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Franz Kafka - Reisetagebücher 202 k

Reisen Januar-Februar 1911

Friedländer Reise Jänner 1911 - Reichenberger Reise Feber 1911


Ich müßte die Nacht durchschreiben, so viel kommt über mich, aber es ist nur unreines. Was für eine Macht dieses über mich bekommen hat, während ich ihm früher soviel ich mich erinnere mit einer Wendung, einer kleinen Wendung, die mich an und für sich noch glücklich machte, auszuweichen imstande war.

Reichenberger Jude im Koupe macht sich zuerst durch kleine Ausrufe über Schnellzüge, die es nur dem Fahrpreis nach sind bemerkbar. Unterdessen ißt ein magerer Reisender, das was man Windbeutel nennt, mit raschem Schlucken Schinken, Brot und zwei Würste, deren Haut er mit einem Messer durchsichtig kratzt, bis er schließlich alle Reste und Papiere unter die Bank hinter das Heizungsrohr wirft. Während des Essens hat er in dieser unnötigen mir so sympatischen, aber erfolglos nachgeahmten Hitze und Eile zwei Abendblätter mir zugewendet ausgelesen. Abstehende Ohren. Nur verhältnismäßig breite Nase. Wischt mit den fetten Händen Haare und Gesicht, ohne sich schmutzig zu machen, was ich auch nicht darf. Das scheinbar umfangreiche Glied macht in den Hosen einen starken Wulst.

Mir gegenüber dünnstimmiger, schwachhöriger Herr mit Spitz und Schnauzbart lacht zuerst still ohne sich zu demaskieren in einer höhnischen Weise den Reichenberger Juden aus, wobei ich immer mit einigem Widerwillen, aber aus irgendeinem Respekt nach Verständigungen durch Blicke mich beteilige. Später stellt sich heraus, daß dieser Mann, der das Montagsblatt liest, irgendetwas ißt, auf einer Station Wein einkauft und in meiner Weise schluckweise trinkt, nicht das geringste wert ist.

Von dem magern Reisenden wird dann ein hochbrüstiger kleiner Reisender eingeführt der sich neben mich setzt und zu schwer und selbstbewußt ist, als daß er sich durch anderes als lautes (übrigens nicht höhnisches) Lächeln und hie und da ein Wort bemerkbar machen sollte. Witz mit Protiwin. Er steigt übrigens später aus

Dann noch ein junger rotwangiger Bursch, der viel im interessanten Blatt liest, das er zwar rücksichtslos mit der Handkante aufreißt, um es aber schließlich mit der immer von mir bewunderten Sorgfalt unbeschäftigter Menschen als wäre es ein Seidentuch mit vielfachem Zusammendrücken, Eindrücken der Kanten von innen, Festmachen, Abklopfen der Flächen von außen zusammenzulegen und dick wie es ist in die Brusttasche zu stopfen. Er wird es also noch zuhause lesen. Ich weiß gar nicht wo er ausgestiegen ist.

Das Hotel in Friedland. Die große Diele. Ich erinnere mich an einen Christus am Kreuz, der vielleicht gar nicht war. Kein Wasserkloset, der Schneesturm kam von unten herauf. Eine Zeitlang war ich der einzige Gast. Die meisten Hochzeiten der Umgebung werden im Hotel gefeiert. Ganz unsicher erinnere ich mich eines Blickes in einen Saal am Morgen nach einer Hochzeitsfeier. Auf der Diele und auf dem Gang war überall sehr kalt. Mein Zimmer war über der Hauseinfahrt; mir fiel gleich die Kälte auf, wie erst als ich den Grund bemerkte. Vor meinem Zimmer war eine Art Nebenzimmer der Diele; auf einem Tisch standen dort von einer Hochzeit her zwei vergessene Sträuße in Vasen. Verschluß der Fenster nicht durch Klinken sondern durch Haken oben und unten. Jetzt fällt mir ein, daß ich einmal Musik hörte, ein Weilchen lang. In dem Gastzimmer war aber kein Klavier, vielleicht in jenem Hochzeitszimmer. Immer wenn ich das Fenster schloß, sah ich auf der andern Marktseite ein Delikatessengeschäft. Geheizt wurde mit großen Holzstücken. Stubenmädchen mit großem Mund, einmal trotz der Kälte mit freiem Hals und Brustansatz; bald abweisend bald überraschend anhänglich, ich immer gleich respektvoll und verlegen, wie meist vor allen freundlichen Leuten. Als ich mir für das Arbeiten am Nachmittag und Abend eine stärkere Glühlampe hatte einsetzen lassen, war sie ganz froh als sie das beim Einheizen sah "ja, bei dem frühernLicht könne man nicht arbeiten", sagte sie. "Bei diesem Licht auch nicht" sagte ich nach einigen lebhaften Ausrufen, wie sie mir in der Verlegenheit leider immer in den Mund kommen. Und ich wußte nichts anderes als meine schon auswendig gelernte Meinung herzusagen, daß das elektrische Licht sowohl zu grell als zu schwach sei. Sie heizte daraufhin schweigend weiter ein. Erst als ich sagte "übrigens habe ich nur die frühere Lampe stärker angezündet" lachte sie ein wenig und wir waren einer Meinung.

Dagegen kann ich solche Dinge: ich hatte sie immer als Fräulein behandelt und sie hatte sich danach eingerichtet; einmal kam ich zu ungewöhnlicher Zeit nachhause und sehe sie

in der kalten Diele den Boden waschen. Da machte es mir nicht die geringste Mühe, durch Gruß und eine Bitte rücksichtlich des Einheizens sie vor jeder Beschämung zu bewahren.

Auf der Rückfahrt von Raspenau nach Friedland neben mir dieser steife totenähnliche Mensch, dem der Bart über den offengehaltenen Mund herabgieng und der, als ich ihn nach einer Station fragte, freundlich zu mir gewendet mir die lebhafteste Auskunft gab.

Das Schloß in Friedland. Die vielen Möglichkeiten, es zu sehn: aus der Ebene, von einer Brücke aus, aus dem Park, zwischen entlaubten Bäumen, aus dem Wald zwischen großen Tannen durch. Das überraschend übereinander gebaute Schloß, das sich wenn man in den Hof tritt lange nicht ordnet da der dunkle Epheu, die grauschwarze Mauer, der weiße Schnee, das schieferfarbene Abhänge berziehende Eis die Mannigfaltigkeit vergrößert. Das Schloß ist eben nicht auf einem breiten Gipfel aufgebaut, sondern der ziemlich spitze Gipfel ist umbaut. Ich gieng unter fortwährendem Rutschen einen Fahrweg hinauf, während der Kastellan, mit dem ich weiter oben zusammentraf, über zwei Treppen leicht hinaufkam. Überall Epheu. Von einem spitz vorspringenden Plätzchen großer Ausblick. Eine Treppe an der Mauer hört in halber Höhe nutzlos auf. Die Ketten der Zugbrücke hängen vernachlässigt an den Haken herab.

Schöner Park. Weil er terassenförmig am Abhang, aber auch teilweise unten um einen Teich herum mit verschiedenartiger Baumgruppierung liegt kann man sich sein Sommeraussehn gar nicht vorstellen. Im eiskalten Teichwasser sitzen zwei Schwäne (ihren Namen habe ich erst in Prag erfahren), eine steckt Hals und Kopf ins Wasser. Ich folge zwei Mädchen die sich immerfort unruhig und neugierig auf mich unruhigen und neugierigen überdies aber unentschlossenen umsehn, lasse mich von ihnen den Berg entlang über eine Brücke eine Wiese, unter einem Eisenbahndamm durch in eine überraschende vom Waldabhang und Eisenbahndamm gebildete Rotunde weiter hoch hinauf in einen scheinbar nicht so bald endenden Wald führen. Die Mädchen gehn zuerst langsam, als ich mich über die Größe des Waldes zu wundern anfange gehn sie rascher, da sind wir auch schon auf einer Hochebene mit starkem Wind paar Schritte vom Ort.

Kaiserpanorama. Einzige Vergnügung in Friedland. Habe keine rechte Bequemlichkeit darin, weil ich mich einer solchen schönen Einrichtung wie ich sie dort antraf, nicht versehen hatte, mit schneebehängten Stiefeln eingetreten war und nun vor den Gläsern sitzend nur mit den Fußspitzen den Teppich berührte. Ich hatte die Einrichtung der Panoramas vergessen und fürchtete einen Augenblick lang von einem Sessel zum andern gehn zu müssen. Ein alter Mann bei einem beleuchteten Tischchen, der einen Band illustrierte Welt liest, führt das ganze. Läßt nach einer Weile für mich ein Ariston spielen. Später kommen noch 2 alte Damen, setzen sich rechts von mir, dann noch eine links. Brescia, Kremona, Verona. Menschen drin wie Wachspuppen an den Sohlen im Boden im Pflaster befestigt. Grabdenkmäler: eine Dame mit über eine niedrige Treppe schleifender Schleppe öffnet ein wenig eine Tür und schaut noch zurück dabei. Eine Familie, vorn liest ein Junge eine Hand an der Schläfe, ein Knabe rechts spannt einen unbesaiteten Bogen. Denkmal des Helden Tito Speri: verwahrlost und begeistert wehen ihm die Kleider um den Leib. Bluse, breiter Hut. Die Bilder lebendiger als im Kinematographen, weil sie dem Blick die Ruhe der Wirklichkeit lassen. Der Kinematograph gibt dem Angeschauten die Unruhe ihrer Bewegung, die Ruhe des Blickes scheint wichtiger. Glatter Boden der Kathedralen vor unserer Zunge. Warum gibt es keine Vereinigung von Kinema und Stereoskop in dieser Weise? Plakate mit Pilsen Wihrer aus Brescia bekannt. Die Entfernung zwischen bloßem Erzählenhören und Panorama sehn ist größer, als die Entfernung zwischen Letzterem und dem Sehn der Wirklichkeit. Alteisenmarkt in Kremona. Wollte am Schluß dem alten Herrn sagen, wie gut es mir gefallen hatte, wagte es nicht. Bekam das nächste Programm. Offen von 10 Uhr bis 10 Uhr.

Ich hatte in der Auslage des Buchladens den "literarischen Ratgeber" des Dürerbundes bemerkt. Beschloß ihn zu kaufen, änderte ihn dann wieder, kam nochmals darauf zurück, während dessen ich oftmals zu allen Tageszeiten vor der Auslage stehen blieb. So verlassen schien mir der Buchladen, die Bücher so verlassen. Den Zusammenhang der Welt mit Friedland fühlte ich nur hier und da war er so dünn. Aber wie jede Verlassenheit mir wieder Wärme erzeugt, so fühlte ich rasch auch das Glück dieses Buchladens und einmal gieng ich hinein, schon um das Innere zu sehn. Weil man dort wissenschaftliche Werke nicht braucht, sah es in den Regalen fast belletristischer aus als in den städtischen Buchläden. Eine alte Dame saß unter einer grünüberdachten Glühlampe. Vier, fünf eben ausgepackte Kunstwarthefte erinnerten mich daran, daß es Monatsanfang war. Die Frau zog meine Hilfe ablehnend das Buch, von dessen Dasein sie kaum wußte aus der Auslage heraus, gab es mir in die Hand, wunderte sich daß ich es hinter der vereisten Scheibe bemerkt hatte (ich hatte es ja schon früher gesehn) und fing in den Geschäftsbüchern den Preis zu suchen an, denn sie kannte ihn nicht und ihr Mann war weg. Ich werde später abend kommen, sagte ich (es war 5 Uhr nachmittag) hielt aber mein Wort nicht.

Reichenberg:

Über die eigentliche Absicht von Personen, die am Abend in einer Kleinstadt rasch gehn, ist man ganz im Unklaren. Wohnen sie außerhalb, dann müssen sie doch die Elektrische benützen weil die Entfernungen zu groß sind. Wohnen sie aber im Ort selbst, dann gibt es ja wieder keine Entfernungen und keinen Grund zum schnellen Gehn. Und doch kreuzen Leute mit gestreckten Beinen diesen Ringplatz, der für ein Dorf nicht zu groß wäre und dessen Rathaus durch seine unvermittelte Größe ihn noch kleiner macht (mit seinem Schatten kann es ihn reichlich bedecken) während man von dem kleinen Platze aus der Größe des Rathauses nicht recht glauben will und den ersten Eindruck seiner Größe mit der Kleinheit des Platzes erklären möchte.

Ein Polizeimann weiß die Adresse der Arbeiterkrankenkassa, ein anderer jene der Anstaltsexpositur nicht, ein dritter weiß nicht einmal wo die Johannesgasse ist. Sie erklären es damit, daß sie erst kurze Zeit im Dienste sind. Wegen einer Adresse muß ich auf die Wachstube, wo genug Polizeileute auf verschiedene Art sich ausruhn, alle in Uniformen, deren Schönheit, Neuheit und Farbigkeit berrascht, da man sonst überall auf der Gasse nur die dunklen Wintermäntel sieht.

In den engen Gassen konnte nur ein Geleise gelegt werden. Die Elektrische zum Bahnhof fährt daher durch andere Gassen, als jene vom Bahnhof. Vom Bahnhof durch die Wiener Straße, dort wohnte ich im Hotel Eiche, zum Bahnhof durch die Schückerstraße.

Im Teater dreimal immer ausverkauft: Des Meeres u. der Liebe Wellen: ich saß auf dem Balkon, ein allzu guter Schauspieler macht mit dem Naukleros zu viel Lärm, ich hatte mehrmals Tränen in den Augen so beim Schluß des ersten Aktes als die Augen Heros und Leanders von einander nicht los können. Hero tritt aus der Tempeltür, durch die man etwas sieht was nichts anderes als ein Eiskasten sein kann. Im zweiten Akt Wald wie in frühern Prachtausgaben, er geht ans Herz, Lianen schlingen sich von Baum zu Baum. Alles moosig und dunkelgrün. Die Hintergrundmauer des Turmgemaches kehrt an einem nächsten Abend in Miss Dudelsack wieder. Vom dritten Akt ab Niedergang des Stückes, als sei ein Feind dahinter her.

Reise August/September 1911Abfahrt 26. VIII 11 Mittag

die schlechte Idee: Gleichzeitige Beschreibung der Reise und der innerlichen Stellungnahme zu einander die Reise betreffend. Ihre Unmöglichkeit durch einen vorüberfahrenden Wagen mit Bäuerinnen erwiesen. Die heroische Bäuerin (delphische Sibylle). Einer lachenden schläft im Schooß eine, die aufwachend winkt. Durch die Beschreibung von Maxens Gruß wäre falsche Feindschaft in die Beschreibung gekommen.

Ein Mädchen, die spätere Alice Rehberger, steigt in Pilsen ein. Der während der Fahrt bestellte Kaffee wird für den Restaurateur durch grüne kleine Zettel, die an die Fenster geklebt werden angezeigt. Man muß ihn aber mit Zettel nicht nehmen und bekommt ihn auch ohne. Zuerst kann ich sie nicht sehn weil sie neben mir sitzt. Erste gemeinschaftliche Tatsache: Ihr eingepackter Hut fliegt auf Max hinunter. So kommen Hüte schwer durch die Waggontüren herein und leicht durch die großen Fenster wieder heraus. - Max zerstört wahrscheinlich die Möglichkeit einer spätern Beschreibung, indem er als Ehemann um der Erscheinung die Gefährlichkeit zu nehmen, etwas sagen muß, dabei das Wichtige ausläßt, das Lehrhafte hervorhebt und ein wenig verhäßlicht. - "tadellos, herausfeuern 0 Koma 5 Beschleunigung, prompt", Nesthäkchen im Bureau, Ansichten über Militär, Witze im Bureau (Verwechseln der Hüte im Bureau, Annageln der Kipfel), unser Witz mit der Karte, die sie in München schreiben, die wir von Zürüch an ihr Bureau schicken werden und in der es heißt: "Das Vorausgesagte ist leider eingetroffen .. falscher Zug .. jetzt in Zürich .. 2 Tage vom Ausflug verloren. " Ihre Freude. Sie erwartet aber von uns als Ehrenmännern, daß wir nichts zuschreiben. Automobil in München. Regen, rasche Fahrt (20 Min.) Kellerwohnungperspektive, Führer ruft die Namen der unsichtbaren Sehenswürdigkeiten aus, die Pneumatiks rauschen auf dem nassen Asphalt wie der Apparat im Kinematographen, das deutlichste: die unverhängten Fenster "der vier Jahreszeiten", die Spiegelung der Lampen im Asphalt wie im Fluß

Waschen der Hände und Gesichter in einer "Kabine" auf dem Bahnhof in München.

Koffer im Waggon gelassen. Die Angela in einem Waggon untergebracht, wo eine Dame, die mehr zu fürchten war als wir, ihr ihren Schutz anbietet, was mit Begeisterung angenommen wird. Verdächtig.

Maxens Schlaf im Coupee. Die 2 Franzosen, der eine dunkle lacht immerfort, einmal darüber, daß ihn Max kaum sitzen läßt (so streckt er sich aus) dann darüber daß er einen Augenblick benützt und Max nicht liegen läßt. Max im Baldachin seines Havelocks. Die Zigaretten des andern mächtigern Franzosen. Essen in der Nacht. Eindringen dreier Schweizer. Einer raucht. Einer, der dann auch nach dem Aussteigen der andern 2 zurückbleibt, ist zuerst unwesentlich klärt sich erst gegen Morgen auf. Bodensee. Leichtsinnig wie vom Quai aus gesehn. - Die Schweiz während der ersten Morgenstunden sich selbst berlassen. Ich wecke Max beim Anblick einer derartigen Brücke wecke ich Max und verschaffe mir dadurch den ersten starken Eindruck von der Schweiz trotzdem ich sie schon lange aus innerer in äußerer Dämmerung anschaue. - Der Eindruck aufrechter, selbständiger Häuser in Gallen ohne Gassenbildung. - Winterthur. - Mann in der beleuchteten Villa in Würtemberg, der um 2 Uhr in der Nacht auf der Verande sich über das Geländer beugt. Tür ins Schreibzimmer geöffnet. - Die schon wachen Rinder in der schlafenden Schweiz. - Telegraphenstangen Querschnitt von Kleiderhaken. - Erbleichen der Matten bei steigender Sonne - Erinnerung an das strafhausähnliche Stationsgebäude in Cham, dessen Aufschrift in biblischem Ernst ausgeführt ist. Fensterschmuck scheint trotz seiner Armut gegen Vorschriften zu verstoßen. In zwei weit auseinander liegenden Fenstern des großen Hauses stehn vom Wind bewegt dort ein großes hier ein kleines Bäumchen.

Lump auf dem Bahnhof in Wintertur mit Stöckchen, Gesang und einer Hand in der Hosentasche.

Anfrage im Fenster: Wie wird Zürich die erste große schweizerische Stadt aus den Einzelhäusern gebildet sein?

Geschäftliche Unternehmungen in Villen.

Viel Gesang in Lindau auf dem Bahnhof in der Nacht.

Patriotische Statistik: Flächeninhalt einer in der Ebene auseinandergezogenen Schweiz.

fremde Chokoladenfirmen

(Verlorengegangenes)

Zürich

Heraufsteigen des Bahnhofs aus einigen ineinandergegangenen Bahnhöfen der letzten Erinnerung - (Max nimmt es für a + x in Besitz)

Historischer Eindruck fremden Militärs. Fehlen dieses Eindrucks beim eigenen - Argument des Antimilitarismus.

Schützen in Zürüch auf dem Bahnhof. Unsere Furcht vor dem Losgehn der Gewehre wenn sie laufen.

Plan von Zurück wird gekauft.

Auf einer Brücke hin- und zurück wegen Unentschlossenheit über die zeitliche Aufeinanderfolge von kaltem, warmem Baden und Frühstücken.

Limmatrichtung, Uraniasternwarte.

Hauptverkehrsader, leere Elektrische, Pyramiden von Röllchen im Vordergrund einer Auslage eines italienischen Herrenmodewarengeschäftes

nur Künstlerplakate (Kurhotels, Festspiel "Marigagno" von Wiegand, Musik von Jermoli.)

Erweiterungsbau eines Warenhauses. Beste Reklame. Jahrelanges Aufpassen der ganzen Bevölkerung. (Dufayel)

Briefträger als erste Kuttenträger des herankommenden Südens und Westens schauen wie in Nachthemden aus. Kästchen vor sich hergetragen, Briefe geordnet wie die Planeten auf dem Weihnachtsmarkt, hoch gehäuft darüber.

Seeanblick. Starkes Sonntagsgefühl bei der Einbildung hier Bewohner zu sein. Luftreservoir des Sees, nicht zu bebauen. Reiter. Aufgescheuchtes Pferd. Erzieherische Inschrift vielleicht Relief der Rebekka am Brunnen, die Ruhe der Inschrift und des Reliefs über der förmlich stark geblasenen Glasform des fließenden Wassers.

Altstadt: Enge steile Gasse, die ein Mann in blauer Blouse schwer herunterläuft. Über Stiegen.

Erinnerung an das vom Verkehr bedrohte Kloset vor Saint Roche in Paris.

Frühstück im alkoholfreien Restaurant. Butter wie Eidotter. Zürcher Zeitung

Großmünster: alt oder neu? Männer gehören an die Seiten. Der Küster weist uns bessere Plätze an. Wir folgen ihm da es in unserer Richtung des Hinausgehns ist. Da er, als wir schon beim Ausgang sind, zu glauben scheint, wir finden diese Plätze nicht kommt er quer durch die Kirche auf uns los. Wir stoßen einander heraus. Viel Lachen.

Max: Verwirrung der Sprachen als Lösung nationaler Schwierigkeiten. Der Chauvinist kennt sich nicht mehr aus.

Bad in Zürich: Nur Männerbad. Einer am andern. Schweizerisch. Mit Blei ausgegossenes Deutsch. Zum Teil keine Kabinen, republikanische Freiheit des Sichausziehens vor seinem Kleiderhaken, ebenso Freiheit des Schwimmeisters mit einer Löschspritze das volle Sonnenbad zu leeren. Dieses Leermachen wird brigens nicht grundloser gewesen sein, als die Sprache unverständlich ist. Springer: mit auf dem Geländer auseinandergespreizten Füßen springt er erst aufs Sprungbrett und erhöht dadurch den Schwung. - Einrichtung einer Badeanstalt erst bei längerer Benützung zu würdigen. Kein Schwimmunterricht. Irgend ein Naturheilkundiger mit langem Haar benimmt sich einsam. Niedrige Seeufer.

