Tischlein deck dich, Esel streck dich, Knüppel aus dem Sack!
In einem kleinen Städtchen lebte ein ehrlicher Schneider mit seiner Familie, die fünf Häupter zählte: Vater, Mutter und drei Söhne. Letztere wurden von den Eltern, als auch von sämtlichen Einwohnern des Städtchens nicht nach ihren Taufnamen genannt, sondern schlechtweg nur der Lange, der Dicke, der Dumme. So folgten sie im Alter aufeinander. Der Lange wurde ein Schreiner, der Dicke ein Müller, der Dumme ein Drechsler. Als nun der Lange aus der Lehre kam, wurde sein Bündel geschnürt und er in die Fremde geschickt, und er zog wohlgemut mit langen Schritten zum Tore des heimatlichen Städtchens hinaus. Lange Zeit wanderte der Busche von Ort zu Ort und konnte keine Arbeit bekommen. Da nun sein ohnehin knappes Reisegeld sehr zu Ende ging, und er keine frohe Aussicht hatte zu Arbeit und Verdienst, so wurde er traurig und ging kopfhängerisch und sachte seinen Weg weiter. Dieser führte just durch eine stillen, schönen Wald, und als der Bursche so eine Strecke hinein war, begegnete ihm ein kleiner, etwas wohlbeleibter Mann, der ihn gar freundlich grüßte, stehen blieb und fragte: "Na, Bürschlein, wo hinaus denn? Siehst ja traurig aus, was fehlt dir denn?" - "Mir fehlt Arbeit," sprach der Bursche treuherzig, "das ist meine ganze Trauer - bin schon lange gewandert - hab' kein Geld mehr." - Was kannst du denn für ein Handwerk?" forschte das Männlein weiter. - "Ich bin ein Schreiner." - "O, so komm doch mit mir," rief der Kleine fröhlich aus, "ich will dir Arbeit geben! Sieh, ich wohne hier in diesem Walde - ja, ja, komm nur mit, du wirst's gleich sehen." Und kaum hundert Schritte weiter lag ein schönes Haus, und ringsherum war ein dichter Tannenzaun, anzusehen wie eine Schutzmauer, und vorn am Eingang standen zwei hohe Tannen, gleich wie riesige Schildwachen. Da hinein führte das Männlein den Schreinergesellen, der nun alsbald seine Traurigkeit fahren ließ und mit vergnügten Mienen in das trauliche Zimmer des einsamen Meisters einschritt. "Willkommen!" rief da aus der Ecke hinter dem Ofen ein ältliches Mütterlein und trippelte auf den Burschen zu, um ihn seines Felleisens entledigen zu helfen. Der Meister plauderte den Abend noch gar lange mit dem Burschen, und das Mütterlein trug Speisen auf und stellte auch ein Krüglein auf den Tisch, worin etwas weit Besseres war als Wasser oder Kofent (Dünnbier).
Dem jungen Schreiner gefiel es ganz wohl bei seinem Meister; er bekam nicht allzuviel zu tun, arbeitete fleißig und hielt sich auch sonst brav und ordentlich, so daß keine Klage über ihn geführt wurde. Doch nach etlichen Monaten sprach das alte Männlein: "Lieber Gesell, ich kann dich nun nicht länger brauchen, sonder muß dir Feierabend geben. Und mit Geld kann ich dir deine Arbeit, die du mir getan, auch nicht lohnen; aber ich will dir ein schönes Andenken geben, das dir mehr helfen wird als Gold und Silber." Dabei reichte er ihm ein allerliebstes Tischchen und sprach weiter: "So oft du dieses "Tischlein deck dich" hinstellen wirst und dreimal sprechen: "Tischlein deck dich!" so wird es dir diejenigen Speisen und Getränke zum Mahle darbieten, die du nur wünschen magst. Und nun lebe wohl und gedenke fein deines alten Meisters." Ungern verließ der Gesell seine bisherige Werkstätte, er nahm betrübt und froh zugleich das wundertätige Tischlein aus den Händen des Gebers und zog, noch vielmals dankend , ab und lenkte seine Schritte der lieben Heimat wieder zu. Unterwegs bot ihm das Tischlein, so oft der Bursche die Zauberformel nur sprach, seine reichen Genüsse. Da standen im Nu die feinsten Gerichte, die edelsten Weine darauf, und alle Gefäße waren von Silber, und darunter glänzte das feinste , schneeweiße Tischgedeck. Natürlich hielt der Geselle sein "Tischlein deck dich" sehr hehr; auf seiner letzten Herberge, ehe er heimkam, gab er es noch seinem Wirt aufzuheben. Da er aber vorher nichts im Wirtshaus verzehrte, sondern sich mit dem Tischlein eingeschlossen hatte, so hatte ihn der Wirt belauscht durch ein Astloch in der Brettertüre und hatte des Tischleins Geheimnis entdeckt. Daher war er über alle Maßen froh, daß er das Tischlein in seine Verwahrung bekam, und freute sich mächtig über die herrliche Eigenschaft desselben. Er ließ sich's ganz vortrefflich behagen vor der kleinen Tafel und sann dabei nach, wie er sich auf die beste Weise das Tischlein aneignen möchte.
