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11. Von unsagbaren Dingen
[75] »Fürchtet nicht, die euch körperlich töten wollen, denn die Seele können sie nicht töten,« denn Geist tötet nicht Geist. Geist gibt dem Geist Leben. Die euch töten wollen, das ist Blut und Fleisch, und das stirbt miteinander. Das Edelste, was am Menschen ist, ist das Blut, wenn es guten Willens ist. Aber das Aergste, was am Menschen ist, ist das Blut, wenn es bösen Willens ist. Siegt das Blut über das Fleisch, so ist der Mensch demütig, geduldig und keusch und hat alle Tugend in sich. Siegt aber das Fleisch über das Blut, so wird der Mensch hochfahrend, zornig und unkeusch und hat alle Untugend in sich.
Nun passt auf, ich will jetzt sagen, was ich nie gesagt habe. Als Gott den Himmel, die Erde und alle Kreaturen schuf, da wirkte Gott nicht; er hatte nichts zu wirken; in ihm war auch kein Werk. Da sprach Gott: »Wir machen einen Gleichen.« Schöpfen ist ein leichtes Ding, das[75] tut man, wenn und wie man will. Aber was ich mache, das mache ich selbst aus mir selbst und in mir selbst und drücke mein Bild ganz und gar darein.
Als Gott den Menschen machte, da wirkte er in der Seele sein Werk des Gleichen, sein wirkendes und sein immerwährendes Werk. Das Werk war so gross, dass es nichts anderes war als die Seele: die war das Werk Gottes. Gottes Natur, sein Wesen und seine Gottheit hängt daran, dass er in der Seele wirken muss. Gottes Segen, Gottes Segen! Wenn Gott in der Seele wirkt, dann liebt er sein Werk. Das Werk ist die Liebe und die Liebe ist Gott. Gott liebt sich selbst und seine Natur, sein Wesen und seine Gottheit. In der Liebe, worin Gott mich liebt, liebt er alle Kreaturen. Nicht als Kreaturen liebt er sie, sondern die Kreaturen als Gott. Mit der Liebe, worin Gott sich liebt, liebt er alle Dinge.
Nun will ich sagen, was ich nie gesagt habe. Gott empfindet und schmeckt sich selbst. Mit dem Geschmack, womit Gott sich schmeckt, schmeckt er alle Kreaturen, nicht als Kreaturen, sondern die Kreaturen als Gott. In dem Geschmack, womit Gott sich schmeckt, schmeckt er alle Dinge. Nun passt auf. Alle Kreaturen nehmen ihren Lauf zu ihrer höchsten Vollkommenheit.[76] Nun bitte ich euch, vernehmet bei der ewigen Wahrheit und bei meiner Seele. Nun will ich sagen, was ich nie gesagt habe: Gott und Gottheit unterscheiden sich so sehr wie Himmel und Erde. Ich sage mehr: Der innere und der äussere Mensch unterscheiden sich gleichfalls so sehr wie Himmel und Erde. Der Himmel steht viel tausend Meilen darüber. Gott wird und wird zunichte. Nun komme ich wieder auf meine Rede: Gott schmeckt sich selbst in allen Dingen. Die Sonne wirft ihren lichten Schein aus auf alle Kreaturen, und worauf die Sonne ihren Schein wirft, das zieht sie in sich und verliert doch nicht ihre Scheinhaftigkeit. Alle Kreaturen geben ihr Leben um ihres Wesens willen auf. Alle Kreaturen tragen sich in meine Vernunft hinein, damit sie in mir vernünftig sind. Ich allein bringe alle Kreaturen zu Gott zurück.
Wartet, was ihr alle tut. Nun komme ich wieder auf meinen innern und äussern Menschen. Ich betrachte die Lilien auf dem Felde und ihren lichten Schein und ihre Farbe und alle ihre Blätter. Aber ihren Duft sehe ich nicht. Warum? Weil der Duft in mir ist. Aber auch was ich spreche, ist in mir, und ich spreche es aus mir heraus. Alle Kreaturen schmecken meinem äussern Menschen als Kreaturen, als Wein und Brot und Fleisch. Aber meinem innern Mensehen[77] schmeckt nichts als Kreatur, sondern als Gabe Gottes. Und mein Innerster Mensch schmeckt sie nicht als Gabe Gottes, sondern als immer und ewig. Ich nehme ein Becken mit Wasser und lege einen Spiegel hinein und setze es unter das Rad der Sonne, so wirft die Sonne ihren lichten Schein aus dem Rad und aus dem Boden der Sonne und vergeht doch nicht. Das Widerspiegeln des Spiegels in der Sonne ist in der Sonne. Ist Sonne und sie ist doch was sie ist. So ist es mit Gott. Gott ist mit seiner Natur, seinem Wesen und seiner Gottheit in der Seele, und er ist doch nicht die Seele. Das Widerspiegeln der Seele ist in Gott. Ist Gott und sie ist doch was sie ist. Gott wird da zu allen Kreaturen – Gottes Sprechen wird da zu Gott.