Freikoncert des Officiersverkehrsverein. Unter den Zuhörern ein Schriftsteller mit Begleiter, der in ein mit kleinen Zeilen gefülltes Notizbuch schreibt und nach Beendigung einer Programmnummer von seinem Begleiter fortgezogen wird. Keine Juden. Max: Die Juden haben sich dieses große Geschäft entgehn lassen. Anfang: Bersaglieri Marsch. Ende: Pro patria Marsch. Freikoncerte ihrer selbst wegen gibt es in Prag nicht (Luxembourgpark) nach Max republikanisch, in Paris Militär.

Kellerzimmer versperrt. Verkehrsbureau. Helles Haus hinter dunkler Gasse. Terassenhäuser am r. Ufer der Limmat. Blauweißgeflammte Fensterläden. Langsam gehende Soldaten sind Policisten. Tonhalle. Polytechnikum nicht gesucht und nicht gefunden. Stadthaus. Mittagessen im ersten Stock. Meilener Wein (Sterilisierter Wein frischer Trauben). Eine Kellnerin aus Lucern nennt uns die Züge dahin. Erbsensuppe mit Sago, Bohnen mit geröst. Kart. Citronencreme. - Anständige, kunstgewerbliche Häuser. Abfahrt ca. 3 Uhr nach Luzern um den See. Die leeren, dunklen hügeligen, waldigen Ufer des Zuger Sees in vielen Landzungen. Amerikanischer Anblick. Widerwillen auf der Reise gegen Vergleiche mit noch nicht gesehenen Ländern. Große Panoramen im Luzerner Bahnhof. Rechts vom BahnhofSkiting-Rink. Wir treten unter die Diener und rufen Rebstock. Ist das Hotel unter den Hotels wie der Diener unter den Dienern? Brücke (nach Max) teilt wie in Zürich See von Fluß. Wo ist die deutsche Bevölkerung, welche die deutschen Aufschriften rechtfertigt? Kursaal. Die sichtbaren Schweizer in Zürich schienen nicht Hoteliertalente zu sein, hier, wo sie es sind, verschwinden sie, vielleicht sind sogar die Hoteliers Franzosen. Die leere Ballonhalle gegenüber. Das Hineingleiten des Luftschiffs schwer vorstellbar. Roller-Rink. Berlinisches Aussehn. Obst. Das Dunkel der Strandpromenade bleibt am Abend abgegrenzt unter den Baumwipfeln. Herren mit Töchtern oder Dirnen. Schaukeln der bis zur untersten scharfen Kante sichtbaren Boote. Lächerliche Empfangsdame im Hotel, lachendes Mädchen führt immerfort weiter hinauf ins Zimmer, ernstes, rotwangiges Stubenmädchen. Kleines Treppenhaus. Versperrter eingemauerter Kasten im Zimmer. Froh, aus dem Zimmer heraus zu sein. Hätte gern Obst genachtmahlt. Gotthard-Hotel, Mädchen in Schweizer Tracht. Aprikosen Compot Meilener Wein. Zwei ältere Frauen und ein Herr sprechen über das Altern; Entdeckung des Spielsaales in Luzern. 1 fr. Entree. 2 lange Tische. Wirkliche Sehenswürdigkeiten sind häßlich zu beschreiben, weil es förmlich vor Wartenden geschehen muß. An jedem Tisch ein Ausrufer in der Mitte mit 2 Wächtern nach beiden Seiten hin.

Höchsteinsatz 5 f."Die Schweizer werden gebeten, den Fremden den Vortritt zu lassen, da das Spiel zur Unterhaltung der Gäste bestimmt ist. " Ein Tisch mit Kugel, einer mit Pferdchen. Croupiers in Kaiserrock. Messieurs faites votre jeu - marquez le jeu - les jeux sont faits - sont marques - rien ne va plus. Croupiers mit vernickelten Rechen an Holzstangen. Was sie damit können: Ziehn das Geld auf die richtigen Felder, sondern es, ziehn Geld an sich, fangen von ihnen auf die Gewinnfelder geworfenes Geld auf. Einfluß der verschiedenen Croupiers auf Gewinnchancen oder besser der Croupier, bei dem man gewinnt, gefällt einem. Aufregung vor dem gemeinsamen Entschluß zu spielen, man fühlt sich im Saal allein. Das Geld (10 fr) verschwindet auf einer sanft geneigten Ebene. Der Verlust von 10 fr. wird als eine zu schwache Verlockung zum Weiterspielen empfunden, aber doch als Verlockung. Wut über alles. Ausdehnung des Tages durch dieses Spiel.

Montag 28 August (1911). Mann in hohen Stiefeln frühstückt an der Wand. Dampfer 2ter Klasse. Luzern am Morgen. Schlechteres Aussehn der Hotels. Ehepaar liest Briefe vom Hause mit Zeitungsausschnitten über Cholera in Italien. Die schönen Wohnsitze nur sichtbar von einer Seefahrt aus, man fährt auch auf ihrem Niveau. Wechselnde Gestalt der Berge. Vitznau Rigibahn. See durch Blätter gesehn, südlicher Eindruck. Überraschung durch die plötzliche Ebene des Zuger Sees. Bouquet mit Rigi, worauf wartet das? Heimatliche Wälder. Bahn 75 erbaut, nachschauen im alten über Land und Meer. Historischer engl. Boden, hier giengen sie noch karriert und mit Favoris. Fernrohr. Jungfrau weit, Rotunde des Mönches, schwankende heiße Luft bewegt das Bild. Hingelegte Handfläche des Titlis. Durchschnittener Brotlaib eines Schneefeldes. Von oben wie von unten falsche Beurteilung der Höhen. Unentschiedener Streit über die schräge oder ebene Lage des Bahnhofes von Arth-Goldau. Table d' hote. Schwarze Frau ernst, scharfer Mundanfang, schon unten neben dem Waggon gesehn, sitzt in der Halle. Englisches Mädchen bei der Abfahrt, jeder Zahn rings herum gleich. Kleine Französin steigt in das Nebencoupee, erklärt mit ausgestrecktem Arm unser volles Coupee für nicht "komplet" und treibt ihren Vater zum Einsteigen und ihre unschuldig und dirnenhaft aussehende ältere kleine Schwester, die mich mit ihren Elbogen an der Hüfte kitzelt. Mehr mit den Zähnen gesprochenes Englisch der alten Dame rechts von Max, für das man den Namen einer Grafschaft sucht. Fahrt Vitznau-Fluelen. Gersau, Beckenried, Brunnen (lauter Hotels) Schillerstein, Tellplatte, ausgelassenes Rütli, 2 Loggien in der Axenstraße (Max dachte sich hier mehrere, weil man auf Photographien immer diese 2 sieht) Urner Becken, Fluelen. Hotel Sternen.

Dienstag 29. August (1911)

Dieses schöne Zimmer mit Balkon. Die Freundlichkeit. Zu sehr eingesperrt von Bergen. Ein Mann und 2 Mädchen, in Wettermänteln, hintereinander, gehn am Abend durch die Halle mit Bergstöcken, als sie schon alle auf der Treppe sind, werden sie durch eine Frage des Zimmermädchens aufgehalten. Sie danken, sie wissen schon Bescheid. Auf eine weitere Frage über ihre Bergpartie: Es war aber auch nicht so leicht, das kann ich Ihnen sagen. In der Halle schienen sie mir aus Miss Dudelsack, auf der Treppe Max aus Ibsen, mir dann auch. Vergessener Gucker. Auf der Bahn erfährt man daß sogar eine alte Dame nach Genua fährt. Jungen mit Schweizer Fahne. Seebad im Vierwaldstätter See. Ehepaar. Rettungsring. Spaziergänger auf der Axenstraße. Schönstes Bad, weil man sich selbständig einrichten konnte. Fischerinnen in weißgelbem Kleid. Einsteigen in die Gotthardbahn. Reuß. Milchgemischtes Wasser unserer Flüsse. Die ungarische Blume. Die dicken Lippen. Exotische Linie vom Rücken zum Hintern. Der schöne Mann dort bei den Ungarn. Bespuckt in Italien den Boden mit Weintraubenschalen, die aber dem Süden zu verschwinden. Jesuitengeneral auf dem Bahnhof in Göschenen. Plötzliches Italien, hingeworfene Tische vor den Osterien, ein junger Mann in allen Farben, der sich nicht halten konnte, Handbewegungen der Abschied nehmenden Frauen (Nachahmung einer Art Zwickens), schwarze hochgekämmte zur Seite eines Bahnhofes, hellrosa Häuser, verwischte Aufschriften. Später verschwindet das Italienische oder der Schweizer Kern tritt vor. Frauen in den Bahnwächterhäuschen, erinnert an Kampf. Tessinfälle, ruckweise Fälle überall. Deutsches Lugano. Lärmende Palästra. Post neu gebaut. Hotel Belvedere. Koncert im Kurhaus. Kein Obst.

30. August. Von 4" bis 11" Nachts mit Max an einem Tisch, zuerst im Garten, dann im Lesezimmer, dann in meinem Zimmer. Vormittag war Bad, Post.

31. August. Uhrzeigerhaftes Auftauchen der Schneeberge auf dem Rigi -

Freitag 1. IX. 11. Abfahrt 10,15 von place Guglielmo Tell. - Schablonenhafte Analogie des Rücksitzes im Wagen und im Schiff. Gerüst für Tuchbespannung auf den Booten wie bei Milchwagen - Jede Schiffslandung ein Angriff.

Fahrt ohne Gepäck, Hand frei um den Kopf zu halten - Gandria ein Haus hinter dem andern aufgesteckt, Loggien mit farbigen Tüchern, keine Vogelperspektive, Gassen und keine Gassen - S. Margeritha mit Springbrunnen auf der Landungsstelle. Villa mit 12 Cypressen bei Oria.

Balkoneingang im Hemd - Man kann und wagt sich in Oria ein Haus nicht vorzustellen, dessen Front eine Terasse mit . griechischen Säulen hat - ausgebrannte Häuser nur im Brand richtig - Mamette: mittelalterl. Zauberhut auf einem Glockenturm - Esel u. dem Laubengang früher eine Hafenplatzseite entlang - am Vierwaldstättersee hat man zu viel an sich gedacht - Osteno - Der Geistliche in Damengesellschaft

Besondere Unverständlichkeit der Ausrufe. Bei Sätzen kann das Unverständnis drin herumkriechen. Kind im Fenster hinter dem Pissoirtunnel. Kitzelnder Anblick der Eidechsenbewegung an einer Mauer - Fallendes Haar der Psyche - Auf Rädern vorüberfahrende Soldaten und als Matrosen verkleidete Diener der Hotels - Bad zwischen Cadenabbia. Im Wagen Vorüberfahrende zeigen einander die ital. Jungen. Zurückweichen nach der Landung vor der Abfahrt

Carlotta - Ilex Stein Eiche abgezogene Haut von kleinen Tieren - Passiflora physikalisches Balancierkunststück - Bambus - mit Greisenscalps umwickelte Palmenstämme - Bux (Myrthe) Aloe (Doppelsäge) Ceder (eine von ihren Ästen umquirlte Lärche) hängende schlaffe ausgeläutete Glocken (Fuchsien) Jubäa (Nashornstamm) Platane - Kakteen Magnolien (unzerreißbare Blätter) Australische Farren (Palmen) - Myrthe (zarter Bux) - Zarter Lorbeer Kuppelförmiger Rododendr. Eukalyptus - entblößter Muskelstamm - Citronen Papyrus dreikantiger Schaft oben binsenförmig sich selbst umschlingende Glycinie - riesige Platane - Banane

Kinder auf der Landungsbrücke in Menaggio, Vater, der auf ihre Kinder stolze Körper der Frau

Staatsmann mit halboffenem Mund (Villa Carlota)

Französin mit der Stimme meiner Tante und Strohsonnenschirm mit zerfaserter dichter Umrandung schreibt in ein kleines Notizbuch über montagne u.s.w. - schwarzer Mann im Boot in der Umrahmung der Reifen stehend über die Ruder gebeugt. Zollbeamte überschaut und durchkramt rasch ein Körbchen, als sei alles ein Geschenk für ihn. - Italiener im Zug Porlezza. Menaggio. Jedes an einen gerichtete italienische Wort dringt in den großen Raum der eigenen Unkenntnis und beschäftigt daher ob verstanden oder unverstanden durch lange Zeit. Das eigene unsichere Italien. kann sich gegenüber der Sicherheit des Italieners nicht halten und wird ob verstanden oder nicht verstanden leicht überhört. - Witz des rückfahrenden Zuges vor Menaggio hübscher Gesprächsstoff - Bootshäuser aus Stein mit Terassen und Schmuck jenseits der Straße vor den Villen - Große Geschäfte mit Altertümern. - Bootsführer: peu de commerce - Zollkutter (Erzählung von Kapitän Nemo und Reise durch die Sonnenwelt). -

2 September (1911). Samstag

Zittern des Gesichts im kleinen Dampfer - geschürzte Vorhänge (braun mit weißer Randzeichnung) vor den Läden (Cadenabbia) - Bienen im Honig - einsame verdrießliche Frau mit kurzem Oberleib Sprachlehrerin - korrekter Herr mit hochgezogenen Hosen. Seine Unterarme schweben über dem Tisch, als umfaßten die Hände statt Messer- und Gabelgriff das Ende einer Lehne. - Hört den Wirt an - Bein an Bein - Kinder im Anblick der schwachen Raketen: encore un - Zischen - Armeaufstrecken - Schlechte Fahrt im kleinen Dampfer. Mitbeteiligung an der Bewegung zu groß - zu wenig hoch, um die frische Luft zu spüren und die Gegend frei zu überblicken - der Lage der Heizer angenähert - Bad zwischen Cassagnola und Gandria auf von uns erbauten Sitzen - Vorbeiziehende Gruppe, Mann Kuh und Frau. Sie erzählt. Schwarzer Turban, loses Kleid. - Herzklopfen der Eidechsen - Aufwand von Energie eines Herrn: spätes Servieren im Lesezimmer, gleichzeitig Bier, Wein, Fernet branca, Ansichtskarten, leichtes Seufzen - Kleiner Junge des Wirtes streckt mir, ohne daß ich früher mit ihm gesprochen hätte, auf Ermahnung seiner Mutter den Mund zum Gutenachtkuß hin. Hat mir geschmeckt - Gandria statt Gassen Kellertreppen und Kellerkorridore - ein Junge wird geschlagen, dumpfer Klang geklopfter Betten - von Epheu überwachsenes, am Rand mit Epheu bespritztes Haus - in Gandria Nätherin am Fenster ohne Jalousien, Vorhänge und Scheiben - Wir stützen einander auf dem Weg vom Badeplatz nach Gandria, so müde sind wir - feierlicher Zug von Booten hinter einem kleinen schwarzen Dampfer - junge Herrn in Betrachtung von Bildern kniend hockend auf dem Landungssteg in Gandria, einer ganz weiß, als Mädchenfreund und Lustigmacher uns wohl bekannt - In Porlezza am Abend auf dem Quai. - Ein schon vergessener Franzose mit Vollbart bringt beim Wilhelm Tell Denkmal seine Merkwürdigkeit wieder in Erinnerung - Dieses Denkmal mit Ausflußrohr einer Küchenwasserleitung, Messing aus Stein

3 September (1911) Sonntag

Ein Deutscher mit Goldzahn, an dem sich ein Beschreiber auch bei sonstiger Unklarheit des Eindrucks festhalten kann, bekommt um %12 noch eine Eintrittskarte in die Schwimmanstalt, trotzdem sie um 12 gesperrt, worauf ihn gleich im Innern der Schwimmeister in unverständlichem, daher etwas strengen Italienisch aufmerksam macht. Durch dieses Italienisch auch innerhalb seiner Muttersprache verwirrt fragt der Deutsche staunend warum man ihm dann eine Fahrkarte bei der Kassa verkauft habe und beklagt sich daß man ihm eine Fahrkarte verkauft hat und führt an, man hätte ihm keine Fahrkarte mehr verkaufen dürfen. Aus der italienischen Antwort hört man durch, daß er ja noch fast eine 1/4 Stunde zum Baden und Anziehn Zeit habe. Thränen geweint. - Auf dem Faß im See gesessen. - Hotel Belvedere "Alle Anerkennung dem Wirt, aber das Essen miserabel"

4 September (1911) Cholerainformationen: Verkehrsbureau, Corriere della Sera, Norddeutscher Lloyd, Berliner Tageblatt, Stubenmädchen bringt Informationen eines Berliner Arztes, je nach der Gruppierung und dem eigenen körperlichen Zustand ändert sich der durchschnittliche Charakter dieser Nachrichten, bei der Abfahrt von Lugano nach Porte Ceresio 1 . 05 ist er ziemlich günstig. - Flüchtige Begeisterung für Paris, im Wind der den vor uns gehaltenen Excelsior vom 3 Sept. 11 bläht, mit dem wir zu einer Bank laufen. - Auf der Brücke über den Luganosee sind noch einige Plätze für Reklametafeln zu vermieten. -

ad Freitag die 3 Kerle treiben uns von der Schiffspitze weil vielleicht der Steuermann freien Ausblick auf das Licht vorn haben muß, schieben dann aber eine Bank heran und setzen sich selbst - Ich hätte gern gesungen.

Freitag (1. September 1911)

Unter den Augen des Italieners, der uns zur Reise nach Turin (Ausstellung) räth und dem wir zunicken, durch Handschlag bekräftigter gemeinsamer Entschluß um keinen Preis nach Turin zu fahren - Lob der reducierten Karten. Radfahrer macht Rundfahrten auf der Seeterasse eines Hauses in P. Ceresio - Peitsche die statt des Riemens nur ein kleines Schwänzchen aus Roßhaar hat - Fahrender Radfahrer hält ein neben ihm trabendes Pferd an einem Strick

Mailand: Führer in einem Geschäft vergessen. Zurückgegangen u. gestohlen - im Hofe der Mercanti Apfelstrudel gegessen - Gesundheitskuchen - Theatro Fossati - Alle Hüte und Fächer in Bewegung - Lachen eines Kindes in der Höhe - Programm verklebt durch einen Reklamezettel - eine ältere Dame im Männerorchester - Poltrone - Ingresso - Orchester in einer Ebene mit dem Zuschauerraum - Reklame von Lancia aufgenommen in die Plafonddekoration eines Salons - alle Fenster der Rückwand offen - großer starker Schauspieler mit zart getupften Nasenlöchern, deren Schwarz auffallend bestehen bleibt, wenn auch die Ränder des zurückgebogenen Gesichtes im Licht verschwimmen - Mädchen mit hohem dünnen Hals läuft mit kurzen Schritten und steifen Ellenbogen aus dem Zimmer und läßt die zum hohen Halse passenden hohen Stöckel ahnen. Überschätzung des Lachens, denn vom nichtverstehenden Ernstsein zum Lachen ist es weiter als vom eingeweihten Ernstsein - Bedeutung jedes Möbelstückes - 5 Türen in beiden Stücken für jeden Fall - Nase und Mund eines Mädchens niedergeleuchtet von den gemalten Augen. - Herr in der Loge öffnet beim Lachen den Mund bis zu einem rückwärtigen Goldzahn, der dann den Mund ein Weilchen so offen hält. Auf andere Weise nicht zu erreichende Einheit zwischen Bühne und Zuschauerraum, wie es jene ist, die sich für und gegen den Zuschauer bildet, der die Sprache nicht versteht

- Junge Italienerin mit sonst jüdischem Gesicht das sich im Profil ins Unjüdische verschiebt - Wie sie aufstand die Hände zur Brüstung vorstreckte und nur der schmale Körper zu sehen war ohne die Verbreiterung der Arme und Schultern, wie sie zu den Fensterpfosten die Arme ausbreitete, wie sie sich mit beiden Händen an einem Pfosten festhielt im Zugswind wie an einem Baum. - Sie las eine Detektivbrochure, um die sie ihr kleiner Bruder lange umsonst gebeten hat. - Ihr Vater nebenan mit scharf gekrümmter Nase während ihre an der gleichen Stelle eben sanft darum jüdischer gebogen war - sie sah mich öfters an, aus Neugierde ob ich mit meinem lästigen Hinsehn nicht doch endlich aufhören möchte - ihr Kleid aus Rohseide - dicke große duftende Dame neben mir die ihr Parfum mit dem Fächer in der Luft verteilt - ihr vieles Fleisch hält es im flachen Fuß nicht aus und steigt gleich hinter den Zehen in die Höhe - ich fühle mich neben ihr eintrocknen - im Gepäckraum hat der Blechschirm der Gasflamme die Form eines flachen Mädchenhutes - unterhaltend verschiedene Gitter in den Häusern - unter den Bogen der Einfahrt zur Skala haben wir sie gesucht und waren gegenüber ihrer einfachen abgekratzten Fassade über diesen Irrtum auch dann nicht erstaunt als wir auf den Platz hinaustraten - wachsende Billigung des sich ins Innere der Stadt hin steigernden Verkehrs bis man auf dem Domplatz nichts sieht als langsam das Denkmal Vittorio Emanuels umfahrende Elektrische, sich abwendet und ein Hotel sucht - Freude über die Verbindung zwischen den 2 Zimmern, die durch eine Doppeltür hergestellt ist. Jeder kann eine Tür öffnen. Max hält dies auch für Ehepaare passend. - Zuerst einen Gedanken niederschreiben, dann vorlesen, nicht vorlesend schreiben, da dann nur der im Innern vollzogene Anlauf gelingt, während das weiter noch zu schreibende sich losmacht. - Gespräch über Scheintod und Herzstich an einem Kaffeehaustischchen auf dem Domplatz. Mahler hat auch den Herzstich verlangt. Die beabsichtigte Zeit des Aufenthaltes in Mailand schrumpft unter diesem Gespräch trotz eines kleinen Widerstandes von meiner Seite sehr zusammen. - Der Dom belästigt mit seinen vielen Spitzen. - Entwicklung des Entschlusses nach Paris zu fahren: der Augenblick in Lugano ber dem Excelsior, Reise nach Mailand infolge des nicht ganz freiwilligen Einkaufes der Karten nach Mailand über Porte Ceresio, von Mailand nach Paris aus Angst vor der Cholera und aus dem Verlangen nach Belohnung für diese Angst. Überdies Berechnung der financiellen und zeitlichen Vorteile dieser Reise

I Rimini - Ostende - Genua Nervi (Prag)

II Oberital. Seen, Mailand (Prag) Genua (Schwanken zwischen Locarno u. Lugano)

III Maggiore auslassen, Lugano Mailand, Städtereise bis Bologna

IV in (Lugano) Lugano - Paris

V Lugano - Mailand (mehrere Tage) - Maggiore

VI in Mailand: direkt nach Paris (ev. Fontainebleau)

VII ausgestiegen in Stresa damit bekommt die Reise zum erstenmal einen guten Rückblick und Vorblick, sie ist

ausgewachsen und wird deshalb um die Taille gefaßt - so klein wie in der Galerie habe ich Menschen niemals gesehen - Max behauptet, die Galerie sei nur so hoch, als man auch im Freien Häuser sieht, ich leugne es mit einem vergessenen Einwand, wie ich mich überhaupt immer für diese Gallerie einsetzen werde. - Sie hat fast keinen überflüssigen Schmuck, hält den Blick nicht auf, scheint infolgedessen sowie auch infolge ihrer Höhe kurz, erträgt aber auch das - sie bildet ein Kreuz, durch das die Luft frei weht - vom Dach des Domes aus scheinen die Menschen gegenüber der Gallerie größer geworden - ich kann mich mit der Gallerie vollständig darüber trösten, daß ich die altrömischen Überbleibsel nicht gesehen habe - Transparente Überschrift in der Tiefe des Flurs über dem Bordell: Al vero Eden. Starker Verkehr mit der Gasse meist durch Einzelne. Hin- und Her in den schmalen Gassen der Umgebung. Sie sind rein, haben trotz ihrer Schmalheit mehrere Bürgersteige, einmal sehn wir aus einer schmalen Gasse in einer andern rechtwinklig einbiegenden im letzten Stockwerk eines Hauses eine Frau am Fenstergitter lehnen - Ich war damals zu allem leicht entschlossen und fühlte wie immer in solcher Laune meinen Körper schwerer geworden. - Die Mädchen sprachen ihr Französisch wie Jungfrauen. - Mailänder Bier riecht wie Bier, schmeckt wie Wein. - Max bedauert Geschriebenes nur während des Schreibens, später niemals

Max führt aus Angst eine Katze im Lesezimmer spazieren.

