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(Liebe Freunde, erst hatte ich es drin, dann wieder draußen wegen Bedenken, und jetzt ist es wieder drin. Wer das nicht möchte, bitte Bescheid sagen, ich baue es sofort wieder aus.)

Ein jegliches hat seine Zeit,

und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde.

Ich sah die Arbeit, die Gott den Menschen gegeben hat,

daß sie sich damit plagen.

Er hat alles schön gemacht zu seiner Zeit,

auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt;

nur daß der Mensch nicht ergründen kann das Werk,

das Gott tut,

weder Anfang noch Ende.

Prediger 3, 1. 10-11

 

 

Der Augenblick des Fensters

Jemand schüttet Licht

Aus dem Fenster.

Die Rosen der Luft blühen auf,

Und in der Straße

Heben die Kinder beim Spiel

Die Augen.

Tauben naschen

Von seiner Süße

Die Mädchen werden schön

Und die Männer sanft

Von diesem Licht.

Aber ehe es ihnen die anderen sagen,

Ist das Fenster von jemandem

wieder geschlossen worden.

Karl Krolow

 

 

 

Im Atemhaus

Unsichtbare Brücken spannen

Von dir zu Menschen und Dingen

von der Luft zu deinem Atem

Mit Blumen sprechen mit Menschen du liebst

Im Atemhaus wohnen

Eine Menschblumenzeit

Rose Ausländer

 

 

 

Wenn du zum Tor des Lebens gelangen willst,

mußt du aufbrechen, einen Weg suchen,

der auf keiner Karte verzeichnet

und in keinem Buch beschrieben ist.

Dein Fuß wird an Steine stoßen,

die Sonne wird brennen

und dich durstig machen,

deine Beine werden schwer werden.

Die Last der Jahre wird dich niederdrücken.

Aber irgendwann wirst du beginnen,

diesen Weg zu lieben,

weil du erkennst, daß es dein Weg ist.

Du wirst straucheln und fallen,

aber die Kraft haben, wieder aufzustehen.

Du wirst Umwege und Irrwege gehen,

aber dem Ziel näherkommen.

Alles kommt darauf an,

den ersten Schritt zu wagen.

Denn mit dem ersten Schritt

gehst du durch das Tor.

Wolfgang Poeplau

 

 

 

Tour de France

Als die Spitzengruppe

von einem Zitronenfalter

überholt wurde,

gaben viele Radfahrer das Rennen auf.

Günther Grass

 

 

 

Die Klagemauer -

Im Blitz eines Gebetes

stürzt sie zusammen.

Gott ist ein

Gebet weit

von uns entfernt

Nelly Sachs

 

 

 

Geist zu sein

oder Staub, es ist

dasselbe im All.

Nichts ist, um

an den Rand zu reichen

der Leere.

Überhaupt

gibt es ihn nicht.

Was ist, ist

und ist aufgehoben

im wandlosen Gefäß

des Raums.

Ernst Meister

 

 

 

 

Das verlassene Dorf

Noch tost der Bach

Um die bemoosten Steine

Und fließt

Entlang an Schuppenwänden,

Hin unter Stegen

Und vorbei an Gärten,

Wo hinter schrägen,

Eingesunkenen Zäunen

Holunderdolden blühn.

Geh aus und ein

Durch die verfallnen Tore,

Nichts wehrt dich ab:

Die Höfe

Schattenkühl und still,

Die Häuser leer,

Die Fenster blind,

Die Dächer alt und schwer

Und eingeknickt.

Verhalt den Schritt,

Dem Lichterspiel sieh zu

Auf Ziegelwerk und Stein

Und lausche:

Kein Wagenrollen mehr,

Kein Sensendengeln

Und keines menschen Laut.

Von Ferne nur, verirrt,

Ein Hahnenschrei.

Im Frühjahr,

Um die Zeit der Schmelze,

Schwillt der Bach

Und nimmt von ungefähr

Ein Kinderspielzeug mit,

Das einstmals

Abends in der Dunkelheit

Am Ufer liegenblieb.

Das war vor langer Zeit.

Theodor Weißenbom

 

 

 

Von Schatten zu Schatten

Unsre Tage verwehten.

Ein harscher Schnee liegt im Garten.

Wie du mich ansiehst,

heute noch schönes Auge.

Dein unerkanntes Leben:

wo im Nebel die Grenzpfähle standen.

Nur Weniges klärt sich,

so viel ich weiß.

Nichts weiter vom Tod.

Doch mehr vom wortlosen Rückhalt-

ballt sich auch hilflos

die getreue Hand.

Das Geträumte aber,

ähnlich dem Schneeduft im Garten,

wird hin und her wandern

von Schatten zu Schatten.

Heinz Piontek

 

 

 

Alternde Landschaft,

wo eine begonnene Stadt

zäh ins Weidegras wächst,

Ihre Stimme

von elektrischer Musik verzehrt wird-

Hinfälligkeit zernagt die Grabenwände,

verlorene Zeit

spült das seichte, versicherte Dasein,

das schwarze Kreide als Gleichung entwarf

auf der Bauhüttenwand

sachlicher Illusion.

Heinz Piontek

 

 

 

Auch in

Anemonen und Nelken ist das Reich

und die Herrlichkeit,

Herr,

für den,

der es sieht,

der durch alles hindurchsieht -

Auch in uns ist ein Lobgesang,

Preislied und Dankgebet,

Schweigen und

Staunen vor dir,

für den, der es sieht,

der durch alles hindurchsieht

Auch in uns ist Gleichnis

und Wahrheit

und Leben und Fest-

Schimmer und Skizze

des schönen Schöpfers und

Herrn,

hier unter uns.

Sein Wohlgeruch erfüllt alle

Welt,

und hinter allem

leuchtet auf sein Gesicht,

für den, der es sieht,

der durch alles hindurchsieht

mit durch-sichtigen Augen.

Silja Walter

 

 

 

Sprachtabus

Was habe ich mit euch zu schaffen,

heute, bei diesem unbotmäßigen

Morgenleuchten?

Ich räume dir Platz ein, Seele,

dem Sinnbild Gold und weisem Herbstwind,

wähle ruhig auch dich, Ferne,

altdorferblaues Wort.

Ich greife auf das verschlissene Glück

des Vertrauens zurück,

die mit Schweigen bedachte Freundschaft

unter den Menschen

oder Wehlaute der Liebe,

die man den Groschenschreibern überläßt.

Aus Oktavbänden hole ich mir den Gesang

in pfirsichfarbenen Röcken

Vorübergegeisterter.

Ja, ich sage,

daß wir das Schöne nicht fürchten müssen:

den Honig, den Apfel,

den Schwan -

daß Umarmungen nicht geschmäht werden

können von schwerer Folter.

Noch im Winter

wird Staunen sein

und Zärtlichkeit.

Du Wortschatz der Stammelnden und Toten!

Ankommen soll es mir heute

auf eine Kraftprobe

deinetwegen -

Der Geist und die Braut sprechen:

Komm.