Da fiel ihm ein, daß er ein ganz ähnliches Tischlein, obschon kein "Tischlein deck dich" besitze. Der schlaue Wirt versteckte daher das echte Tischlein und stellte das andere, unechte, am Morgen dem Gesellen zu, der sich ohne Bedenken damit belud und nun fröhlich seiner Heimat zueilte. Mit Freude begrüßte der lange Schreiner daheim die Seinen und entdeckte sogleich seinem Vater die köstliche Bewandtnis, die es mit dem Tischchen habe. Der Vater zweifelte stark. Der Sohn aber stellte sich hin und sprach dreimal: "Tischlein deck dich!" aber es deckte sich nicht, und der ehrliche Schneidermeister sprach zu seinem Sohne: "Du dummer Hans, bist du darum in der Fremde gewesen, deinen alten Vater zu uzen? Geh, laß dich nicht auslachen!" Der lange Schreiner wußte in der Welt keine Rat, wie es nun so auf einmal mit dem Tischlein die Quere gehe? Er probierte noch allerlei, aber es deckte sich nicht wieder, und der Lange mußte wieder zum Hobel greifen und arbeiten, daß ihm die Schwarte knackte.
Unterdessen war der dicke Müller auch aus der Lehre gekommen und wanderte fort in die Fremde. Und es fügte sich, daß dieser ebenfalls denselben Weg nahm, auch das nämliche kleine Männlein fand und von ihm in Arbeit genommen wurde. Das Waldhaus war aber jetzt eine Mühle. Als der junge Mühlknappe eine Zeitlang brav, treu und fleißig in Arbeit gestanden hatte, schenkte ihm sein Meister zum Andenken einen schönen Müllerlöwen und sprach: "Nimm zum Abschied noch eine kleine Gabe, die dir, obgleich ich dir deine Arbeiten nicht mit Geld belohnen kann, doch mehr nützen wird als Gold und Silber. So oft du zu diesem Eselein sprechen wirst: "Eselein strecke dich!" so oft wird er dir Dukaten - niesen."
Fast öfter, als der Lange unterwegs gesprochen hatte: "Tischlein deck dich" sprach jetzt der Dicke: : "Eselein strecke dich!", und da streckte sich's und ließ Dukaten fallen, daß es rasselte und prasselte. Es war eine allerliebste Sache die blanken Goldstücke. - Aber auch der Müllergeselle kam mit seinem Esel in die Herberge des betrüglichen und schlauen Wirtes, ließ auftafeln, bewirtete, wer nur bewirtet sein wollte, und als der Wirt die Zeche forderte, sprach er: "Harret ein wenig, ich will nur erst Geld holen." Nahm das Tischtuch mit, ging in den Stall, breitete es über das Stroh, darauf der Esel stand, und sprach: : "Eselein strecke dich!" - da streckte sich der Esel und nieste, und es klingelte Dukaten auf dem Tuche; draußen aber stand der Wirt, sah durch ein Astloch durch die Tür und merkte sich die Sache. Am anderen Morgen stand zwar ein Esel da, aber nicht der rechte, und der Dicke, keinen Betrug ahnend, setzte sich heiter auf und ritt fort. Als er zu seinem Vater kam, verkündete er ihm auch sein Glück und sprach, als alle die Seinen froh verwundert den Esel umstanden: "Nun habt Achtung!" und zum Esel sich wendend: : "Eselein strecke dich!" Das fremde Eselein streckte sich zwar auch, aber was selbiges fallen ließ, das waren nichts weniger als Goldstücke. Der Dicke wurde von allen, denen er seine Kunst hatte zeigen wollen, fürchterlich ausgelacht, er schlug den Esel windelweich, schlug ihm aber dennoch keinen Dukaten aus der Haut und mußte fortan wieder arbeiten und Schweiße seines Angesichts sein Brot essen.