Das Mädchen, dessen Bauch im Sitzen über und zwischen den auseinander gereckten Beinen unter dem durchscheinenden Kleid zweifellos unförmlich war, während er als sie aufstand sich zerzog wie eine Teaterdekoration hinter Schleiern und einen schließlich erträglichen Mädchenleib bildete. Die Französin, deren Süßigkeit für den abschließenden Blick sich vor allem in den runden und doch detaillierten, plauderhaften und anhänglichen Knien zeigte - Eine befehlshaberische Denkmalsfigur, die das eben verdiente Geld in den Strumpf schiebt. - Der Greis, der auf einem Knie die beiden Hände übereinander legt. - Die bei der Tür, deren böses Gesicht spanisch, deren Einlegen der Hände in die Hüften spanisch ist und die sich in einem miederartigen Kleid aus Preservativseide streckt. Die Haare wandern ihr dicht vom Nabel zur Scham. - Bei uns entfremden die deutschen Mädchen in den Bordellen ihre Gäste auf ein Weilchen ihrer Nation, hier tun es die französischen. Vielleicht ungenügende Kenntnis dieser heimischen Verhältnisse. - Bestrafte Leidenschaft für Eisgetränke: 1 Grenadine, 2 Aranciata im Teater, 1 im Bar am Corso Emanuele, 1 sorbet im Kaffeehaus in der Gallerie, 1 französisches Mineralwasser Thierry, das mit einemmal die Wirkungen alles frühernenthüllt, trauriges Schlafengehn im Anblick eines stark italienischen weitgreifenden Prospektes vom Bett aus, der durch ein etwas vorspringendes Fenster einer Seitenfront erzeugt wird, trostloses Erwachen mit dem trockenen Druck gegen alle Rachenwände. - Gar nicht beamtenmäßige Eleganz der Wachleute, wenn sie die ausgezogenen Zwirnhandschuhe in der einen Hand, das Stöckchen in der andern einen Dienstweg machen. - Dirnen gelaufen auf dem Domplatz und in der Gallerie - Entschuldigung bei Max wegen des Bordells am Morgen

5 Sept. (1911)

Banca Commerciale auf dem Skalaplatz - Brief von zuhause. - Ziemlicher Stuhl. - Karte an den Chef: "Mit dieser und noch mit einer zweiten Karte suche ich Ihnen mit it. Marken zu dienen und erlaube mir unter diesem Vorwand Sie herzlich zu grüßen" - Staunender Eintritt in den Dom zwischen Portieren, braun wie in Cadenabbia. - Verlangen ein Architekturbild des Doms zu liefern, weil der Dom rund herum eine reine Darstellung der Architektur ist, im größten Teil keine Bänke, wenig Standbilder an den Säulen, wenige und immer dunkle Bilder an den fernen Wänden hat und die einzelnen Besucher auf den Bodenplatten als Maßstäbe seiner Größe aufgestellt sind oder als Maßstäbe seiner Ausdehnung sich bewegen. - Erhaben, aber viel zu rasch an die Gallerie erinnert. - Unverantwortlich ohne Notizen zu reisen, selbst zu leben. Das tötliche Gefühl des gleichförmigen Vergehens der Tage ist unmöglich. - Aufstieg zum Domdach. Ein vorausgehender junger Italiener erleichtert uns den Aufstieg indem er eine Melodie summt, den Rock auszuziehn versucht, durch Ritzen schaut, durch die nur Sonnendunst zu sehen ist und immer auf die Ziffern tippt, welche die Stufenanzahl anzeigen. - Ausblick von der vordern Dachgalerie. Der Mechanismus der Elektr. unten ist etwas verdorben, so schwach rollen sie, nur durch die Biegung der Geleise geführt. Ein Schaffner eilt schief und niedergedrückt von unserem Standpunkt aus gesehn, zu seiner Elektr. und springt auf. - Ein Wasserspeier in Mannsgestalt, dem Wirbelsäule und Gehirn herausgenommen, damit das Regenwasser einen Weg hat. - In jedem der großen farbigen Fenster herrscht die in den Einzelbildern immer wiederkehrende Farbe eines Kleides vor. - Max: Bahnhof in der Auslage eines Spielzeuggeschäftes, Schienen, die sich zum Kreis schließen und nirgends hinführen, ist und bleibt der stärkste Eindruck von Mailand. In der Auslage wäre die Zusammenstellung des Bahnhofs mit dem Dom durch das Streben die Mannigfaltigkeit des Lagers zu zeigen, erklärlich. - Von der Hinterfront des Doms schaut man einer großen Dachuhr gerade ins Gesicht. - Max: Weg zum Kastell durch dessen Anblick erspart. - Teatro Fossati - Fahrt nach Stresa. Die Reliefbewegungen der im gefüllten Coupe Schlafenden - Liebespaar

Nachmittag in Stresa, Mittw. 6 Sept. Böswerden, abend Erfindungen u. Hotels. Donnerst. 7 Sept. Bad, Briefe, Abfahrt. - Schlaf in der Öffentlichkeit - Freitag 8 Sept. Reise Italienerpaar, angebliche Frau Salus - Geistlicher - Amerikaner - die 2 kleinen Französinnen mit viel Fleisch um den Popo, Montreux

Die Beine gehn einem auseinander auf den großen Pariser Straßen - Fußbad von der Kante des Bettpfostens aus - Nachtlämpchen der Sommerlokale - Kerne von gewöhnlichen u. von Polstersesseln in den Champs Elisees - die Anlage des Place de la Concorde der die Attraktionen in die Ferne schiebt wo sie der Blick leicht findet aber nur wenn er sie sucht

cole Florentine (XV Jahrhundert) Apfelszene -

Tintor - Suzanne

Simone Martini 1285 (Ecole de Sienne) Jesus Christ marchant au Calvaire

Mantegna La sagesse victorieuse des Vices 1431 - 1506 école Venetienne

Titian Le concile de Trente 1477 - 1576

Rafael: Apollo und Marsyas

Velasquez 1599 - 1660 Port. de Philippe IV roi d'Espagne

Jakob Jordaens 1593 - 1678 Le concert apres le repas

Rubens Kermesse

Confiserie de l'enfant gate rue de petits champs

Wäscherinnen in Morgennegligee -

rue de pet. champs, so eng daß sie ganz im Schatten bleibt, selbst wenn die eine Häuserreihe ganz beschienen ist, dieser Unterschied in der Beleuchtung so nah an einander gerückter Häuser

Le sou du soldat

societé anonyme Avenue de l'Opera

Capital 1 Mill

Robert - Samuel -

Ambassadeur - Trommelwirbel mit einer im Doppels sich ankündigenden Blasmusik vor der im eur die Trommlerstäbe noch im Schwung sich heben und still sind.

Gare de Lion - Compteur francaises. - Hosenträgerersatz der Erdarbeiter sind Schärpen in vielen Farben um den Leib - ich wußte nicht recht, ob ich verschlafen war, und beschäftigte mich im Wagen und den ganzen Vormittag damit - achtgeben, daß man die Kindermädchen nicht für französische Gouvernanten deutscher Kinder hält - Mißverständnis über den Umfang einer kleinen Morgentoilette begründet durch Maxens innerste Natur - dadurch daß die französischen

Unsicherheit über den Charakter einer auf der Bühne vor dem Vorhang stehenden Person, welche den Kapellmeister dirigiert

Probe (oft unterbrochen) vor dem Publikum. Für welche Vorstellung wird geprobt

Boden mit kleinen Steinchen

Prise de Salins 17 V 1668 par M- Lafaye

2 Freunde ein rotgekleideter auf weißem, ein dunkler auf dunklem Pferd erholen sich von der Belagerung einer Stadt im Hintergrunde auf einem Ausritt bei heranziehendem Gewitter

voyage de Louis XVI a Cherbourg 23 Juin 1786

das Boot mit Ludwig wird während er mit der gegen Cherbourg ausgestreckten Hand eine lebhafte Bemerkung zu 2 hinter ihm stehenden Höflingen macht, vor allem zu einem der die Hände auf die Brust legt, von den Bootsleuten je 3 Reihen an jeder Seite auf den zusammengebundenen Rudern ans Land getragen. Frauen leicht gekleidet schwingen sich vom Land entgegen, ein Mann schaut durch ein Telescop. Der Wagen wartet. Aus andern Booten wird man auf Stegen aussteigen müssen, einer wird gerade hervorgezogen.

Bivouak de Napoleon sur le champ de bataille de Wagram nuit du 5 au 6 juillet 1809. N. sitzt allein das eine Bein auf einen niedrigen Tisch gelegt. Hinter ihm ein rauchendes Lagerfeuer. Die Schatten seines r. Beines und der Tisch- und Sesselbeine liegen vorn strahlenförmig um ihn. Stiller Mond. Die Generäle in entferntem Halbkreis schauen ins Feuer und auf ihn.

die charakteristische Flächenlage: Hemden, Wäsche überhaupt, Servietten im Restaurant, Zucker, große Räder der meist 2rädrigen Wagen, Pferde einzeln hintereinandergespannt, flächige Dampfer auf der Seine, die Balkone teilen die Häuser in die Quere und verbreitern diese flächigen Querschnitte der Häuser, die flachgedrückten breiten Kamine, die zusammengelegten Zeitungen

das gestrichelte Paris:

die aus den flachen Kaminen herauswachsenden hohen dünnen Kamine (mit den vielen kleinen blumentopfartigen), die äußerst stummen alten Gaskandelaber, die Querstriche der Jalousien, denen sich in den Vorstädten die gestrichelten Schmutzabdrücke auf der Hauswand anfügen, die dünnen Leisten auf den Dächern, die wir in der rue Rivoli sahen, das gestrichelte Glasdach des Grand Palais des Art, die strichweise geteilten Fenster der Geschäftsräume, die Gitter der Balkone, der aus Strichen sich bildende Eifelturm, die größere Strichwirkung der Seiten- und Mittelleisten der Balkontüren gegenüber unsern Fenstern, die Sesselchen im Freien und die Kaffeehaustischchen, deren Beine Striche sind, die goldspitzigen Gitter der öffentlichen Gärten

Betrachtung über Warenhäuser

wie leicht Grenadine mit Seltz beim Lachen durch die Nase geht (Bar vor der Opera comique)

Nachahmenswertes: Cafe Biard, herumfahrende Händler,

Duval, die Züge in der Bahnhofshalle sind im Freien

Peitschenhieb am Boulev.

Max hat Schnupfen

aufheben einer Spielmarke, damit man sie nicht bekommt

Aeroplan

Perronkarte, dieser rohe Eingriff ins Familienleben ist unbekannt

rue de Clery steigt in den Himmel und fällt in ihn.

Colonel Arthur Boucher

La france viktorieuse dans la guerre du demain. L'auteur ancien chef des operations militaires a 1'Etat major de l'armee demontre que si la France etait ataquee elle saurait se defendre avec la certitude absolue de la victoire

Allein im Lesezimmer mit einer schwerhörigen Dame der ich mich als sie anderswohin schaute, nutzlos vorgestellt habe und die den von mir angezeigten Regen draußen für noch weiter andauernde Schwüle hält. Sie legt Karten nach einem seitwärts liegenden Buch in das sie angestrengt schaut, den Kopf auf die zur Faust geschlossene Hand gestützt, in der wohl 100 noch unverbrauchte kleine beiderseitig bedruckte Miniaturkarten liegen. Neben mir den Rücken mir zugewendet liest ein alter schwarzgekleideter Herr die Münchner neuesten Nachrichten. - Ein starker dickflüssiger Regen. - Gefahren mit einem jüdischen Goldarbeiter. Er ist aus Krakau, etwas über 20 Jahre alt, war 2 1/2 Jahre in Amerika, hat jetzt in Paris 2 Monate gelebt und nur 14 Tage Arbeit gehabt. Schlecht gezahlt (nur 10 fr täglich) schlechter Geschäftsboden. Wenn einer neu in eine Stadt kommt, weiß er nicht, was seine Arbeit wert ist. Schönes Leben in Amsterdam. Lauter Krakauer. Man weiß jeden Tag was in Krakau neues ist, denn immer fährt einer hin oder kommt einer von dort. Gassenlang wird nur polnisch gesprochen. Großer Verdienst in New York, denn dort verdienen alle Mädchen viel und können sich putzen. Damit kann sich Paris nicht vergleichen, der erste Schritt auf die Boulevards zeigt das. Aus New-York weggefahren, weil seine Leute doch hier sind und weil sie ihm geschrieben haben, wir leben in Krakau und verdienen auch, wie lange wirst Du eigentlich noch in Amerika bleiben? Ganz richtig. Begeisterung für das Leben der Schweizer. Das müssen ja riesenstarke Leute werden, wenn sie so auf dem Land leben und Viehwirtschaft treiben. Und die Flüsse! Die Hauptsache ist doch, daß man nach dem Aufstehn in fließendes Wasser kommt. - Er hat langes, geringeltes, nur gelegentlich von den Fingern durcharbeitetes Haar, starken Glanz in den Augen, langsam gekrümmte Nase, Höhlungen unten in den Wangen, amerikanisch geschnittenen Anzug, zerfranstes Hemd, überhängende Socken. Sein Koffer ist klein, er trägt ihn aber beim Aussteigen wie eine Last. Sein Deutsch unruhig gemacht von englischen Betonungen und Wendungen, der Jargon kann sich ausruhn so stark ist das Englische. Lebhaftigkeit nach der durchfahrenen Nacht. "Sie sind ein Österreicher? Ja Sie haben auch so einen Regenkragen. Das haben alle Österreicher. " Ich beweise durch Vorzeigen der Ärmel daß es kein Kragen sondern ein Mantel ist. Er bleibt weiter dabei, daß alle Österreicher Krägen haben. Sie werfen ihn so über. - Er wendet sich dabei zu einem Dritten und zeigt ihm wie sie das machen. Er tut so, als befestige er etwas hinten am Hemdkragen, zuckt mit dem Körper um zu sehn ob es hält, zieht dann dieses etwas zuerst über den rechten, dann über den linken Arm und hüllt sich schließlich ganz ein, bis ihm, wie man erkennt, gerade angenehm warm wird. Bewegungen der Beine zeigen, trotzdem er sitzt, wie leicht und geradezu sorgenlos ein Österreicher in so einem Kragen gehen kann. Es ist fast gar kein Spott dabei, es wird vielmehr vorgebracht wie von einem der Reisen gemacht und daher einiges gesehen hat. Etwas Kindlichkeit mischt sich zu.

Mein Spaziergang im dunklen Gärtchen vor dem Sanatorium.

Morgenturnen mit Absingen eines Wunderhorn Liedes, das einer auf dem Piston vorbläst.

Der Sekretär der jeden Winter Fußreisen macht nach Budapest, Südfrankreich, Italien. Bloßfüßig, nährt sich dann nur von Rohkost (Schrotbrot, Feigen, Datteln) wohnte mit 2 andern 14 Tage lang in der Gegend um Nizza meist nackt in einem verlassenen Hause.

Dickes kleines Mädel, das sich häufig in der Nase bohrt, gescheit aber nicht besonders hübsch ist, eine Nase ohne Zukunft hat, Waltraute heißt und von der ein Fräulein sagt daß sie etwas Strahlendes habe.

Die Säulen im Speisesaal, über die ich im Prospekt nach der Abbildung (hoch, glänzend, Marmor durch und durch) erschrak, derentwegen ich mich während der Überfahrt auf dem kleinen Dampfer verwünschte und die schließlich sehr bürgerlich, aus Ziegeln gebaut waren, schlechte Marmorzeichnung tragen und auffallend niedrig sind.

Lustiges Gespräch eines Mannes im Birnbaum meinem Fenster gegenüber mit einem mir nicht sichtbaren Mädchen im Erdgeschoß.

Angenehmes Gefühl als der Arzt wieder und wieder mein Herz abhorchte, den Körper immer wieder anders gelegt haben wollte und nicht ins Reine kommen konnte. Besonders lange betastete er die Herzgegend, es dauerte so lang, daß es fast gedankenlos schien.

Streit der Frauen nachts im Coupee, dessen Lampe sie verhängt haben. Wie die liegende Französin aus dem Dunkel schrie und die von ihren Füßen an die Wand gedrückte schlecht französisch sprechende ältere Frau sich nicht zu helfen wußte. Nach der Meinung der Französin sollte sie von diesem Platz weggehn, ihr vieles Gepäck auf die andere Seite, den Rücksitz transportieren und sie dort ausstrecken lassen. Der griechische Arzt aus meinem Coupee gab ihr in schlechtem klaren scheinbar auf der deutschen Sprache basierten Französisch ausdrücklich Unrecht. Ich holte den Schaffner der sie auseinandersetzte.

Schon wieder mit jener Dame beisammen, die übrigens auch eine Schreibnärrin ist. Sie trägt eine Schreibmappe bei sich mit viel Briefpapier, Karten, Federn und Bleistiften, was im Ganzen sehr anfeuernd ist.

Jetzt ist es hier, wie in einer Familie. Draußen regnet es, die Mutter legt Karten und der Sohn schreibt. Sonst ist niemand im Zimmer. Da sie schwerhörig ist, könnte ich ihr auch Mutter sagen.

Trotz meines äußersten Widerwillens gegen das Wort "Typus" halte ich es doch für wahr, daß durch die Naturheilkunde und was damit zusammenhängt ein neuer Typus entsteht, den z. B. Hr. Fellenberg, den ich allerdings nur oberflächlich kenne, repräsentiert. Leute mit dünner Haut, ziemlich kleinem Kopf, übertrieben reinlich aussehend, mit ein, zwei kleinen nicht zu ihnen gehörigen Einzelheiten (bei Hr. F. fehlende Zähne, Bauchansatz), größere Magerkeit, als sie zur Anlage ihres Körpers passend scheint d. h. unterdrücktes Fett, Behandlung ihrer Gesundheit, als wenn es eine Krankheit wäre oder zumindest ein Verdienst (womit ich nicht tadle) mit allen sonstigen Folgen eines so forcierten Gesundheitsgefühls.

In der Opera comique auf der Gallerie. In der ersten Reihe ein Herr im Gehrock und Cylinder, in einer der letzten ein Mann im Hemd (das er vorn noch eingelegt hat, um die Brust frei zu bekommen), bereit ins Bett zu steigen.

Der Trompetenbläser, den ich für einen lustigen, glücklichen Menschen gehalten hätte [denn er ist beweglich, hat scharfe Einfälle, sein Gesicht ist von blondem Bart niedrig umwachsen und endet in einem Spitzbart, er hat gerötete Wangen, blaue Augen, ist praktisch angezogen], hat mich heute im Gespräch über seine Verdauungsbeschwerden mit einem Blick angesehn, der auffallend mit gleicher Stärke aus beiden Augen kam, die Augen förmlich spannte, mich traf und schief in die Erde gieng.

Nationale Streitigkeiten in der Schweiz. Biel eine vor paar Jahren ganz deutsche Stadt ist durch Einwanderung vieler französischer Uhrmacher in Gefahr französiert zu werden. Der Tessiner Canton der einzige italienische will von der Schweiz los. Es gibt eine Irridenta. Die Ital. haben nämlich im 7 gliedrigen Bundesrat keine Vertretung, sie käme ihnen bei ihrer kleinen Zahl (vielleicht 180000) nur in einem 9 gliedr. zu. Man will aber die Zahl nicht ändern. Die Gotthardbahn war deutsches Privatunternehmen, hatte deutsche Beamte, die gründeten eine deutsche Schule in Bellinzona, jetzt da sie staatlich ist, wollen die Italiener italienische Beamte und Aufhebung der deutschen Schule. Und über das Schulwesen hat tatsächlich nur die Cantonalregierung zu entscheiden. Gesamtbevölkerung2/3Deutsche, 1/3 Franzosen u. Italiener.

Der kranke griechische Arzt, der mich mit seinem Husten mitten in der Nacht aus dem Coupe vertrieb, kann wie er behauptet nur Hammelfleisch vertragen. Da er in Wien übernachten muß, bat er mich ihm den deutschen Ausdruck aufzuschreiben.

Trotzdem es regnete, ich später ganz allein war, mein Unglück mir immer gegenwärtig ist, im Speisesaal Gesellschaftsspiele gespielt wurden, an denen ich mich wegen Unfähigkeit nicht beteiligte, ja trotzdem ich endlich nur Schlechtes schrieb fühlte ich doch weder das Häßliche noch das Entehrende weder das Traurige noch das Schmerzliche dieses übrigens organischen Alleinseins, wie wenn ich nur aus Knochen bestünde. Wobei es mir Freude machte daß ich oben auf dem Block meiner verstopften Därme ein bißchen Appetit zu spüren glaubte. Die Dame die sich in einem Zinngeschirr Milch holte, kam zurück und fragte mich, ehe sie sich in ihre Karten wieder einarbeitete: Was schreiben Sie eigentlich? Beobachtungen? Tagebuch? und da sie wußte daß sie meine Antwort nicht verstehen würde, fragte sie gleich weiter "Sind Sie Student" Ich antwortete ohne an ihre Schwerhörigkeit zu denken: "Nein, aber ich habe studiert" während sie schon wieder Karten legte, ich mit diesem Satz allein blieb und durch sein Gewicht gezwungen, sie noch eine Weile ansah.