Heinz Piontek

 

 

 

Das Pferd

Während der Sommerferien auf dem Gut meiner Großeltern weilend, pflegte ich mich, sooft ich es unbeobachtet tun konnte, in den Stall zu schleichen und meinem Liebling, einem breiten Apfelschimmel, den Nacken zu kraulen. Das war für mich nicht ein beiläufiges Vergnügen, sondern eine große, zwar freundliche, aber doch auch tief erregende Begebenheit. Wenn ich sie je von der sehr frisch gebliebenen Erinnerung meiner Hand aus, deuten soll, muß ich sagen: was ich an dem Tier erfuhr, war das Andere, die ungeheure Anderheit des Anderen, die aber nicht fremd blieb, wie die von Ochs und Widder, die mich vielmehr ihr nahen, sie berühren ließ. Wenn ich über die mächtige, zuweilen verwunderliche glattgekämmte, zu andern Malen ebenso erstaunlich wilde Mähne strich und das Lebendige unter meiner Hand leben spürte, war es, als grenzte mir an die Haut das Element der Vitalität selber, etwas, das nicht ich, gar nicht ich war, gar nicht ich-vertraut, eben handgreiflich das Andere, nicht ein anderes bloß, wirklich das Andere selber, und mich doch heranließ, sich mir anvertraute, sich elementar mit mir auf Du und Du stellte. Der Schimmel hob, auch wenn ich nicht damit begonnen hatte, ihm Hafer in die Krippe zu schütten, sehr gelind den massigen Kopf, an dem sich die Ohren noch besonders regten, dann schnob er leise, wie ein Verschworner seinem Mitverschwornen ein nur diesem vernehmbar werden sollendes Signal gibt, und ich war bestätigt. Einmal aber - ich weiß nicht, was den Knaben anwandelte, jedenfalls war es kindlich genug - fiel mir über dem Streicheln ein, was für einen Spaß e mir doch machte, und ich fühlte plötzlich meine Hand. Das Spiel ging weiter wie sonst, aber etwas hatte sich geändert, es war nicht mehr Das. Und als ich tags darauf, nach einer reichen Futtergabe, meinem Freund den Nacken kraulte, hob er den Kopf nicht. Schon wenige Jahre später wenn ich an den Vorfall zurückdachte, meinte ich nicht mehr, das Tier habe meinen Abfall gemerkt; damals aber erschien ich mir verurteilt.

Martin Buber

 

 

 

Das Gebet des Windes in Grandchamp

Der wind stöhnt um das dach der alten scheune

wir singen und schweigen

das beten zu lernen

der wind stört mich beim schweigen

kannst du nicht still sein

fahr ich ihn an

sieh doch die frommen frauen

und weißt du nichts von christus

der uns gelehrt hat

für die verhungernden einzutreten

Der wind heult um das dach der alten scheune

die eine kirche ist

das beten zu lernen

es ist nicht der wind der stört beim schweigen

hör mir doch zu

lacht er und schlägt sich gegen das dach

laß es doch sausen dein ich

und weißt du nichts vom tao

das uns gelehrt hat

nicht gegen den wind zu leben

Der wind singt um das dach der alten scheune

die eine art heimat wird

das beten zu lernen

endlich bin ich so still geworden

daß ich den wind beten höre

um die alte erde

ihre dächer und ihre antennen

daß nicht nur unsere der menschen musik da sei

singt er die ganze nacht

sein wüstes hallelujah

für die die wir vergessen

Mach uns demütiger bruder wind

mach uns zornig

wenn du uns beten hilfst

so hilf auch kämpfen

sing vom tao

und sing von christus

Dorothee Sölle

 

 

 

Was ich mir wünsche

Die Unermüdlichkeit der Drossel, da es

dunkelt, den Gesang zu erneuern.

Den Mut des Grases, nach so viel

Wintern zu grünen.

Die Geduld der Spinne, die ihrer Netze

Zerstörung nicht zählt.

Die Kraft im Nacken des Kleibers.

Das unveränderliche Wort der Krähen.

Das Schweigen der Fische gestern,

Den Fleiß der Holzwespen, die Leichtigkeit

ihrer Waben.

Die Unbestechlichkeit des Spiegels.

Die Wachheit der Uhr.

Den Schlaf der Larve im Acker.

Die Lust des Salamanders am Feuer,

Die Härte des Eises, das der Kälte

trotzt, doch schmilzt im Märzlicht der Liebe.

Die Glut des Holzes, wenn es verbrennt.

Die Armut des Winds.

Die Reinheit der Asche, die bleibt.

Rudolf Otto Wiemer

 

 

 

An die Zitterpappel

Gut,

daß du da bist.

Dein Grün zittert

mittags im Licht.

Zittert nachts

ohne Mond, ohne Wind.

Du birgst das Nest der Krähe,

des Kummervogels.

Du hütest das Wasser, das

rasch davonfließt.

Immer höher wächst du,

immer vollere Krone.

Wächst über das Dach des Vaters,

der lange tot ist,

der sagte, sooft ihm bang war:

"Gut, daß du da bist, Baum. Du

zitterst und wächst,

zitterst und wächst zugleich."

Rudolf Otto Wiemer

 

 

 

Dich loben im Abfall

Gott, der du sprichst in vielerlei Sprachen,

lehre mich dein Esperanto.

Der du einlädst,

deine Vorstellungen zu besuchen,

verschaffe mir eine Platzkarte.

Der du die Zeitungen vollschreibst täglich,

verrate mir dein Alphabet.

Der du immer neue Anschläge ersinnst,

mache mich zu deiner Plakatwand.

Der du schreien läßt deine Leuchtreklamen,

laß mich aufmerken im Dunkel.

Der du fliehst aus den Kirchen,

stärke meine Hartnäckigkeit, dich einzuholen.

Der du dich hinter Masken versteckst,

laß mich deinen Karneval verachten.

Der du ankommst auf den Bahnsteigen,

zeige mir deinen Fahrplan.

Der du dich zählen läßt im Portemonnaie,

korrigiere meine Berechnungen.

Der du wohnst in Motoren und Auspuffgasen,

steh an der Kreuzung, sei Ampel und Stoppschild.

Der du dich auf hältst an den Grenzen,

bringe meinen Paß in Ordnung.

Der du den Dschungel bevorzugst,

instruiere mich, deinen Guerillero.

Der du lachst hinter den Fernsehschirmen,

mache lächerlich meine Melancholie.

Bewege mein Zwerchfell, dich einzuatmen.

Der du die Müllkübel durchwühlst, Gott,

verschließe meinen Mund nicht, dich zu

loben im Abfall.

Rudolf Otto Wiemer

 

 

 

"Guten Tag", sagte der kleine Prinz.

"Guten Tag", sagte der Händler.

Er handelte mit höchst wirksamen, durststillenden Pillen. Man schluckt jede Woche eine und spürt überhaupt kein Bedürfnis mehr, zu trinken.

