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Für die Stellung der Italiener im Bereich der Naturwissenschaften müssen wir auf die besondern Fachbücher verweisen, von welchen uns nur das offenbar sehr flüchtige und absprechende Werk Libris bekannt ist1). Der Streit über Priorität gewisser einzelner Entdeckungen berührt uns um so weniger, da wir der Ansicht sind, dass in jeder Zeit und in jedem Kulturvolke möglicherweise ein Mensch aufstehen kann, der sich, von sehr mässiger Vorbildung ausgehend, aus unwiderstehlichem Drange der Empirie in die Arme wirft und vermöge angeborener Begabung die erstaunlichsten Fortschritte macht. Solche Männer waren Gerbert von Rheims und Roger Bacon; dass sie sich überdies des ganzen Wissens ihrer Zeit in ihren Fächern bemächtigten, war dann blosse notwendige Konsequenz ihres Strebens. Sobald einmal die allgemeine Hülle des Wahns durchgerissen, die Knechtschaft unter der Tradition und den Büchern, die Scheu vor der Natur überwunden war, lagen die Probleme massenweise vor ihren Augen. Ein anderes ist es aber, wenn einem ganzen Volke das Betrachten und Erforschen der Natur vorzugsweise und früher als andern Völkern eigen ist, wenn also der Entdecker nicht bedroht und totgeschwiegen wird, sondern auf das Entgegenkommen verwandter Geister rechnen kann. Dass dies sich in Italien so verhalten habe, wird versichert2). Nicht ohne Stolz verfolgen die italienischen Naturforscher in der Divina Commedia die Beweise und Anklänge von Dantes empirischer Naturforschung3). Ueber die einzelnen Entdeckungen oder Prioritäten der Erwähnung, die sie ihm beilegen, haben wir kein Urteil, aber jedem Laien muss die Fülle der Betrachtung der äussern Welt auffallen, welche schon aus Dantes Bildern und Vergleichungen spricht. Mehr als wohl irgendein neuerer Dichter entnimmt er sie der Wirklichkeit, sei es Natur oder Menschenleben, braucht sie auch nie als blossen Schmuck, sondern um die möglichst adäquate Vorstellung von dem zu erwecken, was er zu sagen hat. Als spezieller Gelehrter tritt er dann vorzüglich in der Astronomie auf, wenngleich nicht zu verkennen ist, dass manche astronomische Stelle in dem grossen Gedichte, die uns jetzt gelehrt erscheint, damals allgemein verständlich gewesen sein muss. Dante appelliert, abgesehen von seiner Gelehrsamkeit, an eine populäre Himmelskunde, welche die damaligen Italiener, schon als Seefahrer, mit den Alten gemein hatten. Diese Kenntnis des Aufganges und Niederganges der Sternbilder ist für die neuere Welt durch Uhren und Kalender entbehrlich geworden, und mit ihr ging verloren, was sich sonst von astronomischem Interesse im Volke entwickelt hatte. Gegenwärtig fehlt es nicht an Handbüchern und Gymnasialunterricht, und jedes Kind weis, dass die Erde sich um die Sonne bewegt, was Dante nicht wusste, aber die Teilnahme an der Sache ist der vollkommensten Gleichgültigkeit gewichen, mit Ausnahme der Fachleute.
Die Wahnwissenschaft, welche sich an die Sterne hing, beweist nichts gegen den empirischen Sinn der damaligen Italiener; derselbe wurde nur durchkreuzt und überwältigt durch die Leidenschaft, den heftigen Wunsch, die Zukunft zu wissen. Auch wird von der Astrologie bei Anlass des sittlichen und religiösen Charakters der Nation zu reden sein.