Wir sind zwei Männer an einem Tisch mit 6 oder 7 Schweizer Frauen. Wie sich da die entferntesten Schüsseln, wenn ich nur halbwegs den Teller leer habe oder aus Langweile im Saal herumschaue, erheben, in den Händen der Frauen (ich rede sie Frau und Fräulein durch einander an) sich rasch nähern und wenn ich danke und nichts mehr will auf dem gleichen Weg langsam zurückgehn.

Le siege de Paris

par Francisque Sarcey

19. Juli 1870 Kriegserklärung. Die wechselnden Berühmtheiten einiger Tage. - wechselnder Charakter des Buches selbst, während es den wechselnden Charakter von Paris beschreibt. - Lob und Tadel gleicher Dinge. Die Ruhe von Paris nach Niederlagen ist einmal der französische Leichtsinn einmal die franz. Widerstandsfähigkeit - 4 Sept. nach Sedan Republik - Arbeiter und Nationalgarden schlagen auf Leitern mit Hämmern das N von den öffentl. Gebäuden - Noch 8 Tage nach Proklamierung der Republik war die Begeisterung so groß, daß man für die Befestigungsarbeiten keine Leute bekommen konnte - Die Deutschen sind im Anmarsch. Pariser Witze: Mac-Mahon war bei Sedan gefangen, Bazaine hatte Metz übergeben, endlich haben die 2 Armeen ihre Vereinigung vollzogen - die befohlene Zerstörung der Vorstädte - 3 Monate keine Nachrichten - Niemals hatte Paris einen solchen Appetit wie am Anfang der Belagerung - Gambetta organisierte die Erhebung der Provinz. Einmal glückte es einen Brief von ihm zu bekommen. Statt aber genaue Daten mitzuteilen nach denen alles brannte schrieb er nur que la resistance de Paris faisait l'admiration de l'univers. - Thiers bereist die Höfe - Verrückte Clubversammlungen. Eine Frauenversammlung au gymnase Triat. "Wie sollen die Frauen ihre Ehre gegenüber den Feinden schützen?" Mit dem doigt de Dieu oder besser le doigt prussique. Il consiste en une sorte de dé en caoutchouc que les femmes se mettent au doigt. Au bout de ce dé est un petit tube contenant de l'acide prussique. Kommt ein deutscher Soldat, wird ihm die Hand gereicht, er wird gestochen und angespritzt - Das Institut schickt mit Luftballon einen Gelehrten aus zur Untersuchung der Sonnenfinsternis in Algier - Man aß Kastanien vom vorigen Jahr, die Tiere des jardin des plantes - Es gab paar Restaurants, wo man bis zum letzten Tag alles bekommen konnte - Dieser sergent Hoff der wegen seiner Preußenmorde als Rächer seines Vaters so berühmt geworden war, dann verschwand und für einen Spion gehalten wurde - Zustand der Armee: einzelne Vorposten tranken Brüderschaft mit den Deutschen - Louis Blanc vergleicht die Deutschen mit Mohikanern die Technik studiert haben - am 5 I beginnt das Bombardement. Macht nicht viel. Es war befohlen wenn man Granaten zischen hört sich niederzuwerfen. Straßenjungen auch Erwachsene stellten sich zu Pfützen und rufen von Zeit zu Zeit "Gare l'obus" - Eine Zeitlang war General Chanzy in Paris die Hoffnung, er verlor wie alle andern, inan wußte auch schon damals keinen Grund für seine Berühmtheit, trotzdem war die Begeisterung in Paris so stark, daß Sarcey noch als er sein Buch schreibt eine vague grundlose Bewunderung für Chanzy in sich fühlt - Ein Tag aus dem damaligen Paris: Auf den Boulevards war sonnig und schön, ruhige Spaziergänger, gegen Hotel de Ville verändert sich es, dort ist eine Revolte der Kommunarden mit vielen Toten, Truppen kommen. Am linken Ufer zischen die preuß. Granaten. Quai und Brücken sind still. Zurück zum Theatre-Français. Das Publikum kommt aus einer Vorstellung der Mariage de Figaro. Die Abendblätter erscheinen gerade, dieses Publikum sammelt sich in Gruppen um die Kioske, in den Champs Elysees spielen Kinder, Sonntagsspaziergänger sehen neugierig einer Kavallerie Eskadron zu, welche mit Trompeten vorüberreitet. Aus dem deutschen Brief an die Mutter: Tu n'imagines pas, comme ce Paris est immense mais les Parisiens sont de droles de gens; ils trompettent toute la journee. - 14 Tage war kein warmes Wasser in Paris - Ende Jänner Ende der 4 1/2 monatl. Belagerung

20. (September 1911) kameradschaftlicher Verkehr alter Frauen im Coupee. Erzählungen von alten Frauen, die von Automobilen überfahren wurden, ihre Mittel auf der Reise: niemals Sauce essen, das Fleisch herausnehmen, die Augen während der Fahrt geschlossen halten, aber dabei reden, zum Obst Brot essen, kein hartes Kalbfleisch, Herren bitten, einen über die Gassen hinüber zu führen, Kirschen sind das schwerste Obst, die Rettung der alten Frau.

Siamesenkoupee im Mailänder Bahnhof

Junges italienisches Ehepaar im Zug nach Stresa mischt sich mit einem andern im Zug nach Paris. Ein Ehemann ließ sich nur küssen und gab beim Hinausschaun aus dem Fenster nur seine Schulter für ihre Wange her. Als er in der Hitze den Rock auszog und die Augen schloß schien sie ihn genauer anzusehn. Hübsch war sie nicht, sie hatte nur dünnes Lockenhaar um das Gesicht. Die andere aber mit dem Schleier, von dessen blauen Tupfen einer öfters ein Auge verdeckte, deren Nase zu bald abgeschnitten schien, deren Falten um den Mund jugendliche Falten waren, für die Zwecke ihrer jugendlichen Lebhaftigkeit. Ihre Augen fuhren, wenn sie das Gesicht senkte, hin und her, wie ich es bei uns nur bei Leuten mit Augengläsern gesehn habe.

[Bemühungen aller Franzosen mit denen man in Berührung kommt, schlechtes Französisch wenigstens für den Augenblick zu verbessern.]

Junger, schlecht rasierter Geistlicher mit dem Ansichtskartenreisenden, der zu Dutzenden gepackte Karten vorzeigt, die der Geistliche bespricht. Ich schaue ihn, auch ein wenig durch die Hitze beeinflußt so aufmerksam an, daß ich ihm schließlich mit dem ganzen Stiefelabsatz in die Kutte trete. Niente sagt er und spricht weiter immer mit starkem durch italienische Ah! angezeigtem Athemzusetzen.

Mit den unsichern Entschlüssen bezüglich des Hotels im Innern unseres Wagens sitzend scheinen wir auch den Wagen unsicher zu kutschieren, einmal in eine Nebengasse zu führen, dann ihn wieder in die Hauptrichtung zurückzuziehn und das im Vormittagsverkehr der rue de Rivoli in der Nähe der Halles

Erstes Heraustreten auf meinen Balkon und Umblick, wie wenn ich

Darstellung der allmählichen Verbesserungen der Cafe Biard Frühstücke

Euripides - König von Griechenland

Bettina und Oberst im Teater: Darf Bettina den Kopf auf Deinen Arm legen? Wenn Bettina keine Läuse hat.

Erstes Heraustreten auf meinen Balkon und Umblick wie wenn ich jetzt in diesem Zimmer erwacht wäre, während ich doch von der Nachtfahrt so müde bin, daß ich nicht weiß, ob ich es imstande sein werde für den ganzen Tag in diese Gassen hinauszulaufen, besonders wie ich sie jetzt von oben aus, noch ohne mich sehe.

Anfang der Pariser Mißverständnisse. Max kommt in mein Hotelzimmer herauf und ist darüber aufgeregt, daß ich noch nicht fertig bin und mir das Gesicht wasche, während ich früher doch gesagt hätte, daß wir uns nur ein wenig waschen und gleich weggehn sollen. Da ich mit Wenigwaschen nur das Waschen des ganzen Körpers ausgeschlossen, dagegen damit gerade das Waschen des Gesichtes gemeint habe und damit eben noch nicht fertig bin, verstehe ich seine Vorwürfe nicht und wasche das Gesicht weiter wenn auch nicht so genau wie früher, während sich Max mit dem ganzen Schmutz der Nachtfahrt in seinen Kleidern auf mein Bett setzt, um zu warten. Er hat die Gewohnheit und führt sie auch jetzt vor beim Vorwürfemachen den Mund aber auch das ganze Gesicht süßlich zusammenzuziehn, als suche er dadurch einerseits das Verständnis seiner Vorwürfe zu befördern und als wolle er andererseits zeigen, daß nur dieses süßliche Gesicht, das er gerade hat, ihn davon abhalte mir eine Ohrfeige zu geben. Darin daß ich ihn zu diesem Heuchlerischen gegen seine Natur zwinge liegt noch ein eigener Vorwurf, den er mir dann zu machen scheint wenn er verstummt und sein Gesicht um sich von dem Süßlichen zu erholen, in der entgegengesetzten Richtung also vom Mund weg sich auseinanderspannt, was natürlich viel stärker wirkt als das erste Gesicht. Ich dagegen verstehe es - so war es auch in Paris - so vor Müdigkeit in mich zurückgefallen zu sein, daß mich der Einfluß solcher Gesichter überhaupt nicht erreicht, weshalb ich dann in meinem Jammer so mächtig sein kann, geradewegs aus der vollkommensten Gleichgiltigkeit und ohne jedes Schuldgefühl mich ihm gegenüber entschuldigen zu können. Das beruhigte ihn damals in Paris wenigstens scheinbar so, daß er mit mir auf den Balkon trat und die Aussicht besprach, vor allem, wie pariserisch sie sei. Ich sah eigentlich nur wie frisch er war, wie er sicher zu irgendeinem Paris paßte das ich gar nicht bemerkte, wie er jetzt aus seinem dunklen Hinterzimmer kommend zum erstenmal seit einem Jahr in der Sonne auf einen Pariser Balkon trat und sich dessen würdig bewußt war, während ich leider deutlich müder war, als bei meinem ersten Hinaustreten auf den Balkon ein Weilchen vor Maxens Kommen. Und meine Müdigkeit in Paris kann nicht durch Ausschlafen sondern nur durch Wegfahren beseitigt werden. Manchmal halte ich das sogar für eine Eigentümlichkeit von Paris.

Ich habe das eigentlich ohne Widerwillen geschrieben, auf den Fersen war er mir aber bei jedem Wort

Ich bin zuerst gegen die Cafe Biard, weil ich glaube daß man dort nur schwarzen Kafe bekommt. Es zeigt sich daß auch Milch zu haben ist, wenn auch nur mit schlechtem schwammigem Gebäck. Es ist fast die einzige Verbesserung die mir für Paris eingefallen ist, daß man besseres Gebäck in diesen Cafes anschaffen soll. Später komme ich darauf vor dem Frühstück, während Max schon sitzt, in den Seitengassen herumzulaufen und Obst zu suchen. Auf dem Weg zum Cafe esse ich immer ein bißchen weg, damit Max nicht zusehr staunt. Als wir in einem guten Cafeehaus bei der Station der Vers. Dampfbahn den gelungenen Versuch machen Apfelstrudel und Mandelgebäck aus einer Bäckerei unter den Augen eines ber uns in der Tür lehnenden Kellners aufzuessen, führen wir das auch im Cafe Biard ein und finden, daß man dadurch abgesehen vom Genuß des feinen Gebäcks zum deutlichernGenuß des eigentlichen Vorteils dieser Cafee kommt, nämlich des vollständigen Unbeachtetseins bei ziemlich leerem Lokal, guter Bedienung, nahe allen Menschen hinter dem Pult und vor der immer geöffneten Ladentür. Nur muß man sich damit abfinden, wenn der Boden gekehrt wird, was wegen des unmittelbar von der Gasse hereinkommenden an dem Pult sich hin und herschiebenden Besuches häufig geschieht und wobei auch von der Gewohnheit nicht abgesehen wird die Gäste nicht zu beachten.

Beim Anblick der kleinen Bars auf der Versailler Dampfbahnstrecke scheint es für ein junges Ehepaar leicht, eine solche Bar zu eröffnen und dabei ein ausgezeichnetes interessantes, risikoloses nur zu bestimmten Tageszeiten anstrengendes Leben zu führen. Sogar auf den Boulevards werden zwischen zwei Seitengassen an der Spitze eines keilförmigen Häuserblocks solche billige Bars im Seitendunkel herangeschoben.

Die Gäste in kalkbespritzten Hemden um die Tischchen der Vorstadtgasthäuser.

Das Rufen einer Frau mit einem kleinen Bücherhandwagen am Abend auf dem Boulevard Poissoniere: Blättert, blättert meine Herren, sucht Euch aus, alles was daliegt wird verkauft. Ohne zum Einkaufen zu drängen ohne auch aufdringlich hinzusehn nennt sie innerhalb ihres Rufens gleich den Preis des Buches, das einer der Umstehenden in die Hand nimmt. Sie scheint nur zu verlangen daß rascher geblättert wird, rascher die Bücher in den Händen wechseln, was man verstehn kann wenn man zusieht, wie hie und da einer, z. B. ich, langsam ein Buch aufhebt, langsam und wenig drin blättert, langsam es hinlegt und endlich langsam weggeht. Das ernste Nennen der Preise von Büchern, deren Unanständigkeit so lächerlich ist, daß man sich einen Kaufabschluß unter den Augen des ganzen Publikums zuerst nicht vorstellen kann.

Um wie viel mehr Entschlußkraft das Kaufen eines Buches vor dem Laden als drinnen verlangt, weil dieses Aussuchen eigentlich nur ein freies Überlegen ist bei zufälliger Gegenwart der ausliegenden Bücher

Sitzen auf den zwei einander zugewendeten Sesselchen in den Champs Elysees. Viel zu lang aufbleibende Kinder spielen noch im Halbdunkel, in dem sie die von ihnen in den Sand gezogenen Striche nicht mehr gut sehn.

Die geschlossene Badeanstalt mit einer in der Erinnerung türkisch wirkenden Außenbemalung. Sie ist eisengrau beleuchtet mitten am Nachmittag, weil Sonnenlicht nur durch die Lücken der oben ausgespannten Tücher in einer Ecke mit einzelnen Strahlen kommt und unten das Flußwasser das Ganze verdunkeln hilft. Großer Raum. In einer Ecke eine Bar. Die Schwimmeister jagen hier und drüben das Bassin entlang laufend einander die Kundschaften ab. Sie treten an den Besucher vor seiner Kabine von der Seite drohend heran und verlangen mit unverständlichen aber beharrlichen Reden ein Sperrgeld. Ein Verlangen in unverständlicher Sprache scheint mir diskret vorgebracht. Grand bains du pont Royal. In den Ecken stehn auf den Stufen Leute die sich gründlich mit Seife abwaschen. Das Seifenwasser um sie herum rührt sich nicht. Man sieht durch die Lücken zum Fluß zu etwas sich vorbeibewegen, es sind Dampfer. Die Ärmlichkeit dieses Schwimmvergnügens zeigt sich, als zwei mit einem alten Seelentränker sich unterhalten, der von einer Wand weggeschoben schon an die gegenüberliegende stößt. Kellergeruch. Schöne grüne Gartenbänke. Viel Deutsch. In einer Schwimmschule hängt über Wasser ein Knotenstrick zum beliebigen Turnen herunter. Wir fragen nach Musee Balzac, ein hübscher Junge mit von der Nässe aufgebauschter Frisur erklärt uns daß wir das Musee Grevin (ein Panoptikum) meinen. Dienstbereit läßt er sich seine Kabine aufmachen, bringt einen kleinen Führer (vielleicht Neujahrsgeschenk eines Etablissements) und findet auch dort das Musee Balzac nicht. Wir haben uns schon innerlich fortwährend bedankt, da wir das voraussahen; und auch dringend abgeraten, es zu suchen. Es steht ja auch im Bottin nicht.

Warum saß am Vormittag im Cassenraum des Teatre Francais ein Polizeimann Gendarm oder Soldat?

Eine dicke Placeuse in der Kom. Oper nimmt uns ziemlich von oben herab etwas Trinkgeld ab. Ich dachte, es liege daran, daß wir mit unsern Teaterkarten in der Hand etwas zu sehr Schritt für Schritt hintereinander heraufgekommen waren und nahm mir vor am nächsten Abend in der Comödie der Placeuse in ihre Augen hinein das Trinkgeld zu verweigern, während ich jetzt vor ihr und mir mich schämend ein großes Trinkgeld gab. Gar als alle andern ohne Trinkgeld hineinkamen. Ich brachte in der Comödie auch meinen Satz heraus, in dem ich das Trinkgeld etwas meiner Meinung nach "nicht unumgängliches" nannte, mußte aber wieder zahlen als die diesmal magere Placeuse klagte, sie sei von der Verwaltung nicht entlohnt und das Gesicht zur Schulter neigte

Stiefelputzscene am Anfang. Wie die Kinder, die die Wache begleiten, im gleichen Schritt, die Treppe hinuntergehn. Eindruck der obenhin gespielten Ouverture, so daß die zuspät Kommenden einen leichten Eintritt haben, so pflegt man sonst nur Operetten herzunehmen. Richtige Einfalt der Inscenierung. Schläfrige Statisten, wie bei allen Vorstellungen die ich in Paris gesehen während sie bei uns oft schlecht zurückgehaltene Lebendigkeit haben. Der Esel für den ersten Akt Carmen vor dem Teatereingang in der engen Gasse von Teaterleuten und etwas Straßenpublikum umgeben, wartet im Halbdunkel, bis die kleine Eingangstür frei wird. Ich kaufe auf der Freitreppe fast mit Bewußtsein eines jener falschen Programme, wie sie vor allen Teatern verkauft werden. Eine Ballerine tanzt für Carmen in der Schmugglerkneipe. Wie ihr stummer Körper beim Gesang Carmens arbeitet. Später aus Einzelheiten zusammengesetzter Tanz Carmens, der aber doch wegen ihrer Verdienste in der bisherigen Vorstellung eigentlich viel schöner ist. Es sieht aus als hätte sie vor der Vorstellung einige eilige Lektionen bei der Hauptballerine genommen. Das Rampenlicht macht ihre Sohlen weiß, wenn sie am Tisch lehnt, jemandem zuhört und die Füße unter dem grünen Rock gegeneinander spielen läßt.

Ein Mensch der kein Tagebuch hat, ist einem Tagebuch gegenüber in einer falschen Position. Wenn dieser z. B. in Goethes Tagebuch liest, daß dieser am 11. Januar 1797 den ganzen Tag zuhause mit verschiedenen Anordnungen beschäftigt, so scheint es diesem Menschen, daß er selbst noch niemals so wenig gemacht hat.

Für den letzten Akt sind wir schon zu müde (ich war es schon für den vorletzten) gehn weg und setzen uns in eine Bar gegenüber der Opera comique wo Max in seiner Müdigkeit mich mit Sodawasser ganz bespritzt und ich in meiner Müdigkeit vor Lachen mich nicht halten kann und mir die Grenadine durch die Nase jage. Inzwischen fängt wohl der letzte Akt an, wir wandern nach Hause

Auf diesem Platz wurde mir nach der Hitze im Teater, wo ich die heiße Luft durch das offene Hemd an meine Brust gefächelt hatte, die Nachtluft, das Sitzen im Freien, das Ausstrecken der Beine auf einen städtischen Platz hinaus besonders bewußt, trotzdem die erleuchtete große Teaterfacade mit den Seitenlichtern der Kaffeehäuser des Teaters ausreichte, den kleinen Platz, besonders seinen Boden bis unter die Tischchen hin wie ein Zimmer zu beleuchten.

Herr im Foyer, der zwei Damen unterhält, in einem Frackanzug, der etwas lose hängt und der wenn er nicht neu wäre nicht hier getragen würde und besser paßte historisch sein könnte. Monokel fallen gelassen und wieder aufgenommen. Klopft wenn das Gespräch stockt, unsicher mit seinem Stock auf. Steht immer mit Armzuckungen, wie wenn er jeden Augenblick die Absicht hätte mit ausgestrecktem Arm seinen Damen mitten durch die Menge Platz zu machen. Ausgezogene, abgenützte Gesichtshaut.

Eigenschaft der deutschen Sprache im Munde von Ausländern, die sie nicht beherrschen und meist auch nicht beherrschen wollen, schön zu werden. Soweit wir Franzosen beobachtet haben, konnten wir niemals sehn, daß sie sich über unsere Fehler im französischen freuten oder auch nur diese Fehler hörenswert fanden und selbst wir deren Französisch nur wenig französisches Sprachgefühl hervorbringen kann, fortzusetzen!

Die von mir aus glücklichen Köche und Kellner die nach dem allgemeinen Essen Salat Bohnen und Erdäpfel essen, Mischungen davon in großen Schüsseln machen, von jeder Speise nur wenig nehmen, trotzdem ihnen viel gereicht wird und von der Ferne so aussehn wie Köche und Kellner bei uns. - Kellner dessen Mund und Bärtchen elegant zusammengezogen ist und der mich an einem Tag meiner Meinung nach nur deshalb bedient, weil ich müde, ungeschickt, gedankenlos und unsympatisch bin und daher selbst mir kein Essen verschaffen könnte, während er es mir bringt fast ohne es zu merken.

Bei Düval am Boulevard Sebastopol in der Abenddämmerung. Drei Gäste im Lokal verstreut. Die Kellnerinnen leise miteinander redend. Die Kassa noch leer. Ich bestelle einen Jogurth dann noch einen. Die Kellnerin bringt es still, das Halbdunkel des Lokals trägt zu der Stille auch bei, sie nimmt auch still die Bestecke weg, die für das Abendessen auf meinem Platz vorbereitet waren und mich beim Trinken hindern könnten. Es war mir sehr angenehm, Duldung und Verständnis für meine Leiden bei einer Frau ahnen zu können, die so still war.