"Warum verkaufst du das?", sagte der kleine Prinz.

"Das ist eine große Zeitersparnis", sagte der Händler. "Die Sachverständigen haben Berechnungen angestellt. Man erspart dreiundfünfzig Minuten in der Woche"

"Und was macht man mit diesen dreiundfünfzig Minuten?"

"Man macht damit, was man will..."

"Wenn ich dreiundfünfzig Minuten übrig hätte", sagte der kleine Prinz, "würde ich ganz gemächlich zu einem Brunnen laufen...""

"Die Wüste ist schön", fügte er hinzu ...

Und das war wahr. Ich habe die Wüste immer geliebt. Man setzt sich auf eine Sanddüne. Man sieht nichts. Man hört nichts, Und währenddessen strahlt etwas in der Stille.

"Es macht die Wüste schön", sagte der kleine Prinz, "daß sie irgendwo einen Brunnen birgt."

Ich war überrascht, dieses geheimnisvolle Leuchten des Sandes plötzlich zu verstehen. Als ich ein kleiner Knabe war, wohnte ich in einem alten Haus, und die Sage erzählte, daß darin ein Schatz versteckt sei. Gewiß, es hat ihn nie jemand zu entdecken vermocht, vielleicht hat ihn auch nie jemand gesucht. Aber er verzauberte dieses ganze Haus. Mein Haus barg ein Geheimnis auf dem Grunde seines Herzens ...

Antoine de Saint-Exupéry

 

 

 

"Ich bitte nicht um Wunder und Visionen, Herr, sondern um die Kraft für den Alltag. Lehre mich die Kunst der kleinen Schritte.

Mach mich findig und erfinderisch, um im täglichen Vielerlei und Allerlei rechtzeitig meine Erkenntnisse und Erfahrungen zu notieren, von denen ich betroffen bin.

Mach mich griffsicherr in der richtigen Zeiteintellung. Schenke mir das Fingerspitzengefühl, um herauszufinden, was erstrangig und was zweitrangig ist.

Laß mich erkennen, daß Träume nicht weiterhelfen, weder über die Vergangenheit noch über die Zukunft, Hilf mir, das Nächste so gut wie möglich zu tun und die jetzige Stunde als die wichtigste zu erkennen.

Bewahre mich vor dem naiven Glauben, es müßte im Leben alles glatt gehen. Schenke mir die nüchterne Erkenntnis, daß Schwierigkeiten, Niederlagen, Mißerfolge, Rückschlöge eine selbstverstöndliche Zugabe zum Leben sind, durch die wir wachsen und reifen.

Erinnere mich daran, daß das Herz oft gegen den Verstand streikt. Schick mir im rechten Augenblick jemand, der den Mut hat, mir die Wahrheit in Liebe zu sagen.

Du weißt, wie sehr wir der Freundschaft bedürfen. Gib, daß ich diesem schönsten, schwierigsten, riskantesten und zartesten Geschenk des Lebens gewachsen bin.

Verleihe mir die nötige Phantasie, im rechten Augenblick ein Päckchen Güte, mit oder ohne Worte, an der richtigen Stelle abzugeben.

Mach aus mir einen Menschen, der einem Schiff mit Tiefgang gleicht, um auch die zu erreichen, die 'unten' sind.

Bewahre mich vor der Angst, ich könnte das Leben versäumen. Gib mir nicht, was ich mir wünsche, sondern was ich brauche.

Lehre mich die Kunst der kleinen Schritte!"

Antoine de Saint-Exupéry

 

 

 

Ich betrachte einen Baum.

Ich kann ihn als Bild aufnehmen:

starrender Pfeiler im Anprall des Lichts,

oder das spritzende Gegrün

von der Sanftmut des blauen Grundsilbers

durchflossen.

Ich kann ihn als Bewegung verspüren:

das flutende Geöder

am haftenden und strebenden Kern,

Saugen der Wurzeln, Atmen der Blätter,

unendlicher Verkehr mit Erde und Luft -

und das dunkle Wachsen selber,

Ich kann ihn einer Gattung einreihen

und als Exemplar beobachten,

auf Bau und Lebensweise.

Ich kann seine Diesmaligkeit

und Geformtheit so hart überwinden,

daß ich ihn nur noch als Ausdruck

des Gesetzes erkenne -

der Gesetze,

nach denen ein stetes Gegeneinander

von Kräften sich stetig schlichtet,

oder der Gesetze,

nach denen die Stoffe sich mischen

und entmischen.

Ich kann ihn zur Zahl, zum reinen Zahlenverhältnis

verflüchtigen und verewigen.

In all dem bleibt der Baum mein Gegenstand

und hat seinen Platz und seine Frist,

seine Art und Beschaffenheit.

Es kann aber auch geschehen,

aus Willen und Gnade in einem,

daß ich, den Baum betrachtend,

in die Beziehung zu ihm eingefaßt werde,

und nun ist er kein ES mehr.

Die Macht der Ausschließlichkeit

hat mich ergriffen.

Dazu tut not,

daß ich auf irgendeine der Weisen

meiner Betrachtung verzichte.

Es gibt nichts,

wovon ich absehen müßte, um zu sehen,

und kein Wissen, das ich zu vergessen hätte.

Vielmehr ist alles, Bild und Bewegung,

Gattung und Exemplar, Gesetz und Zahl,

mit darin, ununterscheidbar vereinigt.

Alles, was dem Baum zugehört, ist mit darin,

seine Form und seine Mechanik,

seine Farben und seine Chemie,

seine Unterredung mit den Elementen

und seine Unterredung mit den Gestirnen,

und alles in einer Ganzheit.

kein Eindruck ist der Baum,

kein Spiel meiner Vorstellung,

kein Stimmungswert,

sondern er bleibt mir gegenüber

und hat mit mir zu schaffen,

wie ich mit ihm - nur anders.

Man suche den Sinn der Beziehung

nicht zu entkräften:

Beziehung ist Gegenseitigkeit.

So hätte er denn ein Bewußtsein, der Baum,

dem unsern ähnlich?

Ich erfahre es nicht,

Aber wollt ihr wieder,

weil es euch an euch geglückt scheint,

das Unzerlegbare zerlegen?

Mir begegnet keine Seele des Baums

und keine Dryode,

sondern er selber.

Martin Buber

 

 

 

Ein Blatt, baumlos, für Bertolt Brecht:

Was sind das für Zeiten,

wo ein Gespräch

beinah ein Verbrechen ist,

weil es soviel Gesagtes

mit einschließt?

Paul Celan

 

 

 

An die Nachgeborenen

Was sind das für Zeiten,

wo ein Gespräch über Bäume fast

ein Verbrechen ist

Weil es ein Schweigen über

so viele Untaten einschließt'.

Bertolt Brecht

 

 

 

Bäume

Wieder hat man in der Stadt

um Parkplätze zu schaffen,

Platanen gefällt.

Sie wußten viel.

Wenn wir in ihrer Nähe waren,

begrüßten wir sie als Freunde.

