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Unendlich wichtiger aber als die baulichen und überhaupt künstlerischen Reste des Altertums waren natürlich die schriftlichen, griechische sowohl als lateinische. Man hielt sie ja für die Quellen aller Erkenntnis im absolutesten Sinne. Das Bücherwesen jener Zeit der grossen Fünde ist oft geschildert worden; wir können nur einige weniger beachtete Züge hier beifügen1).
So gross die Einwirkung der alten Schriftsteller seit langer Zeit und vorzüglich während des 14. Jahrhunderts in Italien erscheint, so war doch mehr das Längstbekannte in zahlreichere Hände verbreitet als Neues entdeckt worden. Die gangbarsten lateinischen Dichter, Historiker, Redner und Epistolographen nebst einer Anzahl lateinischer Uebersetzungen nach einzelnen Schriften des Aristoteles, Plutarch und weniger andern Griechen bildeten wesentlich den Vorrat, an welchem sich die Generation des Boccaccio und Petrarca begeisterte. Letzerer besaß und verehrte bekanntlich einen griechischen Homer, ohne ihn lesen zu können; die erste lateinische Uebersetzung der Ilias und Odyssee hat Boccaccio mit Hülfe eines calabresischen Griechen, so gut es ging, zustande gebracht. Erst mit dem 15. Jahrhundert beginnt die grosse Reihe neuer Entdeckungen, die systematische Anlage von Bibliotheken durch Kopieren und der eifrigste Betrieb des Uebersetzens aus dem Griechischen2).
Ohne die Begeisterung einiger damaligen Sammler, welche sich bis zur äussersten Entbehrung anstrengten, besässen wir ganz gewiss nur einen kleinen Teil zumal der griechischen Autoren, welche auf unsere Zeit gekommen sind. Papst Nicolaus V. hat sich schon als Mönch in Schulden gestürzt, um Codices zu kaufen oder kopieren zu lassen; schon damals bekannte er sich offen zu den beiden grossen Passionen der Renaissance: Bücher und Bauten3). Als Papst hielt er Wort; Kopisten schrieben und Späher suchten für ihn in der halben Welt, Perotto erhielt für die lateinische Uebersetzung des Polybius 500 Dukaten, Guarino für die des Strabo 1000 Goldgulden und sollte noch weitere 500 erhalten, als der Papst zu früh starb. Mit 5000 oder je nachdem man rechnete 9000 Bänden4) hinterliess er diejenige eigentlich für den Gebrauch aller Kurialen bestimmte Bibliothek, welche der Grundstock der Vaticana geworden ist; im Palast selber sollte sie aufgestellt werden, als dessen edelste Zier, wie es einst König Ptolemäus Philadelphus zu Alexandrien gehalten. Als er wegen der Pest mit dem Hofe nach Fabriano zog, nahm er seine Uebersetzer und Kompilatoren dahin mit, auf dass sie ihm nicht wegstürben.
Der Florentiner Niccolò Niccoli5), Genosse des gelehrten Freundeskreises, welcher sich um den ältern Cosimo Medici versammelte, wandte sein ganzes Vermögen auf Erwerb von Büchern; endlich, da er nichts mehr hatte, hielten ihm die Medici ihre Kassen offen für jede Summe, die er zu solchen Zwecken begehrte. Ihm verdankt man die Vervollständigung des Ammianus Marcellinus, des Cicero de oratore u. a. m.; er bewog den Cosimo zum Ankauf des trefflichsten Plinius aus einem Kloster zu Lübeck. Mit einem grossartigen Zutrauen lieh er seine Bücher aus, liess die Leute auch bei sich lesen, soviel sie wollten, und unterredete sich mit ihnen über das Gelesene. Seine Sammlung, 800 Bände zu 6000 Goldgulden gewertet, kam nach seinem Tode durch Cosimos Vermittelung an das Kloster S. Marco mit Bedingung der Oeffentlichkeit.
Von den beiden grossen Bücherfindern Guarino und Poggio ist der letztere6), zum Teil als Agent des Niccoli, bekanntlich auch in den süddeutschen Abteien tätig gewesen, und zwar bei Anlass des Konzils von Konstanz. Er fand dort sechs Reden des Cicero und den ersten vollständigen Quintilian, die Sangallensische, jetzt Zürcher Handschrift; binnen 32 Tagen soll er sie vollständig, und zwar sehr schön, abgeschrieben haben. Den Silius Italicus, Manilius, Lucretius, Val. Flaccus, Ascon. Pedianus, Columella, Celsus, A. Gellius, Statius u. a. m. konnte er wesentlich vervollständigen; mit Lionardo Aretino zusammen brachte er die zwölf letzten Stücke des Plautus zum Vorschein, sowie die Verrinen des Cicero.