Lächerliches Restaurant in der Rue Richelieu. Gedrängt voll. Häßlicher Anblick des Rauches vor Spiegelscheiben. Regelmäßig verteilte mit Hüten vollgehängte Kleiderrechen wie Bäume. Sitte der Geländer zwischen Tischen. Gleich nachdem die Täuschung des ungeschickten Ausländers, wo ein geländerartiger Rahmen sei müsse auch eine Glasscheibe stecken, dadurch aufgeklärt wird, daß man frech in die Scheibe schaut in der man das Spiegelbild entfernter Gäste zu sehen meint und durch den Gegenblick einsieht, daß man es mit wirklichen Gesichtern zu tun hat - fühlt man wie solche Geländer zwischen aneinander gestellten Tischen gerade viel für die Annäherung tun.

Im Louvre von einer Bank zur andern. Schmerz, wenn eine ausgelassen wird.

Gedränge im Salon Carre, erregte Stimmung, gruppenweises Stehn wie wenn die Mona Lisa gerade gestohlen worden wäre.

Annehmlichkeit der Querstangen vor den Bildern, an denen man lehnen kann, besonders im Saal der Primitiven.

Dieser Zwang mit Max seine Lieblingsbilder anzusehn, da ich zu müde bin, selbst herumzuschauen. Bewundernder Aufblick

Die Kraft einer großen jungen Engländerin, die mit ihrem Begleiter im längsten Saal von einem Ende aus zum andern geht.

Anblick Maxens, wie er vor Aristide unter einer Straßenlaterne Phädra liest und sich bei dem kleinen Druck die Augen verdirbt. Warum folgt er mir niemals. Ich profitiere leider noch davon, da er mir auf dem Weg zum Teater alles erzählt, was er auf der Gasse, während ich genachtmahlt habe aus seiner Phädra herausgelesen hat. Kurzer Weg, Anstrengung Maxens mir alles, alles zu erzählen, auch Anstrengung meinerseits.

Militärisches Schauspiel im Foyer. Soldaten regeln nach militärischen Grundsätzen das Vortreten des einige Meter von der Kassa zurückgedrängten Publikums.

Vermeintliche Claqueurin in unserer Reihe. Ihr Applaus scheint dem Stockaufschlagen des über uns im letzten Rang beschäftigten Oberclaqueurs zu folgen. Sie klatscht mit so weit vorgebeugtem abwesendem Gesicht, daß sie, wenn der Applaus zu Ende ist, erstaunt besorgt die Innenfläche ihrer durchbrochenen Handschuhe anschaut. Fängt aber gleich wieder an wenn es nötig wird. Klatscht aber schließlich auch selbständig und ist gar keine Claqueurin.

Das Gefühl der Ebenbürtigkeit gegenüber dem Stück, das die Teaterbesucher haben müssen, um gegen Ende des ersten Aktes anzukommen und reihenlang Leute zum Aufstehen zu bringen. Eine Dekoration die 5 Akte durch stehen bleibt, trägt viel zum Ernst bei und ist, selbst wenn sie nur aus Papier besteht, solider als eine wechselnde aus Holz und Stein.

Eine gegen das Meer und die blaue Luft gehaltene Säulengruppe in der Höhe von Schlingpflanzen überwachsen. Unmittelbarer Einfluß des Gastmahles von Veronese, auch Claude Lorrains.

Der ob geschlossen, sich öffnend oder offen gleich ruhig geschwungene Mund Hypolits.

Oenone, leicht in dauernde Stellungen geratend, einmal aufgerichtet, die Beine eng vom Tuch umbunden, den Arm gehoben, mit ruhiger Faust, trägt sie einen Vers vor. Viele langsame Verhüllungen der Gesichter mit den Händen. Graue Farbe der Berater der Hauptpersonen.

Unzufriedenheit mit der Darstellerin der Phädra in der Erinnerung an die Befriedigung die ich über die Rachel als Mitgl. der Comedie Francais hatte, wann immer ich von ihr gelesen habe.

Bei so überraschendem Anblick wie es die erste Szene ist, wo Hypolite den unbewegten manneslangen Bogen neben sich hält, mit der Absicht dem Pädagogen sich anzuvertrauen, und den ruhigen stolzen Blick ins Publikum gerichtet seine Verse wie ein Festgedicht aufsagt, hatte ich wie oft schon früher den allerdings sehr schwachen Eindruck daß es zum erstenmal geschieht und in meine übrige Bewunderung mischte sich die Bewunderung des gleich erstmaligen Gelingens.

Erinnerung an die Aufführung von "Des M. u. d. L. Wellen" in Reichenberg. Es waren dort zartere, schwächere Schauspieler,

wird fortgesetzt

Rationell eingerichtete Bordelle. Die reinen Jalousien der großen Fenster des ganzen Hauses herabgelassen. In der Portierloge statt eines Mannes ehrbar angezogene Frau, die überall zu Hause sein könnte. Schon in Prag habe ich immer den amazonenmäßigen Charakter der Bordelle flüchtig bemerkt. Hier ist es noch deutlicher. Der weibliche Portier der sein elektr. Läutewerk in Bewegung setzt, der uns in seiner Loge zurückhält, weil ihm gemeldet wird, daß gerade Gäste die Treppe herabkommen, die zwei ehrbaren Frauen oben (warum zwei?) die uns empfangen, das Aufdrehen des elektr. Lichtes im Nebenzimmer in dem die unbeschäftigten Mädchen im Dunkel oder Halbdunkel saßen, der 3/4Kreis (wir ergänzen ihn zum Kreis) in dem sie um uns in aufrechten auf ihren Vorteil bedachten Stellungen stehn, der große Schritt, mit dem die Erwählte vortritt, der Griff der Madame mit dem sie mich auffordert... ich mich zum Ausgang gezogen fühle. Unmöglich mir vorzustellen wie ich auf die Gasse kam, so rasch war es. Schwer ist die Mädchen dort genauer anzusehn, weil sie zu viele sind, mit den Augen blinzeln, vor allem zu nahe stehn. Man müßte die Augen aufreißen und dazu gehört Übung. In der Erinnerung habe ich eigentlich nur die, welche gerade vor mir stand. Sie hatte lückenhafte Zähne, streckte sich in die Höhe, hielt mit der über der Scham geballten Faust ihr Kleid zusammen und öffnete und schloß gleich und schnell die großen Augen und den großen Mund. Ihr blondes Haar schien zerrauft. Sie war mager. Angst davor nicht zu vergessen den Hut nicht abzunehmen. Man muß sich die Hand von der Krempe reißen. Einsamer, langer sinnloser Nachhauseweg.

Ansammlung der Besucher vor dem Öffnen des Louvre. Die Mädchen sitzen zwischen den hohen Säulen, lesen im Bädeker, schreiben Ansichtskarten.

Venus von Milo, deren Anblick bei dem langsamsten Umgehn schnell und berraschend wechselt. Leider eine erzwungene (über Taille und Hülle) aber einige wahre Bemerkungen gemacht, zu deren Erinnerung ich eine plastische Reproduktion nötig hätte, besonders darüber wie das gebogene linke Knie den Anblick von allen Seiten mitbestimmt, manchmal aber nur sehr schwach. Die erzwungene Bemerkung: Man erwartet, daß über der aufhörenden Hülle der Leib sich gleich verjüngt, er wird aber zunächst sogar noch breiter. Das fallende vom Knie gehaltene Kleid.

Der Borghesische Fechter, dessen Vorderblick nicht der Hauptanblick ist, denn er bringt den Beschauer zum Zurückweichen und ist zerstreuter. Von hinten aber gesehen, dort wo der Fuß zuerst auf dem Boden ansetzt, wird der überraschte Blick das fest gezogene Bein entlang gelockt und fliegt geschützt über den unaufhaltsamen Rücken zu dem nach vorn gehobenen Arm und Schwert.

Die Metro schien mir damals sehr leer, besonders wenn ich es mit jener Fahrt vergleiche, als ich krank und allein zum Rennen gefahren bin. Das Aussehn der Metro unterliegt auch abgesehn vom Besuch dem Einfluß des Sonntags. Die dunkle Stahlfarbe der Wände überwog. Die Arbeit der die Waggontüren auf- und zuschiebenden und dazwischen sich hinein ' und herausschwingenden Schaffner stellte sich als eine Sonntagnachmittagsarbeit heraus. Die langen Wege zur Correspondence wurden langsam gegangen. Die unnatürliche Gleichgültigkeit der Passagiere mit der sie die Fahrt in der Metro hinnehmen wurde deutlicher. Das sich gegen die Glastüre wenden, das Aussteigen einzelner an unbekannten Stationen weit von der Oper wird als launenhaft empfunden. Sicher ist in den Stationen trotz der elektr. Beleuchtung das wechselnde Tageslicht zu bemerken, besonders wenn man gerade heruntergestiegen ist, merkt man es, besonders dieses Nachmittagslicht, knapp vor der Verdunkelung. Die Einfahrt in die leere Endstation der porte Dauphine, Menge von sichtbar werdenden Röhren, Einblick in die Schleife, wo die Züge die einzige Kurve machen dürfen nach so langer geradlinieger Fahrt. Tunnelfahrten in der Eisenbahn sind viel ärger, keine Spur von der Bedrückung, die der Passagier unter dem wenn auch zurückgehaltenen Druck der Bergmassen fühlt. Man ist auch nicht weit von den Menschen sondern eine städtische Einrichtung, wie z. B. das Wasser in den Leitungen. Das Zurückspringen beim Aussteigen, mit dem dann folgenden verstärkten Vorgehn. Dieses Aussteigen auf ein gleiches Niveau. Meist verlassene kleine Schreibzimmer mit Telephon und Läutewerk dirigieren den Betrieb. Max schaut gern hinein. Schrecklich war der Lärm der Metro, als ich mit ihr zum erstenmal im Leben vom Montmartre auf die großen Boulevards gefahren bin. Sonst ist er nicht arg, verstärkt sogar das angenehme ruhige Gefühl der Schnelligkeit. Die Reklame von Dubonnet ist sehr geeignet von traurigen und unbeschäftigten Passagieren gelesen, erwartet und beobachtet zu werden. Ausschaltung der Sprache aus dem Verkehr, da man weder beim Zahlen, noch beim Ein- u. Aussteigen zu reden hat. Die Metro ist wegen ihrer leichten Verständlichkeit für einen rwartungsvollen und schwächlichen Fremden, die beste Gelegenheit, sich den Glauben zu verschaffen, richtig und rasch im ersten Anlauf in das Wesen von Paris eingedrungen zu sein.

Die Fremden erkennt man daran, daß sie oben schon auf dem letzten Absatz der Metrotreppe sich nicht mehr auskennen, sie verlieren sich nicht, wie die Pariser, aus der Metro übergangslos in das Straßenleben. Auch stimmt beim Herauskommen die Wirklichkeit erst langsam mit der Karte überein, da wir auf diesen Platz, wo wir jetzt nach dem Heraufkommen hingestellt sind, niemals zu Fuß oder zu Wagen gekommen wären, ohne Führung der Karte. Die Erinnerung an Spaziergänge in Anlagen ist immer schön. Freude daran, daß es noch so hell ist, aufpassen, daß es nicht rasch dunkel wird, davon und von der Müdigkeit ist Gangart und Herumschauen beherrscht. Die straffe Fahrt der Automobile auf der großen glatten Straße. Das rotgekleidete Orchester das im Lärm der Automobile im kleinen Gartenrestaurant unhörbar nur zum Genuß der nächsten Umgebung auf den Instrumenten arbeitet. Nie gesehene Pariser führen einander an der Hand. Verbranntes erdfarbenes Gras. Männer in Hemdärmeln mit ihren Familien im Halbdunkel der Bäume in Beeten zu denen der Zutritt schon vorher verboten war. Hier war das Fehlen der Juden am auffallendsten. Der Rückblick zur kleinen Dampfbahn, die sich aus einem Karoussel abgewickelt und weggefahren zu sein scheint. Der Weg zum See. Meine stärkste Erinnerung vom ersten Anblick dieses Sees ist der gebeugte Rücken des Mannes, der zu uns ins Boot unter das gespannte Tuchdach geneigt, uns die Fahrkarten reichte. Wahrscheinlich infolge meiner Sorge um die Karte und meiner Unfähigkeit, den Mann zu einer Erklärung zu zwingen, ob das Boot den See umfahre oder zur Insel übersetze und ob es Haltestellen habe. Deshalb habe ich mich so in ihn verschaut, daß ich ihn manchmal allein über den See gerade so stark aber ohne Boot gebeugt sehe. Viele Leute in Sommerkleidern auf der Landungsstelle. Boote mit ungeschickten Ruderern. Niedriges Seeufer ohne Geländer. Langsame Fahrt, erinnert mich an Spaziergänge, die ich vor einigen Jahren jeden Sonntag allein gemacht habe. Herausziehn der Füße aus dem Wasser auf dem Bootsgrund. Beim Anhören unseres Tschechisch Erstaunen der Passagiere, sich mit derartig Fremden in ein Boot gesetzt zu haben. Viele Menschen auf den Abhängen des Westufers, eingepflanzte Stöcke, ausgebreitete Zeitungen, Mann mit seinen Töchtern flach im Gras, wenig Lachen, niedriges Ostufer, bei uns schon seit langem abgeschaffte Wegbegrenzung aus kleinen, aneinandergefügten gebogenen Hölzchen, geeignet Schooßhündchen vom Rasen abzuhalten, ein wilder Hund lauft ber die Wiesen, ernst arbeitende Ruderer mit einem Mädchen in ihrem schweren Boot. Ich lasse Max besonders einsam bei einer Grenadine im Dunkel am Rande eines halb leeren Kaffeegartens, wo nahe eine Straße vorübergeht, die wieder von einer andern unbekannten förmlich flüchtig gekreuzt wird. Automobile und Wagen fahren von dieser dunklen Kreuzungstelle in noch wüstere Gegenden. Ein großes eisernes Gitter gehört vielleicht zum Verzehrungssteueramt, ist aber geöffnet und läßt jeden durch. In der Nähe sieht man das grelle Licht des Lunaparks das die Unordnung dieses Halbdunkels vergrößert. So viel Licht und so leer. Auf dem Weg zum Lunapark und zu Max zurück stolpere ich vielleicht 5 mal.

Montag 11. Sept. (1911) Auf dem Asphaltpflaster sind die Automobile leichter zu dirigieren aber auch schwerer einzuhalten. Besonders wenn ein einzelner Privatmann am Steuer sitzt, der die Größe der Straßen, den schönen Tag, sein leichtes Automobil, seine Chauffeurkenntnisse für eine kleine Geschäftsfahrt ausnützt und dabei an Kreuzungsstellen sich mit dem Wagen so winden soll, wie die Fußgänger auf dem Trottoir. Darum fährt ein solches Automobil knapp vor der Einfahrt in eine kleine Gasse noch auf dem großen Platz in ein Tricykle hinein, hält aber elegant, tut ihm nicht viel, tritt ihm förmlich nur auf den Fuß, aber während ein Fußgänger mit einem solchen Fußtritt desto rascher weiter eilt, bleibt das Tricykle stehn und hat das Vorderrad verkrümmt. Der Bäckergehilfe, der auf diesem der Firma gehörigen Wagen bisher vollständig sorglos mit jenem den Dreirädern eigentümlichen schwerfälligen Schwanken dahingefahren ist, steigt ab, trifft den Automobilisten, der ebenfalls absteigt und macht ihm Vorwürfe, die durch den Respekt vor einem Automobilbesitzer gedämpft und durch die Furcht vor seinem Chef angefeuert werden. Es handelt sich nun zuerst darum zu erklären, wie es zu dem Unfall gekommen. Der Automobilbesitzer stellt mit seinen erhobenen Handflächen das heranfahrende Automobil dar, da sieht er das Trycykle das ihm in die Quere kommt, die rechte Hand löst sich ab und warnt durch Hin- und Herfuchteln das Tricykle, das Gesicht ist besorgt, denn welches Automobil kann auf diese Entfernung bremsen. Wird es das Tricykle einsehn und dem Automobil den Vortritt lassen? Nein, es ist zu spät, die Linke läßt vom Warnen ab, beide Hände vereinigen sich zum Unglücksstoß, die Knie knicken ein, um den letzten Augenblick zu beobachten. Es ist geschehn und das still dastehende verkrümmte Tricykle kann schon bei der weitern Beschreibung mithelfen. Dagegen kann der Bäckergehilfe nicht gut aufkommen. Erstens ist der Automobilist ein gebildeter lebhafter Mann, zweitens ist er bis jetzt im Automobil gesessen, hat sich ausgeruht, kann sich bald wieder hineinsetzen und weiter ausruhn und drittens hat er von der Höhe des Automobils den Vorgang wirklich besser gesehn. Einige Leute haben sich inzwischen angesammelt und stehen wie es die Darstellung des Automobilisten verdient nicht eigentlich im Kreise um ihn, sondern mehr vor ihm. Der Verkehr muß sich inzwischen ohne den Platz behelfen, den diese Gesellschaft einnimmt, die überdies nach den Einfällen des Automobilisten hin und her rückt. So ziehn z. B. einmal alle zum Tricykle um den Schaden von dem so viel gesprochen worden ist, einmal genauer anzusehn. Der Autom. hält ihn nicht für arg, (einige halten in mäßig lauten Unterredungen zu ihm) trotzdem er sich nicht mit dem bloßen Hinschauen begnügt sondern rund herumgeht, oben hinein und unten durch schaut. Einer, der schreien will, setzt sich, da der Aut. Schreien nicht braucht, für das Tricykle ein; er bekommt aber sehr gute und sehr laute Antworten von einem neu auftretenden fremden Mann, der wenn man sich nicht beirren läßt, der Begleiter des Aut. gewesen ist. Einigemale müssen einige Zuhörer zusammen lachen, beruhigen sich aber immer mit neuen sachl. Einfällen. Nun besteht eigentlich keine große Meinungsversch. zwischen Aut. u. Bäck., der Aut. sieht sich von einer kleinen freundlichen Menschenmenge umgeben, die er überzeugt hat, der Bäckerjunge läßt von seinem einförmigen Armeausstrecken und Vorwürfemachen langsam ab, der Aut. leugnet ja nicht daß er einen kleinen Schaden angerichtet hat, gibt auch durchaus dem Bäck. nicht alle Schuld, beide haben Schuld, also keiner, solche Dinge kommen eben vor u. s. w. Kurz die Angelegenheit würde schließlich in Verlegenheit ablaufen, die Stimmen der Zuschauer, die schon über den Preis der Reparatur beraten, müßten abverlangt werden, wenn man sich nicht daran erinnern würde, daß man einen Polizeimann holen könnte. Der Bäckerjunge der in eine immer untergeordnetere Stellung zum Au. geraten ist, wird von ihm einfach um einen Pol. geschickt, und vertraut sein Tricykle dem Schutz des Aut. Nicht mit böser Absicht, denn er hat es nicht nötig, eine Partei für sich zu bilden, hört er auch in Abwesenheit des Gegners mit seinen Beschreibungen nicht auf. Weil man rauchend besser erzählt, dreht er sich eine Cigarette. In seiner Tasche hat er ein Tabaklager. Neu ankommende Uninformierte und wenn es auch nur Geschäftsdiener sind werden systematisch zuerst zum Automobil, dann zum Tricykle geführt und dann erst über die Details unterrichtet. Hört er aus der Menge von einem weiter hinten Stehenden einen Einwand, beantwortet er ihn auf den Fußspitzen, um dem ins Gesicht sehn zu können. Es zeigt sich, daß es zu umständlich ist, die Leute zwischen Aut. u. T. hin und herzuführen, deshalb wird das Automobil mehr zum Trottoir in die Gasse hineingefahren. Ein ganzes Tricykle hält und der Fahrer sieht sich die Sache an. Wie zur Belehrung über die Schwierigkeiten des Automobilfahrens ist ein großer Motoromnibus mitten auf dem Platz stehn geblieben. Man arbeitet vorn am Motor. Die ersten die sich um den Wagen niederbeugen sind seine ausgestiegenen Passagiere im richtigen Gefühl ihrer nähern Beziehung. Inzwischen hat der Aut. ein wenig Ordnung gemacht und auch das Tr. mehr zum Trottoir geschoben. Die Sache verliert ihr öffentl. Interesse. Neu Ankommende müssen schon erraten, was eigentlich geschehen ist. Der Aut. hat sich mit einigen alten Zusch. die als Zeugen Wert haben, förmlich zurückgezogen und spricht mit ihnen leise. Wo wandert aber inzwischen der arme Junge herum? Endlich sieht man ihn in der Ferne, wie er mit dem Pol. den Platz zu durchqueren anfängt. Man war nicht ungeduldig aber das Interesse zeigt sich sogleich aufgefrischt. Viele neue Zuschauer treten auf, die auf billige Weise den äußersten Genuß der Protokollaufnahme haben werden. Der Aut. löst sich von seiner Gruppe und geht dem Pol. entgegen, der die Angeleg. sofort mit der gleichen Ruhe aufnimmt, welche die Beteiligten erst durch halbstündiges Warten sich verschafft haben. Die Prot.aufnahme beginnt ohne lange Untersuch. Der P. zieht aus seinem Notizbuch mit der Schwerfälligkeit eines Bauarbeiters einen alten schmutzigen aber leeren Bogen Papier, notiert die Namen der Beteiligten, schreibt die Bäckerfirma auf und geht um dies genau zu machen schreibend um das Tricykle herum. Die unbewußte unverständige Hoffnung aller Anwesenden auf eine sofortige sachliche Beendigung der ganzen Angel. durch den Pol. geht in eine Freude an den Einzelheiten der Prot. auf. über. Diese Pr. stockt bisweilen. Der Pol. hat sein Prot. etwas in Unord. gebracht und in der Anstrengung es wieder herzustellen, hört und sieht er weilchenweise nichts anderes. Er hat nämlich den Bogen an einer Stelle zu beschreiben angefangen, wo er aus irgend einem Grunde nicht hätte anfangen dürfen. Nun ist es aber doch geschehn und sein Staunen darüber erneuert sich öfters. Er muß den Bogen immerfort wieder umdrehn, um den schlechten Prot.anfang zu glauben. Da er aber von diesem schlechten Anfang bald abgelassen und auch anderswo zu schreiben angefangen hat, kann er, wenn eine Spalte zu Ende ist, ohne großes Auseinanderfalten und Untersuchen unmöglich wissen, wo er richtigerweise fortzusetzen hat. Die Ruhe die dadurch die Angeleg. gewinnt, läßt sich mit jener früherndurch die Bet. allein erreichten gar nicht vergleichen.Reise Juni/Juli 1912Reise Weimar-Jungborn vom 28 Juni 1912 - 29 Juli

Freitag 28. V (Juni 1912) Abfahrt Staatsbahn. Gut beisammen. Sokoln verzögern die Zugsabfahrt. Ausgezogen in ganzer Länge auf der Bank gelegen. Elbeufer. Schöne Lage der Orte und Villen, ähnlich den Seeufern. Dresden. Mengen der frischen Waren überall. Reinliche korrekte Bedienung. Ruhig gesetzte Worte. Massives Aussehn der Bauten infolge der Betontechnik, die doch z. B. in Amerika nicht so wirkt. Das sonst ruhige von Wirbelringen marmorierte Elbewasser. - Leipzig. Gespräch mit unserem Dienstmann. Max fragt ihn trotzdem er wie unser Großvater aussieht nach Mädchen. Opels Hotel. Der halbe neue Bahnhof. Schöne Ruine des alten. Gemeinsames Zimmer. Von 4 Uhr ab lebendig begraben, weil Max wegen des Lärms die Fenster zumachen muß. Großer Lärm. Dem Gehör nach zieht ein Wagen den andern hinter sich. Die Pferde wegen des Asphalts wie laufende Reitpferde anzuhören. Das sich entfernende durch seine Unterbrechungen Gassen und Plätze andeutende Läuten der Elektrischen. Abend in Leipzig. Maxens topographischer Instinkt, mein Verlorensein. Dagegen stelle ich, später vom Führer bestätigt, einen schönen Erker am Fürstenhaus fest. Nachtarbeit auf einem Bauplatz, wahrscheinlich auf der Stelle von Auerbachs Keller. Nicht zu beseitigende Unzufriedenheit mit Leipzig. Unentschlossenheit in den Bordellgäßchen. Mein Schuhbandbinden wird von der Gasse zum Fenster hin besprochen. Lockendes Cafe Oriental. "Taubenschlag" Bierstube. Der schwer bewegliche langbärtige Biervater. Seine Frau schenkt ein. Zwei große starke Töchter bedienen. Fächer in den Tischen. Lichtenhainer in Holzkrügen. Schandgeruch wenn man den Deckel öffnet. Ein schwächlicher Stammgast, rötliche magere Wangen, faltige Nase sitzt mit großer Gesellschaft, bleibt dann allein zurück, das Mädchen setzt sich mit ihrem Bierglas zu ihm. Das Bild des vor 12 Jahren verstorbenen Stammgastes, der 14 Jahre lang hergegangen ist. Er hebt das Glas, hinter ihm ein Gerippe. Viele stark verbundene Studenten in Leipzig. Viel Monokel. Kurzer Besuch in einem B. Ein Mädchen mit Brustschmuck nachtmahlt ein Rippchen. Unsere undeutliche Auskunft über den Grund unseres sofortigen Weggehns.