Inzwischen ist es fast

zu einem Verbrechen geworden,

nicht über Bäume zu sprechen,

ihre Wurzeln,

den Wind, die Vögel,

die sich in ihnen niederlassen,

den Frieden,

an den sie uns erinnern.

Walter Helmut Fritz

 

 

 

Gespräch über Bäume

Seit der Gärtner die Zweige gestutzt hat

sind meine Äpfel größer

Aber die Blätter des Birnbaums

sind krank. Sie rollen sich ein

In Vietnam sind die Bäume entlaubt

Erich Fried

 

 

 

Ziehende Landschaft

Man muß weggehen können

und doch sein wie ein Baum

als bliebe die Wurzel im Boden

als zöge die Landschaft

und wir stünden fest

Man muß den Atem anhalten

bis der Wind nachläßt

und die freundliche Luft

um uns zu kreisen beginnt

bis das Licht von Spiel und Schatten

von Grün und Blau

die alten Muster zeigt

und wir zu Hause sind

wo es auch sei

und niedersitzen können

und uns anlehnen

als sei es an das Grab

unserer Mutter

Hilde Domin

 

 

 

Er lehnt an einen Baum

das Holz ist verkauft

das Land ist verpachtet

das Wasser verseucht

der Regen bringt die Vögel um

jemand zielt auf ihn

er hebt die Arme am schwarzen Holz

es ist nicht vollbracht

Dorothee Sölle

 

 

 

Sensible Wege

Sensibel ist

die Erde über den Quellen,

kein Baum darf

gefält, keine Wurzel

gerodet werden

Die Quellen könnten

Versiegen

Wie viele Bäume werden

gefält, wie viele Wurzeln

gerodet in uns

Reiner Kunze

 

 

 

Wasserfall

Wasser fließt über den Steinrand

glattgesichtig und spiegelt

nicht Jammer nicht Lachen

stürzt nur und lörmt in die Tiefe.

Vorbeifließend erscheint alles Stehende

als immer erneut Verlassenes.

Heinz Kattner

 

 

 

Der knorrige Baum

Meister Ki vom Südweiler wanderte zwischen den Hügeln von Schang. Da sah er einen Baum, der war größer als alle andern. Tausend Viergespanne hötten in seinem Schatten Platz finden können.

Der Meister Ki sprach: 'Was für ein Baum ist das! Der hat gewiß ganz besonderes Holz."

Er blickte nach oben, da bemerkte er, daß seine Zweige krumm und knorrig waren, so daß sich keine Balken daraus machen ließen. Er blickte nach unten und bemerkte, daß seine großen Wurzeln nach allen Seiten auseinandergingen, so daß sich keine Särge daraus machen ließen. Leckte man an einem seiner Blötter, so bekam man einen scharfen, beißenden Geschmack in den Mund; roch man daran, so wurde man von dem starken Geruch drei Tage lang wie betdubt. Meister Ki sprach: 'Das ist wirklich ein Baum, aus dem sich nichts machen läßt. Dadurch hat er seine Größe erreicht. Oh, das ist der Grund, warum der Mensch des Geistes unbrauchbar für das Leben ist."

Dschuong Dsi

 

 

 

Herr, lehre mich schweigen,

In mir ist so viel Lärm.

Meine Gedanken sind so verwirrt

von der Unruhe des Tages.

Bilder bedrängen mich,

Nachrichten, Meinungen,

Auseinandersetzungen,

Erlebnisse und Wünsche.

Sie fordern mich,

sie ergreifen mich,

sie zerstreuen meine Kräfte.

Herr, lehre mich Abstand gewinnen

von mir selbst

und von Dingen,

die nur wichtig scheinen.

Herr, gib mir Kraft zur Konzentration.

Ich schließe meine Augen.

Ich atme die Stille in mich hinein.

Ich gehe weit von mir weg.

In Deinem Schweigen

finde ich mich wieder.

Dort bin ich Dein,

Aktion 365

 

 

 

Rätsel

Frag den, der alles bewegt,

In allem Leben sich regt,

Der alles dir heilig spricht,

Die Finsternis schuf und das Licht.

Frag ihn nach dem tieferen Sinn,

Nach allem Woher und Wohin,

Noch allem Warum und Wozu,

Wann Sturm und wann innerste Ruh.

Und ob auch der Himmel verhängt

Und manches in Wirrnis sich drängt,

Und ob er auch lange dir schweigt -

So wart, bis ein Zeichen sich zeigt,

Ein Ton in dem Beben erklingt,

Ein Vogel in Nächten dir singt,

Ein Rätsel sich leuchtend enthüllt,

Wann immer die Zeit ist erfüllt.

Gerd Herrmann

 

 

 

Schöner als der beachtliche Mond und sein geadeltes Licht,

Schöner als die Sterne, die berühmten Orden der Nacht,

Viel schöner als der feurige Auftritt eines Kometen

Und zu weit Schönerem berufen als jedes andre Gestirn,

Weil dein und mein Leben jeden Tag an ihr höngt, ist die Sonne.

Schöne Sonne, die aufgeht, ihr Werk nicht vergessen hat

Und beendet, am schönsten im Sommer, wenn ein Tag

An den Küsten verdampft und ohne Kraft gespiegelt die Segel

Über dein Aug ziehn, bis du müde wirst und das letzte verkürzt.

Nichts Schönres unter der Sonne als unter der Sonne zu sein ...

Nichts Schönres als den Stab im Wasser zu sehen und den Vogel oben,

Der seinen Flug überlegt, und unten die Fische im Schwarm,

Gefärbt, geformt, in die Welt gekommen mit einer Sendung von Licht.

Schöne Sonne, der vom Staub noch die größte Bewunderung gebührt,

Drum werde ich nicht wegen dem Mond und den Sternen und nicht,

Weil die Nacht mit Kometen prahlt und in mir einen Narren sucht,

Sondern deinetwegen und bald endlos und wie um nichts sonst

Klage führen über den unabwendbaren Verlust meiner Augen.

Ingeborg Bachmann

 

 

 

Reisen

Meinen Sie Zürich zum Beispiel

sei eine tiefere Stadt,

wo man Wunder und Weihen

immer als Inhalt hat?

Meinen Sie, aus Habana,

weiß und hibiskusrot,

bräche ein ewiges Manna

für Ihre Wüstennot?

Bahnhofstraßen und Rueen

Boulevards, Lidos, Laan -

selbst auf den Fifth Avenueen

fällt Sie die Leere an

ach, vergeblich das Fahren!

Spät erst erfahren Sie sich:

bleiben und stille bewahren

das sich umgrenzende Ich.

Gottfried Benn

 

 

 

Wacht auf, denn eure Träume sind schlecht!

Bleibt wach, weil das Entsetzliche näher kommt.

Auch zu dir kommt es, der weit entfernt wohnt von den Stätten, wo Blut vergossen wird,

auch zu dir und deinem Nochmittagsschlaf, worin du ungern gestört wirst.

