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Jacob Burckhardt - Die Kultur der Renaissance in Italien

Jacob Burckhardt - Die Kultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch.
Zweiter Abschnitt: Entwicklung des Individuums - Die Vollendung der Persönlichkeit

Ein sehr geschärfter kulturgeschichtlicher Blick dürfte wohl imstande sein, im 15. Jahrhundert die Zunahme völlig ausgebildeter Menschen schrittweise zu verfolgen. Ob dieselben das harmonische Ausrunden ihres geistigen und äussern Daseins als bewusstes, ausgesprochenes Ziel vor sich gehabt, ist schwer zu sagen; mehrere aber besassen die Sache, soweit dies bei der Unvollkommenheit alles Irdischen möglich ist. Mag man auch z. B. verzichten auf eine Gesamtbilanz für Lorenzo magnifico, nach Glück, Begabung und Charakter, so beobachtet man dafür eine Individualität wie die des Ariosto hauptsächlich in seinen Satiren. Bis zu welchem Wohllaut sind da ausgeglichen der Stolz des Menschen und des Dichters, die Ironie gegen die eigenen Genüsse, der feinste Hohn und das tiefste Wohlwollen.

Wenn nun dieser Antrieb zur höchsten Ausbildung der Persönlichkeit zusammentraf mit einer wirklich mächtigen und dabei vielseitigen Natur, welche sich zugleich aller Elemente der damaligen Bildung bemeisterte, dann entstand der »allseitige Mensch«, l'uomo universale, welcher ausschliesslich Italien angehört. Menschen von enzyklopädischem Wissen gab es durch das ganze Mittelalter in verschiedenen Ländern, weil dieses Wissen nahe beisammen war; ebenso kommen noch bis ins 12. Jahrhundert allseitige Künstler vor, weil die Probleme der Architektur relativ einfach und gleichartig waren und in Skulptur und Malerei die darzustellende Sache über die Form vorherrschte. In dem Italien der Renaissance dagegen treffen wir einzelne Künstler, welche in allen Gebieten zugleich lauter Neues und in seiner Art Vollendetes schaffen und dabei noch als Menschen den grössten Eindruck machen. Andere sind allseitig, ausserhalb der ausübenden Kunst, ebenfalls in einem ungeheuer weiten Kreise des Geistigen.

Dante, welcher schon bei Lebzeiten von den einen Poet, von den andern Philosoph, von Dritten Theologe genannt wurde1), strömt in all seinen Schriften eine Fülle von zwingender persönlicher Macht aus, der sich der Leser unterworfen fühlt auch abgesehen vom Gegenstande. Welche Willenskraft setzt schon die unerschütterlich gleichmässige Ausarbeitung der Divina Commedia voraus. Sieht man aber auf den Inhalt, so ist in der ganzen äussern und geistigen Welt kaum ein wichtiger Gegenstand, den er nicht ergründet hätte und über welchen seine Aussage - oft nur wenige Worte - nicht die gewichtigste Stimme aus jener Zeit wäre. Für die bildende Kunst ist er Urkunde - und wahrlich noch um wichtigerer Dinge willen als wegen seiner paar Zeilen über die damaligen Künstler; bald wurde er aber auch Quelle der Inspiration2).

Das 15. Jahrhundert ist zunächst vorzüglich dasjenige der vielseitigen Menschen. Keine Biographie, welche nicht wesentliche, über den Dilettantismus hinausgehende Nebenbeschäftigungen des Betreffenden namhaft machte. Der florentinische Kaufmann und Staatsmann ist oft zugleich ein Gelehrter in beiden alten Sprachen; die berühmtesten Humanisten müssen ihm und seinen Söhnen des Aristoteles Politik und Ethik vortragen3); auch die Töchter des Hauses erhalten eine hohe Bildung, wie denn überhaupt in diesen Sphären die Anfänge der höhern Privaterziehung vorzüglich zu suchen sind. Der Humanist seinerseits wird zur grössten Vielseitigkeit aufgefordert, indem sein philologisches Wissen lange nicht bloss wie heute der objektiven Kenntnis des klassischen Weltalters, sondern einer täglichen Anwendung auf das wirkliche Leben dienen muss. Neben seinen plinianischen Studien4) z. B. sammelt er ein Museum von Naturalien; von der Geographie der Alten aus wird er moderner Kosmograph; nach dem Muster ihrer Geschichtschreibung verfasst er Zeitgeschichten; als Uebersetzer plautinischer Komödien wird er wohl auch der Regisseur bei den Aufführungen; alle irgend eindringlichen Formen der antiken Literatur bis auf den lucianischen Dialog bildet er so gut als möglich nach, und zu dem allen funktioniert er noch als Geheimschreiber und Diplomat, nicht immer zu seinem Heil.