Freitag (Samstag) 29. (Juni 1912) Frühstück. Verkennung einer Annäherung zwischen dem Hotelier und seiner Tochter. Der Herr, der Samstag die Quittung einer Geldsendung nicht unterschreibt. Spaziergang. Max zu Rohwolt. Buchgewerbemuseum. Kann mich vor den vielen Büchern nicht halten. Die altertümlichen Straßen dieses Verlagsviertels, trotz gerader Straßen und neuerer allerdings schmuckloser Häuser. Öffentliche Lesehalle. Mittagmahl in "Manna". Schlecht. Brandeis dort getroffen. Rendezvous mit Max vor dem Goethedenkmal um 2. Verabschiedung Brandeis. Wilhelms Weinstube, dämmeriges Lokal in einem Hof. Rohwolt. Jung rotwangig, stillstehender Schweiß zwischen Nase und Wangen, erst von den Hüften an beweglich. Graf Bassewitz, Verfasser von "Judas" groß, nervös, trockenes Gesicht, Spiel in der Taille, gut behandelter starker Körper. Hasenclever, jüdisch, laut, viel Schatten und Helligkeit im kleinen Gesicht, auch bläuliche Farben. Alle 3 schwenken Stöcke und Arme. Eigentümliches tägliches Mittagessen in der Weinstube. Große breite Weinbecher mit Citronenscheiben. Pinthus, Korrespondent des B. T., dick, flacheres Gesicht, korrigiert dann im Cafe Francais die Schreibmaschinenniederschrift einer Kritik der "Johanna v. Neapel" (Uraufführung am Abend vorher). Vorschlag des Hasencl. Den Nachmittagskaffee in einem B. zu trinken. Nicht eingelassen, weil die Damen bis 4 Uhr schlafen. Zusammenlauf der Wirtschafterinnen aus dem Dunkel. Cafe Francais. R. will ziemlich ernsthaft ein Buch von mir. Persönliche Verpflichtungen der Verleger und ihr Einfluß auf den Tagesdurchschnitt der deutschen Litteratur. Im Verlag. - Abfahrt nach Weimar 5 Uhr. Das ältere Fräulein im Coupe. Dunkle Haut. Schöne Rundungen an Kinn und Wangen. Wie sich die Näthe der Strümpfe um ihre Beine drehten, sie hatte das Gesicht mit der Zeitung verdeckt und wir sahen die Beine an. Weimar. Auch sie steigt dort aus, nachdem sie einen großen alten Hut angezogen hatte. Ich sah sie später einmal, als ich vom Marktplatz aus das Goethehaus beobachtete. Langer Weg zum Hotel Chemnitius. Fast den Mut verloren. Suchen der Badeanstalten. Dreiteilige Appartements, die man uns anweist. Max soll in einem Loch mit einer Luke schlafen. Freibad am Kirschberg. Schwanensee. Gang in der Nacht zum Goethehaus. Sofortiges Erkennen. Gelbbraune Farbe des Ganzen. Fühlbare Beteiligung unseres ganzen Vorlebens an dem augenblicklichen Eindruck. Das Dunkel der Fenster der unbewohnten Zimmer. Die helle Junobüste. Anrühren der Mauer. Ein wenig herabgelassene weiße Rouleaux in allen Zimmern. 14 Gassenfenster. Die vorgehängte Kette. Kein Bild gibt das Ganze wieder. Der unebene Platz, der Brunnen, die dem ansteigenden Platz folgende gebrochene Baulinie des Hauses. Die dunklen etwas länglichen Fenster in das Braungelbe eingelegt. Das auch an und für sich auffallendste bürgerliche Wohnhaus in Weimar.

Sonntag 30 (Juni 1912) Vormittag. Schillerhaus. Verwachsene Frau, die vortritt und mit ein paar Worten, hauptsächlich durch die Tonart das Vorhandensein dieser Andenken entschuldigt. Auf der Treppe Klio als Tagebuchführerin. Bild der 100 jähr. Geburtstagsfeier 10 Nov. 1859, das ausgeschmückte, verbreiterte Haus. Italienische Ansichten, Bellagio, Geschenke Goethes. Nicht mehr menschliche Haarlocken, gelb und trocken wie Grannen. Maria Pawlovna, zarter Hals, Gesicht nicht breiter, große Augen. Die verschiedensten Schillerköpfe. Gute Anlage einer Schriftstellerwohnung. Wartezimmer, Empfangszimmer, Schreibzimmer, Schlafalkoven. Frau Junot, seine Tochter ihm ähnlich. "Baumzucht im Großen nach Erfahrungen in Kleinen", Buch seines Vaters.

Goethehaus. Repräsentationsräume. Flüchtiger Anblick des Schreib- und Schlafzimmers. Trauriger an tote Großväter erinnernder Anblick. Dieser seit Goethes Tod fortwährend wachsende Garten. Die sein Arbeitszimmer verdunkelnde Buche. Schon als wir im Treppenhaus unten saßen, lief sie mit ihrer kleinen Schwester an uns vorüber. Der Gipsabguß eines Windspiels, der unten im Treppenhaus steht, gehört in meiner Erinnerung mit zu diesem Laufen. Dann sahn wir sie wieder im Junozimmer, dann beim Ausblick aus dem Gartenzimmer. Ihre Schritte und ihre Stimme glaubte ich noch öfters zu hören. Zwei Nelken durch das Balkongeländer gereicht. Zu später Eintritt in den Garten. Max sieht sie oben auf einem Balkon. Sie kommt herunter, später erst, mit einem jungen Mann. Ich danke im Vorübergehn dafür, daß sie uns auf den Garten aufmerksam gemacht hat. Wir gehn aber noch nicht weg. Die Mutter kommt, es entsteht Verkehr im Garten. Sie steht bei einem Rosenstrauch. Ich gehe von Max gestoßen hin, erfahre von dem Ausflug nach Tiefurt. Ich werde auch hingehn. Sie geht mit ihren Eltern. Sie nennt ein Gasthaus, von dem aus man die Tür des Goethehauses beobachten kann. Gasthaus zum Schwan. Wir sitzen zwischen Epheugestellen. Sie tritt aus der Haustür. Ich laufe hin, stelle mich allen vor, bekomme die Erlaubnis mitzugehn und laufe wieder zurück. Später kommt die Familie ohne Vater. Ich will mich anschließen, nein, sie gehn erst zum Kaffee, ich soll mit dem Vater nachkommen. Sie sagt, ich soll um 4 ins Haus hineingehn. Ich hole den Vater nach Abschied von Max. Gespräch mit dem Kutscher vor dem Tor. Weg mit dem Vater. Gespräch über Schlesien, Großherzog, Goethe, Nationalmuseum, Photographieren und Zeichnen und das nervöse Zeitalter. Halt vor dem Haus, wo sie Kaffee trinken. Er läuft hinauf, um alle zum Erkerfenster zu rufen, weil er photographieren wird. Aus Nervosität mit einem kleinen Mädchen Ball gespielt. Weg mit den Männern, vor uns die zwei Frauen, vor ihnen die 3 Mädchen. Ein kleiner Hund lauft zwischen uns hin und her. Schloß in Tiefurt. Besichtigung mit den 3 Mädchen. Sie hat vieles von den Sachen auch im Goethehaus und besser. Erklärungen vor den Wertherbildern. Zimmer des Fräulein von Göchhausen. Die zugemauerte Tür. Der nachgemachte Pudel. Dann Aufbruch mit den Eltern. Zweimaliges Photographieren im Park. Eines auf einer Brücke, das nicht gelingen will. Endlich auf dem Rückweg endgiltiger Anschluß ohne rechte Beziehung. Regen. Die Erzählungen von Breslauer Karnevalsscherzen beim Archiv. Abschied vor dem Haus. Mein Herumstehn in der Seifengasse. Max hat inzwischen geschlafen. Abend 3maliges unverständliches Treffen. Sie mit ihrer Freundin. Zum erstenmal begleiten wir sie. Ich kann abend nach 6 immer in den Garten kommen. Jetzt muß sie nachhause. Dann wieder Zusammentreffen auf dem für ein Duell vorbereiteten Rundplatz. Sie sprechen mit einem jungen Mann mehr feindlich, als freundlich. Warum sind sie aber nicht schon zuhause geblieben, da wir sie doch bis auf den Goetheplatz begleitet hatten. Sie hatten doch eiligst nachhause müssen. Warum rannten sie aber jetzt, offenbar ohne überhaupt zuhause gewesen zu sein, von dem jungen Mann verfolgt oder um ihm zu begegnen aus der Schillerstraße heraus, die kleine Treppe hinab, auf den abseits gelegenen Platz? Warum drehten sie sich dort, nachdem sie auf 10 Schritte Entfernung mit dem jungen Mann paar Worte gesprochen und scheinbar seine Begleitung abgelehnt hatten, wieder um und liefen allein zurück? Hatten wir sie gestört, die wir nur mit einfachem Gruß vorüber gegangen waren? Später giengen wir langsam zurück; als wir auf den Goetheplatz kamen, liefen sie uns schon wieder aus einer andern Gasse offenbar sehr erschreckt fast in die Hände. Wir drehten uns aus Schonung um. Aber sie hatten also schon wieder einen Umweg gemacht.

Montag 1 Juli (1912). Gartenhaus am Stern. Im Gras davor gezeichnet. Den Vers auf dem Ruhesitz auswendig gelernt. Kofferbett. Schlaf. Papagei im Hof, der Grete ruft. Nutzlos in die Erfurter Allee gegangen, wo sie nähn lernt. Baden.

Dienstag 2 (Juli 1912) Goethehaus. Mansarden. Beim Hausmeister die Photographien angesehn. Herumstehende Kinder. Photographiegespräche. Fortwährendes Aufpassen auf eine Gelegenheit mit ihr zu sprechen. Sie geht ins Nähen mit einer Freundin. Wir bleiben zurück. - Nachmittag Liszthaus. Virtuosenhaft. Die alte Pauline. Liszt von 5 - 8 Uhr gearbeitet, dann Kirche, dann zweiter Schlaf, von 11 an Besuche. Max im Bad, ich hole die Photographien, treffe sie vorher, komme mit ihr vors Tor. Der Vater zeigt mir die Bilder, ich bringe Photographieständer, endlich muß ich doch gehn. Sie lächelt mir sinnlos nutzlos hinter dem Rücken des Vaters zu. Traurig. Einfall, die Photographien vergrößern zu lassen. In die Drogerie. Wieder zurück ins Goethehaus wegen des Negativs. Sie sieht mich vom Fenster aus und öffnet. - Vielfaches Treffen der Grete. Beim Erdbeeressen; vor Werthers Garten, wo ein Koncert ist. Ihre Beweglichkeit des Körpers im losen Kleid. Die großen Officiere, die aus dem "russischen Hof" kommen. Vielerlei Uniformen. Die schlanken, starken in den dunklen Kleidern. - Die Rauferei in der entlegenen Gasse. "Du mußt schon der schönste Dreckorsch sein! " Die Leute an den Fenstern. Die abgehende Familie, ein Betrunkener, eine alte Frau mit Rückenkorb und 2 Burschen als Anhängsel. - Daß ich bald wegfahren muß, drückt mich in der Kehle. Entdeckung von "Tivoli". Tische an der Wand heißen "Seitenbalkon". Die alte Schlangendame, ihr Mann, der als Zauberer dient. Die weiblichen Deutschmeister.

Mittwoch 3 Juli (1912). Goethehaus. Es soll im Garten photographiert werden. Sie ist nicht zu sehn, ich darf sie dann holen. Sie ist immer ganz zittrig von Bewegung, bewegt sich aber erst, wenn man zu ihr spricht. Es wird photographiert. Wir zwei auf der Bank. Max zeigt dem Mann, wie es zu machen ist. Sie gibt mir ein Rendezvous für den nächsten Tag. - Öttingen schaut durchs Fenster und verbietet Max und mir, die wir gerade allein beim Apparat stehn, das Photographieren. Wir photographieren doch nicht! - Damals war die Mutter noch freundlich. Abgesehen von den Schulen und den Nichtzahlenden kommen 30000 Menschen im Jahr. - Bad. Ernste, ruhige Ringkämpfe der Kinder. - Großherzogliche Bibliothek am Nachmittag. Trippelbüste. Das Lob des Führers. Der immer zu erkennende Großherzog. Massives Kinn und starke Lippen. Hand im zugeknöpften Rock. Goethebüste von David, mit nach hinten gesträubtem Haar und großem gespannten Gesicht. Die durch Goethe vorgenommene Umwandlung eines Palais in eine Bibliothek. Büsten von Passow (hübscher kraushaariger Junge), Zach. Werner, schmales, prüfendes, vordringendes Gesicht. Gluck. "Abgegossen vom Leben". Die Löcher im Mund von den Röhren, durch die er geatmet hat. Goethes Arbeitszimmer. Durch eine Tür tritt man gleich in den Garten der Frau v. Stein. Die von einem Sträfling aus einer Rieseneiche ohne einen einzigen Nagel gearbeitete Treppe. - Spaziergang im Park mit dem Zimmermannsohn Fritz Wenski. Seine ernsten Reden. Er schlägt dabei mit einem Zweig in die Büsche. Er wird auch Zimmermann werden und wandern. Jetzt wandert man nicht mehr so, wie zu seines Vaters Zeiten, die Eisenbahn verwöhnt. Um Fremdenführer zu werden, müßte man Sprachen kennen, also entweder sie in der Schule lernen oder solche Bücher kaufen. Was er vom Park weiß, hat er entweder in der Schule gelernt oder von den Führern gehört. Auffallende Führerbemerkungen, die zu dem sonstigen nicht passen z. B. über das römische Haus nichts, als: Die Tür war für die Lieferanten bestimmt. Borkenhäuschen. Shakespearedenkmal. - Kinder um mich auf dem Karlsplatz. Gespräche über die Marine. Der Ernst der Kinder. Besprechung von Schiffsuntergängen. Überlegenheit der Kinder. Versprechen eines Balles. Verteilung der Kakes. Gaitenkoncert Carmen. Ganz durchdrungen davon.

Donnerstag 4 Juli (1912) Goethehaus. Bestätigung des versprochenen Rendezvous mit lautem Ja. Sie sah aus dem Tor. Falsche Erklärung dessen, denn auch während unserer Anwesenheit sah sie heraus. Ich fragte noch einmal: "Auch bei Regen?" "Ja. " Max fährt nach Jena zu Diederichs. Ich Fürstengruft. Mit den Officieren. Über Goethes Sarg goldner Lorbeerkranz gestiftet von den deutschen Frauen Prags 1882, Alle auf dem Friedhof wiedergefunden. Grab der goetheschen Familie. Walter von Goethe geb. Weimar 9 Apr. 1818, + Leipzig 15 Apr. 1885 "mit ihm erlosch Goethes Geschlecht, dessen Name alle Zeiten berdauert", Grabinschrift der Fr. Karoline Falk: "Während Gott ihr 7 der eigenen Kinder nahm, wurde sie fremden Kindern eine Mutter. Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen. " Charlotte von Stein: 1742 - 1827. - Bad - Nachmittag nicht geschlafen, um das unsichere Wetter nicht aus den Augen zu lassen. Sie kam nicht zum Rendezvous. - Treffe Max angekleidet im Bett. Beide unglücklich. Wenn man das Leid aus dem Fenster schütten könnte. - Abend Hiller mit seiner Mutter. - Ich laufe vom Tisch weg, weil ich sie zu sehen glaubte. Täuschung. Dann alle vors Goethehaus. Sie gegrüßt. Freitag 5 Juli (1912) Vergeblicher Gang zum Goethehaus. - Goethe-Schiller Archiv. Briefe von Lenz. - Brief der Frankfurter Bürger an Goethe 28 August 1830: "Einige Bürger der alten Maynstadt, seit langem hier gewöhnt, den 28. August mit dem Becher in der Faust zu begrüßen, würden die Gunst des Himmels preisen, könnten sie den seltenen Frankfurter, den dieser Tag gebracht, im Weichbild der Freistadt selbst willkommen heißen.

Weil es aber von Jahr zu Jahr bei Hoffen und Harren und Wünschen bleibt, so reichen sie einstweilen über Wälder und Fluren, Marken und Mauten den schimmernden Pokal nach der glücklichen Ilmstadt hinüber und bitten ihren verehrten Landsmann um die Gunst in Gedanken mit ihm anstoßen und singen zu dürfen:

Willst Du Absolution

Deinen Treuen geben

Wollen wir nach Deinem Wink

Unablässig streben

Uns vom Halben zu entwöhnen

und im Ganzen Guten Schönen

resolut zu leben."

1757 "Erhabene Großmama!..."

Jerusalem an Kestner: "Dürfte ich Ew. Wohlgeboren wohl zu einer vorhabenden Reise um Ihre Pistolen gehorsamst ersuchen?"

Lied der Mignon ohne einen Strich. -

Photographien geholt. Hingebracht. Nutzlos herumgestanden, nur 3 Photographien von den 6 abgegeben. Und gerade die schlechternin der Hoffnung, daß der Hausmeister um sich zu rechtfertigen, von neuem photographieren wird. Keine Spur. - Bad - Direkt von dort in die Erfurter Straße. Max zum Mittagmahl. Sie kommt mit 2 Freundinnen. Ich greife sie heraus. Ja sie mußte gestern 10 Min. früher weggehn, hat erst jetzt von ihren Freundinnen von meinem gestrigen Warten erfahren. Sie hatte auch Ärger wegen der Tanzstunden. Sie liebt mich sicher nicht, einigen Respekt aber hat sie. Ich gebe ihr die mit dem Herzchen und der Kette umwundene Chokoladenschachtel und begleite sie ein Stück. Paar Worte hin und her über ein Rendezvous. Morgen um 11 vor dem Goethehaus. Das kann nur eine Ausrede sein, sie muß ja kochen und dann vor dem Goethehaus, aber ich nehme es doch an. Traurige Annahme. Gehe ins Hotel, sitze ein Weilchen bei Max, der im Bett liegt. Nachmittag Ausflug nach Belvedere. Hiller und Mutter. Schöne Fahrt im Wagen durch eine einzige Allee. Überraschende Anordnung des Schlosses, das aus einem Hauptteil und 4 seitlich angeordneten Häuschen besteht, alles niedrig und zart gefärbt. Ein niedriger Springbrunnen in der Mitte. Blick vorwärts nach Weimar. Der Großherzog war schon seit einigen Jahren nicht hier. Er ist Jäger und hier ist keine Jagd. Der ruhige entgegenkommende Bediente mit glattrasiertem eckigen Gesicht, traurig wie vielleicht alles Volk, das sich unter Herrschaften bewegt. Trauer der Haustiere. Maria Pawlovna, Schwiegertochter des Großherzogs Karl August, Tochter der Maria Feodorowna und des Kaisers Paul, der erdrosselt wurde. Viel russisches. Cloisone Kupfergefäße mit aufgehämmerten Dräten, zwischen die das Email gegossen wird. Die Schlafzimmer mit Himmelskuppel. Photographien in den noch bewohnbaren Zimmern die einzige Modernisierung. Wie sie sich unbeobachtet auch einordnen werden! Zimmer Goethes, ein unteres Eckzimmer. Einige Deckenbilder Oesers, bis zur Unkenntlichkeit aufgefrischt. Viel Chinesisches. Das "dunkle Kammerfrauenzimmer". Das Naturteater mit den zwei Zuschauerreihen. Der aus mit den Lehnen aneinandergestellten Bänken bestehende Wagen, dos à dos, in dem die Damen saßen, während die begleitenden Kavaliere neben ihnen ritten. Der schwere Wagen, in dem Maria Pawlovna mit ihrem Mann in 26 Tagen dreispännig von Petersburg nach Weimar auf der Hochzeitsreise fuhr. Naturteater und Park von Goethe eingerichtet. - Abend zu Paul Ernst. Auf der Gasse 2 Mädchen nach der Wohnung des Schriftstellers P. E. gefragt. Sie schauen uns zuerst nachdenklich an, dann stößt eine die andere, als wolle sie sie an einen Namen erinnern, der ihr gerade nicht einfällt. Meinen Sie Wildenbruch? fragt uns dann die andere. - Paul Ernst. Über den Mund gehender Schnurrbart und Spitzbart. Hält sich am Sessel fest oder an den Knien, trotzdem er auch bei Erregung (wegen seiner Kritiker) nicht losgeht. - Wohnt am Horn. Eine Villa scheinbar ganz mit seiner Familie angefüllt. Eine Schüssel stark riechender Fische, welche die Treppe hinaufgetragen werden sollte, wird bei unserem Anblick wieder in die Küche zurückgebracht. - Eintritt des Pater Expeditus-Schmitt, mit dem ich schon einmal auf der Hoteltreppe zusammengestoßen bin. Arbeitet im Archiv an einer Otto Ludwig Ausgabe. Will Nargileh ins Archiv einführen. Schimpft eine Zeitung "fromme Giftkröte" weil sie die vom ihm herausgegebenen "Heiligenlegenden" angegriffen hat.