Aus antikem Patriotismus sammelte der berühmte Grieche Kardinal Bessarion7) 600 Codices, heidnischen wie christlichen Inhalts, mit ungeheuren Opfern, und suchte nun einen sichern Ort, wohin er sie stiften könne, damit seine unglückliche Heimat, wenn sie je wieder frei würde, ihre verlorene Literatur wieder finden möchte. Die Signorie von Venedig (S. 100) erklärte sich zum Bau eines Lokales bereit, und noch heute bewahrt die Marcusbibliothek einen Teil jener Schätze8).
Das Zusammenkommen der berühmten mediceischen Bibliothek hat eine ganz besondere Geschichte, auf welche wir hier nicht eingehen können; der Hauptsammler für Lorenzo magnifico war Johannes Lascaris. Bekanntlich hat die Sammlung nach der Plünderung des Jahres 1494 noch einmal stückweise durch Kardinal Giovanni Medici (Leo X.) erworben werden müssen.
Die urbinatische Bibliothek9) (jetzt im Vatikan) war durchaus die Gründung des grossen Federigo von Montefeltro (S. 72), der schon als Knabe zu sammeln begonnen hatte, später beständig 30-40 Scrittori an verschiedenen Orten beschäftigte, und im Verlauf der Zeit über 30 000 Dukaten daran wandte. Sie wurde, hauptsächlich mit Hülfe Vespasianos, ganz systematisch fortgesetzt und vervollständigt, und was dieser davon berichtet, ist besonders merkwürdig als Idealbild einer damaligen Bibliothek. Man besass z. B. in Urbino die Inventarien der Vaticana, der Bibliothek von S. Marco in Florenz, der viscontinischen Bibliothek von Pavia, ja selbst das Inventar von Oxford, und fand mit Stolz, dass Urbino in der Vollständigkeit der Schriften des einzelnen Autors jenen vielfach überlegen sei. In der Masse wog vielleicht noch das Mittelalter und die Theologie vor; da fand sich der ganze Thomas von Aquino, der ganze Albertus magnus, der ganze Bonaventura usw.; sonst war die Bibliothek sehr vielseitig und enthielt z. B. alle irgend beizuschaffenden medizinischen Werke. Unter den »Moderni« standen die grossen Autoren des 14. Jahrhunderts, z. B. Dante, Boccaccio mit ihren gesamten Werken oben an; dann folgten 25 auserlesene Humanisten, immer mit ihren lateinischen und italienischen Schriften und allem, was sie übersetzt hatten. Unter den griechischen Codices überwogen sehr die Kirchenväter, doch heisst es bei den Klassikern u. a. in einem Zuge: alle Werke des Sophokles, alle Werke des Pindar, alle Werke des Menander - ein Codex, der offenbar frühe10) aus Urbino verschwunden sein muss, weil ihn sonst die Philologen bald ediert haben würden.
Von der Art wie damals Handschriften und Bibliotheken entstanden, erhalten wir auch sonst einige Rechenschaft. Der direkte Ankauf eines ältern Manuskriptes, welches einen raren oder allein vollständigen oder gar nur einzig vorhandenen Text eines alten Autors enthielt, blieb natürlich eine seltene Gabe des Glückes und kam nicht in Rechnung. Unter den Kopisten nahmen diejenigen, welche Griechisch verstanden, die erste Stelle und den Ehrennamen Scrittori im vorzugsweisen Sinne ein; es waren und blieben ihrer wenige, und sie wurden hoch bezahlt11). Die übrigen, Copisti schlechtweg, waren teils Arbeiter, die einzig davon lebten, teils arme Gelehrte, die eines Nebengewinnes bedurften. Merkwürdigerweise waren die Kopisten von Rom um die Zeit Nicolaus V. meist Deutsche und Franzosen12), wahrscheinlich Leute, die etwas bei der Kurie zu suchen hatten und ihren Lebensunterhalt herausschlagen mussten. Als nun z. B. Cosimo Medici für seine Lieblingsgründung, die Badia unterhalb Fiesole, rasch eine Bibliothek gründen wollte, liess er den Vespasiano kommen und erhielt den Rat: auf den Kauf vorrätiger Bücher zu verzichten, da sich, was man wünsche, nicht vorrätig finde, sondern schreiben zu lassen; darauf machte Cosimo einen Akkord mit ihm auf tagtägliche Auszahlung, und Vespasiano nahm 45 Schreiber und lieferte in 22 Monaten 200 fertige Bände13). Das Verzeichnis, wonach man verfuhr, hatte Cosimo von Nicolaus V.14) eigenhändig erhalten. (Natürlich überwog die kirchliche Literatur und die Ausstattung für den Chordienst weit das übrige.)