Ueber diese Vielseitigen aber ragen einige wahrhaft Allseitige hoch empor. Ehe wir die damaligen Lebens- und Bildungs-Interessen einzeln betrachten, mag hier, an der Schwelle des 15. Jahrhunderts, das Bild eines jener Gewaltmenschen seine Stelle einnehmen: Leon Battista Alberti. Seine Biographie5) - nur ein Fragment - spricht von ihm als Künstler nur wenig und erwähnt seine hohe Bedeutung in der Geschichte der Architektur gar nicht, es wird sich nun zeigen, was er auch ohne diesen speziellen Ruhm gewesen ist.

In allem, was Lob bringt, war Leon Battista von Kindheit an der erste. Von seinen allseitigen Leibesübungen und Turnkünsten wird Unglaubliches berichtet, wie er mit geschlossenen Füssen den Leuten über die Schultern hinwegsprang, wie er im Dom ein Geldstück emporwarf, bis man es oben an den fernen Gewölben anklingen hörte, wie die wildesten Pferde unter ihm schauderten und zitterten - denn in drei Dingen wollte er den Menschen untadelhaft erscheinen: im Gehen, im Reiten und im Reden. Die Musik lernte er ohne Meister, und doch wurden seine Kompositionen von Leuten des Faches bewundert. Unter dem Drucke der Dürftigkeit studierte er beide Rechte, viele Jahre hindurch, bis zu schwerer Krankheit durch Erschöpfung; und als er im 24. Jahre sein Wort-Gedächtnis geschwächt, seinen Sachensinn aber unversehrt fand, legte er sich auf Physik und Mathematik und lernte daneben alle Fertigkeiten der Welt, indem er Künstler, Gelehrte und Handwerker jeder Art bis auf die Schuster um ihre Geheimnisse und Erfahrungen befragte. Das Malen und Modellieren - namentlich äusserst kenntlicher Bildnisse, auch aus dem blossen Gedächtnis - ging nebenein. Besondere Bewunderung erregte der geheimnisvolle Guckkasten6), in welchem er bald die Gestirne und den nächtlichen Mondaufgang über Felsgebirgen erscheinen liess, bald weite Landschaften mit Bergen und Meeresbuchten bis in duftige Fernen hinein, mit heranfahrenden Flotten, im Sonnenglanz wie im Wolkenschatten. Aber auch was andere schufen, erkannte er freudig an und hielt überhaupt jede menschliche Hervorbringung, die irgend dem Gesetze der Schönheit folgte, beinah für etwas Göttliches7). Dazu kam eine schriftstellerische Tätigkeit zunächst über die Kunst selber, Marksteine und Hauptzeugnisse für die Renaissance der Form, zumal der Architektur. Dann lateinische Prosadichtungen, Novellen u. dgl., von welchen man einzelnes für antik gehalten hat, auch scherzhafte Tischreden, Elegien und Eklogen; ferner ein italienisches Werk »vom Hauswesen« in vier Büchern8), ja eine Leichenrede auf seinen Hund. Seine ernsten und seine witzigen Worte waren bedeutend genug, um gesammelt zu werden; Proben davon, viele Kolumnen lang, werden in der genannten Lebensschilderung mitgeteilt. Und alles, was er hatte und wusste, teilte er, wie wahrhaft reiche Naturen immer tun, ohne den geringsten Rückhalt mit, und schenkte seine grössten Erfindungen umsonst weg. Endlich aber wird auch die tiefste Quelle seines Wesens namhaft gemacht: ein fast nervös zu nennendes, höchst sympathisches Mitleben an und in allen Dingen. Beim Anblick prächtiger Bäume und Erntefelder musste er weinen; schöne, würdevolle Greise verehrte er als eine »Wonne der Natur« und konnte sie nicht genug betrachten; auch Tiere von vollkommener Bildung genossen sein Wohlwollen, weil sie von der Natur besonders begnadigt seien; mehr als einmal, wenn er krank war, hat ihn der Anblick einer schönen Gegend gesund gemacht9). Kein Wunder, wenn die, welche ihn in so rätselhaft innigem Verkehr mit der Aussenwelt kennen lernten, ihm auch die Gabe der Vorahnung zuschrieben. Eine blutige Krisis des Hauses Este, das Schicksal von Florenz und das der Päpste auf eine Reihe von Jahren hinaus soll er richtig geweissagt haben, wie ihm denn auch der Blick ins Innere des Menschen, die Physiognomik, jeden Moment zu Gebote stand. Es versteht von selbst, dass eine höchst intensive Willenskraft diese ganze Persönlichkeit durchdrang und zusammenhielt; wie die Grössten der Renaissance sagte auch er: »Die Menschen können von sich aus alles, sobald sie wollen.«