Die Kirche war gegen diese und andere falsche Wissenschaften fast immer tolerant, und auch gegen die echte Naturforschung schritt sie wohl nur dann ein, wenn die Anklage - wahr oder unwahr - zugleich auf Ketzerei und Nekromantie lautete, was denn allerdings ziemlich nahelag. Der Punkt, auf welchen es ankömmt, wäre: zu ermitteln, ob und in welchen Fällen die dominikanischen Inquisitoren (und wohl auch die Franziskaner) in Italien sich der Falschheit dieser Anklagen bewußt waren und dennoch verurteilten, sei es aus Konnivenz gegen Feinde des Betreffenden, oder aus stillem Hass gegen die Naturbeobachtung überhaupt und besonders gegen die Experimente. Letzteres wird wohl vorgekommen, aber kaum je zu beweisen sein. Was im Norden solche Verfolgungen mit veranlassen mochte, der Widerstand des von den Scholastikern rezipierten, offiziellen Systems der Naturkunde gegen die Neuerer als solche, möchte für Italien weniger oder auch gar nicht in Betracht kommen. Pietro von Abano (zu Anfang des 14. Jahrhunderts) fiel notorisch als Opfer des kollegialischen Neides eines andern Arztes, der ihn bei der Inquisition wegen Irrglaubens und Zauberei verklagte4), und auch bei seinem paduanischen Zeitgenossen Giovannino Sanguinacci wird man etwas Aehnliches vermuten dürfen, da derselbe als Arzt ein praktischer Neuerer war; derselbe kam mit blosser Verbannung davon. Endlich ist nicht zu vergessen, dass die Macht der Dominikaner als Inquisitoren in Italien weniger gleichmässig geübt werden konnte als im Norden; Tyrannen sowohl als freie Staaten zeigten bisweilen im 14. Jahrhundert der ganzen Klerisei eine solche Verachtung, dass noch ganz andere Dinge als blosse Naturforschung ungeahndet durchgingen. Als aber mit dem 15. Jahrhundert das Altertum mächtig in den Vordergrund trat, war die ins alte System gelegte Bresche eine gemeinsame zugunsten jeder Art profanen Forschens, nur dass allerdings der Humanismus die besten Kräfte an sich zog und damit auch wohl der empirischen Naturkunde Eintrag tat5). Hie und da erwacht dazwischen immer wieder die Inquisition und straft oder verbrennt Aerzte als Lästerer und Nekromanten, wobei nie sicher zu ermitteln ist, welches das wahre, tiefste Motiv der Verurteilung gewesen. Bei alledem stand Italien zu Ende des 15. Jahrhunderts mit Paolo Toscanelli, Luca Paccioli und Lionardo da Vinci in Mathematik und Naturwissenschaften ohne allen Vergleich als das erste Volk Europas da, und die Gelehrten aller Länder bekannten sich als seine Schüler, auch Regiomontanus und Copernicus.
Ein bedeutsamer Wink für die allgemeine Verbreitung des naturgeschichtlichen Interesses liegt auch in dem früh geäusserten Sammlersinn, der vergleichenden Betrachtung der Pflanzen und Tiere. Italien rühmt sich zunächst der frühsten botanischen Gärten, doch mag hier der praktische Zweck überwogen haben und selbst die Priorität streitig sein. Ungleich wichtiger ist es, dass Fürsten und reiche Privatleute bei der Anlage ihrer Lustgärten von selbst auf das Sammeln möglichst vieler verschiedenen Pflanzen und Spezies und Varietäten derselben gerieten. So wird uns im 15. Jahrhundert der prächtige Garten der Mediceischen Villa Careggi beinahe wie ein botanischer Garten geschildert6), mit zahllosen einzelnen Gattungen von Bäumen und Sträuchern. So im Beginn des 16. Jahrhunderts eine Villa des Kardinals Triulzio in der römischen Campagna7), gegen Tivoli hin, mit Hecken von verschiedenen Rosengattungen, mit Bäumen aller Art, worunter die Fruchtbäume in allen möglichen Varietäten; endlich zwanzig Rebengattungen und ein grosser Küchengarten. Hier handelt es sich offenbar um etwas anderes als um ein paar Dutzend altbekannte Medizinalpflanzen, wie sie durch das ganze Abendland in keinem Schloss- oder Klostergarten fehlten; neben einer höchst verfeinerten Kultur des Tafelobstes zeigt sich ein Interesse für die Pflanze als solche, um ihres merkwürdigen Anblickes willen. Die Kunstgeschichte belehrt uns darüber, wie spät erst die Gärten sich von dieser Sammlerlust befreiten, um fortan einer grossen architektonisch-malerischen Anlage zu dienen.