Wenn es heute nicht kommt, kommt es morgen, aber sei gewiß.

'Oh, angenehmer Schlaf

auf den Kissen mit roten Blumen,

einem Weihnachtsgeschenk von Anita, woran sie drei Wochen gestickt hat,

oh, angenehmer Schlaf,

wenn der Braten fett war und das Gemüse zart.

Man denkt im Einschlummern an die Wochenschau von gestern abend:

Osterlämmer, erwachende Natur, Eröffnung der Spielbank in Baden-Baden,

Cambridge siegte gegen Oxford mit zweieinhalb Längen,

das genügt, das Gehirn zu beschäftigen.

Oh, dieses weiche Kissen, Daunen aus erster Wahl!

Auf ihm vergißt man das Ärgerliche der Welt, jene Nachricht zum Beispiel:

Die wegen Abtreibung Angeklagte sagte zu ihrer Verteidigung:

Die Frau, Mutter von sieben Kindern, kam zu mir

mit einem Säugling,

für den sie keine Windeln hatte und der

in Zeitungspapier gewickelt war.

Nun, das sind Angelegenheiten des Gerichts, nicht unsre.

Man kann dagegen nichts tun, wenn einer etwas härter liegt als der andere.

Und was kommen mag, unsere Enkel mögen es ausfechten."

"Ah, du schläfst schon? Wache gut auf, mein Freund!

Schon läuft der Strom in den Umzäunungen, und die Posten sind aufgestellt."

Nein, schlaft nicht, während die Ordner der Welt geschäftig sind.

Seid mißtrauisch gegen ihre Macht, die sie vorgeben für euch erwerben zu müssen!

Wacht darüber, daß eure Herzen nicht leer sind, wenn mit der Leere eurer Herzen gerechnet wird! Tut das Unnütze, singt die Lieder, die man aus eurem Mund nicht erwartet!

Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt!

Günter Eich

 

 

 

"Wüste"

Wo sollen wir Stille finden?

Wo gibt es noch Orte der Stille? Die Wüste ist weit weg

Wenn das kontemplative Leben nur hinter Klostermauern

oder im Schweigen der Wüste möglich wäre,

dann müßten wir, um gerecht zu sein,

jeder Famillenmutter ein kleines Kloster geben

und den Luxus einer kleinen Wüste dem Hilfsarbeiter,

der im Lärm einer Stadt leben muß,

um hart sein Brot zu verdienen.

So sieht die Wirklichkeit aus,

in der viele, die meisten Menschen leben.

Wenn du nicht in die Wüste gehen kannst,

mußt du dennoch in deinem Leben

Wüste machen.

Bring ein Stück Wüste in dein Leben,

verlaß von Zeit zu Zeit die Menschen,

such die Einsamkeit,

um im Schweigen und anhaltenden Gebet deine

Seele zu erneuern!

Das ist unentbehrlich.

Das bedeutet "Wüste" in deinem

geistlichen Leben.

Eine Stunde am Tag,

einen Tag im Monat, acht Tage im Jahr,

länger, wenn es nötig ist,

mußt du alles und alle verlassen,

um dich allein mit Gott zurückzuziehen.

Wenn du das nicht suchst

wenn du das nicht liebst,

mach dir keine Illusionen.

Denn nicht allein sein wollen

obwohl man es könnte -,

um die innige Nähe Gottes zu kosten,

ist ein Zeichen, daß es an dem Grundelement

der Beziehung zum allmächtigen Gott fehlt:

an der Liebe.

Ohne Liebe aber ist keine Offenbarung möglich.

Carlo Carretto

 

 

 

Tagelang hab ich den Acker gepflügt

Tage lang hab ich den Acker gepflügt, unzählige Furchen

Achtsam gezogen fürwahr, schnurgerad glaubt ich sie all.

Aber nun schau ich vom Hügel hinunter,

da, siehe, die meisten,

Leider gerieten mir krumm, wenige laufen gerad.

Ruhe, mein sorgliches Herz! Die Egge wird alles

verebnen,

O, ihre Zähne sind gut, wehren dem Zahne der

Zeit!

Himmel, erziehe mir du die zarten künftigen Saa

ten!

Einst, über Krumm und Gerad neigt sich das rei

fende Korn.

Hans Carossa

 

 

 

 

Zur Paradoxie des Menschseins

gehört das Überflüssige

als das Lebensnotwendige.

Ortego y Gasset

 

 

 

Die Seele ist der Stille nicht mehr fähig,

in der allein ihre Liebes- und Glaubenskraft sich sammelt,

ihre höchste Hoffnung gedeiht.

Wenn Gott schwiege

und der Mensch

noch immer nicht zu schweigen vermöchte,

ja der Mensch sich immer lauter gebärdete,

eben weil er fühlt-

nicht weiß und nicht wissen will-

daß Gott schweigt:

was dann?

Es würde sich mit den Völkern verhalten

wie mit den Bewohnern einer großen Stadt,

deren übergrelles Licht die Tiefe

des nächtlichen Himmels verdeckt,

so daß kein Blick hinaufdringt,

eingesponnen im mißfarbigen Lichtgewebe,

gefangen im selbsterzeugten Lärm,

liegt die Stadt in der ungeheuren Nacht,

deren Gestirne über sie herrschen.

Reinhold Schneider

 

 

 

Erst wenn du plötzlich Fänger wirst des Balles,

den eine ewige Mit-Spielerin

dir zuwarf, deiner Mitte, in genau

gekonntem Schwung, in einem jener Bögen

aus Gottes großem Brücken-Bau:

erst dann wird Fangen-Können ein Vermögen,-

nicht deines, einer Welt. Und wenn du gar

zurückzuwerfen Kraft und Mut besäßest,

nein, wunderbarer: Mut und Kraft vergäßest

und schon geworfen hättest, ...erst

in diesem Wagnis spielst du gültig mit.

Rainer Maria Rilke

 

 

 

Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens. Siehe, wie klein dort,

siehe: die letzte Ortschaft der Worte, und höher,

aber wie klein auch, noch ein letztes

Gehöft von Gefühl. Erkennst du's?

Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens. Steingrund

unter den Händen. Hier blüht wohl

einiges auf; aus stummem Absturz

blüht ein unwissendes Kraut singend hervor.

Aber der Wissende? Ach, der zu wissen begann

und schweigt nun, ausgesetzt auf den Bergen des Herzens.

Da geht wohl, heilen Bewußtseins,

manches umher, manches gesicherte Bergtier,

wechselt und weilt, Und der große geborgene Vogel

kreist um der Gipfel reine Verweigerung. -Aber

ungeborgen, hier auf den Bergen des Herzens ...

Rainer Maria Rilke

 

 

 

Werkleute sind wir: Knappen, Jünger, Meister,

und bauen dich, du hohes Mittelschiff.

Und manchmal kommt ein ernster Hergereister,

geht wie ein Glanz durch unsre hundert Geister

und zeigt uns zitternd einen neuen Griff.