Und zu Alberti verhielt sich Lionardo da Vinci, wie zum Anfänger der Vollender, wie zum Dilettanten der Meister. Wäre nur Vasaris Werk hier ebenfalls durch eine Schilderung ergänzt wie bei Leon Battista! Die ungeheuern Umrisse von Lionardos Wesen wird man ewig nur von ferne ahnen können.


  1. Boccaccio, Vita di Dante, p. 16. Zurück
     
  2. Die Engel, welche er am Jahrestag von Beatrices Tode auf Täfelchen zeichnete (Vita nuova, p. 61), könnten wohl mehr als Dilettantenarbeit gewesen sein. Lion. Aretino sagt, er habe egregiamente gezeichnet und sei ein grosser Liebhaber der Musik gewesen. Zurück
     
  3. Für dieses und das Folgende vgl. besonders Vespasiano Fiorentino, für die florentinische Bildung des 15. Jahrhunderts eine Quelle ersten Ranges. Hierher p. 359, 379, 401 usw. - Sodann die schöne und lehrreiche Vita Jannoctii Manetti (geb. 1396) bei Murat. XX. Zurück
     
  4. Das Folgende beispielsweise aus Perticaris Charakteristik des Pandolfo Collenuccio, bei Roscoe, Leone X., ed. Bossi III, p. 197, s., und in den Opere del Conte Perticari, Mil. 1823, vol. II. Zurück
     
  5. Bei Muratori, XXV, Col. 295, s. Hiezu als Ergänzung Vasari IV, 52, s. - Ein allseitiger Dilettant wenigstens, und zugleich in mehreren Fächern Meister, war z. B. Mariano Socini, wenn man dessen Charakteristik bei Aeneas Sylvius (Opera, p. 622, Epist. 112) Glauben schenken darf. Zurück
     
  6. Vgl. den Ibn Firnas, bei Hammer, Literaturgesch. der Araber, I, Einleitung S. 51. Zurück
     
  7. Quicquid ingenio esset hominum cum quadam effectum elegantia, id prope divinum ducebat. Zurück
     
  8. Dieses verlorene Werk ist es (vgl. S. 165, Anm.), welches von Neuern für wesentlich identisch mit dem Trattato des Pandolfini gehalten wird. Zurück
     
  9. In seinem Werke De re aedificatoria, L. VIII, cap. 1 findet sich eine Definition von dem, was ein schöner Weg heissen könne: si modo mare, modo montes, modo lacum fluentem fontesve, modo aridam rupem aut planitiem, modo nemus vallemque exhibebit. Zurück

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