Die Handschrift war jene schöne neu italienische, die schon den Anblick eines Buches dieser Zeit zu einem Genuss macht, und deren Anfang schon ins 14. Jahrhundert hinaufreicht. Papst Nicolaus V., Poggio, Giannozzo Manetti, Niccolò Niccoli und andere berühmte Gelehrte waren von Hause aus Kalligraphen und verlangten und duldeten nur Schönes. Die übrige Ausstattung, auch wenn keine Miniaturen dazukamen, war äusserst geschmackvoll, wie besonders die Codices der Laurenziana mit ihren leichten linearen Anfangs- und Schlussornamenten beweisen. Das Material war, wenn für grosse Herren geschrieben wurde, immer nur Pergament, der Einband in der Vaticana und zu Urbino gleichmässig ein Karmosinsammet mit silbernem Beschläge. Bei einer solchen Gesinnung, welche die Ehrfurcht vor dem Inhalt der Bücher durch möglichst edle Ausstattung an den Tag legen wollte, ist es begreiflich, dass die plötzlich auftauchenden gedruckten Bücher anfangs auf Widerstand stiessen. Federigo von Urbino »hätte sich geschämt«, ein gedrucktes Buch zu besitzen15).
Die müden Abschreiber aber - nicht die, welche vom Kopieren lebten, sondern die vielen, welche ein Buch abschreiben mussten, um es zu haben - jubelten über die deutsche Erfindung16). Für die Vervielfältigung der Römer und dann auch der Griechen war sie in Italien bald und lange nur hier tätig, doch ging es damit nicht so rasch, als man bei der allgemeinen Begeisterung für diese Werke hätte denken sollen. Nach einiger Zeit bilden sich Anfänge der modernen Autors- und Verlagsverhältnisse17), und unter Alexander VI. kam die präventive Zensur auf, indem es jetzt nicht mehr leicht möglich war, ein Buch zu zernichten, wie noch Cosimo sich es von Filelfo ausbedingen konnte18).
Wie sich nun allmählich, im Zusammenhang mit dem fortschreitenden Studium der Sprachen und des Altertums überhaupt, eine Kritik der Texte bildete, ist so wenig ein Gegenstand dieses Buches als die Geschichte der Gelehrsamkeit überhaupt. Nicht das Wissen der Italiener als solches, sondern die Reproduktion des Altertums in Literatur und Leben muss uns beschäftigen. Doch sei über die Studien an sich noch eine Bemerkung gestattet.
Die griechische Gelehrsamkeit konzentriert sich wesentlich auf Florenz und auf das 15. und auf den Anfang des 16. Jahrhunderts. Was Petrarca und Boccaccio angeregt hatten19), scheint noch nicht über die Teilnahme einiger begeisterten Dilettanten hinausgegangen zu sein; andererseits starb mit der Kolonie gelehrter griechischer Flüchtlinge auch das Studium des Griechischen in den 1520er Jahren weg20), und es war ein rechtes Glück, dass Nordländer (Erasmus, die Estienne, Budeus) sich desselben inzwischen bemächtigt hatten. Jene Kolonie hatte begonnen mit Manuel Chrysoloras und seinem Verwandten Johannes, sowie mit Georg von Trapezunt, dann kamen um die Zeit der Eroberung Konstantinopels und nachher Johannes Argyropulos, Theodor Gaza, Demetrios Chalcondylas, der seine Söhne Theophilos und Basilios zu tüchtigen Griechen erzog, Andronikos Kallistos, Markos Musuros und die Familie der Lascaris, nebst andern mehr. Seit jedoch die Unterwerfung Griechenlands durch die Türken vollständig war, gab es keinen neuen gelehrten Nachwuchs mehr, ausgenommen die Söhne der Flüchtlinge und vielleicht ein paar Candioten und Cyprioten. Dass nun ungefähr mit dem Tode Leos X. auch der Verfall der griechischen Studien im allgemeinen beginnt, hatte wohl zum Teil seinen Grund in einer Veränderung der geistigen Richtung überhaupt21), und in der bereits eingetretenen relativen Sättigung mit dem Inhalt der klassischen Literatur; gewiss ist aber auch die Koinzidenz mit dem Aussterben der gelehrten Griechen keine ganz zufällige. Das Studium des Griechischen unter den Italienern selbst erscheint, wenn man die Zeit um 1500 zum Maßstab nimmt, gewaltig schwunghaft; damals lernten diejenigen Leute griechisch reden, welche es ein halbes Jahrhundert später noch als Greise konnten, wie z. B. die Päpste Paul III. und Paul IV22). Gerade diese Art von Teilnahme aber setzte den Umgang mit gebornen Griechen voraus.