Wir steigen in die wiegenden Gerüste,

in unsern Händen hängt der Hammer schwer,

bis eine Stunde uns die Stirnen küßte,

die strahlend und als ob sie Alles wüßte

von dir kommt, wie der Wind vom Meer.

Dann ist ein Hallen von dem vielen Hämmern

und durch die Berge geht es Stoß um Stoß.

Erst wenn es dunkelt, lassen wir dich los:

Und deine kommenden Konturen dämmern.

Gott, du bist groß.

Rainer Maria Rilke

 

 

 

Der römische Brunnen

Aufsteigt der Strahl und fallend gießt

Er voll der Marmorschale Rund,

Die, sich verschleiernd, überfließt

In einer zweiten Schale Grund;

Die zweite gibt, sie wird zu reich,

Der dritten wallend ihre Flut,

Und jede nimmt und gibt zugleich

Und strömt und ruht.

Conrad Ferdinand Meyer

 

 

 

Welt und ich

Im großen ungeheuren Ozeane

willst du, der Tropfe, dich in dich verschließen?

so wirst du nie zur Perl' zusammenschießen,

wie dich auch schütteln Fluten und Orkane

Nein: öffne deine innersten Organe

und mische dich im Leiden und Genießen

mit allen Strömen, die vorüberfließen,

dann dienst du dir und dienst dem höchsten Plane.

Und fürchte nicht, so in die Welt versunken,

dich selbst und dein Ur-Eig'nes zu verlieren:

der Weg zu dir führt eben durch das Ganze!

Erst wenn du kühn von jedem Wein getrunken,

wirst du die Kraft im tiefsten Innern spüren,

die jedem Sturm zu steh'n vermag im Tanze!

Friedrich Hebbel

 

 

 

Hier, wo man steht

Rabbi Bunam erzählte den Jünglingen, die zum erstenmal zu ihm kamen, die Geschichte von Eisik, Sohn Jekels, in Krakau. Dem war noch Jahren schwerer Not, die sein Gottvertrauen nicht erschüttert hatten, im Traum befohlen worden, in Prag unter der Brücke, die zum Königsschloß führt, noch einem Schatz zu suchen. Als der Traum zum drittenmal wiederkehrte, machte sich Eisik auf und wanderte nach Prag. Aber an der Brücke standen Tag und Nacht Wachposten, und er getraute sich nicht zu graben. Doch kam er an jedem Morgen zur Brücke und umkreiste sie bis zum Abend. Endlich fragte ihn der Hauptmann der Wache, auf sein Treiben aufmerksam geworden, ob er hier etwas suche oder auf jemand warte, Eisik erzählte, welcher Traum ihn aus fernem Land hergeführt habe. Der Hauptmann lachte: "Und da bist du armer Kerl mit deinen zerfetzten Sohlen einem Traum zum Gefallen hergepilgert! Ja, wer den Träumen traut! Da hätte ich mich ja auch auf die Beine machen müssen, als es mir einmal im Traum befahl, nach Krakau zu wandern und in der Stube eines Juden, Eisik, Sohn Jekels, sollte er heißen, unterm Ofen nach einem Schatz zu graben. Eisik, Sohn Jekels! Ich kann's mir vorstellen, wie ich drüben, wo die Hälfte der Juden Eisik und die andere Jekei heißt, alle Häuser auf reiße! "

Und er lachte wieder. Eisik verneigte sich, wanderte heim, grub den Schatz aus und baute das Bethaus, das Reb-Eisik-Sohn-Jekelsschul heißt, 'Merke dir diese Geschichte", pflegte Rabbi Bunam hinzuzufügen, "und nimm auf, was sie dir sagt: daß es etwas gibt, was du nirgends in der Welt finden kannst, und daß es doch einen Ort gibt, wo du es finden kannst.

Elie Wiesel

 

 

 

Schläft ein Lied in allen Dingen,

Die da träumen fort und fort,

Und die Welt hebt an zu singen,

Triffst du nur das Zauberwort.

Joseph v. Eichendorff

 

 

 

Wir träumen von Reisen durch das Weltall:

ist denn das Weltall nicht in uns?

Die Tiefen unseres Geistes kennen wir nicht.

Nach innen geht der geheimnisvolle Weg.

In uns, oder nirgends ist die Ewigkeit

mit ihren Weiten, die Vergangenheit

und Zukunft.

Novalis

 

 

 

Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren

Sind Schlüssel aller Kreaturen,

Wenn die, so singen oder küssen,

mehr als die Tiefgelehrten wissen,

Wenn sich die Welt ins freie Leben

und in die Weit wird zurückbegeben,

Wenn dann sich wieder Licht und Schatten

Zu echter Klarheit werden gatten,

Und man in Mörchen und Geschichten

Erkennt die wahren Weltgeschichten,

Dann fliegt vor einem geheimen Wort

Das ganze verkehrte Wesen fort.

Novalis

 

 

 

Ich hab es Einmal gesehen, das

Einzige,das meine Seele suchte,

und die Vollendung, die wir über

die Sterne hinauf entfernen,

die uns hinausschieben bis ans

Ende der Zeit, die habe ich

gegenwärtig gefühlt. Es war da,

das Höchste, in diesem Kreis der

Menschennatur und der Dinge war

es da.

Friedrich Hölderlin

 

 

 

Gib mir die Gelassenheit,

Dinge hinzunehmen,

die ich nicht ändern kann;

gib mir den Mut,

Dinge zu ändern,

die ich ändern kann,

und gib mir die Weisheit,

das eine vom andern

zu unterscheiden.

Friedrich Christoph Oetinger

 

 

 

Ein Blinder, der nicht ganz blind ist,

läßt sich vom Blindenführer

nicht gern leiten. Wenn er nur

ein bißchen sieht, meint er,

der Pfad vor ihm sei der beste.

Er sieht ja die anderen, besseren nicht.

Johannes vom Kreuz

 

 

 

Mensch, werde wesentlich:

denn wann die Weit vergeht,

so fällt der Zufall weg,

das Wesen, das besteht.

Du reisest vielerlei

zu sehn und auszuspähn.

Hast du nicht Gott erblickt,

so hast du nichts gesehn.

Die Ros' ist ohn' Warum,

sie blühet, weil sie blüht.

Sie acht' nicht ihrer selbst,

fragt nicht, ob man sie sieht.

Die Schöpfung ist ein Buch:

wer's weislich lesen kann,

dem wird darin gar fein

der Schöpfer kundgetan.

Angelus Silesius

 

 

 

Schließ Aug und Ohr für eine Weil

vor dem Getös der Zeit.

Du heilst es nicht und hast kein Heil,

als wo dein Herz sich weiht.

Altes Lied

 

 

 

Keine Zeit, ein Heiliger zu sein?

Herr der Töpfe und Pfannen, ich habe keine Zeit, ein Heiliger zu sein und Dir zum Wohlgefallen in der Nacht zu wachen, auch kann ich nicht meditieren in der Morgendämmerung und im stürmischen Horizont.