Es war nun wieder ein Jahr verflossen, und auch der Dumme hatte seine Lehrzeit überstanden und zog als ein wackrer Drechsler in die Fremde. Recht mit Fleiß nahm er denselben Lauf wie seine Brüder und wünschte sehr, bei jenem kleinen Männlein auch in Arbeit zu kommen, da dasselbe, wie die Brüder erzählt hatten, in allen Fächern bewandert war, in Handwerk, wie in Gelehrtheit und Weisheit, und so schöne Sachen zu verschenken hatte. Richtig gelangte auch der Drechslergeselle in den Wald, fand die einsame Wohnung des Männleins, und auch ihn nahm es als einen fleißigen Burschen gern in Arbeit. Nach etlichen Monaten hieß es wieder: "Lieber Gesell, ich kann dich nun nicht länger behalten, du hast Feierabend." Zum Abschied sprach das Männlein: "Ich schenke dir gerne auch, wie deinen Brüdern, ein schönes Andenken, aber was würde das helfen, da sie dich den Dummen nennen? Dein langer Bruder und dein dicker Bruder sind durch ihre Dummheit um die Gaben gekommen, was würde es erst bei dir werden? Doch nimm dieses schlichte Säcklein; es kann dir sehr nützlich werden. So oft du zu ihm sagen wirst: "Knüppel aus dem Sack!" so oft wird ein darin steckender wohlgedrehter Prügel herausfahren zu deinem Schutz, deiner Wehr und Hilfe, und dieser wird solange ausprügeln, bis du gebieten wirst :"Knüppel in den Sack!"
Der Drechsler bedankte sich schön und zog mit seinem Säcklein heimwärts; er bedurfte auf seiner Reise der Schutzwehr erst lange nicht, denn jedermann ließ ihn, der leicht und lustig seine Straße zog, ungehindert fürbaß wandern. Nur manchmal einem gestrengen Herrn Bettelvogt gab er einiges aus dem Säcklein zu kosten oder den Dorfhunden, die aus allen Höfen herausfahren und den Wanderer an- und nachbellen. So kam er denn endlich an jene Herberge, wo der arge Wirt seine Brüder um das Ihrige betrogen hatte und jetzt herrlich und in Freuden lebte, aber dennoch immer ein Gelüst hatte, sich vom Gut der Reisenden etwas anzueignen. Beim Schlafengehen gab der Drechsler dem Wirt den Sack in Verwahrung und warnte ihn, er möge ja nicht zu diesem sagen: "Knüppel aus dem Sack!" denn damit habe es eine besondere Bewandtnis, und könne ein Fremder, wenn das sage, wohl etwas davontragen. Jedoch dem Wirt gefiel sein Tischlein und sein Esel zu wohl, als daß er nicht noch ein drittes wundertuendes Gegenständlein hätte heimlich wegfangen mögen; er konnte kaum die Zeit erwarten, bis der Gast sich zur Ruhe gelegt hatte, um zu sprechen: "Knüppel aus dem Sack!" Und im Nu fuhr der Knüppel heraus und wirbelte wie ein Trommelschläger auf des Wirtes Rücken, prügelte fort und fort, und prügelte den Wirt dermaßen braun und blau, daß dieser ein jämmerliches Geschrei erhob und heulend den Drechslergesellen munter rief. Dieser sagte: "Wirt, das geschieht dir recht! Ich warnte dich ja. Du hast meinen Brüdern das "Tischlein deck dich" und das "Eselein strecke dich" gestohlen." Der Wirt kreischte: "Ach helft mir, um Gottes willen! Ich werde umgebracht!" Denn der Knüppel arbeitete noch immer rastlos auf des Wirtes Rücken. "Ich will alles wieder herausgeben, das Tischlein und das Eselein! Ach, ich falle um und bin tot!"
Jetzt gebot der Geselle: "Knüppel in den Sack!" Und da kroch das Prügelein im Nu wieder in den Sack. Und der Wirt war nur froh, daß er sein Leben davongebracht und gab willig das Tischlein und das Eselein wieder heraus. Da packte der Drechsler seinen Kram zusammen, lud sein Bündel und sich selbst auf den Esel und trabte dem Heimatstädtlein zu. Da war keine geringe Freude bei den Brüdern, als sie die überaus wertvollen Geschenke und Andenken wiedergewonnen sahen, die jetzt noch so herrlich ihre Wunder taten wie ehemals - wiedergewonnen durch den, den sie immer den Dummen gescholten hatten, und der doch klüger war als sie. Und die Brüder blieben zusammen bei den Eltern und brauchten nicht mehr zu arbeiten, um vom Verdienst das tägliche Brot zu schaffen; denn sie hatten von nun an von allem, was das menschliche Leben bedarf, die Hülle und die Fülle.
Das Märchen stammt aus dem Buch "Bechsteins Märchen".
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