Als ich in dem Grunde, in dem Boden, in dem Fluss und in der Quelle der Gottheit stand, da fragte mich niemand, wohin ich wollte oder was ich täte: da war niemand, der mich fragte. Als ich floss, da sprachen alle Kreaturen Gott Fragte man mich: Bruder Eckhart, wann gingt Ihr aus dem Hause? Da war ich drinnen. So sprechen alle Kreaturen von Gott. Und warum sprechen sie nichts von der Gottheit? Alles, was in der Gottheit ist, ist eins, und davon ist nichts zu sprechen. Gott wirkt, die Gottheit wirkt[78] nicht, sie hat nichts zu wirken, in ihr ist kein Werk. Gott und Gottheit unterscheidet sich wie Wirken und Nichtwirken. Wenn ich wieder in Gott komme, dann bilde ich nicht, so steht meine Mündung viel höher als mein Ursprung. Ich allein bringe alle Kreaturen aus ihrer Vernunft in meine Vernunft, dass sie in mir eins sind. Wenn ich in den Grund, in den Boden, in den Fluss und in die Quelle der Gottheit komme, so fragt mich niemand, woher ich komme oder wo ich gewesen sei. Da vermisste mich niemand, das hört da alles auf.
Wer diese Predigt verstanden hat, dem gönne ich's gern. Wäre hier kein Mensch gewesen, so hätte ich sie diesem Stocke predigen müssen. Es sind etliche arme Leute, die gehen wieder heim und sagen: ich will mich auf den Stuhl setzen, und mein Brot essen und Gott dienen. Ich sage aber in Wahrheit, diese Leute müssen verirrt bleiben und können nimmer erreichen und erlangen, was die andern erreichen, die Gott in Armut und Entblösstheit nachgehn. Amen.[79]
Quelle:
Meister Eckharts mystische Schriften. Berlin 1903, S. 75-80.
Lizenz:
Gemeinfrei
Kategorien:
Scholastik
Meister Eckhart (auch Eckhart von Hochheim; * um 1260 in Hochheim oder in Tambach; † vor dem 30. April 1328 in Avignon) war ein einflussreicher spätmittelalterlicher Theologe und Philosoph. Schon als Jugendlicher trat er in den Orden der Dominikaner ein, in dem er später hohe Ämter erlangte. Mit seinen Predigten erzielte er nicht nur bei seinen Zeitgenossen eine starke Wirkung, sondern beeindruckte auch die Nachwelt. Außerdem leistete er einen wichtigen Beitrag zur Gestaltung der deutschen philosophischen Fachsprache. Sein Hauptanliegen war die Verbreitung von Grundsätzen für eine konsequent spirituelle Lebenspraxis im Alltag. Aufsehen erregten seine unkonventionellen, teils provozierend formulierten Aussagen und sein schroffer Widerspruch zu verbreiteten Überzeugungen. Umstritten war beispielsweise seine Aussage, der „Seelengrund“ sei nicht wie alles Geschöpfliche von Gott erschaffen, sondern göttlich und ungeschaffen. Im Seelengrund sei die Gottheit stets unmittelbar anwesend.
Eckhart wird vielfach als Mystiker charakterisiert. In der neueren Forschung wird allerdings verschiedentlich betont, dass der unterschiedlich definierte Begriff „Mystik“ als Bezeichnung für Elemente seiner Lehre problematisch, zumindest erläuterungsbedürftig und nur eingeschränkt verwendbar ist.
Nach langjähriger Tätigkeit im Dienst des Ordens wurde Eckhart erst in seinen letzten Lebensjahren wegen Häresie (Irrlehre, Abweichung von der Rechtgläubigkeit) denunziert und angeklagt. Der in Köln eingeleitete Inquisitionsprozess wurde am päpstlichen Hof in Avignon neu aufgenommen und zu Ende geführt. Eckhart starb vor dem Abschluss des Verfahrens. Da er sich von vornherein dem Urteil des Papstes unterworfen hatte, entging er als Person einer Einstufung als Häretiker, doch Papst Johannes XXII. verurteilte einige seiner Aussagen als Irrlehren und verbot die Verbreitung der sie enthaltenden Werke. Dennoch hatte Eckharts Gedankengut beträchtlichen Einfluss auf die spätmittelalterliche Spiritualität im deutschen und niederländischen Raum.
https://de.wikipedia.org/wiki/Meister_Eckhart
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Bild: Meister_Eckhart_Fragment_1003.jpg: Georg-August-Universität Göttingen
Meister Eckhart - Sprüche und Fragmente
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Meister Eckhart - Predigt 3 - Von der Dunkelheit
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In welchem Bild finden sich so wundervolle Details ???
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