Mache mich zu einem Heiligen, indem ich Mahlzeiten zubereite und Teller wasche,

Nimm an meine rauhen Hände, weil sie für Dich rauh geworden sind.

Kannst du meinen Spüllappen als einen Geigenbogen gelten lassen, der himmlische Harmonie hervorbringt auf einer Pfanne?

Sie ist so schwer zu reinigen und ach, so abscheulich.

Hörst Du, lieber Herr, die Musik, die ich meine?

Die Stunde des Gebetes ist vorbei, bis ich mein Geschirr vom Abendessen gespült habe, und dann bin ich sehr müde.

Wenn mein Herz noch am Morgen bei der Arbeit gesungen hat, ist es am Abend schon längst vor mir zu Bett gegangen.

Schenke mir, Herr, Dein unermüdliches Herz, daß es in mir arbeite statt des meinen,

Mein Morgengebet habe ich in die Nacht gesprochen zur Ehre Deines Namens.

Ich habe es im voraus gebetet für die Arbeit des morgigen Tages, die genau dieselbe sein wird wie heute.

Herr der Töpfe und Pfannen, bitte darf ich Dir anstatt gewonnener Seelen die Ermüdung anbieten, die mich ankommt beim Anblick von Kaffeesatz und angebrannten Gemüsetöpfen?

Erinnere mich an alles, was ich leicht vergesse; nicht nur um Treppen zu sparen, sondern, daß mein vollendet gedeckter Tisch ein Gebet werde.

Obgleich ich Martha-Hände habe, hab' ich doch ein Maria-Gemüt, und wenn ich die schwarzen Schuhe putze, versuche ich, Herr, Deine Sandalen zu finden. Ich denke daran, wie sie auf Erden gewandelt sind, wenn ich den Boden schrubbe.

Herr, nimm meine Betrachtung an, weil ich keine Zeit habe für mehr.

Herr, mache Dein Aschenbrödel zu einer himmlichen Prinzessin;

erwärme die ganze Küche mit Deiner Liebe und erleuchte sie mit Deinem Frieden.

Vergib mir, daß ich mich so absorge, und hilf mir, daß mein Murren aufhört.

Herr, der Du das Frühstück am See bereitest hast, vergib der Weit, die da sagt: 'Was kann denn aus Nazareth Gutes kommen?"

Teresa von Avila

 

 

 

Sonnengesang

Höchster, mächtiger, gütiger Herr,

dein ist der Preis, die Herrlichkeit, die Ehre und jeglicher Segen:

Dir allein gebühren sie,

und der Menschen keiner ist würdig, dich zu nennen.

Sei gepriesen, mein Herr, mit allen deinen Geschöpfen,

vornehmlich mit unserer Schwester, der Sonne:

Sie wirket den Tag und schenkt uns durch ihn das Licht.

Schön ist sie und strahlend in großem Glanze und deines Wesens, Allerhöchster, ein Gleichnis.

Sei gepriesen, mein Herr, durch unseren Bruder, den Mond, und die Sterne:

Du hast sie am Himmel gebildet, leuchtend, kostbar und schön.

Sei gepriesen, mein Herr, durch unsern Bruder, den Wind,

durch die Luft und die Wolken, durch die heitern und düsteren Tage,

durch welche du deinen Geschöpfen Dauer verleihst.

Sei gepriesen, mein Herr, durch unsere Schwester, das Wasser:

Nützlich ist es sehr, voll Demut, köstlich und keusch.

Sei gepriesen, mein Herr, durch unsern Bruder, das Feuer,

durch welchen du die Nächte erleuchtest.

Schön ist es, heiter, sehr stark und gewaltig.

Sei gepriesen, mein Herr, durch unsere Schwester, die Mutter Erde,

welche uns nährt und erhält

und viele Früchte gebiert und bunte Blumen und Kräuter.

Sei gepriesen, mein Herr, durch die, welche verzeihen aus Liebe zu dir,

die ausharren in Mühsal und Leid.

Selig die, weiche dulden in Frieden,

denn du, Allerhöchster, wirst sie krönen.

Sei gepriesen, mein Herr, durch unsern Bruder, den leiblichen Tod:

Keiner der Lebenden kann ihm entrinnen,

Weh denen, die sterben in tödlicher Sünde,

und selig die, welche ruhen in deinem heiligsten Willen,

denn der zeitliche Tod kann ihnen nicht schaden.

Preiset und lobet meinen Herrn und saget ihm Dank:

Und dienet ihm in großer Demut.

Franz von Assisi

 

 

 

Jedoch die äußeren Erscheinungsformen sind den geübten Menschen nichts äußerliches, denn Dinge haben für die innerlichen Menschen eine inwendige göttliche Seinsweise.

Meister Eckhart

 

 

 

Die Zeit

Was ist an ihr wirklich? Bei genauem Hinsehen allein die Gegenwart, das Jetzt. Vergangenheit existiert nur in unserer Erinnerung, Zukunft nur in unserer Erwartung. Damit sind beide nicht eigentlich wirklich. Es ist die Beschränktheit unseres menschlichen Bewußtseins, die das immer Seiende allein im Nacheinander zu fassen vermag. Was aber in nicht endender Folge vor uns auftaucht und vorüberzieht, das ist vor Gottes Auge alles gleich gegenwärtig ...

Aurelius Augustinus

 

 

 

Alles Wirkliche trägt nicht nur ein vordergründiges Gesicht,

sondern wird hintergründig von etwas Tieferem durchwaltet.

Thales von Milet

 

 

 

Zeit. Zeit, das ist sie wieder. Wer einmal über sie nachgedacht hat, versteht nicht, wie man nicht über sie nachdenken kann. Das Ende der Zeit: die mit uns essende Frage. Da wir unablässig auf Enden zueilen, auf das Ende eines Tages, einer Stunde, auf einer Arbeit herbeigewünschtes, auf eines Glückes herbeigefürchtetes Ende: Zeit ist 'in jedem Fall Endzeit. Zeit ist schon Ende. Sog, dem kein Sandkorn entrinnt.

Über die Zeit nachdenken kann man nur als Christ, ob man es weiß oder nicht; als Christ oder gar nicht. Man ist Christ, ob man es weiß oder nicht, wenn einem Zeit fragwürdig und, einmal eingefangen, das Fragwürdigste vom Fragwürdigen wird. Wenn 'Zeit" der modernen Physik dasselbe wie "Raum" ist: wie nah rückt dann die augustinische Einsicht herbei, Raum, Zeit und das darin befangene Ich nur verschiedene Begriffe für ein und dasselbe sind: für eine Trennung von der Kraft und der Herrlichkeit und der Fülle.

