähenden Gnom verbarg und im Herzen tausend Pläne erwog, wie sie der goldenen und doch so lästigen Gefangenschaft entrönne.

Der Lenz kehrte in die gebirgigen Täler zurück, und die Rüben auf dem Acker des Gnomen gediehen zur Reife.

Die kluge Emma zog jeden Tag ein paar zur Probe heraus und gab ihnen bald diese, bald jene Gestalt, dem Anschein nach zur Belustigung, in Wahrheit aber aus tieferem Grunde. Sie ließ eines Tages eine kleine Rübe zur Biene werden, um sie auf Kundschaft auszuschicken.

"Flieg, kleine Biene," sprach sie, "zu Ratibor, dem Fürsten, gegen Osten, summe ihm sanft in Ohr, künde ihm, daß Emma lebt, doch gefangen im Reich des Gnomen! Bring' mir die Botschaft seiner Liebe!"

Die Biene flog gehorsam ab, doch eine Schwalbe schoß sogleich herunter und schlang sie ein mitsamt ihrer Botschaft. Das Fräulein erblaßte vor Zorn, aber sie ermüdete nicht. Sie formte eine Grille und ließ sie mit der gleichen Botschaft davonhüpfen. Jedoch ein langbeiniger Storch erschnappte die Botin schon beim ersten Sprung und begrub sie im Verließ seines Kropfes.

Die Prinzessin gab indessen den Versuch nicht auf. Sie ließ eine Elster erstehen und gab ihr neuen Befehl.

"Schwanke hin, beredsamer Vogel," sprach sie, "von Baum zu Baum, bis du gelangst zu Ratibor, meinem Treulieben! Sag' ihm von meiner Gefangenschaft und gib ihm Bescheid, daß er meiner harre mit Roß und Mann, den dritten Tag von heute, an der Grenze des Gebirges im Maientale, bereit mich aufzunehmen."

Die Elster flatterte fort von einem Ruheplatz zum anderen, und die Prinzessin begleitete ihren Flug sorgenvoll mit den Augen, bis der Vogel ihren Blicken entschwand.

Inzwischen irrte der gramvolle Ratibor immer noch von Gebirge zu Gebirge. Er saß im Schatten einer tausendjährigen Eiche und rief sehnsuchtsvoll den Namen Emma in die taube Luft, als zu seinem Erstaunen das Echo seinen eigenen Namen zurückwarf. Er horchte hoch auf, sah sich um und erblickte niemand. Nur eine Elster flog über ihm von Ast zu Ast, und er bemerkte mit Erstaunen, dass sie es war, die seinen Namen rief. Aber wie ward ihm erst, als der schwatzhafte Vogel geläufig die ganze Botschaft herunterplapperte und als Absender den holden Namen Emma dahintersetzte!.

Kaum vernahm der düstere Fürst die Freudenkunde, da wurde es hell in seiner Seele. Aller Gram verschwand. Er sprang auf, breitete die Arme auseinander und forschte in Glückstrunkenheit den Vogel und tausend Dinge aus. Aber die Elster wußte nichts als ihre Botschaft. Sie plapperte sie wieder, sooft er's wünschte, dann hob sie die Flügel, schnurrte wie ein Uhrwerk, das zu Ende gelaufen ist, und flog davon.

Schnellfüßig eilte Ratibor zu seinem Hoflager, rüstete einen Heereszug voller Pracht und Herrlichkeit und zog flugs zu der befohlenen Stätte der Zusammenkunft.

Die Prinzessin hatte indessen mit weiblicher Schlauheit alles zu ihrem Vorhaben gerüstet. Plötzlich entließ sie ihren Trübsinn, zeigte Lächeln und Holdseligkeit und verhieß dem glücklichen Gnomenfürsten nun endlich Herz und Hand. Nur einen Tag wollte sie noch in Zurückgezogenheit verweilen, dann sollte er das Brautfest rüsten.

Am folgenden Morgen trat sie geschmückt wie ein Engel, lächelnd wie ein Frühlingstag aus ihren Gemächern und näherte sich dem Gnomen, der vor ihrem Anblick auf die Knie fiel.