Ausserhalb Florenz hatten Rom und Padua fast immer, Bologna, Ferrara, Venedig, Perugia, Pavia u. a. Städte wenigstens zeitweise besoldete Lehrer des Griechischen23). Unendlich viel verdankte das griechische Studium der Offizin des Aldo Manucci zu Venedig, wo die wichtigsten und umfangreichsten Autoren zum erstenmal griechisch gedruckt wurden. Aldo wagte seine Habe dabei; er war ein Editor und Verleger, wie die Welt wenige gehabt hat.
Dass neben den klassischen Studien auch die orientalischen einen ziemlich bedeutenden Umfang gewannen, ist wenigstens hier mit einem Worte zu erwähnen. An die dogmatische Polemik gegen die Juden knüpfte sich zuerst bei Giannozzo Manetti24), einem grossen florentinischen Gelehrten und Staatsmann (+ 1459), die Erlernung des Hebräischen und der ganzen jüdischen Wissenschaft; sein Sohn Agnolo musste von Kindheit auf Lateinisch, Griechisch und Hebräisch lernen; ja Papst Nicolaus V. liess von Giannozzo die ganze Bibel neu übersetzen, indem die philologische Gesinnung jener Zeit darauf hindrängte, die Vulgata aufzugeben25). Auch sonst nahm mehr als ein Humanist das Hebräische lange vor Reuchlin mit in seine Studien auf, und Pico della Mirandola besass das ganze talmudische und philosophische Wissen eines gelehrten Rabbiners. Auf das Arabische kam man am ehesten von Seiten der Medizin, welche sich mit den ältern lateinischen Uebersetzungen der grossen arabischen Aerzte nicht mehr begnügen wollte; den äussern Anlass boten etwa die venezianischen Konsulate im Orient, welche italienische Aerzte unterhielten. Hieronimo Ramusio, ein venezianischer Arzt, übersetzte aus dem Arabischen und starb in Damaskus. Andrea Mongajo von Belluno26) hielt sich um Avicennas willen lange in Damaskus auf, lernte das Arabische und emendierte seinen Autor; die venezianische Regierung stellte ihn dann für dieses besondere Fach in Padua an.
Bei Pico müssen wir hier noch verweilen, ehe wir zu der Wirkung des Humanismus im Grossen übergeben. Er ist der, welcher laut und mit Nachdruck die Wissenschaft und Wahrheit aller Zeiten gegen das einseitige Hervorheben des klassischen Altertums verfochten hat27). Nicht nur Averrhoes und die jüdischen Forscher, sondern auch die Scholastiker des Mittelalters schätzt er nach ihrem Sachinhalt; er glaubt sie reden zu hören: »Wir werden ewig leben, nicht in den Schulen der Silbenstecher, sondern im Kreis der Weisen, wo man nicht über die Mutter der Andromache oder über die Söhne der Niobe diskutiert, sondern über die tiefern Grunde göttlicher und menschlicher Dinge; wer da nähertritt, wird merken, dass auch die Barbaren den Geist (Mercurium) hatten, nicht auf der Zunge, aber im Busen.« Im Besitz eines kräftigen, durchaus nicht unschönen Lateins und einer klaren Darstellung verachtet er den pedantischen Purismus und die ganze Ueberschätzung einer entlehnten Form, zumal wenn sie mit Einseitigkeit und Einbusse der vollen grossen Wahrheit in der Sache verbunden ist. An ihm kann man inne werden, welche erhabene Wendung die italienische Philosophie würde genommen haben, wenn nicht die Gegenreformation das ganze höhere Geistesleben gestört hätte.
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