Ohne zu wissen, wir seien auf dem Millionenstäubchen einer platzenden Granate zuhaus, wie Einstein nun lehrte, also ohne den zweifelhaften Aufwand der modernen Physik, haben alle Zeiten die Wendung gefunden: Ruhen in Gott: Meeresstille, glanzvolle Stille. Eherner Himmel darüber. Nun, da sich das Zeitliche auch physikalisch als die Unruhe aller Unruhen erweist, kommt die Wissenschaft darauf zurück. Viel Neues wars also eigentlich nicht, was sie in vierhundertjähriger Anstrengung sich vorzutragen anschickte. Auch wurde es früher schöner gesagt.

Erhart Kästner

 

 

 

Haiku

In Windenblüten

trat mir vor Augen

das eigne Leben

Als ob zum Zweige

im Fall die Blüte heimkehrt -

es ist ein Falter!

Vor weißen Astern

hält eine Welle inne

die Blumenschere -

Die weißen Astern

erschienen mir viel höher

im Rot des Morgens

Aus Windenblüten

taucht auf und kommt heraus

der alte Meister

Um mein Brunnenseil

rankte eine Winde sich -

gib mir Wasser - Freund!

Die Trichterwinde -

des tiefen Abgrunds Farbe

in einer Blüte

Die Windenblüte

ging ganz gelassen auf

im Winde morgens -

Tönt es im Kelche

der Windenblüte?

Die Meise wispert hinein -

Die Lotosblüte

hat schwankend noch gezittert

bevor sie abfiel -

Die Lotosblätter

die Tau von dieser Weit doch

ganz leicht gebeugt hat -

Im Niederhägen

Umfangen dort den Felsen

Glyzinenblüten -

Die Windenranke

verspielt umfängt sie

des Nachbarn Apfelbäumchen

Im Vollmondlicht

so unerwartet einsam

die Eibischhecke -

Geduld

Winde mögen wehen,

Die rauh sind,

Aber die Weide!

Sengai

 

 

 

Ein alter Teich,

Ein Frosch springt hinein

Das Geräusch des Wassers.

Basho

 

 

 

Tief in den Bergen

weiß man noch nichts

vom Frühling.

An der Kleferntür langsam

erst rinnen herab

Perlen tauenden Schnees.

Prinzessin Shikishi

 

 

 

Ich habe nicht viele Zen-Klöster aufgesucht. Zufällig nur und gelassen bin ich meinem alten Meister T'ien-t'ung (Ju-ching) begegnet, und ich habe dann sogleich verstanden: Die Augen sind waagerecht, die Nase ist senkrecht. Ganz und gar unberührt von Irreführungen anderer, bin ich heimgekehrt mit leeren Händen. So nenne ich nicht ein Fäserchen vom Dharma des Buddha mein eigen. Nun lasse ich die Zeit verstreichen und nehme hin, was immer kommen mag.

Jeden Morgen geht im Osten die Sonne auf.

Jeden Abend geht im Westen der Mond unter.

Die Wolke zieht sich zurück, der Berg entblößt sein Gebein,

Regen zieht vorüber, niedrig im Umkreis die Hügel.

Wie sieht es noch alldem aus? (Pause)

Nach drei Jahren ist ein Schaltjahr.

Hähne krähen des Morgens zur fünften Stunde.

Dogen

 

 

 

Das Tun sei Nicht-Tun,

Das Geschäft sei Nicht-Geschäft,

Der Genuß sei Nicht-Genuß,

Das Große sei Kleines,

Das Viele sei Weniges.

Nicht-Tun, und doch bleibt nichts ungetan.

Lao-tse

 

 

 

O großer Geist, dessen Stimme ich in den Winden vernehme

und dessen Atem der ganzen Welt Leben spendet, höre mich.

Ich trete vor dich hin als eines deiner vielen Kinder.

Ich bin klein und schwach. Ich bedarf deiner Kraft und Weisheit.

Laß mich in Schönheit wandeln

und meine Hände immer den roten purpurnen Sonnenuntergang schauen.

Laß meine Hände die Dinge verehren, die du gemacht hast,

und meine Ohren deine Stimme hören.

Schenke mir Weisheit, daß ich die Lehre,

die du in jedem Blatt und jedem Felsen verborgen hast,

erkennen möge.

Gebet der Sioux

 

 

 

Es waren zwei Mönche, die lasen miteinander in einem alten Buch, am Ende der Welt gebe es einen Ort, an dem der Himmel und die Erde sich berühren. Sie beschlossen, ihn zu suchen und nicht umzukehren, ehe sie ihn gefunden hätten. Sie durchwanderten die Welt, bestanden unzählige Gefahren, erlitten alle Entbehrungen, die eine Wanderung durch die ganze Welt fordert, und alle Versuchungen, die einen Menschen von seinem Ziel abbringen können. Eine Tür sei dort, so hatten sie gelesen, man brauche nur anzuklopfen und befinde sich bei Gott. Schließlich fanden sie, was sie suchten, sie klopften an die Tür, bebenden Herzens sahen sie, wie sie sich öffnete, und als sie eintraten, standen sie zu Hause in ihrer Klosterzelle.

Da begriffen sie: Der Ort, am dem Himmel und Erde sich berühren, befindet sich auf dieser Erde, an der Stelle, die uns Gott zugewiesen hat.

 

 

 

Die Brille. Der alte Rabbi Jizchak war beim Talmudstudium unterbrochen worden. Während er sich wieder vor die Bücher setzt, tappt er nach der Brille, die nicht wie gewohnt im Buch liegt ...

Er überlegt: 'Jeden Tag trag ich beim Lesen die Brille, und wenn ich aufhör, leg ich die Brille ins Buch, Wenn ich das täglich tu, hab ich's heute auch getan. Wenn ich es aber getan hab, muß die Brille drin liegen. Sie liegt aber nicht drin. Was heißt: Sie liegt nicht drin? Sie liegt nicht drin, heißt: Die Brille ist weg. Was heißt: Sie ist weg? Von allein kann sie doch nicht weg sein. Also muß sie jemand genommen haben. Wer kann die Brille genommen haben? Die Brille kann einer genommen haben, der eine Brille braucht. Einer, der eine Brille braucht, der hat doch eine Brille und braucht nicht meine Brille. Einer, der keine Brille braucht, der braucht meine Brille auch nicht. Also - kann sie keiner genommen haben. Hat aber keiner die Brille genommen, so muß sie doch da sein! Seh ich doch, daß sie nicht da ist! Was heißt ich seh? Sehen kann ich doch nur mit der Brille. Ohne Brille seh ich doch nicht. Wenn ich also seh, daß die Brille nicht da ist -muß ich die Brille noch tragen" - und er greift an die Nase - das Beweisstück ist da! Oh!

Chassidische Geschichte

 

Vorwort - Loccum - Einkehr Stille Gebet - Wer bin ich - Der Tag - Das Jahr - Ich und die anderen - Ich und die Welt - Mein Glaube - Unser Leid unsere Hoffnung - Quellenangaben

Ist hier alles Gold, was glänzt? Welches sind die teuersten Gemälde der Welt???

Rätselverzeichnis - Wie alles begann ... - Zufallsrätsel - erstes Rätsel

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