Schüchtern erhob er schließlich den Blick und streckte die Hand aus, ihre Rechte zu erfassen. Aber die Prinzessin wich zurück, bedeckte die Augen mit dem Schleier und schien eine Träne heimlich fortzuwischen.

"Mißdeute meinen Kummer nicht!" sprach sie. "Wohl fühle ich deine Zärtlichkeit. Aber bange Ahnung erfüllt mein Herz. Sieh, das Weib hat nicht immer die erhabene Schönheit der jungen Rose; es altert und muß welken, denn es ist sterblich. Du aber alterst niemals. Woran soll ich erkennen, daß du mir stets ein liebevoller Gemahl sein wirst, zärtlich wie heute, duldsam und voll Güte, wie du es bisher gewesen bist?"

Der Gnom antwortete: "Fordere einen Beweis meiner Treue! Stelle meine Geduld auf die Probe!"

Die Schöne bedachte sich nicht lange. "Es sei!" sagte sie. "Ich fordere einen kleinen Beweis deiner liebevollen Geduld. Gehe hin und zähle alle Rüben auf dem Acker! Mein Hochzeitstag soll von frohen Gästen belebt sein. Aber hüte dich, mich zu täuschen. Verzähle dich nicht um eine! Dies ist die Probe, die ich deiner Treue stellen will."

Der Gnom erwiderte nichts, er warf noch einen entzückten Blick auf die schimmernde Gebieterin seines Herzens und sprang davon, ihren Auftrag auszuführen. Hurtig hüpfte er unter den Rüben hin und her und war bald mit seinem Rechenexempel fertig. Zur Sicherheit aber wiederholte er die Zählung und fand zu seinem Verdruß einen Fehler. Zum drittenmal addierte er die Reihen, und wieder ergab sich eine neue Zahl, denn seine Ungeduld verwirrte ihm bereits den Kopf.

Die kluge Emma hatte inzwischen die Zeit genützt. Kaum war der Gnom auf seinem Felde beschäftigt, da nahm sie eine starke, wohlgenährte Rübe und verwandelte sie flugs in ein mutiges Roß mit Sattel und Zaumzeug. Schnell schwang sie sich auf seinen Rücken, und wie der Blitz ging die Reise hinab ins Maiental, wo der geliebte Ratibor längst angstvoll harrte und die fröhlich Daherfliegende in seinen starken Armen auffing.


Inzwischen war es dem Gnom gelungen, die wahre Zahl der Rüben, kleine und große mit eingerechnet, herauszubekommen, und er eilte froh, sie seiner Geliebten mitzuteilen. Aber wo war Emma? Er lief durch die Lauben, sprang hinab in die Grotten, durcheilte alle Gemächer des Schlosses, spähte in jeden Winkel und rief den holden Namen in alle Winde. Aber keine Stimme gab Antwort. Da befiel ihn eine böse Ahnung. Er warf die ritterliche Verkleidung ab und schwang sich als Luftgeist in die Wolken. Da sah er den geliebten Flüchtling eben auf pfeilschnellem Roß über die Grenze setzen.

Vor Zorn und Kummer rasend, schleuderte er einen Blitz hinter ihr her, aber das Unwetter hatte jenseits seiner Grenzen keine Macht, es floß über die schöne Emma hin wie ein Heiderauch.

Da brach der Unmut des Getäuschten in gräßliche Verwünschungen aus. Er schwur, dem Menschengeschlecht gänzlich zu entsagen und keine Gedanken mehr an diese Lügnerbrut zu vergeuden. Er stampfte dreimal auf den Boden, und ein Abgrund tat sich auf. Der Zauberpalast mit seinen Gärten und lieblichen Marmorweihern versank, und der Gnom selbst fuhr donnernd hinab in die Tiefe.

Die schöne Emma aber feierte ihre Hochzeit mit allem Glanz, und auf der Stelle, wo sie stattfand, gründete ihr Gemahl zum Andenken eine Stadt und gab ihr den Namen Ratibor. Das Abenteuer der Prinzessin aber wurde das Märchen des Landes, es pflanzte sich von Geschlecht zu Geschlecht, und noch die Kindeskinder nannten seither den Gnom zum Spott "Rübezahl".


Dieses Märchen stammt aus dem Büchlein " Rübezahl" von J.K.A. Musäus.

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