Samstag 6 Juli (1912) - Zu Schlaf. Alte ihm ähnliche Schwester empfängt uns. Er ist nicht zuhause. Wir kommen abend wieder. - Einstündiger Spaziergang mit Grete. Sie kommt scheinbar im Einverständnis mit ihrer Mutter, mit der sie noch von der Gasse aus durchs Fenster spricht. Rosa Kleid, mein Herzchen. Unruhe wegen des großen Balles am Abend. Ohne jede Beziehung zu ihr gewesen. Abgerissenes, immer wieder angegangenes Gespräch. Einmal besonders rasches, dann wieder besonders langsames Gehn. Anstrengung, um keinen Preis deutlich werden zu lassen, wie wir mit keinem Fädchen zusammenhängen. Was treibt uns gemeinsam durch den Park? Nur mein Trotz? - Gegen Abend bei Schlaf. Vorher Besuch bei Grete. Sie steht vor der ein wenig geöffneten Küchentür in dem lange vorher gepriesenen Ballkleid, das gar nicht so schön ist, wie ihr gewöhnliches. Schwer verweinte Augen, offenbar wegen ihres Haupttänzers, der ihr schon berhaupt viel Sorgen gemacht hat. Ich verabschiede mich für immer. Sie weiß es nicht und wenn sie es wüßte, läge ihr auch nichts daran. Ein Weib, das Rosen bringt, stört noch den kleinen Abschied. - Auf den Gassen von allen Seiten Tanzstundenherren und -damen. - Schlaf. Wohnt nicht gerade in einer Dachstube, wie es Ernst, der mit ihm zerfallen ist, uns einreden wollte. Lebhafter Mann, den starken Oberkörper von einem fest zugeknöpften Rock umspannt. Nur die Augen zucken nervös und krank. Spricht hauptsächlich von Astronomie und seinem geocentrischen System. Alles andere Litteratur, Kritik, Malerei hängt nur noch so an ihm weil er es nicht abwirft. Weihnachten wird sich übrigens alles entscheiden. Er zweifelt an seinem Sieg nicht im Geringsten. Max sagt, seine Lage gegenüber den Astronomen sei "der Lage Goethes gegenüber den Optikern ähnlich. " "Ähnlich" antwortet er immer mit Handgriffen auf dem Tisch, "aber viel günstiger, denn ich habe unbestreitbare Tatsachen für mich. " Sein kleines Fernrohr für 400 M. Zu seiner Entdeckung braucht er es gar nicht, auch Matematik nicht. Er lebt in vollem Glück. Sein Arbeitsgebiet ist endlos, da seine Entdeckung einmal anerkannt, ungeheuere Folgen in allen Gebieten (Religion, Ethik, Ästhetik u. s. w.) haben wird und er natürlich zuerst zu ihrer Bearbeitung berufen ist. - Als wir kamen, hat er gerade Besprechungen die anläßlich seines 50ten Geburtstages erschienen waren, in ein großes Buch geklebt. "Bei solchen Gelegenheiten machen sie es milde. " - Vorher Spaziergang mit Paul Ernst im Webbich. Seine Verachtung unserer Zeit, Hauptmanns, Wassermanns, Thomas Manns. Ohne Rücksicht auf unsere mögliche Meinung wird Hauptmann in einem kleinen Nebensatz, den man erst lange nachdem er ausgesprochen ist, auffaßt, ein Schmierer genannt. Sonst vage Äußerungen über Juden, Zionismus, Rassen u. s. w., in allem nur bemerkenswert, daß es ein Mann ist, der seine ganze Zeit mit allen Kräften gut angewendet hat. - Trockenes, automatisches "Ja, ja" in kleinen Zwischenräumen, wenn der andere spricht. Einmal gieng es so weit, daß ich es nicht mehr glaubte. -

7. Juli (1912)

27 Nr. des Packträgers in Halle. - Jetzt 1/2 7 in der Nähe des Gleimdenkmals auf die schon lange gesuchte Bank niedergefallen. Wäre ich ein Kind, so müßte ich mich abtransportieren lassen, so schmerzen mich die Beine. - Nach dem Abschied von Dir mich noch lange nicht allein gefühlt. Und dann wieder so dumpf geworden, daß es noch kein Alleinsein war. - Halle, kleines Leipzig. Diese Kirchenturmpaare hier und in Halle, die durch kleine Holzbrücke oben am Himmel verbunden sind. - Schon das Gefühl, daß Du diese Sachen nicht gleich sondern erst später lesen wirst, macht mich so unsicher. - Der Radfahrklub, der sich am Markt in Halle zu einem Ausflug versammelt. Die Schwierigkeit allein eine Stadt oder auch nur eine Gasse anzusehn. - Gutes vegetarisches Mittagessen. Zum Unterschied von den sonstigen Gastwirten schlägt gerade den veg. Wirten das Vegetarische nicht gut an. Ängstliche Leute, die von der Seite an einen herankommen.

Fahrt von Halle mit 4 Prager Juden: zwei angenehmen lustigen ältern starken Männern, einer dem Dr. Klemens ähnlich, einer meinem Vater nur viel kleiner, dann ein schwacher, von der Hitze hingeschlagener junger Ehemann und seine abscheuliche gutgebaute junge Frau, deren Gesicht irgendwie aus der Selcherfamilie Berg herkommt. Sie liest einen 3 M Ullstein Roman von Ida-Boy-Ed, mit dem ausgezeichneten, wahrscheinlich von Ullstein erfundenen Titel "Ein Augenblick im Paradies". Ihr Mann fragt sie, wie es ihr gefällt. Sie hat aber erst angefangen, "Bis dato kann man nichts sagen. " Ein guter Deutscher mit trockener Haut und schön über Wangen und Kinn verteiltem weißlich blonden Bart nimmt an allem, was bei den 4 vorgeht, einen merkwürdig freundlichen Anteil. -

Eisenbahnhotel, Zimmer unten an der Straße mit einem Gärtchen davor. Wer will kann im Vorübergehn, mich im Zimmer alle meine Geschäfte nackt besorgen sehn. Weg in die Stadt. Eine ganz und gar alte Stadt. Fachwerkbau scheint die für die größte Dauer berechnete Bauart zu sein. Die Balken verbiegen sich überall, die Füllung sinkt ein oder baucht sich aus, das Ganze bleibt und fällt höchstens mit der Zeit ein wenig zusammen und wird dadurch noch fester. So schön habe ich Menschen in den Fenstern noch nicht lehnen sehn. Meist sind auch die Mittelleisten der Fenster festgemacht. Man legt die Schulter an sie, Kinder drehn sich um sie. In einem tiefen Flur sitzen auf den ersten Stufen starke Mädchen, in ihren Sonntagskleidern ausgebreitet.

Drachenweg. Katzenplan.

Im Park mit kleinen Mädchen auf einer Bank, die wir als Mädchenbank gegen Jungen verteidigen. Polnische Juden. Die Kinder rufen ihnen Itzig zu und wollen sich nach ihnen nicht gleich auf die Bank setzen. Jüdische Gastwirtschaft Nathan Eisellsberg mit hebräischer Aufschrift. Es ist ein verwahrlostes schloßartiges Gebäude mit großem Treppenaufbau, das aus engen Gassen frei hervortritt. Ich gehe hinter einem Juden, der aus der Wirtschaft kommt, und spreche ihn an. Nach 9. Ich will etwas über die Gemeinde wissen. Erfahre nichts. Bin ihm zu verdächtig. Immerfort schaut er auf meine Füße. Aber ich bin doch auch Jude. Dann kann ich bei Eiselsberg logieren. - Nein ich habe schon eine Wohnung. - So. - Plötzlich geht er nahe an mich heran. Ob ich nicht vor 1 Woche in Schöppenstedt gewesen bin. Vor seinem Haustor verabschieden wir uns; er ist glücklich, daß er mich losgeworden ist; ohne daß ich danach frage, sagt er mir noch, wie man zur Synagoge geht. - Leute im Schlafrock auf der Türstufe. Alte sinnlose Inschriften. Die Möglichkeiten durchdacht, auf diesen Gassen, Plätzen, Gartenbänken, Bachufern aus dem Vollen unglücklich zu sein. Wer weinen kann, soll am Sonntag herkommen. Abend nach 5 stündigem Herumgehn in meinem Hotel auf der Terasse vor einem kleinen Gärtchen. Am Tisch nebenan die Wirtsleute mit einer jungen, witwenhaft aussehenden, lebhaften Frau. Wangen unnötig mager. Frisur geteilt und aufgebauscht.

8 Juli (1912) Mein Haus heißt "Ruth". Praktisch eingerichtet. 4 Luken, 4 Fenster, 1 Tür. Ziemlich still. Nur in der Ferne spielen sie Fußball, die Vögel singen stark, einige Nackte liegen still vor meiner Tür. Alles bis auf mich ohne Schwimmhosen. Schöne Freiheit. Im Park, Lesezimmer u. s. w. bekommt man hübsche, fette Füßchen zu sehn.

9 Juli (1912) Gut geschlafen in der nach 3 Seiten freien Hütte. Ich kann an meiner Türe lehnen wie ein Hausbesitzer. Zu den verschiedensten Zeiten in der Nacht aufgekommen und immer Ratten oder Vögel gehört, die um die Hütte herum im Gras kollerten oder flatterten. Der leopardartig gefleckte Herr. Gestern abend Vortrag über Kleidung. Den Chinesinnen wurden die Füße verkrüppelt, damit sie einen großen Hintern bekommen.

9 Juli (1912) Der Arzt, früherer Officier, geziertes, irrsinnig, weinerlich, burschikos aussehendes Lachen. Geht schwunghaft. Anhänger von Mazdaznan. Ein für den Ernst geschaffenes Gesicht. Glatt rasiert, Lippen zum an einanderpressen. Er tritt aus seinem Ordinationszimmer, man geht an ihm vorüber hinein, "Bitte einzutreten" lacht er einem nach. Verbietet mir das Obstessen mit dem Vorbehalt, daß ich ihm nicht folgen muß. Ich bin ein gebildeter Mann, soll seine Vorträge anhören, die auch gedruckt sind, soll die Sache studieren, mir meine Meinung bilden und mich dann danach verhalten. (Aus seinem gestrigen Vortrag: "Wenn man selbst vollständig verkrüppelte Zehen hat, an einer solchen Zehe aber zieht und dabei tief atmet, so kann man sie mit der Zeit gerade machen." Nach einer bestimmten Übung wachsen die Geschlechtsteile. Aus den Verhaltungsmaßregeln: "Luftbäder in der Nacht sind sehr zu empfehlen (ich gleite einfach wenn es mir paßt aus meinem Bett und trete in die Wiese vor meiner Hütte) nur soll man sich dem Mondlicht nicht zu sehr aussetzen, das ist schädlich") Unsere gegenwärtigen Kleider kann man gar nicht waschen!! Heute früh: Waschen, Müllern, gemeinsames Turnen (ich heiße der Mann mit den Schwimmhosen), Singen einiger Choräle, Ballspiel im großen Kreis. 2 schöne schwedische Jungen mit langen Beinen, die so geformt und gespannt sind, daß man nur mit der Zunge richtig an ihnen hinfahren könnte. Koncert einer Militärkapelle aus Goslar. Nachmittag Heu gewendet. Abend mir den Magen so verdorben, daß ich vor Verdruß keinen Schritt machen will. Ein alter Schwede spielt mit einigen kleinen Mädchen Fangen und ist so am Spiel beteiligt, daß er einmal im Laufen ausruft: Wartet, ich werde Euch diese Dardanellen sperren. Meint den Durchgang zwischen 2 Gebüschen. Als ein altes nicht hübsches Kindermädchen vorübergieng: es ist doch etwas, an das man anklopfen könnte (der Rücken im schwarzen weißpunktierten Kleid). Das immerwährende grundlose Bedürfnis, sich anzuvertrauen. Jeden Menschen daraufhin ansehn, ob es bei ihm möglich ist und ob er für sich eine Gelegenheit hat.

10 (Juli 1912) Fuß verstaucht, Schmerzen, Grünfutter aufgeladen. Nachmittag Spaziergang nach Ilsenburg mit einem ganz jungen Gymnasialprofessor Lutz aus Nauheim; kommt nächstes Jahr vielleicht nach Wickersdorf. Koedukation, Naturheilkunde, Kohen, Freud. Geschichte von dem von ihm geführten Ausflug der Mädchen und Knaben. Gewitter, alle durchnäßt, müssen sich in der nächsten Herberge in einem Zimmer vollständig ausziehn. - In der Nacht Fieber vom geschwollenen Fuß her. Der Lärm den die vorüberlaufenden Kaninchen machen. Als ich in der Nacht aufstehe, sitzen auf der Wiese vor meiner Türe 3 solche Kaninchen. Ich träume, daß ich Goethe deklamieren höre, mit einer unendlichen Freiheit und Willkür.

11 (Juli 1912) Gespräch mit einem Dr. Friedrich Schiller, Magistratsbeamter Breslau, der lange in Paris gewesen ist, um die städtischen Einrichtungen zu studieren. Gewohnt in einem Hotel mit der Aussicht in den Hof des Palais Royal. Früher in einem Hotel beim Observatoire. Eines Nachts war im Nebenzimmer ein Liebespaar. Das Mädchen schrie vor Glück in unverschämter Weise. Erst bis er sich durch die Wand anbot, einen Arzt zu holen, wurde sie still und er konnte schlafen. - Meine beiden Freunde stören mich, ihr Weg geht an meiner Hütte vorüber und da bleiben sie immer ein Weilchen an meiner Tür stehn zu einer kleinen Unterhaltung oder Einladung zu einem Spaziergang. Ich bin ihnen aber auch dankbar dafür. - In der "Evangelischen Missionszeitung" Juli 1912 über Missionen in Java: "Soviel sich auch gegen die dilettantische ärztliche Tätigkeit der Missionäre, die sie in größtem Umfange ausüben, mit Recht einwenden läßt, so ist sie doch wiederum das Haupthilfsmittel ihrer Missionstätigkeit und nicht zu entbehren. "

Hie und da bekomme ich leichte oberflächliche Übelkeiten, wenn ich, meistens allerdings in einiger Entfernung, diese gänzlich Nackten langsam zwischen den Bäumen sich vorbeibewegen sehe. Ihr Laufen macht es nicht besser. - Jetzt ist an meiner Tür ein ganz fremder Nackter stehen geblieben und hat mich langsam und freundlich gefragt, ob ich hier in meinem Hause wohne, woran doch kein Zweifel ist. - Sie kommen auch so unhörbar heran. Plötzlich steht einer da, man weiß nicht, woher er gekommen ist. - Auch alte Herren, die nackt über Heuhaufen springen, gefallen mir nicht. - Abend Spaziergang nach Stapelburg. Mit den zweien, die ich einander vorgestellt und empfohlen habe. Ruine. Rückkehr 10 Uhr. Zwischen den Heuhaufen auf der Wiese vor meiner Hütte einige schleichende Nackte, die in der Ferne vergehn. In der Nacht, als ich durch die Wiese nach dem Kloset wandere, schlafen drei im Gras.

12 (Juli 1912) Erzählungen des Dr. Schiller. Ein Jahr auf Reisen. Dann lange Debatte im Gras über das Christentum. Der alte blauäugige Adolf Just, der alles mit Lehm heilt und mich vor dem Arzt warnt, der mir Obst verboten hat. Die Verteidigung Gottes und der Bibel durch ein Mitglied der "Christlichen Gemeinschaft"; liest als Beweis, der gerade gebraucht wird, einen Psalm vor. Mein Dr. Schiller blamiert sich mit seinem Atheismus. Die Fremdwörter Illusion, Autosuggestion, helfen ihm nichts. Ein Unbekannter fragt, warum es den Amerikanern so gut geht, trotzdem sie bei jedem zweiten Wort fluchen. - Bei den meisten ist es nicht möglich, ihre wirkliche Meinung festzustellen, trotzdem sie sich lebhaft beteiligen. Der, welcher so überstürzt vom Blumentag sprach und wie sich gerade die Methodisten zurückhielten. Der aus der "Christl. Gem. " der mit seinem schönen kleinen Jungen aus einer kleinen Düte Kirschen und trockenes Brot mittagmahlt und sonst den ganzen Tag im Gras liegt, drei Bibeln vor sich aufgeschlagen hat und Notizen macht. Er ist erst seit 3 Jahren auf dem rechten Weg. Die Ölskizzen des Dr. Sch. aus Holland. Pont neuf. - Heu aufgeladen. - An den Eckarplätzen. - Zwei Schwestern. Kleine Mädchen. Eine mit schmalem Gesicht, nachlässiger Haltung, übereinander beweglichen Lippen, zart in eine Spitze verlaufender Nase, nicht ganz offenen, klaren Augen. Aus dem Gesicht leuchtet eine Gescheitheit, daß ich sie schon minutenlang aufgeregt angeschaut habe. Es weht mich etwas an, wenn ich sie anschaue. Ihre weiblichere kleine Schwester fängt meine Blicke ab. - Ein neu angekommenes steifes Fräulein mit bläulichem Schein. - Die Blonde mit kurzem zerrauftem Haar. Biegsam und mager wie ein Lederriemen. Rock, Bluse und Hemd, sonst nichts. Der Schritt! - Mit Dr. Sch. (43 Jahre) abend auf der Wiese. Spazierengehn, sich strecken, reiben, schlagen und kratzen. Ganz nackt. Schamlos. - Der Duft, als ich abend aus dem Schreibzimmer trat.

13 (Juli 1912) Kirschen gepflückt. Lutz liest mir Kinkel "Die Seele" vor. - Nach dem Essen lese ich immer ein Kapitel aus der Bibel, die hier in jedem Zimmer liegt. Abend, die Kinder beim Spiel. Die kleine Susanne von Puttkammer. 9 Jahre, in rosa Höschen.

14 (Juli 1912) Kirschen gepflückt auf der Leiter mit Körbchen. Hoch im Baum oben gewesen. Vormittag Gottesdienst an den Eckerplätzen. Der ambrosianische Lobgesang. Nachmittag die 2 Freunde nach Ilsenburg geschickt. - Ich liege im Gras, da geht der aus der "Christl. Gemeinschaft" (lang, schöner Körper, braungebrannt, spitzer Bart, glückliches Aussehn) von seinem Studierplatz in die Ankleidehütte, ich folge ihm nichtsahnend mit den Augen, er kommt aber, statt auf seinen Platz zurückzukehren, auf mich zu, ich schließe die Augen, er stellt sich aber schon vor: Hitzer, Landvermesser, und gibt mir 4 Schriftchen als Sonntagslektüre. Im Weggehn spricht er noch von "Perlen" und "vorwerfen" womit er andeuten will, daß ich die Schriften dem Dr. Schiller nicht zeigen soll. Es sind "der verlorene Sohn", "Erkauft oder Nicht mehr mein (für ungläubige Gläubige) " mit kleinen Geschichten, "Warum kann der Gebildete nicht der Bibel glauben?" und "Hoch die Freiheit! aber: Was ist wahre Freiheit?" Ich lese ein wenig und gehe dann zu ihm zurück und versuche, unsicher durch den Respekt, den ich vor ihm habe, ihm klarzumachen, warum gegenwärtig keine Aussicht auf Gnade für mich besteht. Darauf redet er 1 1/2 Stunden zu mir (gegen Schluß gesellt sich ein alter weißhaariger, magerer, rotnasiger Herr im Leintuch mit einigen undeutlichen Bemerkungen zu uns) mit schöner nur aus Wahrhaftigkeit möglicher Beherrschung jedes Wortes. Der unglückliche Goethe, der soviel Existenzen unglücklich gemacht hat. Viele Geschichten. Wie er, Hitzer, dem Vater das Wort verbot, als er in seinem Hause Gott lästerte. "Mögest Du Vater darüber entsetzt sein und vor Schrecken nicht weiter reden, mir ist es recht. " Wie der Vater Gottes Stimme auf dem Sterbebette hörte. - Er sieht mir an daß ich nahe an der Gnade bin. - Wie ich selbst alle seine Beweise abbreche und ihn an die innere Stimme verweise. Gute Wirkung. -

15 (Juli 1912) Kühnemann "Schiller" gelesen. - Der Herr, der immer eine Karte an seine Frau in der Tasche trägt, für den Fall eines Unglücks. - Buch Ruth - Ich lese "Schiller". Unweit liegt ein nackter alter Herr im Gras, einen Regenschirm über dem Kopf ausgespannt, mir den Hintern zugekehrt und prallt einige Male laut in der Richtung gegen meine Hütte hin. - Das braune und das blaue Kleid des zuerst weißgekleideten steifen Fräuleins und wie sich ihre Gesichtshaut unter dem Einfluß dieser Farben so deutlich, schulmäßig förmlich, verwandelt.

15 (Juli 1912) Plato "Der Staat" - Modell gestanden für Dr. Schiller. Ohne Schwimmhosen. Exhibitionistisches Erlebnis. - Die Seite in Flaubert über die Prostitution. - Die große Beteiligung des nackten Körpers am Gesamteindruck des Einzelnen. - Ein Traum: Die Luftbadgesellschaft vernichtet sich mittelst einer Rauferei. Nachdem die in zwei Gruppen geteilte Gesellschaft mit einander gespaßt hat, tritt aus der einen Gruppe einer vor und ruft der andern zu: "Lustron und Kastron!" Die andern: "Wie? Lustron und Kastron?" Der eine: "Allerdings. " Beginn der Rauferei.