Auch das Unterhalten fremder Tiere ist gewiss nicht ohne Zusammenhang mit einem höhern Interesse der Beobachtung zu denken. Der leichte Transport aus den südlichen und östlichen Häfen des Mittelmeeres und die Gunst des italienischen Klimas machten es möglich, die mächtigsten Tiere des Südens anzukaufen oder von den Sultanen als Geschenk anzunehmen8). Vor allem hielten Städte und Fürsten gern lebendige Löwen, auch wenn der Löwe nicht gerade das Wappentier war wie in Florenz9). Die Löwengruben befanden sich in oder bei den Staatspalästen, so in Perugia und in Florenz; diejenige in Rom lag am Abhang des Kapitols. Diese Tiere dienten nämlich bisweilen als Vollstrecker politischer Urteile10) und hielten wohl auch sonst einen gewissen Schrecken unter dem Volke wach. Ausserdem galt ihr Verhalten als vorbedeutungsvoll; namentlich war ihre Fruchtbarkeit ein Zeichen allgemeinen Gedeihens, und auch ein Giovanni Villani verschmäht es nicht anzumerken, dass er bei einem Wurf der Löwin zugegen gewesen11). Die Jungen pflegte man zum Teil an befreundete Städte und Tyrannen zu verschenken, auch an Condottieren als Preis der Tapferkeit12). Ausserdem hielten die Florentiner schon sehr früh Leoparden, für welche ein besonderer Leopardenmeister unterhalten wurde13). Borso von Ferrara14) liess seinen Löwen mit Stieren, Bären und Wildschweinen kämpfen.
Zu Ende des 15. Jahrhunderts aber gab es schon an mehrern Fürstenhöfen wahre Menagerien (Serragli), als Sache des standesgemäßen Luxus. »Zu der Pracht eines Herrn«, sagt Matarazzo15), »gehören Pferde, Hunde, Maultiere, Sperber und andere Vögel, Hofnarren, Sänger und fremde Tiere.« Die Menagerie von Neapel enthielt unter Ferrante unter anderm eine Giraffe und ein Zebra, Geschenke des damaligen Fürsten von Bagdad, wie es scheint16). Filippo Maria Visconti besass nicht nur Pferde, die mit 500, ja 1000 Goldstücken bezahlt wurden, und kostbare englische Hunde, sondern auch viele Leoparden, welche aus dem ganzen Orient zusammengebracht waren; die Pflege seiner Jagdvögel, die er aus dem Norden zusammensuchen liess, kostete monatlich 3000 Goldstücke17). König Emanuel der Grosse von Portugal wusste wohl, was er tat, als er an Leo X. einen Elefanten und ein Rhinozeros schickte18). Inzwischen war bereits der Grund zu einer wissenschaftlichen Zoologie so gut wie zur Botanik gelegt worden.
Eine praktische Seite der Tierkunde entwickelte sich dann in den Gestüten, von welchen das mantuanische unter Francesco Gonzaga als das erste in Europa galt19). Die vergleichende Schätzung der Pferderassen ist wohl so alt wie das Reiten überhaupt, und die künstliche Erzeugung von Mischrassen muss namentlich seit den Kreuzzügen üblich gewesen sein; für Italien aber waren die Ehrengewinnste bei den Pferderennen aller irgend bedeutenden Städte der stärkste Beweggrund, möglichst rasche Pferde hervorzubringen. Im mantuanischen Gestüt wuchsen die unfehlbaren Gewinner dieser Art, ausserdem aber auch die edelsten Streitrosse und überhaupt Pferde, welche unter allen Geschenken an grosse Herren als das fürstlichste erschienen. Der Gonzaga hatte Hengste und Stuten aus Spanien und Irland wie aus Afrika, Thrazien und Zilizien; um letzterer willen unterhielt er Verkehr und Freundschaft mit den Großsultanen. Alle Varietäten wurden hier versucht, um das Trefflichste hervorzubringen.
Aber auch an einer Menschenmenagerie fehlte es nicht; der bekannte Kardinal Ippolito Medici20), Bastard des Giuliano, Herzogs von Nemours, hielt an seinem wunderlichen Hofe eine Schar von Barbaren, welche mehr als zwanzig verschiedene Sprachen redeten und jeder in seiner Art und Rasse ausgezeichnet waren. Da fand man unvergleichliche Voltigeurs von edlem nordafrikanischem Maurengeblüt, tatarische Bogenschützen, schwarze Ringer, indische Taucher, Türken, welche hauptsächlich auf der Jagd die Begleiter des Kardinals waren. Als ihn sein frühes Schicksal (1535) ereilte, trug diese bunte Schar die Leiche auf den Schultern von Itri nach Rom und mischte in die allgemeine Trauer der Stadt um den freigebigen Herrn ihre vielsprachige, von heftigen Gebärden begleitete Totenklage21).
Diese zerstreuten Notizen über das Verhältnis der Italiener zur Naturwissenschaft und ihre Teilnahme für das Verschiedene und Reiche in den Produkten der Natur sollen nur zeigen, welcher Lücke der Verfasser sich an dieser Stelle bewusst ist. Von den Spezialwerken, welche dieselbe überreichlich ausfüllen würden, sind ihm kaum die Namen genügend bekannt.
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