16 (Juli 1912) Kühnemann. - Herr Guido von Gillhausen, Hauptm. a. D., dichtet und komponiert "An mein Schwert" u. ä. Schöner Mann. Wage aus Respekt vor seinem Adel nicht zu ihm aufzuschauen, habe Schweißausbruch (wir sind nackt) und rede zu leise. Sein Siegelring. - Die Verbeugungen der schwedischen Jungen. Das durch Angewöhnung schweratmige Sprechen des Ältern, Rothaarigen. - Rede im Park angezogen mit einem Angezogenen. Er prallt so viel und laut, daß ich kein Wort von dem, was er redet, verstehen kann. - Versäumter Massenausflug nach Harzburg. - Abend. Schützenfest in Stapelburg. Mit Dr. Schiller und einem Berliner Friseurmeister. Die große sanft zum Stapelburger Burgberg aufsteigende von alten Linden geführte, von einem Bahndamm falsch durchschnittene Ebene. Das Schützenhäuschen, aus dem geschossen wird. Alte Bauern machen die Eintragung ins Schützenbuch. Die 3 Pfeifer mit Frauenkopftüchern die ihnen vom Rücken herabhängen. Alter unerklärlicher Brauch. Einige in alten einfachen blauen ererbten Kitteln, die aus feinstem Leinen sind und 15 M kosten. Fast jeder hat seine Büchse. Ein Vorderlader. Man hat den Eindruck daß alle von der Feldarbeit irgendwie krumm sind, besonders als sie sich in zwei Reihen aufstellen. Einige alte Anführer in Cylinderhut mit umgeschnalltem Säbel. Roßschweife und noch einige alte Symbole werden herbeigetragen, Aufregung, dann Spiel der Musikkapelle, größere Aufregung, dann Stille und Trommeln und Pfeifen, noch größere Aufregung, endlich werden ins letzte Trommeln und Pfeifen drei Fahnen herausgebracht, letzte Aufregung, Kommando und Abmarsch. Der Alte in schwarzem Anzug, schwarzer Mütze, etwas gedrücktem Gesicht und nicht zu langem, rings um das Gesicht gehenden, dichten, seidigen, unübertrefflich weißem Bart. Der vorige Schützenkönig, auch mit Cylinder, mit einer portiersähnlichen Schärpe um den Leib, die mit lauter kleinen Metallschildchen benäht ist, auf deren jedem der Schützenkönig eines Jahres eingraviert ist mit dem entsprechenden Handwerkszeichen. (Der Bäckermeister hat dort ein Laib Brot u.s.f.) Der Abmarsch mit Musik im Staub und der wechselnden Beleuchtung des stark bewölkten Himmels. Puppenhaftes Aussehn eines mitmarschierenden Soldaten (ein Schütze, der gerade dient) und sein hüpfender Schritt. Volksheere und Bauernkriege. Wir folgen ihnen durch die Gassen. Sie sind bald näher, bald ferner, da sie bei den einzelnen Schützenmeistern Halt machen, vorspielen und ein wenig bewirtet werden. Gegen das Ende des Zuges löst sich der Staub gleichmäßig auf. Das letzte Paar ist das klarste. Zeitweilig verlieren wir sie ganz aus den Augen. Der lange Bauer mit etwas eingesunkener Brust, endgültigem Gesicht, Stulpenstiefeln, Kleidern wie aus Leder, wie umständlich er sich vom Pfosten des Tores ablöste. Die 3 Frauen die vor ihm standen, eine vor der andern. Die mittlere dunkel und schön. Die zwei Frauen am Tor des gegenüberliegenden Bauernhofes. Die 2 riesigen Bäume in beiden Höfen, die sich ber der breiten Straße vereinigten. Die großen Scheiben an den Häusern früherer Schützenkönige. Der Tanzboden, zweigeteilt, in der Mitte abgeteilt in einem zweireihigen Verschlag die Musikkapelle. Vorläufig leer, kleine Mädchen lassen sich über die glatten Bretter gleiten. (Ausruhende redende Schachspieler stören mich im Schreiben) Ich biete ihnen meine "Brause" an, sie trinken, die Älteste zuerst. Mangel einer wahren Verkehrssprache. Ich frage, ob sie schon genachtmahlt haben, vollständiges Unverständnis, Dr. Sch. fragt, ob sie schon Abendbrot gegessen haben, beginnende Ahnung, (er spricht nicht deutlich, atmet zu viel) erst bis der Friseur fragt, ob sie gefuttert haben, können sie antworten. Eine zweite Brause, die ich für sie bestelle, wollen sie nicht mehr, aber Karousselfahren wollen sie, ich mit den 6 Mädchen (von 6 - 13 Jahren) um mich fliege zum Karoussel. Am Weg rühmt sich die eine, die zum Karousselfahren geraten hat, daß das Karoussel ihren Eltern gehört. Wir setzen uns und drehn uns in einer Kutsche. Die Freundinnen um mich, eine auf meinen Knien. Sich hinzudrängende Mädchen, welche mein Geld mitgenießen wollen, werden gegen meinen Willen von den Meinigen weggestoßen. Die Besitzerstochter kontrolliert die Rechnung, damit ich nicht für die Fremden zahle. Ich bin bereit, wenn man Lust hat, noch einmal zu fahren, die Besitzerstochter selbst sagt aber, daß es genug ist, jedoch will sie ins Zuckerzeugzelt. Ich in meiner Dummheit und Neugierde führe sie zum Glücksrad. Sie gehn, soweit es möglich ist, sehr bescheiden mit meinem Geld um. Dann zum Zuckerzeug. Ein Zelt mit einem großen Vorrat, der so rein und geordnet ist, wie in der Hauptstraße einer Stadt. Dabei sind es billige Waren, wie auf unseren Märkten auch. Dann gehn wir zum Tanzboden zurück. Ich fühlte das Erlebnis der Mädchen stärker als mein Schenken. Jetzt trinken sie auch wieder die Brause und danken schön, die Älteste für alle und jede für sich. Bei Beginn des Tanzes müssen wir weg, es ist schon 3/4 10. Der unaufhörlich redende Friseur. 30 Jahre alt, eckigen Bart und ausgezogenen Schnurrbart. Hinter Mädchen her, liebt aber seine Frau, die zuhause das Geschäft führt und nicht verreisen kann, weil sie dick ist und das Fahren nicht verträgt. Selbst wenn sie einmal nach Rixdorf fahren, muß sie zweimal aus der Elektrischen steigen, um ein wenig zu Fuß zu gehn und sich zu erholen. Sie braucht keine Ferien, sie ist schon zufrieden, wenn sie paarmal länger schlafen kann. Er ist ihr treu, hat bei ihr alles was er braucht. Versuchungen, denen ein Friseur ausgesetzt ist. Die junge Restaurateursfrau. Die Schwedin, die alles teuerer bezahlen muß. Haare kauft er von einem böhmischen Juden, namens Puderbeutel. Als eine socialdemokratische Abordnung zu ihm kam und verlangte, daß auch der Vorwärts aufgelegt werde, sagte er "Wenn Sie das verlangen, dann habe ich Sie nicht gerufen. " Gab aber schließlich nach. Als "junger Mann" (Gehilfe) war er in Görlitz. Er ist organisierter Kegler. War vor einer Woche auf dem großen Keglertag in Braunschweig. Es gibt an 20000 organisierte deutsche Kegler. Auf 4 Ehrenbahnen wurde 3 Tage lang von früh bis tief in die Nacht geschoben. Man kann aber nicht sagen, daß jemand der beste deutsche Kegler ist. - Als ich abends in meine Hütte kam, fand ich die Zündhölzchen nicht, borgte mir sie in der Nachbarhütte aus und leuchtete unter den Tisch, ob sie nicht vielleicht heruntergefallen wären. Dort waren sie nicht, dagegen stand dort das Wasserglas. Allmählich zeigte sich, daß die Sandalen hinter dem Wandspiegel, die Zündhölzchen auf einem Fensterbrett waren, der Handspiegel an einer vorspringenden Ecke hieng. Der Nachttopf stand auf dem Schrank, die Education sentimental war im Kopfkissen, ein Kleiderhaken unter dem Leintuch, mein Reisetintenfaß und ein naßgemachter Waschlappen im Bett u. s. w. Alles zur Strafe, weil ich nicht nach Harzburg gegangen war.

19 (Juli 1912) Regentag. Man liegt im Bett und das laute Klopfen des Regens auf das Dach der Hütte ist so, als gienge es gegen die eigene Brust. Auf der Kante des vorspringenden Daches erscheinen die Tropfen mechanisch wie Lichter die eine Straßenzeile entlang angezündet werden. Dann fallen sie. Wie ein wildes Tier jagt plötzlich ein Greis über die Wiese und nimmt ein Regenbad. Das Anschlagen der Tropfen in der Nacht. Man sitzt wie in einem Violinkasten. Am Morgen das Laufen, die weiche Erde unter sich.

20 (Juli 1912) Vormittag mit Dr. Schiller im Wald. Der rote Boden und das von ihm aus sich verbreitende Licht. Das Sichaufschwingen der Stämme. Die schwebenden breiten flachbelaubten Äste der Buchen. - Nachmittag Ankunft einer Maskerade aus Stapelburg. Der Riese mit dem tanzenden als Bären verkleideten Mann. Das Schwingen seiner Schenkel und des Rückens. Das Marschieren durch den Garten hinter der Musik. Das Laufen der Zuschauer über die Rasen, durch die Gebüsche. Der kleine Hans Eppe, wie er sie erblickt. Walter Eppe auf dem Briefkasten. Die mit Gardinen ganz verschleierten als Frauen verkleideten Männer. Der unanständige Anblick, wenn sie mit den Küchenmädchen tanzen und diese dem scheinbar unbekannten Verkleideten sich hingeben.

Vormittag Dr. Sch. das erste Kapitel der Edukation vorgelesen. Nachmittag Spaziergang mit ihm. Erzählungen von seiner Freundin. Er ist ein Freund von Morgenstern, Baluschek, Brandenburg, Poppenberg. Sein schreckliches Jammern abends in der Hütte in Kleidern auf dem Bett. Erstes Gespräch mit Frl. Pollinger, sie weiß aber schon alles Wissenswerte über mich. Prag kennt sie an den "Zwölf aus d. Steiermark". Weißblond, 22 jährig, Aussehen einer 17 jährigen, immer in Sorge um ihre schwerhörige Mutter; verlobt und kokett. - Mittags Abreise jener lederriemenartigen schwedischen Witwe Frau von Wasman. Über ihrer gewöhnlichen Kleidung nur ein graues Jäckchen, ein graues Hütchen mit kleinem Schleier. In dieser Umrahmung wird ihr braunes Gesicht sehr zart, über den Eindruck regelmäßiger Gesichter entscheidet nur Entfernung und Einhüllung. Ihr Gepäck ist ein kleiner Rucksack, viel mehr als ein Nachthemd ist nicht drin. So reist sie unaufhörlich, kam aus Ägypten, geht nach München. - Heute nachmittag, als ich im Bett war, machten mir die Menschen hier heiß, so interessieren mich manche. - Ein Lied des H. v. Gillhausen heißt: "Weißt Du, Mamalein, Du bist so lieb. " - Abend Tanz in Stapelburg. Das Fest dauert 4 Tage, es wird kaum gearbeitet. Wir sehn den neuen Schützenkönig und lesen auf seinem Rücken die Namen der Schützenkönige aus dem Anfang des 19.Jahrhunderts ab. Beide Tanzböden voll. Rund um den Saal steht Paar hinter Paar. Jedes kommt nur alle Viertelstunden zu einem kurzen Tanz. Die meisten sind stumm, nicht aus Verlegenheit oder sonst einem besondern Grund, sondern einfach stumm. Ein Betrunkener steht am Rand, kennt alle Mädchen, greift sie an oder streckt wenigstens den Arm zur Umarmung aus. Die betreffenden Tänzer rühren sich nicht. Lärm ist genug durch die Musik und das Schreien der unten bei den Tischen Sitzenden und den beim Ausschank Stehenden. Wir gehn lange nutzlos herum (ich und Dr. Sch.) Ich bin es, der ein Mädchen anspricht. Sie ist mir schon draußen aufgefallen, als sie und 2 Freundinnen Halberstädter Würstchen mit Senf gegessen haben. Sie hat eine weiße Bluse mit blumengeschmückter Einlage, die über Arme und Schultern geht. Das Gesicht hat sie lieb und trübsinnig geneigt, wodurch sie den Oberkörper ein wenig gedrückt und die Bluse aufgebauscht hat. Die kleine aufgestülpte Nase vermehrt bei dieser geneigten Haltung die Trauer. Wahlloses Rotbraun über das ganze Gesicht hin. Ich spreche sie gerade an, als sie die 2 Stufen vom Tanzboden heruntersteigt. Wie wir Brust an Brust stehn und sie umkehrt. Wir tanzen. Sie heißt Auguste, ist aus Wolfenbüttel und ist in der Wirtschaft eines gewissen Klaude in Appenroda seit 1 1/2 Jahren beschäftigt. Meine Eigentümlichkeit, Eigennamen selbst bei mehrfachem Vorsagen nicht zu verstehn und dann auch nicht zu behalten. Sie ist Waise und wird am 1 Oktober in ein Kloster eintreten. Ihren Freundinnen hat sie es noch nicht gesagt. Sie wollte schon im April, aber ihre Herrschaft wollte sie nicht lassen. Sie geht ins Kloster wegen der schlechten Erfahrungen, die sie gemacht hat. Erzählen kann sie sie nicht. Wir gehn vor dem Tanzsaal im Mondschein auf und ab, meine kleinen Freundinnen von letzthin verfolgen mich und meine "Braut". Trotz ihrer Trauer tanzt sie aber sehr gerne, wie sich besonders zeigt als ich sie später dem Dr. Sch. borge. Sie ist Feldarbeiterin. Um 10" mußte sie nach hause fahren.

22 (Juli 1912) Frl. Gerloff, Lehrerin, eulenähnliches junges frisches Gesicht, voll lebhafter gespannter Züge. Der Körper ist nachlässiger. - Hr. Eppe Privatschulleiter aus Braunschweig. Ein Mensch, dem ich unterliege. Beherrschendes, wenn notwendig feueriges, durchdachtes, musikalisches, auch zum Schein schwankendes Sprechen. Zartes Gesicht, zarter aber das ganze Gesicht überwachsender Bakken- und Spitzbart. Zimperlicher Gang. Ich saß ihm schief gegenüber als er gleichzeitig mit mir zum erstenmal sich zum gemeinsamen Tische setzte. Eine still kauende Gesellschaft. Er warf Worte hin und her. Blieb es doch still, so blieb es eben still. Sagte aber ein Entfernter ein Wort, so hielt er ihn schon, aber nicht mit Überanstrengung sondern er sprach zu sich, als sei er angeredet und werde angehört und schaute dabei auf die Tomate, die er schälte. Alle wurden aufmerksam, außer die welche sich gedemüthigt fühlten und trotzten wie ich. Niemanden lachte er aus, sondern ließ jedes Meinung auf seinen Worten schaukeln. Rührte sich nichts, so sang er leise beim Nüsseknacken oder den vielen Handreichungen, die bei Rohkost nötig sind. (Der Tisch ist voll Schüsseln und man mischt nach Belieben) Schließlich beteiligte er alle an seinen Angelegenheiten, indem er vorgab alle Speisen notieren und das Verzeichnis seiner Frau schicken zu müssen. Nachdem er einige Tage uns mit seiner Frau entzückt hatte, fiengen neue Geschichten von ihr an. Sie sei gemütskrank, müsse in ein Sanatorium in Goslar, werde nur aufgenommen, wenn sie sich für 8 Wochen verpflichte, eine Wärterin mitbringe u. s. w., das ganze werde, wie er ausgerechnet hat und wie er wiederum bei Tisch vorrechnet über 1800 M kosten. Aber keine Ahnung einer Absicht, Mitleid zu erregen. Aber immerhin will eine so teuere Sache überlegt werden, alle überlegen. Paar Tage später hören wir, daß die Frau kommen wird, vielleicht genügt ihr dieses Sanatorium. Während des Essens bekommt er die Nachricht, daß die Frau mit ihren 2 Jungen eben angekommen ist und ihn erwartet. Er freut sich, ißt aber ruhig bis zu Ende, trotzdem es bei diesem Essen ein Ende nicht gibt, da alle Speisen gleichzeitig auf dem Tisch stehn. Die Frau ist jung, dick, mit nur in der Kleidung angedeuteter Taille, klugen blauen Augen, hochfrisiertem blondem Haar, versteht das Kochen, die Marktverhältnisse u. s. w. ganz genau. Beim Frühstück - seine Familie war noch nicht bei Tisch - erzählt er während des Nüsseknackens Frl. Gerloff und mir: Seine Frau ist gemütskrank, hat die Nieren angegriffen, ihre Verdauung ist schlecht, sie leidet an Platzangst, schläft erst gegen 5 Uhr in der Nacht ein, wird sie dann früh um 8 geweckt, "ärgert sie sich natürlich wüst" und wird "fuchswild". Ihr Herz ist in größter Unordnung, sie hat ein schweres Asthma. Ihr Vater ist im Irrenhaus gestorben,

Reise September 1913

am 10. Sept. 1913

Zwischen den Säulen der Vorhalle des Parlamentes. Warte auf meinen Direktor. Großer Regen. Vor mir Athene Parthenos mit Goldhelm.

6./IX (1913) Fahrt nach Wien. Dummes Litteraturgeschwätz mit Pick. Ziemlicher Widerwillen. So (wie P.) hängt man an der Kugel der Litteratur und kann nicht los, weil man die Fingernägel hineingebohrt hat, im übrigen aber ist man ein freier Mann und zappelt mit den Beinen zum Erbarmen. Seine Nasenblaskunststücke. Er tyrannisiert mich, indem er behauptet, ich tyrannisiere ihn. - Der Beobachter in der Ecke. - Bahnhof Heiligenstadt, leer mit leeren Zügen. In der Ferne sucht ein Mann den plakatierten Fahrplan ab. (Jetzt sitze ich auf der Stufe der Herme eines Teophil Hansen) Gebeugt, im Mantel, das Gesicht vergeht gegen das gelbe Plakat gehalten. Vorbeifahren an einem kleinen Terassengasthaus. Gehobener Arm eines Gastes. Wien. Dumme Unsicherheiten, die ich schließlich alle respektiere. Hotel Matschakerhof. 2 Zimmer mit einem Zugang. Wähle das Vordere. Unerträgliche Wirtschaft. Muß mit P. noch auf die Gasse. Laufe angeblich zu sehr, laufe noch stärker. Windige Luft. Erkenne alles Vergessene wieder. Schlechter Schlaf. Voll Sorgen. Ein widerlicher Traum (Malek). (Die Frage des Tagebuches ist gleichzeitig die Frage des Ganzen, enthält alle Unmöglichkeiten des Ganzen. In der Eisenbahn berlegte ich es unter dem Gespräch mit P. Es ist unmöglich, alles zu sagen und es ist unmöglich, nicht alles zu sagen. Unmöglich die Freiheit zu bewahren, unmöglich sie nicht zu bewahren. Unmöglich das einzig mögliche Leben zu führen, nämlich beisammen leben, jeder frei, jeder für sich, weder äußerlich noch wirklich verheiratet sein, nur beisammen sein und damit den letzten möglichen Schritt ber Männerfreundschaft hinaus getan haben, ganz knapp an die mir gesetzte Grenze, wo sich schon der Fuß aufrichtet. Aber auch das ist eben unmöglich. Letzte Woche fiel mir das einmal vormittag als Ausweg ein, ich wollte es nachmittag schreiben. Nachmittag bekam ich eine Biographie Grillparzers. Er hat das getan, gerade das. (Eben betrachtet ein Herr den Theophil Hansen, ich sitze wie seine Klio) Aber wie unerträglich, sündhaft, widerlich war dieses Leben und doch gerade noch so, wie ich es vielleicht unter größern Leiden, als er, denn ich bin viel schwächer in manchem, zustandebrächte. (Später noch darauf zurückkommen - Traum) Abend noch Lise Weltsch getroffen.

7/IX (1913) Widerwillen vor P. Ein sehr braver Mensch im Ganzen. Hat immer eine kleine unangenehme Lücke in seinem Wesen gehabt und gerade aus dieser kriecht er, wenn man jetzt dauernd zuschaut, in seiner Gänze heraus.

Früh im Parlament. Vorher im Residenzkafe Eintrittskarten zum Zionistenkongreß von Lise W. geholt. Zu Ehrenstein gefahren. Ottakring. Mit seinen Gedichten weiß ich nicht viel anzufangen. (Ich bin sehr unruhig und infolgedessen auch ein wenig unwahr und das, weil ich dieses nicht für mich allein schreibe) In der Thalisia mit beiden. Mit ihnen und Lise W. im Prater. Mitleid und Langweile. Sie kommt nach Berlin ins zionistische Büreau. Klagt über die Sentimentalität ihrer Familie, windet sich doch nur wie eine festgenagelte Schlange. Ihr ist nicht zu helfen. Mitgefühl mit solchen Mädchen (auf irgendeinem Umweg über mich) ist vielleicht mein stärkstes sociales Gefühl. Photographieren, Schießen, "Ein Tag im Urwalde" Caroussel (wie sie hilflos oben sitzt, das sich bauschende Kleid, gut gemacht, elend getragen).

Mit ihrem Vater im Praterkaffee. Gondelteich. Unaufhörliche Kopfschmerzen. Die W. gehn zu Monna Vanna. Liege 10 Stunden im Bette, schlafe 5. Verzicht auf die Teaterkarte.

8. (September 1913) Zionistischer Kongreß. Der Typus kleiner runder Köpfe, fester Wangen. Der Arbeiterdelegierte aus Palästina, ewiges Geschrei. Tochter Herzls. Der frühere Gymnasialdirektor von Jaffa. Aufrecht auf einer Treppenstufe, verwischter Bart, bewegter Rock. Ergebnislose deutsche Reden, viel hebräisch, Hauptarbeit in den kleinen Sitzungen. Lise W. läßt sich vom Ganzen nur mitschleppen, ohne dabei zu sein, wirft Papierkügelchen in den Saal, trostlos. Frau Thein.

Ein herzlicher Dank an Volker für die Übersendung der *.pdf Datei.

 

ego

Was ist so spannend an der Aussage: "ego cogito, ergo sum ???

 

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